Erwachendes Leben

 

 

Helena schaute nach ihrem Gast aus. Trotz ihrer Armut war der Tisch mit Brot, Milch und gekochten Früchten gedeckt. Immer und immer schaute sie die Straße entlang, endlich, wo es dunkelte, sieht sie ihn kommen. Vor dem Häuschen geht sie ihm entgegen und spricht: „Mir war bange, dass du den Weg verfehlst, da ich etwas einsam wohne. Komm, das Nachtmahl ist bereit, deine Lagerstatt wartet auf dich“. – „Helena, du sollst dich nicht sorgen, denn der Herr, Dem ich diene, sorget überreichlich. Nur ein Wort an den König hätte genügt, und du wärst aller Not enthoben. Aber ich hoffe, dass deine Errettung ganz der Herr Jesus Christus sein wird, dessen Herrlichkeit du bald erleben wirst. Um deiner Liebe und Bereitwilligkeit willen, will ich gerne mit dir und deinen Kindern das Nachtmahl einnehmen“.

 

Helena bat ihren Gast, die Lagerstätte aufzusuchen, er müsse doch müde sein nach dem vielen Wandern in der heißen Sonne. „Vor deiner Türe errichtete ich mein Lager, damit deinen Schlaf niemand störe“. – „Helena, tue dieses nicht, schlafe bei deinen Kindern. Dieses Haus ist von heute an in besonderem Schutz, Engel halten Wache, damit der Feind allen Lebens keinerlei Schaden anrichte. Der Herr Jesus ist unser Schirmherr und unsere Burg, in Ihm ist gut ruhen. Sein Wille ist aber auch Macht, der sich alles beugen muss“.

 

Ganz in der Frühe besorgte Helena das Frühmahl. Als sie aber in ihren Schrank schaute, um das Brot herauszunehmen, war sie erstaunt, noch ein frisches Brot vorzufinden. Sie wäre sofort zu Jakobus geeilt, um diesen Befund zu berichten, aber da kamen ihr die Worte in den Sinn, dass sie die Herrlichkeiten Jesu Christi erleben solle. Ja, wer war denn Jesus Christus, sie war Heidin, von einem Gott der Juden hatte sie gehört. Aber noch größer war das Staunen, sie hatte Mehl, Öl, Feigen und Datteln, wovon gestern in ihrem Schrank nicht das Geringste vorhanden war. Sie besah alles.

 

Da stand Jakobus vor ihr und sagte: „Helena, warum bist du voll Staunen, sagte ich nicht, du sollst die Herrlichkeiten Gottes schauen? Gott, der Ewige, will nicht dein Schuldner sein. Du gabst dein Letztes, darum segnete Er dein Tun mit großer Freude“. Spricht das Weib: „Jakobus, es ist alles wie ein Traum, aber wir erfuhren bisher noch nichts von Gott. Wenn alle Menschen diese Herrlichkeiten erleben würden und schon erlebt hätten, ich glaube, alle würden deinem Gott dienen“.

 

„Helena, nicht nur diese, sondern noch ganz andere Herrlichkeiten erlebten die Menschen, doch sie haben Gott vergessen, denn wer Gott liebt, kann die Welt nicht lieben. In dieser Welt hat der Fürst der Lüge und des Todes sein Regiment aufgeschlagen. Er hat es verstanden, allen einen Schleier umzuhängen. Alles ist Täuschung, Schein und blinder Glanz, es ist dem Verderben preisgegeben. So musste Gott, der Ewige, der auch die Erhaltung ist, für die Rettung und Erhaltung Sorge tragen. Er tat es, indem Er Seinen eingeborenen Sohn in diese Welt sandte und verkünden ließ die Wahrheit über alles Gericht und die neuen Wege, die zur Errettung und Erlösung führen. Du wirst noch Zeuge von Vielem sein, darum nehmen wir das Frühmahl und forschen nach dem Willen des Herrn“.

 

Die Kinder waren schon am Tische, da segnete Jakobus die Speise und den Trank und sprach: „O Du mein Jesus, mein Herr und Gott, Du Spender aller Himmelsgaben, habe Dank, dass wir Deine Gaben genießen dürfen, habe Dank, dass wir in Deinem Geiste dienen dürfen. Sende uns nach Deinem Willen dort hin, wo Du uns brauchst. Dein Geist sei unser Führer, Deine Liebe unser Leben, Deine Kraft unsere Kraft. So geschehe heute und allezeit Dein heiliger Wille. Amen“.

 

Beim Weggehen sagte Jakobus: „Helena, bald werden welche kommen und nach mir fragen. Bescheide sie auf morgen, auch ihre Kranken sollen sie mitbringen. Den Armen gibst du Labung und Stärkung im Namen Dessen, Der da heilig und lebendig ist. Damit gibst du den Dank zurück, der in deinem Herzen brennt. Gelobt sei Jesus Christus“.

 

Zeno war von Hethmann unterrichtet worden, darum wartete er mit Ungeduld auf das Kommen des Jüngers. Ihm war unbehaglich, denn er fühlte, er kam mit dem unbekannten Gott in Berührung. Es war ihm gar nicht recht, dass sich schon Besucher einstellten, die ein Opfer brachten und im Tempel Erhörung hofften. Noch an keinem Tage waren so viele erschienen, ausgerechnet auch eine Frau mit ihrer gichtkranken Mutter. Schon wollte er sie auf einen anderen Tag bescheiden, da kommt Jakobus und bleibt vor dem Tempel stehen, beschaut die menge Leute, die in stummer Andacht und Ehrfurcht auf den Oberpriester warten. Da die Menge ruhig ist, ist er auch ruhig, aber ängstlich schauen sie ihn an, da er in jüdischer Kleidung ist.

 

Endlich hat ein Diener dem Oberpriester berichtet, dass ein Fremder in jüdischer Kleidung draußen vor dem Tempel mit den anderen warte. Da ließ Zeno den Tempel öffnen, er selbst trat hinaus zu der wartenden Menge. Mit einem Blick aus seinen Augen überflog er alle, da bemerkte er Jakobus. Wie gerne wäre er auf ihn zugegangen, aber die Füße versagten ihm den Dienst.

 

Da ging Jakobus auf ihn zu und sagte: „Zeno, der Friede des Herrn sei mit dir. Erwarte nicht, dass ich deinen Tempel besuche, der toten Göttern dient, außer du beweist mir, dass sie lebendig sind“. - „Sei willkommen, Fremdling, den Frieden deines Herrn kann ich gebrauchen. Hethmann berichtete mir von deinem Kommen und von der Heilung des Königs. Dass unsere Götter keine Wunderwerke mehr verrichten, ist ja der große Jammer, darum kann ich ihr Lebendigsein nicht beweisen. Sehe ich aber die Not und das Verlangen der Menschen, erkenne ich meine Ohnmacht und muss doch dem Verlangen der Menschen nachkommen“. Jakobus: „Zeno, ich glaube, wir werden uns besser verstehen, wenn du zu einem großen Opfer bereit bist. Von Hethmann hast du vernommen dass der König ein Geheilter ist durch die Kraft und Macht des lebendigen Gottes. Diese Wohltat kannst du allen zukommen lassen, wenn du dem Herrn selbst, dessen Diener ich bin, die Wege ebnest“. 

 

„Fremdling, du erwartest viel. Wer gibt mir die Gewähr, dass allen ihr Verlangen gestillt wird?“ – „Dein eigener Glaube, Zeno, dir ist der Gott der Juden nicht fremd, von den Wundertaten Seines Sohnes hast du übergenug gehört. Du aber glaubtest dem Neuen und Gewaltigen nicht, dein Herz blieb voller Zweifel. In mir kommt dir der ewige Gott entgegen und bietet dir Befreiung von altem toten Götzentum an und reicht dir das Leben, welches der Grund alles Seins und Bestehens ist. Überlege nicht lange, denn die Besucher schauen recht unbehaglich auf uns beide“.

 

Da sagte Zeno, allen hörbar: „Ihr lieben Leute, euer Verlangen und eure Not lese ich von euren Augen, aber in dieser Stunde komme ich als ein anderer zu euch. Seit gestern haben sich unerhörte Dinge in unserer Stadt ereignet. Der König, unser gerechter Herr, ist kein Gelähmter mehr, sondern ganz gesund geworden durch die Kraft und Herrlichkeit des uns unbekannten Gottes. Dieser Gott sucht uns Menschen und will allen helfen, verlangt aber ein allergrößtes Opfer. Kein Opfer an Gold, Vieh oder anderem Gut, sondern dass wir uns von unseren Göttern abkehren, Ihn als den alleinigen Gott anerkennen, Ihm dienen und Ihm ganz zu eigen sind. Tut mir euren Willen kund, ich will euer Diener sein“.

 

Da trat Irene, die Tochter der gichtkranken Mutter Ilona vor und sagte: „Oberpriester, schon oft haben wir geopfert und heiliges Verlangen nach Hilfe erbeten, es war immer nutzlos. Die Schmerzen meiner alten Mutter, die auch meine Schmerzen sind, drängen mich immer wieder zu den Göttern um Hilfe. Wenn der unbekannte Gott es vermag, meine Mutter gesund zu machen, warum sollen wir dann den toten Göttern länger dienen? Oder hast du Angst, dass sie sich rächen an uns und an dem unbekannten Gott?“ Zeno: „Irene und du, kranke Ilona, und ihr alle, die ihr gekommen seid, ich kann und vermag euch keine Antwort zu geben. Aber dieser Fremdling, der ein Bote des unbekannten Gottes ist, wird sie euch geben. Ich selbst will der aufmerksamste Zuhörer sein und die Botschaft prüfen“.

 

Jakobus hebt grüßend und segnend die Hand und spricht: „Ihr Männer und Frauen, der Frieden und alles Heil aus Gott, dem Ewigen und Lebendigen, sei euer Heil. Es hat in den letzten Jahren genug Gelegenheit gegeben, über die Wahrheit des Lebendigen, für euch unbekannten Gottes, zu forschen. Diesem Gott hat es gefallen, Seinen Sohn zu uns zu senden, um Zeugnis allen Menschen zu bringen von dem wahren und lebendigen Gott, und Seinen Willen den Menschen aufs neue zu offenbaren.

 

Die Priester des lebendigen Gottes, die den Willen ihres Gottes kannten, verflachten und tragen viele Schuld, dass sich die Menschen von dem lebendigen Gott trennten. So musste der Sohn Gottes große Dinge vollbringen, um Seine Sendung und die Göttlichkeit und das Dasein Seines Vaters, des lebendigen Gottes, unter Beweis zu stellen. Er tat es drei Jahre, zog von Stadt zu Stadt, von Ort zu Ort, verkündete das neue Heil aus Gott und bekräftigte Seine Botschaft, die nur eine Botschaft der Liebe ist, durch die größten Wunder. Tote wurden lebendig, Kranke gesund, Blinde sehend und Taube hörend.

 

Man müsste glauben, dass der Priesterstand Ihn mit offenen Armen aufgenommen hätte. O nein, das Gegenteil geschah, man verfolgte Ihn, ja sogar ans Kreuz heftete man Ihn, sie glaubten, mit Seinem Tod wäre alles aus. Das Gegenteil geschah, nach drei Tagen erstand Er von den Toten und hat dem Tod die Macht genommen. Alle, die an Ihn glauben und nach Seiner Lehre tun, werden Sein Leben überkommen und keinen Tod mehr sehen, fühlen und schmecken. Sein heiliges Leben ist Liebe, Friede und Kraft, und alle, die in Seinem Geiste der Liebe, des Friedens und der Kraft tätig sind, werden den Segen des lebendigen Gottes erleben“.

 

Hier geht Irene zu Jakobus und spricht: „Wenn du wahrhaft ein Bote Gottes bist, und ich glaube es, denn aus deinem Munde vernahm ich Worte, die einen Brand von Sehnsucht in mir entfachen , auch zu erleben diese heilige Liebe, den Frieden und die Kraft. Siehe, die Glieder meiner Mutter sind krumm, vor Schmerzen flieht der Schlaf, kein Priester oder Gott hat bisher geholfen. Gelingt es dir, meiner Mutter nur den Schmerz zu nehmen, dann will ich deinem Gott die treueste Magd und Dienerin sein und mich ganz abwenden von unseren Göttern“.

 

Jakobus: „Irene und auch du, Ilona, der Heiland Jesu sagte ein schönes Wort, es lautet: `Alles, was ihr Meinen Vater in Meinem Namen bittet, will Ich euch tun`. Darum liegt es nicht an mir, sondern an euch selbst. Wenn ihr glauben könntet, dass Er euch helfen kann, so bittet ernstlich, und ihr werdet Seine ganze Herrlichkeit erschauen“. Spricht Irene: „Mutter, wie leicht macht es uns der lebendige Gott, nur bitten sollen wir. O Du lebendiger Gott, der Du in diesem Deinem Boten zu uns gekommen bist , wir bitten Dich um ein klein wenig Liebe, Frieden und Kraft, und dass Mutter frei von ihren Schmerzen sei“.

 

Jakobus legte seine Hände Ilona auf das Haupt und spricht: „Ilona, im Namen des Herrn und Heilandes Jesu sage ich dir, sei vollkommen gesund und gib nur Ihm allein die Ehre“. Ilona stand auf, ein Ruck war durch ihren Leib gegangen, ihre Glieder waren gerade, ihr Aussehen ein gesundes. Da wollte sie vor Jakobus hinknien, dieser aber sprach: „Nicht ich, sondern der ewige Gott berührte dich. Danke Ihm mit dem Herzen, Mund und Händen, dann wird dein ferneres Leben ein von Ihm getragenes sein“. Irene weinte vor Freuden, sie hätte geschrieen vor Glück, aber Jakobus sagte: „Der Frieden des lebendigen Gottes erfülle dein Herz mit Freude und Dank. Du sollst dich nicht als Schuldner des ewigen Gottes betrachten, sondern als ein freies Kind, was sich Ihm ganz schenken will“.

 

 Zeno war sprachlos. Alles drängte zu Ilona, die ja bekannt war. Er sah ihre glatten Glieder und ihre Freudentränen machten ihn ganz stumm. Endlich raffte er sich auf und sagte zu Jakobus: „Fremdling, warum kommt Gott, der Lebendige, erst heute zu uns, warum das viele Leid und die große Not, wie leicht wäre es deinem Gott gewesen, uns zu helfen“. Jakobus: „Du redest, wie du es verstehst und möchtest die eigene Schuld damit zudecken. Gott war zu allen Zeiten den Menschen nahe, aber die Menschen trennten sich von Ihm, von Seinem Geiste und schufen Gesetze, sogar tote Götzen. Der Gott des Lebens aber will nur durch das Leben erfasst und erkannt sein und überließ den Menschen sich selbst. Darum mag alles sich dem Leben zuwenden, es liegt in jedem tief verborgen. Weckt es durch die heilige Liebe, und in euer Sein kann der ewige und lebendige Gott wieder treten“.

 

Ein alter Mann, gebeugt von der Last der Jahre, tritt herzu und spricht: „O, du Mann Gottes, ich flehe um meinen Sohn, der todkrank in meinem Hause liegt. Darf ich auch mit der Bitte um Hilfe kommen? An mir liegt nichts, denn das Leben liegt hinter mir, aber bei dem Jungen liegt das Leben noch vor ihm“. Jakobus: „Ja, du darfst bitten, du alter, treuer Vater deines Sohnes. Gehe heim in Frieden und komme morgen mit deinem Sohn und seinem Weibe zu Helena, unweit des Stadttores, dein Sohn wird leben“. – „Ich glaube dir, du Mann Gottes. Du, Tempel, hast mich heute das letzte Mal gesehen. Gelobet sei dein Gott und gepriesen Sein Name“.

 

Nun drängten alle an Jakobus, aber er sagte: „Meine Freunde, gehet alle friedlich nach euren Hütten, der Herr und ewige Gott ist euch gnädig und wohlgesinnt. Wendet euch ab von euren Göttern, bereinigt euer Haus und euer Herz, damit die Wahrheit über den lebendigen Gott und Sein Leben von euch ergriffen werden kann. Er wird euch geben nach euren Wünschen. Alle, die ihr krank seid, gehet gesund von dieser Stätte im Namen des Herrn und Sein Wille werde euer Leben“. Alle waren gesund, aber keiner wollte gehen. Da sagte Zeno: „Folget den Worten dieses Boten, er bleibt länger in Edessa. Vergesst ja das Danken nicht“.

 

Trotzdem drängten die Gesundgewordenen hin zu Jakobus und wollten ihm die Füße, den Saum des Kleides küssen, aber er sagte: „Freunde und Brüder, gehet heim nach euren Hütten. Zeno wird euer Priester bleiben und euch dienen. Ihr aber müsst euch ganz frei von euren Göttern machen, eher könnt ihr nicht in die Gemeinschaft Gottes treten. Das Leben ist zu euch gekommen, um in euch frei und froh zu machen, was gebunden ist. Jesus, der Heiland und Meister über alles Leben, möchte sich euch zu eigen geben, wenn ihr an Ihn glaubt und nach Seinem Willen tut. Er lautet: Liebet euch untereinander, wie Er euch immer geliebt hat, damit alles Fremde und Harte in euch zur wahren Lebensfreude sich gestalte. Jesus lebt, wer Sein Leben sich aneignet, wird auch leben“.

 

Ilona spricht nochmals: „Lieber Gottesbote, der lebendige Gott gab mir meine Gesundheit, meine geraden Glieder wieder. Nun ist ein noch größeres Verlangen in mir lebendig geworden, Ihn recht bald kennen zu lernen und Seinen Willen näher zu erfahren. Wo bist du zu Hause, wann dürfen wir kommen?“ Jakobus: „ Bei der Witwe Helena. Willkommen seid ihr immer, denn der heilige Gott kündet es mir, so ich für euch da sein soll. Heute will ich noch zu König Abgarus, am Sabbat würde ich euch die Weihe geben, wenn ihr euch von den Fesseln des Heidentums frei gemacht habt. Ziehet in Frieden euren Weg, gelobet sei Jesus Christus. Amen“.