Die Zerstörung und der Wiederaufbau des
Tempels Gottes im Menschen.

Mai 1841.


Gott segne uns in diesem Monat, und lasse unter uns blühen die Tugenden Jesu Christi, zu seines Namens Ehre !

Der Monat Mai steht unter den Sommermonaten als ein Jüngling in seiner jugendlichen Kraft da.

Alle Keime und Pflanzen, welche gewöhnlich von der Mitte des Monats März an und während der Dauer des April sich zu entwickeln beginnen, bringt der Monat Mai zur Ausgeburt; ja er bietet schon manche Kräuter dem Menschen und dem Vieh ausgereift zur Speise dar.

Mensch ! Welche Früchte bringst du denn deinem Schöpfer und deinen Mitmenschen in deinen Jünglingsjahren? Ach, nur selten wird ein Jüngling gefunden, der die Blüte seiner Jugend, seine munteren Kräfte in physischer und geistiger Beziehung, mit Verstand berücksichtigt. Denn nicht selten verschwendet er in den Tagen seines Mailebens seine physischen und geistigen Kräfte und welkt in seiner jugendlichen Kraft dahin, ehe sich dieselbe recht entwickeln kann; verzehrt in diesen Tagen nicht allein die gröberen Nervenkräfte zum Dienste der Arbeit, sondern nicht selten schwächt er noch, teils durch allerlei grobe Ausschweifungen, teils durch geheime in ihm auflodernde Lüste und sinnliche Begierden und durch ein beständiges hin- und herwogendes Meer von unnützen Gedanken, auch den feineren Teil seiner Leibes- und Seelenkräfte, nämlich das Gehirn.

Auch mit hohen Ideen von sich selbst und mit Träumen von einem großen Glücke, das er zu machen gedenkt, füllt er sein Haupt an. Durch diese fast immerwährende Beschäftigung und durch anstrengende Gedanken aller Art überspannt er die feinen, markreichen Fasern seines Gehirns, die als feine Nerven mit dem ganzen wunderbaren Nervenbau seines Körpers in genauer Verbindung stehen, worunter naturgemäß der ganze Körper leiden muss; und überdies wird noch durch die vielen Ausschweifungen, die durch die Imagination geschehen, ein fremdes Wesen in dem Jüngling gebildet, das seiner ursprünglichen Originalität entgegensteht.

Durch die Überspannung der feinen Gehirnnerven erfolgt dann eine Lähmung derselben, und diese Lähmung hat früher oder später eine Erschlaffung des Fassungsvermögens, und so auch des Gedächtnisses, für den Jüngling zur Folge, welche Kräfte sich gerade in diesen Jahren zur vollkommenen Reife entwickeln sollten.

Ist diese Zerrüttung in Beziehung auf das Physische schon ein großes Übel zu nennen, so sind die Folgen, die aus dieser Lähmung im Hirngewebe und in dem Nervenbau entstehen, für das geistige Leben im Menschen noch ein weit größeres Übel, weil eine allzustarke Erschwächung, nach Maßgabe derselben, auch eine Erschwächung und endlich eine Zerstörung des Hirnmarkes selbst zum Gefolge hat, wo dann ein solcher Mensch, wenn gleich sein Lebensrad noch seinen Fortgang hat, dennoch mehr oder minder unfähig wird, geistige Wahrheiten gehörig aufzufassen und in seinem Gedächtnisse
zu behalten. Durch diese Schwächung wird naturgemäß nicht selten auch noch die Prüfungs- und Unterscheidungsgabe aus ihrem Stande gerückt, wodurch ein solcher unfähig wird, die ihm vorkommenden geistigen Gegenstände gehörig zu prüfen, und ebenso auch die Kraft verliert, gegen die Versuchungen des Feindes mutvoll zu kämpfen.

Durch heftige Leidenschaften und sündliche Ausschweifungen, denen sich der Mensch hingibt, leidet
dann auch noch mehr oder minder das Vermögen der natürlichen Vernunft. Ja, nicht allein die natürliche, sondern auch die höhere, geistige Vernunft leidet hauptsächlich unter den sündlichen Leidenschaften, denen sich der Mensch im Taumel ergibt. Mit wenig Worten gesagt: der Mensch zerstört im Taumel seiner Leidenschaften, wenn er sich nicht zu rechter Zeit davon abkehrt und zu Gott hinwendet, nicht allein seinen physischen Bau, als den äußeren Vorhof des Tempels, sondern auch den Tempel selbst, wodurch der Feind immer mehr Zutritt bei ihm gewinnt, besonders wenn der menschliche Wille böser Art ist und mit den Einflüsterungen des Feindes übereinstimmt, wo dann ein solcher Mensch nach und nach zu einer Behausung unreiner Geister wird.

Indessen zeigt sich dieses Übel nicht bei allen Menschen auf die gleiche Art, sondern geht bei manchen auf eine ziemlich verdeckte Weise vor, besonders wenn sie in ihrer Jugend durch eine sittliche Erziehung eine feine Bildung erhalten haben. Diese kommen gewöhnlich in den Umgang gebildeter Personen, wo dann ihre Leidenschaften dem Scheine nach in gewissen Schranken gehalten werden, nehmen wohl gar noch eine christliche Tendenz an, indem sie sich zu einer gewissen Klasse Menschen halten, die das Gute lieben, wobei aber selten eine eigentliche Veränderung des inwendigen Seelenlebens erzweckt wird und der Greuel der Verwüstung in der Seele an gleicher Stätte bleibt und bloß durch ein  sittliches, feines Gewand vor andern Menschen zugedeckt wird.

Dieser Greuel der Verwüstung im Menschen, wenn er gleich sich nicht in groben Ausbrüchen äussert, bringt der Seele einen unberechenbaren Schaden, indem dieselbe dadurch unfähig wird, die göttlichen Wahrheiten mit einem reinen Gemütsauge und mit klaren Verstandeskräften anzuschauen.

Zwar ist es keineswegs unmöglich, dass in solchen nicht noch eine wirkliche Erweckung durch des Herrn Gnade vorgehen könne, wie dies die Erfahrung vielfach bestätigt, indem die Gnade Gottes sich allen Menschen anbietet; und wo ist ein Geretteter, der sich nicht einzig und allein der ihm zuvorgekommenen Gnade zu rühmen hätte? Allein es hält sehr schwer, dass ein solcher Mensch, wenn er gleich durch die zuvorkommende Gnade erweckt wird und das Gute liebt, die höheren und wesentlichen, ewigen Wahrheiten erfassen könne; vielmehr bleibt er gewöhnlich bei den allgemeinen Wahrheiten, in den Anfängen des Christentums stehen, weil ihm das Allerheiligste im Tempel seiner Seele verschlossen ist.

Nun könnte man, und zwar mit Recht, die Frage aufwerfen: Ist denn für solche Menschen, die den Tempel Gottes teilweise oder vielleicht ganz zerstört haben, keine Möglichkeit mehr vorhanden, den nahen Zutritt zu  Gott zu finden, ihr Heil also zu gründen, dass der Tempel Gottes in ihnen wiederhergestellt werde und sie somit wieder zur Erneuerung des göttlichen Ebenbildes gelangen?

Antwort: Ja, es ist noch Möglichkeit vorhanden, weil bei Gott alle Dinge möglich sind. Denn Christus
ist auch für die Abtrünnigen gestorben, hat für sie gelitten, hat die Gefangenschaft gefangen geführt und sogar aus der Hölle einen Triumph gemacht. Aber es geht bei solchen Menschen schwer her, durch den Wiedergebärungsprozeß hindurchzugehen, besonders wenn der Tempel Gottes in einem hohen Grade zerstört liegt. Ja, schwer und unter vielen Ängsten geht es zu, bis ein neuer Tempel unter dem großen Nehemia (Christus) kann erbaut werden, weil der Feind sein ganzes Land, das heisst seine ganze Seele, in Besitz genommen hat und daher alle Arbeit an der Wiedererbauung des Tempels genau beobachten kann (Siehe Buch Nehemia Kap. 3 & 4).

Aber, zum Ruhme der göttlichen Gnade sei es gesagt, es ist dieses dennoch möglich, wenn nur in dem
menschlichen Willen noch ein guter, göttlicher Funke übrig geblieben ist, das Gute ernstlich zu wollen, und er nicht etwa gänzlich zu einem Dorn und zu einer Distel geworden ist, die nur zum Verbrennen taugt.

Diesen übrig gebliebenen Funken ergreift Christus, und legt, als der weise himmlische Baumeister, auf denselben den ersten Grundstein zu einem neuen Tempel; und so Er in dem Willen des Menschen, der sich je mehr und mehr zu Ihm kehren muss, nach und nach Raum gewinnen kann, legt Er einen Grundstein nach dem andern, wozu der Mensch unter Beten und Kämpfen das Seinige beitragen muss. Denn nachdem Christus den ersten Grundstein gelegt, so ermuntert Er durch seinen guten Geist den Menschen, zur Förderung des begonnenen Werkes seine Hände, oder seine Willenskräfte, an das Werk zu legen, das Gebet als eine Waffe an seine Seite zu gürten und also in einem wachenden Zustande mit der Gnade mitzuwirken.

Christus, als Gott der Heerscharen, gibt ihm dann aus der oberen Kirche gute Geister an seine Seite zum  Beistande, die als Wächter gegen seine Feinde Wache halten und dem in der Arbeit stehenden von jeder feindlichen Bewegung sogleich Nachricht erteilen müssen, damit er die Waffen gegen den Feind ergreifen solle.

Es ist ein wahres biblisches Wort, nämlich: Was Gott bei Erschaffung des Menschen ohne die geringste Mitwirkung von seiten des Geschöpfs verrichtet hat, das kann nach der Zerstörung des Werks nicht ohne dessen Mitarbeit wieder aufgerichtet werden. Dies ist ein Wort, zu denjenigen gesprochen, die nicht zugeben wollen, dass der Mensch einen freien Willen habe, mit dem er mit der an ihm arbeitenden Gnade mitwirken müsse.

Christus ist das A und das 0, der Anfang und das Ende. Was nun zwischen dem A und dem 0 sein soll, das sagt die Bibel allenthalben, nämlich dass der Mensch mit der Gnade mitwirken, beten und arbeiten müsse. Tut er dieses, so wird Christus, der als der Anfänger das Werk in dem bußfertigen Sünder angefangen, der den ersten Grundstein zu einem neuen Tempel in seinen umkehrenden Willen gelegt hat, das Werk auch vollenden und gewiss nicht liegen lassen.

Also ist der Anfang, oder die Grundlegung zur Wiederaufbauung des Tempels, Gottes unmittelbares Werk. Im Mittelpunkt aber, zwischen dem A und dem 0, muss der Mensch mit der Gnade zusammenwirken. Zur Vollendung jedoch kann er naturgemäß nichts mehr beitragen, weil die gänzliche Vollendung, wie der Anfang, einzig und allein Gottes Werk ist, und die menschliche Natur ihre Willenskräfte in ihrer vielen Arbeit aufgeopfert und verzehrt hat, so dass sie gleichsam unfähig geworden ist, mitzuwirken. Nun ist der Mensch in seiner Wirksamkeit in den Tod gegangen und steht Gott mit seinem sonst so wirksamen Willen offen und gelassen da, wie das Korn nach seiner Blütezeit in seiner Arbeit nach und nach stille steht, seinen Trieb zum Wachstum nach und nach verliert, sein Halm dürre wird, und das ausgeborene Korn sich dann gelassen von der Hitze der Sonne zur völligen Reife bringen läßt.

Auf diese Weise bleibt Christus immerhin das A und das 0, der Anfänger und Vollender des Werks, wenn gleich der Mensch nach seinem Teil mit der dargebotenen Gnade zu seinem Heil mitwirken muss, was, wie wir glauben, rein biblisch ist.

Dieselbe Bewandtnis wie mit jedem in der Arbeit stehenden Gläubigen hat es auch im Ganzen mit der neuen Kirche und Gemeinde, die der Herr laut seiner Verheißungen aufrichten wird. Alle diejenigen, welche sich zu rechter Zeit zu Gliedern dieser neuen Gemeinde haben befähigen lassen, müssen und werden mitwirken und auch mit Christo herrschen.

Dieser herrliche Mai, die Entwicklung des Reiches Jesu, ist vor der Tür; die Grundsteine zum neuen Tempel sind gelegt. Der Zemach wird hervorbrechen als die neue Morgenröte des Tages, den der Herr machen wird. Das, was Gott im Verborgenen gewirkt hat, wird nach und nach offenbar werden. Denn wenn die Lichtsonne aus Zions Höhen wie ein Bräutigam hervorbrechen wird, so werden auch der Natur gemäß alle Pflanzen, die der himmlische Vater gepflanzt hat, hervorgehen, welches niemand wird abwehren können. Halleluja. Amen !