Die himmlische Weisheit als Freundin, Mutter und Weib.

Den 1. Januar 1837 (S 410 ff)

 

Die Weisheit spricht: Fahre fort zu üben und zu halten, was du deiner Mutter, der himmlischen Weisheit, versprochen hast.

Es ist zwar der Natur schwer, sich daran zu gewöhnen, den vorgesetzten Weg ohne Unterbrechung fortzuwandeln, und alle Hindernisse zu Beförderungsmitteln zu machen. Aber Treue, in Schwachheit geübt, fördert die Treue, bis sie endlich zur Kraft wird.

Du hast dich am gestrigen Abend, beim Schluss des Jahres, aufs neue zum Gehorsam gegen deine himmlische Mutter verpflichtet. Das hat sie besser gehört, als du je deine eigene Stimme vernimmst. Sie hat dein Gelöbnis auch angenommen, und antwortet dir heute folgendes darauf:

Selig sind diejenigen Seelen, die sich nicht allein der göttlichen Gerechtigkeit verpflichten, sondern durch Gehorsam dahin gelangen, ihr ganzes Eigentum zu werden. Ihnen wird sie dann alles dasjenige sein, was manche theosophische Autoren von ihr, als der himmlischen Sophia, gerühmt haben. Der männlichen Seele wird sie nach dem Reich der Himmel sein, was in schwachem Vergleich ein irdisches, treues, tugendhaftes Weib einem Mann; der weiblichen Seele hingegen, was ein treuer, tugendhafter Mann einem Weib nur immer zu sein vermag.

Zuerst wird diese himmlische Sophia nach ihrer mütterlichen Eigenschaft einen solchen Menschen auch nach dem Irdischen versorgen und ihm einen Aufenthalt einräumen, der seiner individuellen Lage angemessen und zur Beförderung seines Seelenheils dienlich ist. Nichts soll ihm gebrechen, was zu seinen notwendigen Bedürfnissen gehört.

Die himmlische Weisheit ist schon in sich selbst das, was Gott den Seelen, die um Jesu willen alles verlassen, um Ihm allein anzuhangen, versprochen hat. Sie ist die Erfüllung der Verheissungen Gottes auf Erden und im Himmel. Nur kommt dabei alles auf den Grad an, nach welchem sie in einer Seele wirken kann.

Obgleich es immer nur sehr wenige Menschen gibt, welche die göttliche Weisheit lieben und suchen, so hat sie doch unter der grossen Menge von Menschen auf Erden im ganzen noch eine ziemliche Anzahl von Freunden. Sehr gering aber ist die Zahl derer, die sie wirklich als Mutter annehmen und ihr als Kinder gehorchen, und noch weniger finden sich solche, die mit ihr zu einer ehelichen Verbindung gelangen.

Wer sie zur Mutter hat, der ist (wie gesagt) schon nach Seele und Leib wahrhaft versorgt. Wer aber gar zu einer ehelichen Verbindung mit ihr gelangt, der besitzt noch weit mehr, ja alles, was er in Zeit und Ewigkeit bedarf, um der Verherrlichung nach dem Ebenbild Gottes teilhaftig zu werden.

Du fragst in deinem Sinn: Wie kann aber eine Mutter zugleich die Stelle eines Weibes vertreten, da doch das Verhältnis einer Mutter ein ganz anderes ist, als das eines Weibes?

Diese Frage, mein Sohn, ist nicht ohne Grund. Ich wIll dir sagen, wie das zugeht. Die nach göttlicher Weisheit begierige Seele ist zuerst nur eine Freundin und Schülerin derselben, und sie (die Weisheit) ist die Freundin und Lehrerin einer solchen Seele. Wie die Seele Gott annimmt, so gibt Er sich ihr. Wie ein Volk ist, solchen Gott hat es auch, nach der Heiligen Schrift. Wenn aber die Seele als Freundin der Weisheit treu ist, sich in einem kindlichen Sinn immer treuer im Gehorsam unter sie beugt und ihr näher zu kommen verlangt, so zieht die Weisheit das Verlangen oder die Begierde, der nach ihr sich sehnenden Seele, in ihre immer gebärende mütterliche Kraft ein. Sie führt alsdann die Seele in ihr Nichts, worin sich dieselbe nun wie in einem Stall eingeschlossen findet. Das Verlangen der Seele liegt also nun in der Mutter als ein unentwickelter Same. Aber nach und nach entwickelt sich dieser Same in der himmlischen Gebärmutter durch die Kraft des heiligen Blutes Jesu und des Heiligen Geistes, und wenn dann während der Entwicklungszeit die Seele ihren Willen nicht wieder zurückzieht, so gebiert die himmlische Mutter diesen in ihr entwickelten Samen in die Seele ein, von welcher sie das Verlangen als einen Zeugungssamen empfangen hat.

Jetzt beginnt die Verpflegungs- und Erziehungsanstalt für das von der oberen Mutter geborene Kind, das nun mit himmlischer Speise und himmlischem Trank ernährt werden muss, um zu seiner ferneren Entwicklung zu gelangen. Dann erst folgt die eigentliche Erziehung des Kindes durch den Unterricht seiner himmlischen Mutter.

Eine Seele, die ein solches Kind von der himmlischen Mutter empfangen hat, ist als eine Maria anzusehen, die als eine Pflegemutter dieses Kind in ihrem Herzen trägt. Ist die Seele treuer Eigenschaft und enthält sie sich aller Buhlerei und Sinnlichkeit, wozu sie in diesem Stand mehr als je vom Feind angereizt wird, so gewinnt das Kind, oder der neue Mensch, von Tag zu Tag mehr und mehr an himmlischer Reinheit und Ähnlichkeit mit dem verklärten Ebenbild Gottes, bis es zur vollkommenen Grösse eines göttlichen Kindes heranwächst. Doch werden dem Menschen diejenigen Anfechtungen, die ihm der Teufel, als ein Erzfeind aller himmlischen Geburten, während der Entwicklungszeit der neuen Geburt gegen seinen Willen erweckt, in die er nicht einwilligt, nicht zugerechnet und Gott schützt das Kind in der Seele vor den Angriffen des Satans. Ohne diese besondere Bewahrung und Erhaltung durch die Hand der göttlichen Gnade würde nicht eine einzige neue Geburt zustande kommen.

Schon als Kind trägt dieser göttliche Zweig, der männliche Sohn, ein Zepter, das ihm als eine Macht gegeben ist, seine Herrschaft über den Willen, den Verstand und die übrigen Eigenschaften der Seele auszuüben. Diese neue Geburt, in welcher auch ein neuer Wille aus Gott liegt, sucht die Geburt des alten Menschen mit allen ihren Eigenschaften nach und nach ganz unter ihre Herrschaft zu ziehen und sich untertan zu machen. Gehorcht nun der erste Mensch von Adam dem zweiten, neuen, geistigen Adam, so entwickelt sich das Kind immer mehr und gelangt zum Alter eines Jünglings.

Geht dann ferner der ganze Sinn der Seele dahin, der Weisheit in allen Dingen zu gehorchen, sind Wille und Verlangen, Verstand und Gedächtnis, als die bei den zwiefachen Haupteigenschaften der Seele, mit dem von ihnen ausgehenden Geist auf die gänzliche Vereinigung mit der Weisheit gerichtet, und von der Wesenheit der neuen Geburt, als dem göttlichen Sauerteig, einmal durchdrungen, so wendet sich die mütterliche Eigenschaft um und verändert sich in die eines Weibes nach göttlicher Art. Auf diese Weise wird also die Weisheit, durch Umänderung ihrer Eigenschaft und der Eigenschaft der Seele, der letzteren aus einer Mutter ein Weib, um des Sohnes willen in der Seele. Alle feurigen Eigenschaften der Seele werden durch das Wasser des Lebens verschlungen, und durch die wesentliche neue Geburt tritt nun die eheliche Verbindung der Sophia mit der Seele in Kraft und Wirkung.

Nicht mit dem alten Menschen nach der sinnlichen Natur, der aus Erdenstaub gebildet und durch Adams Fall verderbt worden ist, geschieht diese Vereinigung der göttlichen Sophia, sondern mit dem neuen, aus Gott geborenen Menschen. Doch führt die neue Geburt von Zeit zu Zeit durch den Wiedergebärungsgeist Jesu auch in den Leib eines solchen Menschen einen Kraftauszug ein, bis sie alle wiedergeburtsfähigen Teile desselben an sich gezogen hat, und der Mensch auf diese Weise die dreifache Wiedergeburt erlangt. Diese letztere Wiedergeburt und Umgestaltung nach dem Leib erreichen aber nur sehr wenige, weil nur wenige sich durch eine gänzliche Verleugnung ihrer selbst hinlänglich in dem Leidensprozess ausstrecken wollen, und manche bei herannahendem Alter und wegen anderer Schwachheiten nicht mehr die Anlagen dazu besitzen.

Indessen ist es schon etwas Grosses, wenn ein Mensch der Seele nach zu einer wahren ehelichen Verbindung mit der göttlichen Weisheit gelangt. Sie, die Weisheit Gottes, ist das Ziel des Glaubens. Sie kleidet sich ein in Jesu Fleisch und Blut, und Gott der Vater sieht und erkennt darin seinen Sohn. Dieser neue Mensch, der vom erstgeborenen Sohn Gottes als ein vergöttlichter Sohn ausgeboren ist, ist die eigentliche Rechtfertigung aus Gott und die wesentliche Vergebung der Sünden. Gott der Vater spiegelt sich in seiner Liebe in dieser neuen Schöpfung, und nimmt einen solchen Sohn auf seine väterliche Arme.

Verstehe also: Die heilige Weisheit ist nach dem ersten Grad dem Freund der Weisheit eine Freundin und Gefährtin auf dem Weg des Lebens.

Im zweiten Grad ist sie eine Mutter, die eigentliche, wahre Mutter Gottes, welche die Katholiken ohne Unterscheidung unter dem Bild der Maria verehren. In Maria hat sich die Weisheit nach ihrer mütterlichen Eigenschaft personifiziert; weil aber, der da heiligt, immer höher zu achten ist als die geheiligt werden, so ist auch eben darum die Weisheit höher als Maria zu achten. Doch stehen beide in so genauer Verbindung miteinander, wie Seele und Leib.

Im dritten Grad ist die heilige Weisheit der Seele ein Weib, wodurch der Mensch erst wieder aus seiner Geteiltheit heraustritt und zu einem ganzen Menschen wird. Nun erst, nachdem durch diese Vereinigung mit der himmlischen Weisheit die Trennung im Menschen wieder aufgehoben und das Verlorene wieder erlangt worden ist, mag derselbe ein vollkommener Mensch genannt werden.

So nimm das wenige, was dir hier von diesem grossen Geheimnis mitgeteilt worden ist, als ein Neujahrsgeschenk von der himmlischen Mutter an, und bewahre und bewege es wohl in deinem Herzen. Amen!

 

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