Teresa von Avila
Die innere Burg
Herausgegeben und
übersetzt von
Fritz Vogelsang
EINFÜHRUNG
Teresas Werk ist das Wasser, das aus dem Fels geschlagen wurde. Die Erfahrung
des Unsagbaren ist darin literarische Kunst geworden. Unterm Zwang des Gehorsams
beschrieb sie den Weg letzter Freiheit. Die Ruhe, die sie erstrebte, wurde zur
Mitte historischer Bewegung. Die Mängel ihrer Person – so glaubte sie – waren
ein Hindernis für die Glaubwürdigkeit ihrer Worte. Heute ist es der Ruf ihrer
Heiligkeit, der vielen die Bedeutung ihrer Gestalt verdeckt. Doch die Verbannte,
die ihr wahres Vaterland auf keiner Erdkarte verzeichnet fand, hat man zur
Patronin Spaniens erhoben. Und die Stadt ihrer Geburt erscheint auch dem Fremden
als Symbol ihres Wesens.
In Avila wurde sie am 28. März 1515 geboren. In dieser kastilischen Stadt, die
mit den Türmen ihrer alten granitenen Mauern sich gegen die stumme Übermacht der
sie umdrohenden Öde stemmt, wuchs sie heran, in einer Familie von. Hidalgos.
Hier erlebte sie die Jahrzehnte, die sie als qualvolle Folge immer neuen
Fallens, neuen Aufstehens geschildert hat. Hier härtete sich unter den Schlägen
furchtbarer Krankheit, der Enttäuschung, vielfachen Leids ihre Entschlossenheit
zum radikalen Verzicht, mit dem sie die Erde, das Leben »unter die Füße« bringen
wollte. Aus der schwankenden Nonne wurde hier das »ruhlose, streunende Weib« –
wie der päpstliche Nuntius sie nannte –, das im Eselskarren auf staubigen,
steinigen Wegen kreuz und quer durch die Halbinsel reiste, um der Askese, zu der
sie ihren Orden zurückführen wollte, da und dort ein Obdach zu schaffen. Im
Convento de la Encamación, draußen vor den Mauern, wo ein sandiger Weg sich in
die Steinwüste senkt, hatte sie den Schleier genommen. Dort und in dem
dürftigen, von ihr gegründeten Klösterchen San José, das eingekeilt zwischen
kargen Adelshäusern steht, widerfuhr ihr, was die Verwandlung bewirkte und sie
zur größten Mystikerin des Christentums werden ließ. Wer in den Nächten der
Karwoche die Trommeln hört, die das hölzerne Bild des Gekreuzigten durch die
steilen, roh gepflasterten Gassen begleiten, zwischen schweigend starrenden
Menschen, glaubt einen dumpfen Nachhall ihres Lebens zu vernehmen.
Die Reformatorin des Karmels wäre uns jedoch nur eine ferne historische Gestalt,
wenn nicht Tausende von Blättern, die sie nachts und in den knappen Pausen
eiliger Arbeit beschrieb, erhalten geblieben wären – Seiten, die den Lesenden,
noch nach Jahrhunderten, mit der Gewalt unmittelbarer Gegenwart in das innerste
Drama eines Lebens ziehen, das durch die Macht seines Wollens wie durch die
Wucht des anstürmenden Erlebens die Bezeichnung des Exemplarischen verdient. Die
dichtgefügten, von schneller, sicherer Hand gezogenen Schriftzeichen auf dem
vergilbten Papier offenbaren mit beispielloser Direktheit, die der Ratio nicht
selten peinlich ist, die wechselvolle Erfahrung eines Menschen, der mit
bedingungsloser Rigorosität sich alles dessen zu entledigen suchte, was ihn
hindern konnte, die Einigung mit der letzten Realität zu erlangen, und dem daher
alles Handeln als nichtig galt, das nicht Gebet war.
Fünf ihrer Brüder kämpften auf dem Boden des weithin noch uneroberten Amerika,
als Teresa de Ahumada in ihrer Zelle begierig, staunend, scharf beobachtend,
schaudernd und mit der Hartnäckigkeit einer Verzweiflung, die kein Zurück
erlaubte, in die unbekannte Welt ihres eigenen Inneren einzudringen begann.
Widerstrebend aus Scham und dem Gefühl ihres Unvermögens, schrieb sie, auf
Befehl ihrer Beichtväter, endlich die Geschichte dieses Irrens und Findens, der
Verlorenheit und des Überwältigtseins, des Schreckens und der Beseligung nieder
– nicht in literarischer Absicht, sondern zur Selbstkontrolle, zur Prüfung durch
Gelehrte und als schlichte, um Klarheit besorgte Mitteilung an die
Klosterschwestern. Mehrere Bände kamen so im Lauf der Jahre zustande: neben
kleineren Schriften das »Buch meines Lebens«, »Der Weg zur Vollkommenheit«, die
Chronik ihrer »Klostergründungen« und schließlich – als Summe ihres mystischen
Erlebens – die»Innere Burg«.
Drei Jahre bevor der französische Edelmann Michel de Montaigne seine »Essais«
zum erstenmal veröffentlichte, verfaßte Teresa – gleichsam als Ersatz für ihre
Lebensbeschreibung, deren Handschrift seit langem von der Inquisition
beschlagnahmt war und als verloren galt – dieses Kompendium ihrer seelischen
Erfahrung, wiederum dem Drängen eines Beichtvaters gehorchend. In Toledo, wo El
Greco ein Jahr zuvor sich niedergelassen hatte, begann sie am 2. Juni 1577 mit
der Niederschrift. Am 5. November desselben Jahres schrieb sie in Avila das
Schlußwort, knapp einen Monat bevor Juan de la Cruz, der den Geist ihrer Reform
in die Männerklöster des Karmeliterordens getragen hatte, von Anhängern der
»milden Observanz« gewaltsam nach Toledo entführt und in den Kerker geworfen
wurde, wo die ersten Verse dieses einzigartigen »poeta a lo divino« entstanden.
Was Teresa mit dem ihr unbekannten epikureischen Einsiedler Montaigne verbindet,
der im Turm seines abgelegenen Schlosses sich selber zum Stoff eines Buches
zwangloser Meditation machte, ist der forschende Blick ins eigene Innere, die
entsagende und zugleich entdeckungsfreudige Einkehr in die eigene Brust. Der
stoische Franzose erklärte: »Ich studiere mich mehr als irgendeinen Gegenstand.
Das ist meine Metaphysik, das ist meine Physik... Laßt uns nur hinhören, wir
sagen uns alles, wessen wir bedürfen.« Die antigotische, entschlossene
Genügsamkeit, die in diesen Sätzen zu spüren ist, wird offenkundig, wenn er
anderswo sagt: »Nicht bergauf und voran zu streben ist die Größe der Seele,
sondern sich fügen und bescheiden zu können.« Der Genuß der eigenen
Vergänglichkeit in weltkluger Selbstbescheidung, der als Ziel solchen
Philosophierens sichtbar wird, ist jedoch unvereinbar mit dem stärksten Impuls,
der das Leben der Nonne von Avila bestimmt. Der Blick, den sie auf sich selber
richtet, durchdringt das eigene Wesen, nicht um sich an der Kontur der Person zu
genügen, sondern um auf dem Grund ihrer Seele jenes Bild zu entdecken, als
dessen trübe Spiegelung sie sich fühlt; um durchzustoßen vom Schein zur Essenz,
vom Wahn zur Wahrheit; um im Blitz tiefsten Erkennens eins zu werden mit dem
Unermeßlichen; um Augenblick und Ewigkeit zu verschmelzen zum Nunc aeternum.
Daß dies nicht Verlangen blieb, sondern Erfahrung wurde, ließ sie zur Autorin
werden – wider ihren Willen, da sie sich stumm fühlte vor dem von ihr Erlebten,
das aber zugleich für sie das Gebot der Mitteilung bedeutete. Es ist
interessant, zu vergleichen, wie die mystische Erfahrung, die ja kein Privileg
des Christentums ist, zu allen Zeiten, da und dort, der Unzulänglichkeit aller
Worte zum Trotz, sich Ausdruck zu verschaffen wußte. Aus der Lücke des
Ungesagten, dem aufklaffenden Sprung des Paradoxons, das zwei Sätze zerreißt,
steigt in der Wechselrede des »Kôan«, wie sie im Zen–Buddhismus zwischen Meister
und Schüler geübt wird, jählings das gemeinte Geheimnis auf. Der Chassidismus
bedient sich der legendarischen Anekdote, ebenso die islamischen Sufis. Durch
gewaltsame Verrenkung, Umstülpung des konventionellen Vokabulars und mit
genialen Neubildungen formte die Mystik des deutschen Mittelalters sich ein
sprachliches Organ. Als Lyrik, die bedenkenlos die Elemente überkommener
Liebesdichtung verzehrt, lodert das innerste Erleben bei Juan de la Cruz in
Versen auf, in Strophen von unvergleichlicher Helligkeit, Reinheit und geistiger
Glut. Der Dichter selber hat als gelehrter, philosophisch geschulter Theologe
die Substanz seiner poetischen Melodik Zeile für Zeile genauestens kommentiert.
Die theoretische Erklärung ist kein Ersatz für das im Vers Geborgene. Im
Niemandsland zwischen beiden Arten des Sprechens, in der Blendung durch das
zwiefache Licht ist das Gemeinte ahnend zu erfassen.
»Ich muß mich hier eines Gleichnisses bedienen« –schreibt Teresa in ihrer »Vida«
–, »was ich freilich gern unterlassen würde, da ich ein Weib bin und einfach nur
das zu schreiben habe, was man mir aufgetragen hat; aber für Leute, die wie ich
keine Wissenschaft besitzen, ist es so schwer, diese Sprache des Geistes zu
erklären, daß ich einen Ausweg suchen muß, der mir dies erleichtert.« Wie nahe
ihr das Hilfsmittel lag, für das sie sich entschuldigt, und wie wenig Willkür
bei seinem Erfassen beteiligt war, scheinen einige Sätze zu beweisen, die auf
einer der letzten Seiten desselben Buches von einer Offenbarung berichten, deren
Vorgang ihr selber zweifelhaft blieb: »Es schien mir zwar, als hätte ich nichts
gesehen; ob dies aber auch wirklich so gewesen, kann ich nicht geradezu
behaupten. Denn etwas muß ich doch wohl gesehen haben, weil ich sonst das, was
mir gezeigt wurde, nicht mit einem Gleichnis, das ich gebrauchen will, erklären
könnte; nur wird dieses Sehen auf eine so feine und zarte Weise geschehen sein,
daß der Verstand es nicht erfaßte.«
Nicht irgendeine Vision war der Anlaß dieser Überlegung, sondern eine Einsicht
von fundamentaler Bedeutung, die vielleicht zur wichtigsten Wegweisung ihres
Lebens wurde. »Einmal, als ich mit den andern Schwestern die Horen betete,
geschah es, daß meine Seele plötzlich in eine Sammlung versetzt wurde, in der
sie mir wie ein klarer Spiegel erschien. An ihm war weder hinten noch an den
Seiten, weder oben noch unten etwas, das nicht ganz klar gewesen wäre; in der
Mitte aber zeigte sich mir Christus, unser Herr... Es wurde mir auch zu
verstehen gegeben, daß dieser Spiegel, wenn die Seele sich in einer Todsünde
befindet, wie mit einem dichten Nebel überzogen und ganz schwarz ist, so daß der
Herr darin sich weder darstellen noch gesehen werden kann, obwohl er uns, indem
er uns das Sein gibt, immer gegenwärtig ist.« Und ermutigt von der Erinnerung an
Augustin, der von ähnlicher Erfahrung berichtet, folgert sie kühn: »Wir brauchen
also nicht in den Himmel hinaufzusteigen, noch aus uns selbst hinauszugehen;
denn dies wäre Ermüdung des Geistes und Zerstreuung der Seele...«
Damit war bereits das Grundmotiv angeschlagen, aus dem sich zwölf Jahre später
ihr literarisches Hauptwerk entwickeln sollte. In ihrer »Vida« hatte sie die
Reihe der locker aneinandergefügten Episoden ihres inneren und äußeren
Lebensweges nur an einer, freilich entscheidenden Stelle aufgebrochen, um vier
verschiedene Stadien des Gebets, des mystischen Erlebens, zusammenfassend, auf
über hundert Seiten, im farbig geschilderten Gleichnis der vierfachen
Bewässerung eines Gartens darzustellen. Ihr letztes großes Buch aber entwickelte
sie aus einem einzigen allegorischen Bild, das als eine erweiternde Variante der
vorhin genannten Vision erscheint und gleich an den Anfang des Werkes gestellt
ist: »Wie ich heute unseren Herrn anflehte, er möge durch mich reden – weil ich
nichts zu sagen fand und nicht wußte, wie ich mit der Erfüllung dieser Aufgabe
beginnen sollte –, da bot sich mir dar, was ich nunmehr sagen und als Fundament
gebrauchen möchte: nämlich unsere Seele als eine Burg zu betrachten, die ganz
aus einem Diamant oder einem sehr klaren Kristall besteht und in der es viele
Gemächer gibt, gleichwie im Himmel viele Wohnungen sind. Denn wenn wir es recht
betrachten, Schwestern, so ist die Seele des Gerechten nichts anderes als ein
Paradies, in dem der Herr, wie er selbst sagt, seine Lust hat... Ich finde
nichts, mit dem sich die große Schönheit einer Seele, ihre Weite und ihre hohe
Befähigung vergleichen ließe. Und wahrlich, unsere Einsicht und unser Verstand –
so scharfsinnig sie sein mögen – reichen schwerlich aus, sie zu begreifen,
genausowenig wie sie Gott sich auszudenken vermögen.«
Sich selber zu erkennen, ist für Teresa, die sich alle weltliche Ehre versagt
hat, eine Frage der menschlichen Würde: »Erschiene es nicht als eine
schreckliche Unwissenheit, wenn jemand keine Antwort wüßte auf die Frage, wer er
ist, wer seine Eltern sind und aus welchem Lande er stammt? Wäre dies ein
Zeichen viehischen Unverstands, so herrschte in uns ein noch unvergleichlich
schlimmerer Stumpfsinn, wenn wir uns nicht darum kümmerten, zu erfahren, was wir
sind, sondern uns mit diesen Leibern zufriedengäben und folglich nur so obenhin,
vom Hörensagen, weil der Glaube es uns lehrt, davon wüßten, daß wir eine Seele
haben. Aber welche
Güter diese Seele in sich bergen mag, wer in ihr wohnt und welch großen Wert sie
hat, das bedenken wir selten, und darum ist man so wenig darauf bedacht, ihre
Schönheit mit aller Sorgfalt zu bewahren. All unsere Achtsamkeit gilt der rohen
Einfassung, der Ringmauer dieser Burg, das heißt: den Körpern.«
Das Tor aber, durch das der Mensch in sich selber einzudringen vermag, und der
Schlüssel, mit dem die Seele, die kämpfend durch das langsam sich lichtende
Dunkel vorwärtsrückt, bis zu der strahlenden Mitte gelangen kann, »wo die tief
geheimnisvollen Dinge zwischen Gott und der Seele vor sich gehen« – dieser
Schlüssel ist für Teresa das Gebet, jene absolute Hinkehr zum Höchsten in der
Tiefe des eigenen Wesens, mit dem sie einen »Freundschaftsverkehr« erstrebt, der
einen an Vermessenheit grenzenden Mut und zugleich die äußerste Demut der
Selbstvergessenheit verlangt. Die Verwirklichung dieser Beziehung ist das große,
das einzige Thema des »Castillo interior« – der »Inneren Burg«.
Daß das allegorische Leitmotiv dieses Werkes nicht zum beengenden Schema
erstarrt, sondern vielmehr zum Quellmund immer neuer, sprudelnder Bilder, zum
dämmenden, oftmals überfluteten Ufer eines drängenden geistigen Geschehens wird,
ist der eindringliche Beweis für die Wahrhaftigkeit des Mitteilungswillens, der
sich hier – unbesorgt um stilistische Perfektion oder logische Linearität –
Gehör verschafft, und für die Fülle, die seine Formkraft zu bändigen hat. Vor
einer perspektivisch allzu fixierten Auffassung des von ihr vermittelten Bildes
warnt Teresa selber gleich zu Beginn: »Ihr dürft euch nicht vorstellen, daß
diese Wohnungen wie aufgereiht eine hinter der anderen liegen. Richtet vielmehr
eure Augen auf die Mitte, die das Gemach und der Palast ist, wo der König weilt,
und stellt die Burg euch vor wie eine Zwergpalme, bei der viele Hüllen das
köstliche Herzblatt umschließen. So liegen dort ringsum diesen Raum viele andere
Gemächer, und ebenso darüber. Denn die Dinge der Seele muß man sich immer in
Fülle und Weite und Größe denken...«
Die Konsequenz aus solcher Erkenntnis ist ein Ratschlag, der eine kluge, schon
psychologisch zu nennende Behutsamkeit verrät: »Sehr wichtig für jede Seele, die
sich dem Gebet widmet, ist es, daß man sie nicht in einen Winkel pfercht oder
einengt. Man lasse sie durch alle diese Wohnungen wandeln, aufwärts und abwärts
und nach den Seiten hin; denn Gott hat ihr eine so große Würde verliehen. Auch
dränge man sie nicht dazu, lange Zeit in einem einzigen Gemach zu bleiben, nicht
einmal in dem der Selbsterkenntnis, so wichtig diese – wohlgemerkt – selbst für
diejenigen ist, die der Herr in dieselbe Wohnung eingelassen hat, in welcher er
selber weilt... Die Demut wirkt nämlich wie die Biene, die im Stock den Honig
bereitet. Ohne sie geht alles verloren. Bedenkt aber, daß die Biene es nicht
versäumt, hinauszufliegen, um den Nektar der Blüten zu sammeln. Genauso muß es
die Seele mit der Selbsterkenntnis halten. Glaubt es mir und fliegt zuweilen
aus, um die Größe und Majestät eures Gottes zu betrachten...«
Wie hier, so geschieht es im ganzen Text: Vergleich wächst aus Vergleich, Bild
überwuchert Bild. Vier allegorische Hauptmotive bestimmen jedoch die nicht
erklügelte, unsystematische, aber vehemente Kontrapunktik dieses Werkes: Die
durchsichtige Burg, deren innerer Glanz nur durch die Schwärze der Sünde dem
Auge verdeckt wird; der Kampf gegen die bösen Geister, an der Seite der
treulosen Burgverwalter: der Sinne und Seelenkräfte (Verstand, Gedächtnis,
Phantasie); die Metamorphose des Schmetterlings als Gleichnis dafür, wie die
Seele sich selber einspinnen und ertöten muß, um beflügelt zur Freiheit
aufzuerstehen; und endlich das Symbol der Liebesvereinigung, wie sie im Hohen
Lied erscheint, wo der Bräutigam die Braut in seinen Weinkeller führt.
Die künstlerischen Höhepunkte des Buches sind – wie kaum anders zu erwarten –
dort zu finden, wo die Darstellung Höhe und Art des ins Übernatürliche gehobenen
Erlebens markieren muß, wo die Diskrepanz zwischen den Materialien der
Wiedergabe und ihrem Gegenstand das bildnerische Verlangen zum Sprung über den
eigenen Scheitel zu zwingen scheint. Kennzeichnend ist dabei, daß die Autorin
noch in dem Augenblick, wo der Geist der Ekstase ihr die Feder führt, wo sie,
hingerissen in der Verzückung, sich als Raub, als Tochter des göttlichen Adlers
fühlt, sich nicht in der Häufung aufgesetzten Prunks, hingewischten Glanzes
erschöpft, sondern immer besorgt um die Genauigkeit der unterscheidenden
Wahrnehmung bleibt. So zum Beispiel, wenn sie zwei Stufen der geistigen
Vereinigung – die mystische Verlobung und Vermählung – miteinander vergleicht:
»Die frühere Vereinigung gleicht zwei Wachskerzen, die man so dicht
aneinanderhält, daß beider Flamme ein einziges Licht bildet; und sie ist jener
Einheit ähnlich, zu der der Docht, das Licht und das Wachs verschmelzen. Danach
aber kann man leicht eine Kerze von der anderen trennen, so daß es wieder zwei
Kerzen sind, und ebenso läßt sich der Docht vom Wachs lösen. Hier jedoch ist es,
wie wenn Wasser vom Himmel in einen Fluß oder in eine Quelle fällt, wo alles
nichts als Wasser ist, so daß man weder teilen noch sondern kann, was nun das
Wasser des Flusses ist und was das Wasser, das vom Himmel gefallen; oder es ist,
wie wenn ein kleines Rinnsal ins Meer fließt, von dem es durch kein Mittel mehr
zu scheiden ist; oder aber wie in einem Zimmer mit zwei Fenstern, durch die ein
starkes Licht einfällt: dringt es auch getrennt ein, so wird doch alles zu einem
Licht.«
Tirso de Molina hat ein halbes Jahrhundert später mit seinem »Condenado por
desconfiado« (den Menendez Pidal als das bedeutendste religiöse Drama der
spanischen Literatur bezeichnete) gleichsam ein Standgericht über die von
Zurbarán gemalten Helden asketischer Weltverachtung gehalten, über die
abgezehrten Eremiten, die, vor dem Totenkopf kniend, die Augen starr an den
Himmel geheftet, mit hochgereckten Armen ihre Erlösung zu ertrotzen scheinen.
Die faustische Gebärde, mit der Tirsos »Heiliger« dem Himmel ein Zeichen seiner
Rettung entreißen will, wird zum Fluch, als der Teufel – verkleidet zum Engel
des Lichts – ihm verkündet, daß er das ewige Schicksal eines Fremden zu teilen
habe, in dem der Einsiedler einen gedankenlosen Gewaltmenschen und Verbrecher
erkennt – eine sichere Beute des unterirdischen Feuers. Der kleinmütige Glaube
des Asketen verwandelt sich in verzweifelten Trotz. Als Räuber rast er wider
Gott und Welt und endet in der Hölle, während der vermeintliche Kettengefährte
seines Schicksals im letzten Augenblick, naiv die Hand der göttlichen Gnade
ergreifend, zur Seligkeit gelangt.
Der eigenmächtige Anspruch auf göttliche Belohnung war dem Denken Teresas immer
fremd. »In diesem Werk des Geistes«, schrieb sie, »tut der am meisten, der am
wenigsten zu tun denkt und tun will... Bei Dingen, vor denen Seine Majestät
anscheinend eine Grenze gezogen hat und die er sich selber vorbehalten will,
kann ich mich nicht zu menschlichen Anstrengungen überreden.« Wo die Liebe sie
dem Höchsten entgegentrieb, verachtete sie die »Hühnerschritte«, zu denen ihre
Beichtväter sie oft nötigten; aber sie war sich darüber klar, daß auch auf dem
Weg des Gebets alles Erzwungene nur »Mißbehagen« hinterläßt: »Es ist, wie wenn
einer springen will, aber von hinten festgehalten wird.« Der Mut ihrer
entschlossenen Hingabe an das Unbegreifliche, der sie nicht selten mit dem
Kampfgeist eines ignatianischen Eifers erfüllte, war in ihr eins mit der Demut,
die ihr gleichbedeutend war mit dem »Wandeln in der Wahrheit« und ihr die
Überzeugung eingab, daß Gott oft die Schwächsten mit den höchsten mystischen
Gaben beschenkt.
Mut und Demut, Kontemplation und Activitas, Liebe und kluge Nüchternheit – so
glaubte sie – müßten beisammen sein wie Maria und Martha, damit der Herr sich
wohl fühle. Die rechnende Skepsis des Lazarillo war ihr ebenso eigen wie der
selbstlose Enthusiasmus eines Amadis. Als Inbild verzückter Hingabe hat Bernini
sie in Stein gehauen; Rubens hat sie als Schreibende gemalt, mit einem Gesicht
von strenger Bewußtheit, das den Strahl der Erleuchtung als ein Diktat der
Klarheit empfängt.
Die Macht vereinigter Gegensätze, die Tanz und Geißelung umspannt, bezeugt der
Duktus ihrer Schrift wie der Stil ihrer Sprache, in die sie die Essenz einer
ungewöhnlichen, faszinierenden, unerschöpflichen Erfahrung gebannt hat. In ihrer
Verbindung von Hoheit und Zärtlichkeit, Vorsicht, Bestimmtheit, Scheu und
überschäumender Spontaneität sah Luis de León, der große Lyriker und Theologe
(der 1588, sechs Jahre nach Teresas Tod, erstmals ihre Schriften
veröffentlichte) »die Anmut selber« – lebendigste Anmut, die mit jedem Wort
einen Brand entfacht. Sie beweist die Behauptung des Bernhard von Clairvaux:
Verbo geniti verbum habent – Wer vom Wort gezeugt ist, der hat das Wort.
FRITZ VOGELGSANG
Die innere Burg
JHS
Wenige Dinge, die mir der Gehorsam geboten hat, sind mir so schwer gefallen wie
jetzt die Aufgabe, über das Gebet zu schreiben. Einmal, weil ich nicht den
Eindruck habe, daß der Herr mir dazu Geist oder Lust verleiht; und zum anderen,
weil ich schon seit drei Monaten ein solches Dröhnen und eine solche Schwäche im
Kopfe fühle, daß ich selbst die unumgänglichen Schreibarbeiten nur mühsam
erledigen kann. Doch da ich weiß, daß die Kraft des Gehorsams Dinge zu
bewältigen pflegt, die unüberwindlich erscheinen, so entschließt sich der Wille,
es gern und mit herzlichem Eifer zu tun, auch wenn es der Natur hart anzukommen
scheint. Denn der Herr hat mir nicht soviel Tugend verliehen, daß der Kampf mit
der ständigen Krankheit und Beanspruchungen vieler Art ausgefochten werden
könnte ohne heftigen Widerspruch der eigenen Natur. Möge Er es tun, der andere,
schwierigere Dinge vollbracht hat, um mir seine Gnade zu erweisen, und auf
dessen Erbarmen ich vertraue.
Ich glaube zwar, daß ich nicht viel mehr zu sagen weiß, als ich bei anderen
Gelegenheiten, da man mir zu schreiben befahl, schon gesagt habe. Ich fürchte
vielmehr, daß es fast das gleiche sein wird; denn es geht mir genau wie den
Vögeln, die man das Sprechen lehrt: sie können nichts anderes sagen, als was man
ihnen beigebracht hat oder was sie gehört haben, und wiederholen es
ein ums andere Mal. Will der Herr, daß ich etwas Neues sage, so wird Seine
Majestät es mir geben, oder wird er sich damit begnügen, mir das ins Gedächtnis
zu rufen, was ich früher gesagt habe. Ich wäre auch damit zufrieden; denn ich
habe ein so schlechtes Gedächtnis, daß es mich freuen würde, einiges wieder zu
finden, von dem man behauptet hat, es sei gut ausgedrückt gewesen – für den
Fall, daß es verloren gegangen sein sollte. Wenn der Herr mir auch dies nicht
gewähren sollte, so wird es mir dennoch ein Gewinn sein, um des Gehorsams willen
mich abzumühen und meine Kopfschmerzen zu mehren, selbst wenn meine Worte zu gar
nichts nütze wären. Und so beginne ich denn heute, am Tag der Allerheiligsten
Dreifaltigkeit des Jahres 1577, hier im Kloster des heiligen Joseph vom Karmel
in Toledo, wo ich derzeit weile, diese Pflicht zu erfüllen, mich in allem, was
ich sage, dem Urteil derer unterwerfend, die mir zu schreiben befohlen haben,
welches Personen von hohem Wissen sind. Sollte ich etwas sagen, was nicht dem
Glauben der heiligen römisch–katholischen Kirche entspricht, so geschieht es aus
Unwissenheit und nicht aus böser Absicht. Dessen kann man so gewiß sein, wie es
sicher ist, daß ich durch Gottes Güte ihr immer ergeben bin und es sein werde
und es stets gewesen bin. Ihm sei Ruhm und Ehre in Ewigkeit, Amen.
Der mir zu schreiben befohlen hat, sagte mir, daß die Nonnen in diesen Klöstern
Unserer Lieben Frau vom Karmel jemanden brauchten, der ihnen einige Zweifel
wegen des Gebets zerstreue. Da er den Eindruck habe, daß Frauen die Sprache von
ihresgleichen am besten verstehen, wären meine Worte – bei der Liebe, die sie
für mich hegten – ihnen wohl am dienlichsten. Er sei daher der Meinung, daß es
nicht belanglos wäre, wenn es mir gelänge, dazu etwas zu sagen. Mit dem, was ich
im folgenden schreiben werde, wende ich mich also an sie. Und da der Gedanke, es
könne für andere Personen von irgendwelcher Bedeutung sein, töricht erscheint,
so wird mir unser Herr Gnade genug erweisen, wenn meine Worte einer dieser
Nonnen dazu dienen, Ihn ein wenig mehr zu loben. Seine Majestät weiß wohl, daß
ich nach nichts anderem strebe, und meine Schwestern werden ohne Zweifel
erkennen, daß es nicht mein Werk ist, wenn etwas davon treffend ausgedrückt sein
sollte, es sei denn, sie hätten so wenig Einsicht, wie ich Talent für
dergleichen Dinge besitze, falls der Herr es mir nicht schenkt in seiner
Barmherzigkeit.
DIE ERSTE WOHNUNG
ERSTES KAPITEL
Wie ich heute unseren Herrn anflehte, er möge durch mich reden – weil ich nichts
zu sagen fand und nicht wußte, wie ich mit der Erfüllung dieser Aufgabe beginnen
sollte –, da bot sich mir dar, was ich nunmehr sagen und als Fundament
gebrauchen möchte: nämlich unsere Seele als eine Burg zu betrachten, die ganz
aus einem Diamant oder einem sehr klaren Kristall besteht und in der es viele
Gemächer gibt, gleichwie im Himmel viele Wohnungen sind. Denn wenn wir es recht
betrachten, Schwestern, so ist die Seele des Gerechten nichts anderes als ein
Paradies, in dem der Herr, wie er selbst sagt, seine Lust hat. Nun, was meint
ihr, wie wohl die Wohnstatt sein mag, in der ein solch mächtiger, weiser und
reiner König, der so reich an Gütern jeglicher Art ist, sich ergötzt? Ich finde
nichts, mit dem sich die große Schönheit einer Seele, ihre Weite und ihre hohe
Befähigung vergleichen ließe. Und wahrlich, unsere Einsicht und unser Verstand –
so scharfsinnig sie sein mögen – reichen schwerlich aus, sie zu begreifen,
genauso wenig wie sie Gott sich auszudenken vermögen; denn er selbst sagt, daß
er uns schuf nach seinem Bilde. Ist dies wirklich so – und es ist so –, dann
brauchen wir uns nicht abzumühen in dem Verlangen, die
Schönheit dieser Burg zu erfassen. Obgleich zwischen ihr und Gott der
Unterschied besteht, der den Schöpfer trennt vom Geschöpf – da sie ja etwas
Erschaffenes ist –, so genügt doch das Wort Seiner Majestät, daß sie nach seinem
Bilde geschaffen ist, um die große Würde und Schönheit der Seele uns als kaum
fassbar erscheinen zu lassen.
Nicht wenig Elend und Verwirrung kommen daher, daß wir durch eigene Schuld uns
selber nicht verstehen und nicht wissen, wer wir sind. Erschiene es nicht als
eine schreckliche Unwissenheit, meine Töchter, wenn jemand keine Antwort wüßte
auf die Frage, wer er ist, wer seine Eltern sind und aus welchem Lande er
stammt? Wäre dies ein Zeichen viehischen Unverstands, so herrschte in uns ein
noch unvergleichlich schlimmerer Stumpfsinn, wenn wir uns nicht darum kümmerten,
zu erfahren, was wir sind, sondern uns mit diesen Leibern zufriedengäben und
folglich nur so obenhin, vom Hörensagen, weil der Glaube es uns lehrt, davon
wüßten, daß wir eine Seele haben. Aber welche Güter diese Seele in sich bergen
mag, wer in ihr wohnt und welch großen Wert sie hat, das bedenken wir selten,
und darum ist man so wenig darauf bedacht, ihre Schönheit mit aller Sorgfalt zu
bewahren. All unsere Achtsamkeit gilt der rohen Einfassung, der Ringmauer dieser
Burg, das heißt: den Körpern.
Denken wir uns also, daß diese Burg – wie ich schon gesagt habe – viele
Wohnungen hat, von denen einige oben gelegen sind, andere unten und wieder
andere seitwärts, und daß sie ganz innen, in der Mitte all dieser Wohnungen, die
allerwichtigste birgt: jene, wo die tief geheimnisvollen Dinge zwischen Gott und
der Seele vor sich gehen. Es ist nötig, daß ihr auf dieses Gleichnis achtet. So
Gott will, kann ich euch damit etwas von den Gnaden verständlich machen, die
Gott nach seinem Belieben den Seelen verleiht, und von den Unterschieden, die
zwischen ihnen bestehen (soweit dies nach meinem Verständnis möglich ist; denn
alle zu verstehen, vermag niemand, so mannigfaltig sind sie; und schon gar nicht
jemand, der so armselig ist wie ich). Denn wenn der Herr euch solche Gnaden
erweisen sollte, wird es für euch ein großer Trost sein, zu wissen, daß dies
möglich ist; und für die, denen dies nicht widerfährt, wird es ein Grund sein,
seine große Güte zu loben. Es schadet uns ja nicht, darüber nachzusinnen, was im
Himmel ist und was die Seligen genießen, vielmehr freut es uns und spornt uns
an, dasselbe zu erlangen, was sie genießen – und genausowenig wird es uns
schaden, wenn wir sehen, daß schon hier in der Verbannung dieser Welt ein solch
großer Gott sich mit Würmern abgeben kann, die voll üblen Geruches sind, und daß
eine so vollkommene Güte, ein solch unermeßliches Erbarmen uns liebt.
Wem die Erkenntnis der Möglichkeit, daß Gott diese Gnade hier in der Verbannung
uns erweist, schaden sollte, dem müßte es – davon bin ich fest überzeugt – sehr
an Demut und Nächstenliebe fehlen. Denn wie sollten wir uns sonst nicht darüber
freuen, daß Gott diese Gnaden einem unserer Brüder erweist (was ihn ja nicht
hindert, sie auch uns zu erzeigen) und daß Seine Majestät ihre Größe offenbart,
an wem sie nun will? Manchmal wird der Herr es ja allein zu dem einen Zwecke
tun, seine Größe sichtbar zu machen (wie er es sagte, als er dem Blinden das
Augenlicht schenkte und die Apostel Ihn fragten, ob dieser wegen seiner eigenen
Sünden oder wegen der Sünden seiner Eltern erblindet sei). Er tut es also nicht,
weil diejenigen, denen er solche Gnaden erweist, heiliger wären als die anderen,
denen er sie nicht erweist, sondern darum, daß man seine Größe erkenne (wie wir
es am heiligen Paulus und an der Magdalena sehen) und daß wir ihn preisen in
seinen Geschöpfen.
Man könnte nun sagen, diese Dinge erschienen unmöglich, und es sei gut, den
Schwachen kein Ärgernis zu geben. Doch es ist weniger verloren, wenn diese
Zaghaften nicht glauben, als wenn diejenigen um den Gewinn gebracht werden,
denen Gott solche Gnaden erweist und die sich darüber freuen und dadurch
ermuntert werden, ihn mehr zu lieben, der soviel Barmherzigkeit erzeigt,
obgleich seine Macht und Herrlichkeit so groß sind. Das sage ich mit um so
größerer Gewißheit, als ich weiß, daß bei denen, mit welchen ich rede, diese
Gefahr nicht besteht; denn sie wissen und glauben, daß Gott noch größere Zeichen
der Liebe vollbringt. Auch weiß ich, daß niemand, der hieran nicht glaubt, es
aus eigenem Erleben erfährt; denn Gott liebt es sehr, daß man seinen Werken
keine Schranke setzt. Und darum, Schwestern, möget ihr, die der Herr nicht auf
diesem Wege führt, nie in solchen Unglauben verfallen.
Doch kehren wir zu unserer schönen, beglückenden Burg zurück, und schauen wir,
wie wir hineingelangen können. Es scheint, als sagte ich einen Unsinn; denn wenn
diese Burg die Seele ist, so ist doch klar, daß man nicht hineingehen muß, da
man ja selbst die Burg ist. Genauso närrisch erschiene es, wenn man jemandem
sagte, er möge in ein Zimmer gehen, in dem er sich bereits befindet. Doch ihr
müßt verstehen, daß zwischen Darinnensein und Darinnensein ein großer
Unterschied besteht. Es gibt viele Seelen, die sich im Wehrgang der Burg
aufhalten – also dort, wo die Wachen stehen – und denen nichts daran gelegen
ist, ihre inneren Anlagen zu betreten. Sie wissen nicht, was an diesem
wundervollen Ort zu finden ist, noch wer darin weilt, ja nicht einmal, was für
Gemächer die Burg umschließt. In manchen Andachtsbüchern habt ihr gewiß schon
den Rat vernommen, die Seele möge in sich gehen. Damit ist genau dasselbe
gemeint.
Ein großer Gelehrter sagte mir unlängst, die Seelen ohne Gebet glichen einem
gelähmten, bewegungsunfähigen Körper, der zwar Hände und Füße besitze, ihnen
aber nicht gebieten könne. Und wahrlich, so ist es. Es gibt Seelen, die so krank
sind, die sich so daran gewöhnt haben, in äußeren Dingen befangen zu sein, daß
es völlig undenkbar erscheint, sie könnten jemals in sich gehen. Denn es ist
ihnen schon so zur Gewohnheit geworden, ständig mit dem Gewürm und Viehzeug
umzugehen, das rings um die Burg sich regt, daß sie schon fast ebenso tierisch
geworden sind, obwohl sie von Natur aus so reich begabt und fähig sind, mit
keinem Geringeren als Gott selber zu reden. Bemühen sich diese Seelen nicht, ihr
Elend zu begreifen und ihm abzuhelfen, so müssen sie zur Salzsäule erstarren,
weil sie den Blick nicht zurück auf sich selber richten (wie es – umgekehrt –
dem Weibe des Lot geschah, weil es zurückschaute).
Nach meiner Erfahrung sind das Gebet und die Andacht das Tor, durch das man die
Burg betreten kann. Damit meine ich das mündliche Gebet nicht minder als das
Gebet im Geiste; denn um Gebet zu sein, bedarf beides der Ehrfurcht und Andacht.
Ein Gebet, bei dem man nicht darauf achtet, mit wem man redet und was man
erbittet, wer der Bittsteller ist und wer der Angeflehte, das nenne ich kein das
nenne ich kein Gebet, mag man dabei auch noch so viel die Lippen bewegen. Wird
manchmal, auch wenn man nicht mit dieser Aufmerksamkeit dabei ist, dennoch ein
Gebet daraus, so nur deshalb, weil man bei anderen Gelegenheiten die nötige
Andacht aufgebracht hat. Doch wenn jemand gewohnt ist, mit der Majestät Gottes
so zu reden, als spreche er mit seinem Sklaven, ohne darauf zu schauen, ob er
unrecht rede, sondern einfach so daherschwatzt, was ihm in den Mund kommt und
was er von früher auswendig weiß, so halte ich das für kein Gebet, und Gott
verhüte, daß irgendein Christ es dafür halte. Ich hoffe auf Seine Majestät,
Schwestern, daß dies unter euch nicht geschehe; denn ihr seid es ja gewohnt,
euch mit innerlichen Dingen zu befassen. Das ist ein recht gutes Mittel, um
nicht in solchen Schwachsinn zu verfallen.
Doch wir wollen nicht mit diesen lahmen Seelen reden, die sich in argem Elend
und großer Gefahr befinden, wenn nicht der Herr selber kommt und ihnen (wie
jenem Manne, der dreißig Jahre neben dem Teich gelegen war) gebietet, sich zu
erheben, sondern wollen zu den anderen Seelen sprechen, die schließlich in die
Burg eingehen. Obwohl sie tief in der Welt stecken, haben sie doch ein gutes
Verlangen, und zuweilen – wenn auch selten – empfehlen sie sich dem Schutze
unseres Herrn und denken darüber nach, wer sie sind, sei es auch nicht sehr
gründlich. Auch beten sie jeden Monat irgendwann einmal, von tausend Geschäften
erfüllt, mit denen ihre Gedanken fast immer umgehen. Sie sind so daran gefesselt
– denn »wo ihr Schatz ist, dahin geht ihr Herz« –, daß sie sich zuweilen
vornehmen, sich davon frei zu machen. Von großer Bedeutung ist es da, wenn sie
sich selbst erkennen und sehen, daß sie nicht auf dem rechten Wege sind, der zur
Burgpforte hineinführt. Endlich treten sie in die ersten der unteren Gemächer
ein; doch mit ihnen dringt so viel Gewürm ein, daß sie weder die Schönheit der
Burg zu sehen vermögen noch zur Ruhe kommen können. Schwer genug ist es ihnen
gefallen, überhaupt hereinzukommen.
Diese Schilderung wird euch unangebracht erscheinen, meine Töchter, da ihr durch
Gottes Güte nicht zu diesen Menschen gehört. Ihr müßt Geduld haben, denn ich
weiß nicht, in welcher Weise ich euch sonst verständlich machen könnte, wie ich
gewisse innere Dinge des Gebets verstehe. Der Herr gebe, daß es mir gelingt,
etwas zu sagen. Was ich euch gern erklären würde, ist nämlich recht schwierig zu
verstehen, wenn man es nicht selbst erfahren hat. Habt ihr es erlebt, so werdet
ihr erkennen, daß es unumgänglich ist, an das zu rühren, wovon wir – so der Herr
will – verschont bleiben mögen, um seiner Barmherzigkeit willen.
ZWEITES KAPITEL
Bevor ich fortfahre, möchte ich euch bitten, euch auszudenken, welchen Anblick
diese schöne und strahlende Burg bieten mag, diese orientalische Perle, dieser
Baum des Lebens, der inmitten der lebendigen Wasser des Lebens, also in Gott,
gepflanzt ist –, wenn die Seele in eine Todsünde fällt. Es gibt keine
unheimlichere Finsternis, und es gibt nichts, was so dunkel, so schwarz wäre,
daß sie daneben nicht noch viel finsterer erschiene. Begehrt nicht mehr zu
wissen, als daß es so ist, als wäre die Sonne, die ihr so viel Glanz und
Schönheit verlieh, die Sonne, die doch noch immer in der Mitte der Seele ist,
nicht mehr vorhanden; als könne die Seele nicht mehr teilhaben an ihm, sie, die
doch genauso dazu befähigt ist, sich Seiner Majestät zu erfreuen, wie der
Kristall die Sonne in sich aufleuchten zu lassen vermag. Da hilft ihr nichts,
und deshalb bleiben alle guten Werke, die sie vollbringt, solange sie in
Todsünde lebt, unfruchtbar und dienen nicht dazu, daß sie die Seligkeit erlangt.
Weil diese Taten nicht aus dem Urgrund stammen, welcher Gott ist, der unsere
Tugend zur Tugend macht, sondern in der Trennung von ihm entstanden sind, können
sie seinen Augen nicht gefällig sein. Wer eine Todsünde begeht, hat ja auch
nicht die Absicht, ihn zu erfreuen, sondern dem Satan ein Vergnügen zu machen.
Da dieser die Finsternis selber ist, so ist auch die arme Seele zur gleichen
Finsternis geworden.
Ich weiß von einer Person, der unser Herr zeigen wollte, was aus einer Seele
wird, die sich tödlich versündigt. Diese Person behauptet, ihrer Meinung nach
könne einer, der dies wirklich begriffen hat, überhaupt nicht mehr sündigen.
Lieber würde er alle erdenklichen Leiden auf sich nehmen, um so den
Gelegenheiten zur Sünde zu entrinnen. Der Herr flößte dieser Seele zugleich den
brennenden Wunsch ein, alle Menschen möchten dies begreifen. Und so möge er auch
euch, Töchter, das Verlangen eingeben, viel zu Gott zu beten für jene, die in
diesem Zustand leben und gleich ihren Werken zu völliger Finsternis geworden
sind.
Wie die Bächlein, die einer sehr klaren Quelle entspringen, rein und lauter
sind, so ist es auch die Seele, die in der Gnade lebt. Daß ihre Werke den Augen
Gottes und der Menschen wohlgefällig sind, hat seine Ursache nur darin, daß sie
jener Quelle des Lebens entspringen, in welcher die Seele wurzelt, eingepflanzt
wie ein Baum, der nicht die Frische und Fruchtbarkeit besäße, wenn sie ihm nicht
von dorther zuflössen. Dies erhält ihn und macht, daß er nicht verdorrt und gute
Frucht bringt. Entfernt sich eine Seele aus eigener Schuld von dieser Quelle und
senkt sich in eine andere mit pechschwarzem Wasser von widerlichem Geruche ein,
so ist auch alles, was aus ihr hervorgeht, nichts als Schmutz und Unheil.
Hier ist zu bedenken, daß die Quelle, daß jene strahlende Sonne, die sich in der
Mitte der Seele befindet, ihren Glanz und ihre Schönheit nicht verliert. Sie
bleibt beständig darin, und nichts kann sie ihrer Schönheit berauben. Breitet
man aber über einen Kristall, der in der Sonne hegt, ein tiefschwarzes Tuch, so
wird freilich, auch wenn die Sonne auf ihn scheint, ihr Leuchten in dem Kristall
keine Wirkung hervorbringen.
O Seelen, die ihr losgekauft seid mit dem Blute Jesu Christi! Erkennet euch und
habt Erbarmen mit euch selbst! Wie ist es möglich, daß ihr dies versteht und
euch nicht bemüht, dieses Pech von dem Kristall zu entfernen? Nie wieder werdet
ihr euch an diesem Licht erfreuen, wenn so euer Leben endet. O Jesus, welchen
Anblick bietet eine Seele, die von ihm geschieden ist? In welch erbärmlichen
Zustand geraten die Gemächer der Burg! Wie verwirrt irren die Sinne umher, die
darin wohnen! Und die Seelenkräfte, die zu Burgvögten, Verwaltern und
Mundschenken bestellt sind – mit welcher Blindheit treiben sie ihr schlimmes
Regiment! Welche Frucht kann auch ein Baum bringen, der in einen Grund gepflanzt
wurde, welcher des Teufels ist?
Ich hörte einmal einen geistlichen Mann sagen, daß es ihn nicht vor dem
schaudere, was einer, der in Todsünde lebt, tue, sondern vor dem, was er nicht
tue. Gott bewahre uns durch sein Erbarmen vor einem solch schrecklichen Übel.
Nichts in diesem Leben verdient es, ein Übel geheißen zu werden, außer diesem
Unheil; denn es zieht ewige Übel nach sich, die kein Ende haben. Das ist es,
Töchter, was wir auf unserem Wege zu fürchten haben. Wir müssen Gott in unseren
Gebeten anflehen, daß er uns davor behüte; denn wenn er nicht die Stadt bewacht,
so ist unser Tun umsonst, da wir die Vergeblichkeit selber sind. Jener Mann
sagte mir, er verdanke der Gnade, die Gott ihm erwiesen habe, zweierlei.
Erstens: eine ungeheure Furcht, ihn zu beleidigen; und deshalb flehe er, weil er
ein solch entsetzliches Unheil vor Augen habe, den Herrn ständig darum an, ihn
nicht fallen zu lassen. Und zweitens: einen Spiegel für die Demut; denn er sehe
jetzt, daß eine Wohltat, die wir vollbringen, ihren Ursprung nicht in uns selber
hat, sondern in der Quelle, in welche der Baum unserer Seele gepflanzt ist; in
der Sonne, die unseren Werken ihre Wärme spendet. Er sagt, dies sei ihm so klar
geworden, daß er stets, wenn er irgend etwas Gutes tue oder bei einem anderen
gewahre, nach der Herkunft des Guten suche und dann erkenne, wie wir ohne diese
Hilfe nichts vermöchten. Dies bewog ihn, Gott zu loben, so daß er meist gar
nicht daran dachte, was er selber vielleicht Gutes getan hatte.
Die Zeit, Schwestern, die ihr mit dem Lesen dieser Worte zubringt und die ich
aufwende, um sie zu schreiben, wäre nicht verloren, wenn sie uns diese zwei
Dinge einbrächte. Den Weisen und Gelehrten sind sie wohl vertraut; doch unser
weibliches Ungeschick bedarf dringend aller erdenklichen Hilfe. Darum will der
Herr vielleicht, daß uns derartige Vergleiche zur Kenntnis gelangen. Möge es
seiner Güte gefallen, uns dazu seine Gnade zu schenken.
Diese inneren Dinge sind so dunkel und schwierig zu verstehen, daß jemand, der
so wenig weiß wie ich, zwangsläufig viele überflüssige und sogar unsinnige Dinge
sagt, um das eine oder andere treffend auszudrücken. Wer es liest, bedarf
derselben Geduld, die ich aufbringe, um etwas zu schreiben, was ich nicht weiß;
denn manchmal greife ich nach dem Papier, als wäre ich ein Ding ohne Verstand,
und weiß nicht, was sagen und wie anfangen. Dabei verstehe ich wohl, wie wichtig
es für euch ist, daß ich euch, so gut ich kann, einige innere Erfahrungen
erkläre. Wir hören immer, wie gut das Gebet sei; und unsere Regel schreibt uns
vor, ihm bestimmte Stunden zu widmen. Doch man erklärt uns nichts, was wir uns
nicht selbst erklären können. Und von dem, was der Herr in einer Seele bewirkt –
dem Übernatürlichen, das in ihr geschieht –, wird uns wenig gesagt. Würde dies
in vielfältiger Weise uns dargelegt und erläutert, so schenkte man uns damit den
großen Trost, dieses himmlische Kunstwerk in unserem Inneren betrachten zu
können, das von den Sterblichen so wenig verstanden wird, obgleich so viele
darin umhergehen. In anderen Schriften, die ich verfaßt habe, hat der Herr zwar
einiges verständlich gemacht, doch ich erkenne, daß ich damals verschiedenes –
vor allem von den schwierigsten Dingen – nicht so gut verstanden habe wie
später. Mühsam ist nun bloß, daß ich, ehe wir zu diesen gelangen, wohl viele
sattsam bekannte Dinge sagen werde, da es meinem unbeholfenen Geist nicht anders
möglich ist.
Kehren wir nun also wieder zu unserer Burg mit jenen vielen Wohnungen zurück.
Ihr dürft euch nicht vorstellen, daß diese Wohnungen wie aufgereiht eine hinter
der anderen liegen. Richtet vielmehr eure Augen auf die Mitte, die das Gemach
und der Palast ist, wo der König weilt, und stellt die Burg euch vor wie eine
Zwergpalme, bei der viele Hüllen das köstliche Herzblatt umschließen. So liegen
dort rings um diesen Raum viele andere Gemächer, und ebenso darüber. Denn die
Dinge der Seele muß man sich immer in Fülle und Weite und Größe denken. Damit
erhöht man sie keineswegs, sie, die viel mehr vermag, als wir uns vorstellen
können, und die überall durchdrungen ist von der Sonne, die in diesem Palaste
strahlt.
Sehr wichtig für jede Seele, die sich – viel oder wenig – dem Gebet widmet, ist
es, daß man sie nicht in einen Winkel pfercht oder einengt. Man lasse sie durch
all diese Wohnungen wandeln, aufwärts und abwärts und nach den Seiten hin; denn
Gott hat ihr eine so große Würde verliehen. Auch dränge man sie nicht dazu,
lange Zeit in einem einzigen Gemach zu bleiben, nicht einmal in dem der
Selbsterkenntnis, so wichtig diese – wohlgemerkt – selbst für diejenigen ist,
die der Herr in die gleiche Wohnung eingelassen hat, in welcher er selber weilt;
denn so hoch die Seele auch stehen mag – nie wird etwas anderes die
Selbsterkenntnis ersetzen können, ob man dies will oder nicht. Die Demut wirkt
nämlich wie die Biene, die im Stock den Honig bereitet. Ohne sie geht alles
verloren. Bedenkt aber, daß die Biene es nicht versäumt, hinauszufliegen, um den
Nektar der Blüten zu sammeln. Genauso muß es die Seele mit der Selbsterkenntnis
halten. Glaubt es mir und fliegt zuweilen aus, um die Größe und Majestät eures
Gottes zu betrachten. Da wird die Seele ihre Niedrigkeit eher entdecken als in
sich selber, und sie wird weniger belästigt sein von dem Gewürm, das in die
ersten Gemächer – eben die Selbsterkenntnis – mit eindringt. Obwohl es, wie
gesagt, ein großes Erbarmen Gottes bedeutet, wenn man sich darin übt, so kommt
es doch auf das rechte Maß an. »Nicht zuviel und nicht zuwenig« – wie man zu
sagen pflegt. Und man glaube mir, daß wir mit der Kraft Gottes eine sehr viel
höhere Tugend erwirken, als wenn wir zäh an unserer Erde kleben.
Ich weiß nicht, ob ich es recht verständlich gemacht habe; denn es ist eine so
wichtige Sache, dieses Erkennen unseres eigenen Ichs, daß ich wünschte, ihr
möchtet niemals darin ermatten, so hoch ihr auch in den Himmeln emporgestiegen
sein möget. Solange wir uns auf dieser Erde befinden, gibt es nichts, was für
uns wichtiger wäre als die Demut. Und darum sage ich nochmals, daß es sehr gut
und ganz vortrefflich ist, wenn man danach strebt, zuerst in jenes Gemach zu
gelangen, wo es um diese Tugend geht, ehe man zu den anderen fliegt. Denn dies
ist der Weg. Und wozu sollten wir, solange wir auf sicherem und ebenem Gelände
gehen können, uns Flügel zum Fliegen wünschen, anstatt zu sehen, wie wir auf
diesem Wege weiterkommen? Doch nach meiner Ansicht werden wir mit unserer
Selbsterkenntnis nie zu Ende kommen, wenn wir nicht danach trachten, Gott zu
erkennen. Im Anblick seiner Größe entdecken wir unsere Niedrigkeit, und
angesichts seiner Reinheit sehen wir unseren Schmutz. Die Betrachtung seiner
Demut läßt uns erfahren, wie weit wir davon entfernt sind, demütig zu sein. Das
bringt uns zweierlei Gewinn. Der erste: daß etwas Weißes neben dem Schwarzen
offensichtlich sehr viel weißer erscheint, und ebenso umgekehrt das Schwarze
neben dem Weißen. Der zweite: daß unser Verstand und Wille sich veredeln und
ertüchtigen zu allem Guten, wenn wir, statt mit uns selbst, mit Gott verkehren.
Steigen wir nie aus dem Schlamm unserer eigenen Erbärmlichkeit heraus, so
bedeutet das ein schweres Hindernis. Von den Menschen, die in Todsünde leben,
sagten wir, wie schwarz und übel riechend die Gewässer um sie sind. Und auch bei
denen, die immer im Elend unserer Erde stecken bleiben (welche freilich ganz und
gar nicht so sind wie die vorigen – Gott bewahre uns davor, daß wir dies mit dem
Vergleich sagen!), wird die Strömung nie aus dem Schlamm der Ängste
herauskommen, aus der Verzagtheit und Feigheit, die furchtsam fragt, ob man auf
mich schaut oder nicht auf mich schaut; ob mir, wenn ich diesem Weg folge, etwa
ein Unheil zustößt; ob ich es wagen kann, jenes Werk zu beginnen; ob es Hochmut
ist; ob es recht ist, daß eine solch elende Person sich mit einer solch hohen
Sache wie dem Gebet befaßt; ob man mich für etwas Besseres hält, wenn ich nicht
den allgemeinen Weg gehe. Denn Übertreibungen sind nicht gut, auch nicht in der
Tugend. Da ich so sündhaft bin, werde ich sonst nur um so tiefer stürzen und den
Guten dadurch schaden. So eine wie ich verdient ja nichts Besonderes.
Oh, Gott bewahre, meine Töchter! Wie viele Seelen hat der Satan durch solche
Mattherzigkeit um reichen Gewinn gebracht! All diese Bedenken erscheinen ihnen
als Demut, und vieles andere mehr, was ich noch nennen könnte. Die Ursache davon
ist, daß wir uns selbst nicht ganz verstehen. Der Satan verdreht unsere
Selbsterkenntnis, und wenn wir nie aus uns selbst herausgehen, so wundert es
mich nicht, daß solche und ähnliche Ängste in uns auftauchen können. Darum,
Töchter, sage ich: Laßt uns die Augen auf Christum richten, unser Heil, wo wir
die wahre Demut erfassen, und laßt uns auf seine Heiligen schauen. Dann wird
sich, wie ich gesagt habe, unser Verstand veredeln und unsere Selbsterkenntnis
davor bewahrt werden, zur Kriecherei und Feigheit zu entarten. Obwohl dies die
erste Wohnung ist, birgt sie doch großen Reichtum und ist von hohem Wert.
Gelingt es der Seele, hier dem Gewürm zu entrinnen, so wird sie gewiß noch
weiter vorankommen. Aber schrecklich sind die Tücken und Ränke, die der Satan
ersinnt, damit die Seelen sich nicht selbst erkennen und ihre Wege nicht
verstehen.
Aus eigener Erfahrung könnte ich von dieser ersten Wohnung eine recht gute
Beschreibung geben. Deshalb sage ich, man möge sich bei dieser Bezeichnung nicht
einige wenige Zimmer vorstellen, sondern eine Unzahl von Gemächern. Auf
vielerlei Weisen kommen Seelen hier herein, und alle in guter Absicht. Doch da
der Satan immer seinen bösen Zweck verfolgt, gibt es dort wohl in jedem Raum
viele Legionen von Dämonen, die dafür kämpfen, daß die Seelen nicht zu den
nächsten Räumen vordringen können. Weil die arme Seele ahnungslos ist, stellt er
uns mit tausenderlei Gaukeleien seine Fallen. Weniger wirksam sind seine Finten
bei denen, die dem Orte näher sind, wo der König weilt. Doch hier, wo die Seelen
noch von der Welt durchtränkt sind, wo sie noch in irdischen Vergnügungen
befangen sind und verwirrt werden von weltlichen Ehren und Ansprüchen, hier
haben die Vasallen der Seele – die Sinne und Geisteskräfte, die Gott ihr von
Natur aus gegeben hat – noch nicht die nötige Kraft. Und darum werden diese
Seelen leicht besiegt, auch wenn sie die Sehnsucht fühlen, Gott nicht zu
beleidigen, und obwohl sie gute Werke vollbringen. Wer in dieser Lage ist, der
muß, sooft er kann, Seine Majestät um Hilfe angehen, die gebenedeite Mutter als
Vermittlerin nehmen und seine Heiligen bitten, daß diese für ihn streiten, weil
den eigenen Dienern noch die Kraft mangelt, sich zu wehren. Wahrlich, immer und
überall sind wir darauf angewiesen, daß wir diese Kraft von Gott erhalten. Seine
Majestät möge sie uns schenken aus seiner Barmherzigkeit, Amen.
Wie erbärmlich ist das Leben, in dem wir uns regen. Da ich schon bei anderer
Gelegenheit viel davon gesprochen habe, wie sehr es uns schadet, meine Töchter,
wenn wir die Bedeutung der Demut und der Selbsterkenntnis nicht recht erfassen,
so will ich es hier damit bewenden lassen, obgleich diese Einsicht für uns das
Dringlichste ist. Der Herr gebe, daß ich etwas gesagt habe, was euch von Nutzen
ist.
Ihr werdet gewahren, daß in diese erste Wohnung noch beinahe nichts von jenem
Lichte dringt, das von dem Palast ausgeht, wo der König weilt. Sie ist zwar
nicht so finster und schwarz wie der Zustand einer Seele, die in Sünde lebt,
doch ist es auch hier irgendwie düster, so daß derjenige, der darin ist, das
Licht nicht sehen kann. Aber nicht das Gemach ist daran schuld – ich weiß nicht,
wie ich es verständlich machen soll –, sondern daß so viele böse Wesen, Nattern
und Ottern und anderes giftige Getier, mit der Seele herein gelangt sind und ihr
nun das Licht verdecken. Es ist, wie wenn jemand irgendwo hineinkommt, wo viel
Licht hereinfällt, doch seine Augen sind mit Lehm verschmiert, so daß er sie
kaum öffnen kann. Der Raum ist hell, aber die Seele genießt es nicht, weil
dieses wilde Getier sie daran hindert. Es zwingt sie, die Augen zu schließen,
damit sie nichts sieht außer diesen scheußlichen Wesen. So muß es wohl meines
Erachtens einer Seele gehen, die zwar nicht böse lebt, aber doch so tief in den
Dingen der Welt steckt, sich so voll gesogen hat mit Besitz oder Ehre oder
Geschäften, daß sie, obwohl sie wirklich den Wunsch hat, sich zu sehen und ihrer
eigenen Schönheit sich zu erfreuen, der Umgarnung durch so viel Hinderliches
anscheinend nicht entschlüpfen kann. Um in die zweite Wohnung gelangen zu
können, ist es sehr wichtig, daß man sich – soweit es der Stand erlaubt, dem man
angehört – bemüht, sich aller unnötigen Dinge und Geschäfte zu entledigen. Dies
ist so dringend erforderlich, daß ich es für unmöglich halte, es könne einer je
bis zur Hauptwohnung kommen, wenn er nicht damit den Anfang macht. Er wird sogar
in der Wohnung, wo er sich befindet, in großer Gefahr schweben, obwohl er ja
bereits in die Burg hereingekommen ist; denn unter so viel giftigem Gewürm ist
es undenkbar, daß er nicht den einen oder anderen Biß erhält.
Wie wäre es aber erst, Töchter, wenn Menschen, die schon frei sind von solchen
Hemmnissen, wie wir es sind – wenn wir, nachdem wir schon sehr viel tiefer, zu
anderen geheimen Wohnungen der Burg vorgedrungen sind, aus eigener Schuld
umkehren würden und wieder hinausgingen in jenen Tumult und Wirrwarr? Es gibt
sicher viele, denen Gott Gnaden erwiesen hat und die durch eigene Schuld sich
erneut in dieses Elend stürzen. Wir hier sind äußerlich frei – gebe Gott, daß
wir es auch innerlich sind. Möge er uns frei machen.
Hütet euch, meine Töchter, vor fremden Sorgen. Erkennt, daß es wenige Wohnungen
in dieser Burg gibt, wo die Dämonen den Kampf aufgeben. Es ist wahr: in einigen
sind die Wächter (das sind die Seelenkräfte, wie ich – glaube ich – bereits
gesagt habe) stark genug zum Streit. Doch es ist dringend nötig, daß wir stets
auf der Hut sind vor den Tücken des Satans und uns nicht überlisten lassen, wenn
er als Engel des Lichts sich uns zeigt; denn es gibt vielerlei Dinge, mit denen
er uns schaden kann. Schritt um Schritt schleicht er sich herein, und wir
erkennen das Unheil erst, wenn es bereits geschehen ist.
Ich sagte schon ein andermal, daß er wie eine lautlose Feile ist. Wir müssen ihn
deshalb gleich zu Beginn erkennen. Ich will ein Beispiel nennen, um euch dies
verständlicher zu machen. Einer Schwester flößt er ein heftiges Verlangen nach
Buße ein, so daß sie meint, sie finde keine Ruhe, wenn sie sich nicht foltere
und martere. Dieser Anfang ist gut. Wenn aber die Priorin geboten hat, ohne ihre
Erlaubnis keine Bußübungen zu machen, und der Satan in dieser Schwester nun die
Meinung weckt, einer so guten Sache zuliebe dürfe man wohl schon etwas wagen,
und wenn sie es heimlich so treibt, daß sie ihre Gesundheit ruiniert und gegen
die Ordensregel verstößt, dann seht ihr ja, wo dieser gute Anfang sein Ende
nimmt. Einer anderen gibt der Satan ein großes, eifriges Begehren nach
Vollkommenheit ein. Dieser Eifer ist sehr gut, doch es könnte so weit kommen,
daß ihr jeder kleine Fehler an ihren Schwestern als furchtbares Unheil
erscheint; daß sie darüber wacht, ob sie solche Fehlerchen begehen, und dann zur
Priorin rennt. Es könnte sogar vorkommen, daß sie vor lauter Eifer um die wahre
Frömmigkeit ihre eigenen Fehler übersieht. Und da die anderen ihr nicht ins Herz
blicken können, sondern nur sehen, wie sie aufpaßt, so könnte es sein, daß sie
darüber ungehalten werden.
Was der Satan hier anstrebt, ist nicht wenig: nämlich das Mitleid und die
gegenseitige Nächstenliebe abzukühlen. Gelänge es ihm, so wäre das ein großer
Schade. Laßt uns verstehen, meine Töchter, daß die wahre Vollkommenheit die
Liebe zu Gott und dem Nächsten ist und daß wir desto vollkommener werden, je
vollkommener wir diese zwei Gebote halten. Unsere ganze Ordensregel und ihre
Satzungen dienen nur als ein Mittel, damit wir diesen beiden Forderungen immer
mehr und immer besser entsprechen. Lassen wir darum alles fürwitzige Eifern, das
uns großen Schaden antun kann. Ein jeder schaue auf sich selber. Weil ich an
anderer Stelle euch hierüber genug gesagt habe, will ich nicht länger davon
reden.
Diese gegenseitige Liebe ist so wichtig, daß ich wollte, ihr würdet sie niemals
vergessen; denn wenn wir herumgehen und auf nichtige Kleinigkeiten blicken, die
wir an anderen auszusetzen haben und die manchmal gar keine Mängel sind, sondern
die wir vielleicht nur wegen unseres beschränkten Wissens als anstößig
betrachten, so kann unsere Seele den Frieden verlieren und sogar die der anderen
beunruhigen. Schaut, ob solche Vollkommenheit uns nicht zu teuer käme! Der Satan
könnte mit derlei Versuchungen auch der Priorin zusetzen – was noch gefährlicher
wäre. Da bedarf es vieler Klugheit. Geht es um Dinge, die gegen die Regel und
die Satzung sind, so darf man nicht alles ungerügt lassen, sondern muß sie
darauf hinweisen, und wenn sie sich nicht bessert, es dem Vorgesetzten melden.
Dies gebietet das Mitleid. Das gleiche gilt im Verhältnis zu den Schwestern,
wenn es sich um eine schwerwiegende Sache handelt. Alles geschehen zu lassen aus
der Furcht, es könnte eine Versuchung für uns sein, das wäre ebenfalls eine
Versuchung. Doch sollte man sehr darauf bedacht sein, nicht untereinander davon
zu reden; denn daraus könnte der Satan großen Gewinn schlagen und die Gewohnheit
der üblen Nachrede entstehen. Wie gesagt: Man sollte sich damit nur an
denjenigen wenden, der Abhilfe schaffen kann. Hier sind wir, Gott sei Dank,
dieser Gefahr nicht so sehr ausgesetzt, da wir beständiges Stillschweigen üben;
doch es ist gut, wenn wir auf der Hut sind.
DIE ZWEITE WOHNUNG
ERSTES KAPITEL
Laßt uns nun davon reden, welche Seelen es sind, die in die zweite Wohnung
eintreten, und was sie darin tun. Ich will mich dabei kurz fassen, denn anderswo
habe ich dies recht ausführlich dargelegt. Ich werde nicht umhinkönnen, vieles
davon zu wiederholen, weil ich mich nicht mehr genau erinnere, was ich damals
gesagt habe. Sollte ich es in wenig veränderter Form wieder aufwärmen, so weiß
ich jedenfalls, daß ihr euch nicht darüber ärgert. Wir werden ja auch nie der
Bücher müde, die davon handeln, obgleich es so viele gibt.
Es geht hier um diejenigen, die schon begonnen haben, das Gebet zu üben, und die
begriffen haben, wie wichtig es für sie ist, nicht in der ersten Wohnung zu
verweilen. Sie haben jedoch noch nicht die Entschlußkraft, daß sie darauf
verzichten könnten, sich öfters darin aufzuhalten. Sie geben die Gelegenheiten
zum Bösen noch nicht auf. Das ist recht gefährlich. Doch es ist eine große
Barmherzigkeit von Gott, daß sie zuweilen den Schlangen und anderen giftigen
Wesen zu entfliehen suchen und einsehen, wie gut es ist, sich von ihnen zu
entfernen.
Diese Seelen haben in mancher Hinsicht sehr viel mehr Leiden zu erdulden als die
vorher genannten, obwohl sie nicht in solch großer Gefahr schweben; denn es hat
den Anschein, als kennten sie die Gefährdungen schon, und es besteht große
Hoffnung, daß sie tiefer vordringen können. Ich sage, sie haben mehr Leiden zu
erdulden, weil die Erstgenannten jenen Stummen gleichen, die auch nicht hören
können und darum leichter die Qual ertragen, nicht reden zu können. Das fällt
denen viel schwerer, die wohl hören, aber nicht sprechen können. Trotzdem
wünscht man sich in dieser Lage nicht das Schicksal der anderen, die auch nicht
hören; denn schließlich ist es etwas Großes, das zu verstehen, was man uns sagt.
So vernehmen die Seelen, von denen wir hier reden, die Rufe, welche der Herr an
sie richtet. Da sie tiefer eingedrungen und dem Ort, wo Seine Majestät weilt,
näher gekommen sind, haben sie in Ihm, in seiner Barmherzigkeit und Güte, einen
sehr guten Nachbarn, auch wenn sie noch immer an unserem Getändel und unseren
Geschäften hängen und sich nicht frei gemacht haben von den Vergnügungen und
trügerischen Geschäften der Welt, auch wenn sie noch immer in Sünden fallen und
sich wieder daraus erheben. Die Tiere, die wild durcheinander wimmeln, sind so
giftig, und so gefährlich ist ihre Nähe, daß es ein Wunder ist, wenn sie einen
nicht straucheln lassen und zu Fall bringen. Doch dem Herrn liegt so viel daran,
daß wir ihn lieben und uns bemühen, zu ihm zu kommen, daß er nicht aufhört, uns
wieder und wieder zu rufen, damit wir zu ihm finden. Und diese Stimme ist so
lieblich, daß die arme Seele vergeht, wenn sie dann nicht tut, was die Stimme
ihr befiehlt. Und darum ist dies – wie gesagt – schmerzlicher, als wenn man sie
nicht hört.
Ich sage nicht, daß diese Stimme und diese Rufe den anderen gleichen, von denen
ich später reden werde. Die hier dringen zu uns aus Worten, die wir von guten
Menschen hören, oder aus Gebeten, aus der Lektüre guter Bücher sowie aus vielen
anderen Dingen, von denen ihr gehört habt, daß Gott durch sie die Menschen ruft:
seien es Krankheiten, Mühsale oder irgendeine Wahrheit, die er uns in den
Augenblicken lehrt, wo wir im Gebet sind. Möge dies noch so schwach sein – Gott
schätzt es hoch. Achtet auch ihr, meine Schwestern, diese erste Gnade nicht
gering, und verzagt nicht, wenn ihr dem Herrn nicht antworten könnt. Seine
Majestät ist geduldig genug, um viele Tage und Jahre zu warten, besonders wenn
er Beharrlichkeit und guten Willen sieht. Diese Ausdauer ist hier das
Wichtigste, denn mit ihr werden wir nie leer ausgehen, sondern reichen Gewinn
erlangen. Doch die Schlacht, welche die Dämonen uns hier mit tausenderlei Waffen
liefern, ist entsetzlich und schmerzlicher für die Seele als alles zuvor; denn
damals war sie stumm und taub – zumindest hörte sie sehr wenig – und leistete
weniger Widerstand, wie einer, der die Hoffnung auf den Sieg zum Teil schon
verloren hat. Hier dagegen ist die Vernunft lebendiger, die Geisteskräfte sind
wendiger, und die Hiebe sausen so heftig hernieder, die Geschütze donnern so
mächtig, daß die Seele es nicht mehr überhören kann. Hier lassen die Dämonen
alle Schlangengestalten der weltlichen Dinge einem vor Augen führen; alle
Befriedigungen, welche die Erde gewährt, lassen sie hier als etwas beinahe
Ewiges erscheinen : das Ansehen, das man auf ihr genießt, die Freunde und
Verwandten, die Gesundheit – vor allem dann, wenn man gerade Buße tut (denn
immer fühlt die Seele, die hier eintritt, am Anfang das Verlangen, sich einer
Buße zu unterwerfen). Solche und tausend andere Anfechtungen begegnen der Seele
hier.
O Jesus, welchen Tumult erregen da die Dämonen, und welche Qual befällt die arme
Seele, die nicht weiß, ob sie weitergehen oder in die erste Wohnung
zurückweichen soll. Die Vernunft freilich deckt ihr die Täuschung auf und gibt
ihr den Gedanken ein, daß all dies belanglos ist, verglichen mit dem, wonach sie
strebt. Der Glaube lehrt sie, was ihre Pflicht ist. Das Gedächtnis macht ihr
klar, wie all diese Dinge enden, indem es ihr den Tod solcher Menschen vor Augen
führt, welche die geschauten Dinge im Überfluß genossen hatten; indem es ihr
zeigt, wie manche jählings vor ihren Augen hingerafft worden waren und
schleunigst von allen vergessen wurden; wie Leute, die sie in großem Reichtum
gesehen hatte, unter den Boden kamen, wo jeder über sie hinwegging; wie auch sie
selber schon oft über die Gräber derjenigen hinweggegangen war, in deren Leibern
nun die Würmer wimmeln. Solche und viele andere Bilder kann die Erinnerung ihr
in den Sinn rufen. Der Wille neigt sich in Liebe dahin, wo er so unzählige Taten
und Zeichen der Liebe gesehen hat, und möchte sie mit etwas vergelten. Ganz klar
und deutlich zeigt sich ihr jedoch vor allem, wie dieser wahre Liebhaber sie nie
verläßt, sie treu begleitet, ihr Leben und Wesen schenkt. Dann eilt der Verstand
herbei, um ihr zu erklären, daß sie niemals einen besseren Freund gewinnen
könne, möge sie noch so viele Jahre leben; daß die ganze Welt voller Falschheit
sei und die Freuden, welche der Satan ihr darbiete, aus Mühsal, Sorgen und
Widersprüchen bestünden. Und er sagt ihr, daß sie gewißlich außerhalb dieser
Burg weder Sicherheit noch Friede finden würde; sie solle nicht länger in fremde
Häuser laufen, denn das ihre sei voller Güter, die sie genießen könne, wenn sie
nur wolle. Wen gibt es denn, der alles, was er braucht, gleichsam im eigenen
Hause findet und der vor allem einen solchen Gastgeber hat, welcher ihn zum
Herrn über alle Güter macht, unter der einen Bedingung, daß er nicht wie der
verlorene Sohn umherstreunen und vom Fraß der Schweine essen will?
Das sind Vernunftgründe, mit denen man die Dämonen überwinden kann. Doch – o
Herr und mein Gott! – die Gewöhnung an die eitlen Dinge und die Erfahrung, daß
alle Welt sich mit ihnen abgibt, verderben alles. Unser Glaube ist so tot, daß
wir mehr nach dem begehren, was wir sehen, als nach dem, was er uns verheißt; wo
wir doch in Wahrheit nichts als schlimmes Unheil an denen sehen, die diesen
sichtbaren Dingen nachgehen. Daran sind die giftigen Wesen schuld, mit denen wir
uns einlassen. Wird jemand von einer Viper gebissen, so vergiftet dieser Biß den
ganzen Leib, und er schwillt an. Genauso ist es hier, weil wir uns nicht
genügend vorsehen. Zur Heilung bedarf es natürlich vieler Kuren, und Gott
erweist uns eine große Gnade, wenn wir nicht daran zugrunde gehen.
Wahrlich, die Seele erlebt hier viele Leiden, vor allem wenn der Satan merkt,
daß sie durch ihre Veranlagung und ihre Sitten die Eignung besitzt, weit
voranzukommen. Da wird er die ganze Hölle versammeln, um sie wieder aus der Burg
zu vertreiben.
Oh, mein Herr! Hier ist eure Hilfe nötig; denn ohne sie können wir nichts tun.
Laßt es nicht zu, um eurer Barmherzigkeit willen, daß die Seele der Täuschung
erliegt und das Begonnene aufgibt. Erleuchte sie, damit sie erkennt, daß hierin
ihr ganzes Heil liegt, und sich von den bösen Gefährten trennt; damit ihr klar
wird, was für eine große, hochwichtige Sache es ist, mit Menschen umzugehen, die
nach demselben Ziele streben, und wie sehr es darauf ankommt, sich nicht nur an
die zu halten, die im gleichen Räume sind, wo sie sich selber befindet, sondern
auch an jene, von denen sie weiß, daß sie schon weiter zur Mitte vorgedrungen
sind. Dies wird ihr eine große Hilfe sein, und der Umgang mit ihnen kann dazu
führen, daß diese sie zu sich ziehen. Immer sei die Seele darauf bedacht, sich
nicht übermannen zu lassen; denn wenn der Satan sieht, daß sie fest entschlossen
ist, lieber das Leben und die Ruhe und alles, was er ihr bieten mag, zu
verlieren, als in die erste Wohnung zurückzukehren, so wird er sehr bald von ihr
ablassen. Sie sei mannhaft und gehöre nicht zu denen, die sich bäuchlings zum
Trinken hinwarfen, als man in die Schlacht zog (ich weiß nicht mehr, gegen wen).
Entschlossen möge sie den Kampf wider alle Dämonen wagen, in der Überzeugung,
daß es keine besseren Waffen gibt als die des Kreuzes. Ich habe es zwar schon
des öfteren gesagt, doch will ich es hier, um seiner Wichtigkeit willen, noch
einmal wiederholen: Man glaube ja nicht, daß es zu Beginn dieses Unternehmens
irgendwelche Annehmlichkeiten gebe. Dies wäre ein schlechtes Fundament für ein
solch herrliches, großes Bauwerk. Baut man aber auf Sand, so wird alles
einstürzen. Nie wird man das Unbehagen und die Versuchungen loswerden. Denn hier
sind noch nicht die Wohnungen, wo es Manna regnet. Die liegen weiter innen. Dort
schmeckt alles so, wie die Seele es sich wünscht, weil sie nichts anderes will,
als was Gott will. Es ist schon recht seltsam: Noch stecken wir in tausend
Schwierigkeiten und Unvollkommenheiten, und die Tugenden haben noch nicht einmal
das Laufen gelernt, weil sie ja eben erst sich angeschickt haben, das Licht der
Welt zu erblicken (Gott gebe, daß sie sich dazu angeschickt haben!) – schämen
wir uns da nicht, vom Gebet Genuß zu erwarten und uns über Dürre zu beklagen?
Niemals komme euch so ein Gedanke, Schwestern. Klammert euch an das Kreuz, das
euer Bräutigam auf sich nahm, und erkennet, daß dies euer Auftrag ist. Wer mehr
zu erleiden vermag, der leide mehr für ihn, und er wird umso mehr die Befreiung
erfahren. Das übrige betrachtet als etwas Beiläufiges, und sollte es der Herr
euch schenken, so dankt ihm dafür von Herzen.
Ihr meint vielleicht, ihr wäret wohl bereit und entschlossen, die äußeren Leiden
auf euch zu nehmen, wenn nur der Herr euch innerlich beschenkt. Seine Majestät
weiß besser, was gut für uns ist. Wir haben keinen Grund, ihm Ratschläge zu
geben, was er uns schenken soll; denn er kann mit Recht uns sagen, daß wir nicht
wissen, was wir bitten, Wer sich dem Gebet zu widmen beginnt – vergeßt das nie,
denn es ist sehr wichtig –, der muß allein danach streben, sich mit allem Fleiß
und Eifer, mit aller Entschlossenheit, deren er fähig ist, sich darauf
einzustellen, daß sein eigener Wille mit dem Willen Gottes übereinstimme. Und
nehmt es als ganz gewiß, daß hierin – wie ich euch später noch sagen werde –
alle höhere Vollkommenheit besteht, die man auf dem geistlichen Weg erlangen
kann. Wer das am vollkommensten vermag, der wird am meisten des Herrn teilhaftig
werden und ist am weitesten auf diesem Wege fortgeschritten. Denket nicht, daß
es hier außerdem seltsamgeheimnisvolle Rätselreden oder unerhörte und
unbegreifliche Dinge gibt; denn in dem Gesagten besteht unser ganzes Heil. Wenn
wir am Anfang irren und wünschen, daß der Herr nach unserem Willen verfährt und
uns führt, so wie wir uns das vorstellen – welche Festigkeit kann da dieses
Bauwerk besitzen? Bemühen wir uns, das zu tun, was an uns liegt, und hüten wir
uns vor diesem giftigen Gewürm; denn oft will der Herr, daß böse Gedanken uns
verfolgen und quälen, die wir nicht abschütteln können, so daß Dürre über uns
kommt. Zuweilen läßt er es sogar zu, daß das böse Getier uns beißt, damit wir
uns später besser in acht zu nehmen wissen, und um zu erproben, ob es uns sehr
bedrückt, wenn wir ihn beleidigt haben.
Darum laßt den Mut nicht sinken, wenn ihr einmal fallen solltet, und hört nicht
auf, vorwärts zu streben; denn auch diesen Sturz wird Gott zum Guten wenden, wie
es der Theriakverkäufer tut, der zuerst Gift trinkt, um zu beweisen, daß die
Arznei heilkräftig ist. Würden wir nirgends sonst wo unser Elend und den großen
Schaden erkennen, den uns das Umherstreunen einbringt, als in dieser Schlacht,
die wir durchzufechten haben, um uns wieder zu sammeln, so wäre dies schon
genug. Kann es etwas Schlimmeres geben, als daß wir uns in unserem eigenen Haus
nicht zurechtfinden? Wie können wir hoffen, in anderen Häusern Ruhe zu finden,
wenn wir sie im eigenen nicht zu finden vermögen? Selbst so große, so echte
Freunde und Verwandte wie unsere Seelenkräfte, mit denen wir immer, ob wir es
wollen oder nicht, zusammenleben müssen, scheinen mit uns im Streit zu liegen,
als wären sie verärgert durch die Feindschaft, mit der unsere Laster sie
befehdet haben. »Friede, Friede!« – mit diesem Wort, meine Schwestern, ermahnte
der Herr so oft seine Jünger. Denn glaubt mir: wenn wir ihn im eigenen Haus
nicht haben und nicht dafür sorgen, daß er darin herrscht, so werden wir ihn
auch in den fremden Häusern nicht finden. Macht endlich Schluß mit diesem
Streit! Um des Blutes willen, das er für uns vergossen hat, bitte ich
diejenigen, die noch nicht damit begonnen haben, in sich zu gehen; und die
anderen, die schon angefangen haben, flehe ich an, es damit nicht bewenden zu
lassen und nicht zurückzuweichen. Sie sollen bedenken, daß der Rückfall
schlimmer ist als der Fall. Meinen sie schon ihre Niederlage zu sehen, dann
sollten sie auf Gottes Barmherzigkeit vertrauen, nicht auf sich selbst. Und sie
werden sehen, wie Seine Majestät sie von Wohnung zu Wohnung führt und in das
Land bringt, wo die wilden Tiere sie weder anrühren noch müdehetzen können. Die
Seele macht sie vielmehr alle sich untertänig und spottet ihrer, und sie genießt
mehr Güter, als sie wünschen könnte, und zwar noch in diesem Leben, das sage ich
euch.
Schon am Anfang habe ich gesagt, daß ich bereits anderswo für euch beschrieben
habe, wie ihr euch in diesen Verwirrungen, die hier der Satan stiftet, verhalten
sollt. Nicht gewaltsam müßt ihr vorgehen, wenn ihr euch zu sammeln beginnt,
sondern mit Sanftheit, damit ihr es mit größerer Beständigkeit tun könnt. Ich
will hier nichts weiter dazu sagen, als daß es meines Erachtens sehr vorteilhaft
ist, sich mit erfahrenen Personen zu besprechen; denn manchmal werdet ihr
vielleicht meinen, daß Dinge, die notwendigerweise getan werden müssen, einen
schrecklichen Schaden anrichten. Der Herr wird alles zu unserem Nutzen lenken,
auch wenn wir niemanden finden, der uns belehren könnte – es sei denn, wir geben
es auf; denn gegen dieses Unheil gibt es kein Mittel (außer dem einen, daß man
von vorne beginnt), und die Seele erleidet von Tag zu Tag einen immer ärgeren
Verlust, und Gott gebe, daß sie es merkt.
Es könnte nun eine von euch auf den Gedanken kommen, wenn es etwas so Schlimmes
ist, wieder umzukehren, dann wäre es besser, niemals zu beginnen und außerhalb
der Burg zu bleiben. Ich sagte euch schon am Anfang – und der Herr selber sagt
es –, daß der, welcher sich in Gefahr begibt, darin umkommt und daß das Tor,
durch welches man in diese Burg eintritt, das Gebet ist. Der Gedanke, wir würden
in den Himmel kommen, ohne in uns zu gehen, ohne uns selber zu erkennen, unser
Elend zu bedenken, unsere Schuld vor Gott, und ohne ihn vielmals um Erbarmen zu
bitten, ist also töricht und widersinnig. Der Herr selber sagt: »Niemand kommt
zum Vater denn durch mich« (so heißt es, glaube ich; doch ich weiß es nicht
genau). Und ferner: »Wer mich sieht, der sieht meinen Vater.« Wenn wir ihn also
nie anschauen, wenn wir nie den Tod betrachten, den er für uns erlitten hat, nie
bedenken, was wir ihm schulden, so weiß ich nicht, auf welche Weise wir ihn
erkennen und in seinem Dienste Werke vollbringen könnten. Denn bringt
der Glaube keine Werke hervor und kommt zu diesen nicht der Wert der Verdienste
Jesu Christi, unseres Herrn, hinzu – welchen Wert könnten sie haben und wer
erweckte unsere Liebe zu diesem Herrn? Möge es Seiner Majestät gefallen, uns die
Einsicht zu geben, wieviel wir ihn gekostet haben, und uns erkennen zu lassen,
daß der Diener nicht mehr ist als der Herr; daß wir Werke schaffen müssen, um
uns seiner Herrlichkeit zu erfreuen, und daß es deshalb nötig ist zu beten,
damit wir nicht immer in Versuchung sind.
DIE DRITTE WOHNUNG
ERSTES KAPITEL
Was sollen wir denen, die durch Gottes Erbarmen diese Kämpfe siegreich bestanden
haben und beharrlich bis in die dritte Wohnung vorgedrungen sind, anderes sagen
als: »Selig der Mann, der den Herrn fürchtet?« Es ist keine geringe Gunst, daß
der Herr mich jetzt verstehen läßt, was der spanische Wortlaut dieses Verses
hier besagen will; denn für gewöhnlich fällt es mir nicht leicht, den rechten
Sinn eines solchen Textes zu begreifen. Wahrlich, mit Recht nennen wir diesen
Mann selig. Kehrt er nämlich nicht um, so geht er – soweit wir es verstehen –
auf sicherem Wege seiner Erlösung entgegen. Hier werdet ihr erkennen,
Schwestern, wie wichtig es ist, daß die Seele in den vorhergehenden Kämpfen den
Sieg erringt; denn ich halte es für gewiß, daß der Herr dann niemals säumen
wird, ihr die Sicherheit des Gewissens zu gewähren, und das ist keine geringe
Gabe. Ich sage »Sicherheit« und habe mich damit schlecht ausgedrückt; denn die
gibt es nicht in diesem Leben. Wenn ich davon rede, so müßt ihr verstehen, daß
ich es immer unter dem Vorbehalt meine: falls die Seele nicht aufhört, dem
eingeschlagenen Weg zu folgen.
Ein schlimmes, schmerzliches Unheil ist es, daß wir uns in diesem Leben stets so
verhalten müssen wie Menschen, vor deren Tor die Feinde liegen, so daß sie weder
schlafen noch essen können, ohne Waffen bei sich zu haben, und immer in der
Angst leben, die Gegner könnten irgendwo in die Festung einbrechen. O mein Herr
und mein Heil! Warum willst Du, daß man ein solch erbarmungswürdiges Leben
begehrt? Denn es ist unmöglich, darauf zu verzichten und Dich zu bitten, daß Du
uns ihm entreißest, wenn einen nicht die Hoffnung erfüllt, es für Dich zu
verlieren, es wahrhaftig in Deinem Dienste hinzugeben, und wenn einem die
Erkenntnis mangelt, daß dies Dein Wille ist. Wenn dies Dein Wille ist, mein
Gott, dann wollen wir mit Dir sterben, wie der heilige Thomas sagte; denn ohne
Dich zu leben, in der Furcht, Dich vielleicht für immer zu verlieren, das
bedeutet dasselbe wie oftmals zu sterben. Darum sage ich, Töchter, daß die
Seligkeit, um die wir bitten müssen, jenes Glück ist, schon jetzt in Sicherheit
bei den Seligen zu sein. Solange wir diese Angst im Herzen haben – welche Freude
könnte da der empfinden, dessen ganze Freude es ist, Gott zu erfreuen? Und
bedenkt, daß manche Heilige, die in schwere Sünde fielen, dieselbe und eine noch
viel größere Angst erfuhren. Und wir sind nicht sicher, daß Gott uns die Hand
reichen wird, damit wir dem Bösen entkommen und Buße tun wie sie, durch seinen
besonderen Beistand.
Wahrlich, meine Töchter, ich schreibe dies hier mit so viel Angst, daß ich nicht
weiß, wie ich es schreibe, noch wie ich überhaupt leben kann, wenn mir dies zu
Bewußtsein kommt, und das geschieht sehr oft. Bittet, meine Töchter, daß Seine
Majestät immer in mir lebe; denn tut der Herr das nicht – welche Sicherheit kann
es dann für ein so übel vergeudetes Leben wie das meine geben? Laßt euch durch
diese Erkenntnis nicht so bedrücken, wie ich es manchmal an euch beobachtet
habe, wenn ich dies zu euch sagte. Es schmerzt euch, weil es euer Wunsch ist,
ich wäre recht fromm gewesen. Und ihr habt recht damit; auch ich wollte dies
gern. Doch was soll ich tun, nachdem ich es allein durch meine eigene Schuld
vertan habe! Denn ich werde mich nicht über Gott beklagen, daß er mir nicht so
viel Hilfe geboten hat, wie ich gebraucht hätte, damit eure Wünsche sich
erfüllten. Ich kann das nicht ohne Tränen und ohne große Verwirrung sagen, weil
ich sehe, daß ich hier etwas für Menschen schreibe, die mich belehren könnten.
Eine harte Gehorsamspflicht ist es mir gewesen! Der Herr gebe – denn es
geschieht um seinetwillen –, daß es euch irgend etwas nützt. Bittet ihn, daß er
dieser elenden, anmaßenden Person verzeihe. Doch Seine Majestät weiß wohl, daß
ich mich nur seines Erbarmens rühmen kann und daß ich nicht aufhören kann, die
zu sein, die ich gewesen bin. Es gibt für mich keine andere Rettung, als mich an
ihn zu wenden und auf die Verdienste seines Sohnes und dessen jungfräulicher
Mutter zu vertrauen, deren Kleid ich unverdienterweise trage. Lobet ihn, meine
Töchter, die ihr ebenfalls dieses Kleid traget; denn ihr seid wahrhaftig die
Töchter dieser Herrin und müßt euch, da ihr eine solch gute Mutter habt, nicht
schämen, weil ich verderbt bin. Folget ihrem Beispiel und bedenkt, wie erhaben
die Größe dieser Herrin sein muß und wie groß das Glück, unter ihrer
Schutzherrschaft zu stehen; denn meine Sünden und die Art meines Wesens haben
nicht ausgereicht, diesem heiligen Orden auch nur das Geringste von seinem Glanz
zu nehmen.
Doch ich gebe euch den Rat, euch nicht deswegen in Sicherheit zu wiegen, weil
ihr zu diesen Töchtern gehört und eine solche Mutter habt. David war sehr
heilig, und ihr wißt ja, was Salomon gewesen. Haltet euch nichts zugut auf die
Abgeschlossenheit, in der ihr lebt, noch auf eure Bußübungen. Auch sollt ihr
euch nicht in Sicherheit wähnen, weil ihr immer von Gott redet, euch ständig im
Gebet übt, so fern von den weltlichen Dingen lebt und sie – wie ihr meint –
verschmäht. Das ist alles gut, doch es genügt nicht – wie ich schon sagte –, um
uns von der Angst zu befreien; und darum ruft euch oft diesen Vers in die
Erinnerung: »Beatus vir, qui timet Dominum.«
Ich weiß nicht mehr, was ich sagte; denn ich bin weit abgeschweift, und wenn ich
an mich selbst denke, so zerbrechen mir die Flügel, die ich brauchte, um etwas
Gutes zu sagen. Deshalb will ich jetzt damit aufhören und zurückkehren zu dem,
was ich euch über jene Seelen zu sagen begonnen hatte, die in die dritte Wohnung
gelangt sind und denen der Herr keine geringe, nein, eine sehr große Gnade
erwiesen hat, als er sie die ersten Schwierigkeiten überwinden ließ. Ich glaube,
solche Seelen gibt es – dank der Güte Gottes – viele auf der Welt. Ihr ernster
Wunsch ist es, Seine Majestät nicht zu beleidigen; selbst vor den läßlichen
Sünden nehmen sie sich in acht und lieben die Buße, die Stunden der inneren
Sammlung; sie machen einen guten Gebrauch von ihrer Zeit, üben sich in Werken
der Nächstenliebe, sind sehr zuchtvoll in ihrem Reden, ihrer Kleidung und der
Art, in der sie ihr Haus verwalten, falls sie eines haben. Wahrlich, ein Stand,
den man sich wünschen muß. Und es scheint keinen Grund zu geben, warum solchen
Seelen der Eintritt in die letzte der Wohnungen verwehrt werden sollte. Auch
wird der Herr es ihnen nicht verweigern, wenn es ihr Wunsch ist,
hineinzugelangen; denn sie sind wohl vorbereitet, die volle Gnade von ihm zu
empfangen.
O Jesus! Und wer würde sagen, daß er ein so großes Gut nicht wollte, vor allem
wenn er schon das größte Leid erlebt hat? Nicht ein einziger. Wir alle sagen,
daß wir es wollen, doch da noch mehr erforderlich ist, damit der Herr die Seele
ganz in Besitz nimmt, genügt es nicht, daß wir es sagen – genauso wenig wie es
bei dem Jüngling genügte, dem der Herr sagte, was er tun müsse, wenn er
vollkommen sein wolle. Seitdem ich von dieser dritten Wohnung zu reden begonnen
habe, ist mir dessen Gestalt vor Augen; denn wir sind tatsächlich in genau der
gleichen Lage. Für gewöhnlich haben die großen Dürrezeiten, die wir in unserem
Gebet erleben, hier ihre Ursache, wenngleich es freilich noch andere Gründe
dafür gibt. Verschiedene innere Leiden, von denen viele gute Seelen unerträglich
gepeinigt werden und an denen sie nicht die geringste Schuld haben (aus welchen
der Herr sie aber stets mit großem Gewinn hervorgehen läßt), will ich einmal
beiseite lassen; ebenso die Qualen solcher Menschen, die von der Melancholie und
anderen Krankheiten heimgesucht werden. Die Gerichte Gottes müssen wir überhaupt
außerhalb unserer Erörterung lassen. Die häufigste Ursache der Dürre ist jedoch
meines Erachtens das, was ich gesagt habe. Da diese Seelen von sich selbst
wissen, daß sie um nichts in der Welt eine Sünde begehen würden, daß viele von
ihnen nicht einmal ein läßliches Vergehen mit Bewußtsein sich zuschulden kommen
lassen und daß sie ihr Leben und ihren Besitz gut anwenden, können sie es nicht
mit Geduld ertragen, daß ihnen die Tür zu dem Raum verschlossen ist, wo unser
König weilt, für dessen Vasallen sie sich halten, und das sind sie ja
tatsächlich. Ein irdischer König mag viele Diener haben, und doch dürfen nicht
alle in seine Kammer eintreten. Geht hinein, meine Töchter, geht hinein in das
Innere. Kommt über eure kleinen, dürftigen Werke hinaus; denn um Christen zu
sein, müßt ihr das alles tun und noch viel mehr. Und es sei euch genug, daß ihr
Vasallen Gottes seid. Begehrt nicht so viel, daß ihr am Ende leer ausgeht.
Schaut die Heiligen an, die in die Kammer dieses Königs gelangt sind, und ihr
werdet den Unterschied erkennen, der zwischen ihnen und uns besteht. Fordert
nicht, was ihr nicht verdient habt; und es sollte uns nicht in den Sinn kommen,
so viel wir auch dienen mögen, daß wir dessen jemals würdig sein könnten – wir,
die wir Gott beleidigt haben.
O Demut, Demut! Ich weiß nicht, welche Versuchung ich in dieser Hinsicht fühle;
denn ich werde die Vermutung nicht los, daß es demjenigen, der diese Dürrezeiten
so bejammert, ein wenig an dieser Eigenschaft mangelt.
Die großen inneren Leiden, von denen ich gesprochen habe, lasse ich – wie gesagt
– beiseite; denn sie sind keineswegs nur ein Mangel an Andacht. Prüfen wir uns
selbst, meine Schwestern, oder es prüfe uns der Herr, der dies kann, auch wenn
wir es oft nicht einsehen wollen. Kommen wir also zu den Seelen, die so
rechtschaffen sind, und schauen wir, was sie Gott zuliebe tun. Da werden wir
erkennen, daß wir kein Recht haben, uns über Seine Majestät zu beklagen. Denn
wenn wir dem Herrn den Rücken kehren und traurig fortgehen, wie der Jüngling im
Evangelium, sobald er uns sagt, was wir tun müssen, um vollkommen zu sein – was
erwartet ihr dann vom Herrn, der den Preis nach dem Maß der Liebe zuteilen wird,
die wir für ihn hegen? Und diese Liebe, Töchter, darf nicht das Werk unserer
Einbildung sein, sondern sie muß durch Taten erwiesen werden. Denkt aber nicht,
daß der Herr unserer Werke bedarf; er braucht die Entschlossenheit unseres
Willens.
Uns, die wir ein geistliches Gewand tragen, das wir aus freien Stücken gewählt
haben; die wir alle weltlichen Dinge und unsere Habe ihm zuliebe verlassen haben
(seien es auch nur die Netze des heiligen Petrus gewesen; denn viel glaubt der
zu geben, welcher gibt, was er hat) – uns mag es so vorkommen, als sei alles
schon getan. Es ist eine recht gute Vorbereitung, wenn man standhaft darauf
beharrt und sich nicht zurückwendet zu dem Gewürm in den ersten Gemächern, auch
nicht mit begehrlichen Gedanken; denn wer sich aller irdischen Dinge entledigt
hat und in völligem Verzicht beharrt, wird gewißlich das erreichen, wonach er
strebt. Doch nur unter der Bedingung – merkt genau, was ich euch rate –, daß man
sich als nutzlosen Knecht betrachtet (wie es der heilige Paulus oder Christus
selber gesagt hat) und daß man nicht glaubt, man habe damit unseren Herrn
verpflichtet, einem solche Gnaden zu erweisen, sondern vielmehr der Überzeugung
ist, daß man als einer, der mehr empfangen hat, ihm um so größeren Dank
schuldet.
Was können wir für einen so großmütigen Gott denn tun, der für uns gestorben
ist, der uns erschaffen hat und uns das Wesen gibt? Müssen wir uns nicht
glücklich schätzen, wenn wir – ohne dafür neue Gnaden und Geschenke zu verlangen
– etwas von der Schuld abtragen, die wir ihm gegenüber haben, durch das, was er
getan hat in unserem Dienst? (Widerstrebend habe ich dieses Wort gebraucht, doch
es ist so: sein ganzes Erdenleben ist nichts anderes als ein Dienen gewesen.)
Achtet genau, meine Töchter, auf verschiedene Dinge, die hier angedeutet sind,
wenn auch verworren; denn ich weiß es nicht besser zu erklären. Der Herr wird es
euch zu verstehen geben, damit die Dürre euch den Gewinn der Demut bringt und
nicht Unruhe euch überkommt, wie es der Satan will. Und glaubt es: wo wahre
Demut herrscht, da wird Gott, auch wenn er niemals besondere Gaben gewährt,
einen Frieden und Einklang stiften, in dem ihr fröhlicher leben möget als
andere, denen Geschenke zuteil werden; denn oft gibt sie die göttliche Majestät,
wie ihr gelesen habt, den Schwächsten, von denen ich freilich glaube, daß sie
diese Gnaden nicht für die Stärke jener, die in der Dürre leben, zum Tausch
geben würden. Wir lieben die Freuden mehr als das Kreuz. Prüfe Du uns, Herr, der
Du die Wahrheit weißt, damit wir uns selbst erkennen.
ZWEITES KAPITEL
Ich habe manche, ja ich kann wohl sagen, ziemlich viele Menschen gekannt, die in
diesen Stand gelangten und viele Jahre in dieser Rechtschaffenheit und Harmonie
lebten, mit Leib und Seele, soweit dies zu erkennen war, und die hernach, wie
sie anscheinend bereits Herr über die Welt geworden waren – oder sich doch
zumindest gründlich deren Täuschung entzogen hatten –, durch Seine Majestät in
nicht sehr großen Dingen geprüft wurden und deshalb in solche Unruhe stürzten,
sich so bedrückt in ihrem Herzen fühlten, daß ich ihnen völlig hilflos und recht
ängstlich gegenüberstand. Ihnen Ratschläge zu geben, hat keinen Wert; denn da
sie schon so lange mit der Tugend zu tun haben, meinen sie, andere belehren zu
können, und glauben, mehr als berechtigt zu sein, sich über jene Dinge zu
härmen. Ich habe jedenfalls kein Mittel gefunden und finde auch jetzt keines,
mit dem solche Menschen zu trösten wären, außer dem einen, daß man ihnen zeigt,
wie viel Mitgefühl man für ihren Kummer hat. Man muß wirklich zusehen, wie sie
unter ihrem Elend leiden, und kann ihnen doch nicht widersprechen, weil sie sich
alle einig sind in dem Gedanken, daß sie dies für Gott erdulden. Darum kommen
sie auch nicht zu der Einsicht, daß ihre eigene Unvollkommenheit daran schuld
ist. Damit erliegen diese Menschen, die so weit fortgeschritten sind, einer
weiteren Täuschung. Daß sie darunter leiden, braucht einen nicht zu verwundern,
obwohl – nach meiner Ansicht – die Traurigkeit wegen solcher Dinge rasch
vorbeigehen muß. Denn oft will Gott, daß seine Erwählten ihre eigene
Armseligkeit fühlen, und entzieht ihnen darum ein wenig seine Gunst; mehr
braucht es für gewöhnlich nicht, damit wir sehr rasch zur Selbsterkenntnis
finden. Und dann versteht man diese Art von Prüfung; denn man erkennt klar und
deutlich seinen Fehler, so daß es einen manchmal mehr bekümmert, sehen zu
müssen, daß einem – ohne daß man dagegen aufkommen könnte – irdische und nicht
sehr wichtige Dinge genauso zu Herzen gehen wie dieses Leid. Das halte ich für
eine große Barmherzigkeit Gottes, und obwohl ein Fehler die Ursache ist,
bedeutet es einen großen Gewinn für unsere Demut.
Bei den Personen, von denen ich zuerst gesprochen habe, ist dies aber nicht der
Fall. In ihrem Herzen wird die eigene Unruhe von ihnen gebilligt, und sie hätten
darum auch gern, daß andere sie gutheißen. Ich will einige Beispiele nennen,
damit wir uns selber erkennen und uns prüfen, bevor der Herr uns prüft; denn es
würde sehr viel für uns bedeuten, wenn wir darauf vorbereitet wären und uns
zuvor selbst erkannt hätten.
Ein reicher Mensch, der weder Kinder noch sonst jemanden hat, dem zuliebe er
seinen Besitz erhalten wollte, verliert etwas von dieser Habe, aber nicht so
viel, daß der Rest, der ihm verbleibt, nicht dazu ausreichen würde, ihm das
Nötigste für seine Person und für sein Haus zu bieten; er hat vielmehr noch
immer mehr als genug. Wäre dieser Mensch nun so aufgeregt und ruhelos, als habe
er kein Stückchen Brot mehr zu essen – wie sollte unser Herr da von ihm fordern,
daß er um seinetwillen alles verlasse? Der Betreffende wendet ein, es tue ihm
nur leid, weil er es für die Armen bewahren wolle. Ich glaube, Gott ist mehr
daran gelegen, daß ich in das einwillige, was Seine Majestät tut, und daß ich
trotz meiner eigenen Absichten meine Seelenruhe bewahre. Gelingt einem das
nicht, weil der Herr einem noch nicht so nahe gekommen, dann ist das
verzeihlich; aber man sollte dann auch einsehen, daß einem diese Freiheit des
Geistes noch fehlt. Dadurch macht man sich bereit, daß der Herr sie einem gibt;
denn man wird ihn darum bitten.
Ein anderer Mann hat reichlich zu essen, ja im Überfluß. Da bietet sich ihm die
Gelegenheit, noch mehr Besitz zu erwerben. Nimmt er, was man ihm gibt – schön
und gut; doch wenn er sich darum abmüht und, nachdem er es bekommen hat, mehr
und immer mehr haben will, aus welch guter Absicht auch immer (denn die hat er
sicher, da es sich ja, wie gesagt, um lauter tugendhafte, dem Gebet ergebene
Personen handelt), so mag man dessen sicher sein, daß er niemals zu den
Wohnungen emporsteigen wird, die dem König am nächsten sind.
Das gleiche geschieht, wenn diese Menschen eine Geringachtung erfahren oder wenn
man ihre Ehre ein wenig schmälert. Gott erweist ihnen zwar die Gnade, daß sie es
oft mit Geduld ertragen können (denn er hilft sehr gern der Tugend vor der
Umwelt auf, damit nicht die Tugend selbst mit denen zu leiden habe, die sie zu
verkörpern scheinen; vielleicht auch deshalb, weil diese Menschen ihm gedient
haben, denn der Herr, unser Heil, ist sehr gut), aber dennoch erfüllt sie eine
solche Unruhe, die sie völlig aus der Fassung bringt und der sie sich nicht so
rasch entwinden können. Ach Gott, sind dies nicht dieselben Menschen, die schon
seit so langer Zeit in der Betrachtung leben, wieviel der Herr gelitten hat, wie
gut das Leiden ist, und die sich selber sogar danach sehnen? Sie hätten gern,
daß alle ein solch maßvolles, ordentliches Leben führen wie sie, und Gott gebe,
daß sie nicht denken, die Pein, die sie erleiden, rühre von fremder Schuld her,
und daß sie es sich in ihren Gedanken nicht noch als Verdienst anrechnen.
Ihr werdet nun meinen, ich wiche von meinem Vorsatz ab und redete nicht mehr zu
euch, weil diese Dinge ja bei uns nicht zu finden sind; weil wir weder einen
Besitz haben noch ihn begehren, noch uns darum bemühen, und weil auch niemand
uns beleidigt. Darum sind diese Gleichnisse auch nicht wörtlich zu nehmen. Es
sind daraus viele andere Dinge, die geschehen können, zu entnehmen; Dinge, die
wir lieber nicht näher bezeichnen wollen. Dazu besteht auch kein Grund. Mit
Hilfe dieser Gleichnisse werdet ihr erkennen, ob auch keine Faser mehr von dem
an euch ist, was ihr verlassen habt; denn es zeigen sich kleine Dinge – wenn
auch nicht von genau derselben Art –, die euch sehr gut erproben und erkennen
lassen, ob ihr Herrinnen eurer Leidenschaften seid. Und glaubt mir, daß es nicht
darauf ankommt, ob man ein geistliches Gewand trägt oder nicht, sondern darauf,
daß man danach trachtet, die Tugenden tätig zu üben und unseren Willen dem
Willen Gottes in allem anheimzugeben; daß nichts anderes die Ordnung unseres
Lebens sei, als was Seine Majestät verfügt, und daß wir nicht wünschen, daß
unser Wille, sondern daß sein Wille geschehe. Sind wir aber noch nicht so weit
gelangt, dann heißt es, wie gesagt, Demut wahren; Demut, die eine Salbe für
unsere Wunden ist; denn wenn sie in Wahrheit vorhanden ist, so wird – mag es
auch eine Weile anstehen – der göttliche Wundarzt kommen, um uns zu heilen.
Die Bußübungen, die diese Seelen machen, sind so maßvoll wie ihr ganzes Leben,
das ihnen lieb und wert ist, weil sie unserem Herrn damit dienen wollen – was
alles nicht schlecht ist. Deshalb sind sie auch mit großer Klugheit darauf
bedacht, bei diesen Übungen ihrer Gesundheit nicht zu schaden. Fürchtet nicht,
daß sie sich dabei umbringen könnten. Ihre Vernunft ist klar in sich gefestigt.
Noch ist die Liebe nicht da, die einen der Vernunft entreißt. Doch ich wollte,
wir hätten sie, damit wir uns nicht begnügen, auf diese Weise Gott zu dienen:
immer langsam, Schrittchen um Schrittchen; denn so nimmt der Weg für uns nie ein
Ende. Und da wir immer weiterzugehen meinen und dabei müde werden – denn glaubt
mir, es ist ein anstrengender Weg –, so ist es ein großes Glück, wenn wir
unterwegs nicht zugrunde gehen. Meint ihr, Töchter, wenn wir den Weg von einem
Land in ein anderes in acht Tagen zurücklegen könnten, daß es dann gut wäre,
wenn wir uns dazu ein Jahr lang in Schenken, im Schnee und Regen und auf
schlechten Straßen herumtreiben würden? Wäre es nicht besser, es auf einmal
hinter sich zu bringen? Denn all diese Unannehmlichkeiten erwarten uns sonst,
und wir sind von Schlangen bedroht. Oh, wie genau könnte ich euch das
beschreiben! Und Gott gebe, daß ich selbst darüber hinaus bin; denn recht oft
will mir das Gegenteil scheinen.
Weil wir uns so bedachtsam und wohlüberlegt bewegen und uns vor allem fürchten,
darum setzt uns alles zu, kränkt uns und tut uns weh, und darum wagen wir nicht,
vorwärts zu schreiten, und tun so, als ob wir zu diesen Wohnungen gelangen
könnten, während andere den Weg für uns gehen. Das ist unmöglich. Laßt uns alle
Kraft zusammennehmen, meine Schwestern, aus Liebe zum Herrn. Übergeben wir
unsere Vernunft und unsere Ängste seinen Händen und vergessen wir die natürliche
Schwäche, die uns viel zu schaffen machen kann. Die Sorge für unseren Leib
sollen die Vorgesetzten tragen. Komme, was da mag – wir wollen nur unserem Herrn
entgegeneilen, um ihn zu schauen. Denn obwohl die Bequemlichkeit, die ihr habt,
gering ist – falls sie überhaupt vorhanden ist –, könnte euch doch die Sorge um
eure Gesundheit betrügen, und zwar um so ärger, weil diese dadurch nicht besser
wird. Das habe ich erfahren, und überdies weiß ich, daß es nicht auf den Körper
ankommt – das ist das wenigste –, sondern darauf, daß wir den Weg beschreiten in
großer Demut. Habt ihr das verstanden, wird euch auch klar sein, warum ich
glaube, daß hier das Übel derer zu suchen ist, die nicht weiterkommen. Es muß
uns vorkommen, als hätten wir erst wenige Schritte getan. Das sollen wir
glauben. Und es möge uns scheinen, als eilten unsere Schwestern uns mit
geschwinden Schritten voraus. Auch sollen wir es nicht nur wünschen, sondern
dafür sorgen, daß man uns als die Armseligste von allen ansieht.
Halten wir es so, dann ist dieser Zustand vortrefflich; andernfalls werden wir
jedoch unser ganzes Leben lang darin stecken bleiben, unter tausend Kümmernissen
und Erbärmlichkeiten. Denn weil wir uns selbst noch nicht aufgegeben haben, ist
der Weg sehr mühsam und beschwerlich. Hart lastet auf uns die Erde unseres
Elends, von der jene nicht mehr bedrückt werden, die zu den höheren Gemächern
emporsteigen. Dort versäumt es der Herr nicht, gerecht, ja barmherzig zu
belohnen; denn er gibt immer sehr viel mehr, als wir verdient haben, und schenkt
uns Freuden, die viel größer sind als jene, die uns die Annehmlichkeiten und
Zerstreuungen des Lebens gewähren können. Ich denke aber nicht, daß er uns viele
Wonnen zuteil werden läßt, außer das eine oder andere Mal, um die Seelen
einzuladen. Da läßt er sie schauen, was in den übrigen Wohnungen geschieht, auf
daß sie sich rüsten, um dort hineinzugelangen.
Ihr werdet wohl meinen, daß Freuden und Wonnen ein und dasselbe seien, und
werdet fragen, warum ich die beiden Begriffe unterscheide. Nach meiner Ansicht
gibt es da einen sehr großen Unterschied. Ich kann mich auch täuschen. Was ich
darunter verstehe, werde ich bei der vierten Wohnung sagen, welche die nächste
ist. Da die Wonnen, die der Herr dort schenkt, ein wenig erklärt werden müssen,
ist es dort mehr am Platz. Erscheint es auch unnütz, so kann es doch von einigem
Vorteil sein, wenn ihr erkennt, was das eine und was das andere ist, und danach
euch bemühen könnt, dem Besseren nachzugehen. Und es ist ein großer Trost für
die Seelen, daß Gott solches tut, und zugleich eine Verwirrung für jene, die
meinen, daß sie alles haben. Sind sie demütig, so muß es sie zum Dank bewegen.
Mangelt es ihnen daran irgendwie, so wird es ihnen innerlich einen sinnlosen
Verdruß bereiten. Denn die Vervollkommnung besteht nicht in den Wonnen, sondern
darin, daß man mehr liebt – dem entspricht auch der Lohn – und daß man gerechter
und wahrhaftiger handelt.
Ihr werdet euch fragen, wozu es dann gut sei, von diesen inneren Gnaden zu reden
und sie zu erklären, wenn dies wahr ist (und es ist wahr). Ich weiß es nicht.
Man frage den, der mir befohlen hat, dies zu schreiben; denn es ist nicht mein
Amt, mit den Ordensvorstehern zu disputieren, sondern zu gehorchen, und anders
wäre es auch nicht gut. Was ich euch in Wahrheit sagen kann, ist dies: Als ich
jene inneren Gnaden noch nicht empfangen hatte, wußte ich weder aus Erfahrung
davon, noch dachte ich überhaupt daran, es je im Leben erfahren zu können (und
mit Recht, es wäre mir ja schon eine große Befriedigung gewesen, zu wissen oder
zu vermuten, daß ich Gott in irgend etwas gefallen könnte). Als ich damals in
den Büchern von diesen Gnaden und Tröstungen las, die der Herr den Seelen, die
ihm dienen, zuteil werden läßt, freute es mich ungemein, und es war mir ein
Anlaß, daß meine Seele Gott überschwänglich lobte. Wenn meine, die doch so
verderbt war, dies tat, so werden ihn die guten und demütigen Seelen noch viel
mehr preisen. Und schon um einer einzigen willen, die ihn lobt, ist es meines
Erachtens sehr gut, daß man es ausspricht und daß wir die Freuden und die Wonnen
erkennen, die uns durch unsere eigene Schuld verloren gehen; um so mehr, als
diese Erquickungen, wenn sie von Gott kommen, Liebe und Stärke mit sich bringen,
die uns das Gehen erleichtern und uns wachsen lassen in unseren guten Werken und
Tugenden. Denkt nicht, daß es wenig darauf ankommt, ob wir etwas dazu tun. Wenn
der Mangel nicht an uns liegt – der Herr ist gerecht, und Seine Majestät wird
euch auf anderen Wegen das zukommen lassen, was er euch auf diesem nimmt, ganz
nach seinem Wissen; denn seine Geheimnisse sind unerforschlich. Ohne Zweifel
wird er uns zumindest immer das schenken, was uns am meisten frommt.
Meines Erachtens wäre es sehr nützlich für uns, die wir durch Gottes Güte in
diesem Stande sind (denn, wie gesagt, der Herr erweist den Seelen damit nicht
wenig Erbarmen, daß sie nun nahe davor sind, weiter emporsteigen zu können),
wenn wir die schnelle Bereitwilligkeit des Gehorsams recht erlernten. Und auch
für Menschen, die nicht dem geistlichen Stande angehören, wäre es sehr wichtig,
jemanden zu haben, bei dem man sich Weisung holen kann (wie es viele Personen
tun), um in nichts nach dem eigenen Willen zu handeln; denn darin liegt die
Ursache unseres Schadens. Dazu sollte man nicht einen anderen Menschen von
gleicher Gemütsart suchen; also keinen, der mit der gleichen tastenden
Zaghaftigkeit sich bewegt, sondern man sollte sich jemanden verschaffen, der
sich von nichts Irdischem mehr blenden und täuschen läßt. Denn der Umgang mit
einem Menschen, der die Welt schon kennt, trägt viel dazu bei, daß wir uns
selber erkennen. Und wenn wir sehen, daß manche Dinge, die uns unmöglich
erscheinen, anderen sehr wohl möglich sind; wenn wir gewahren, wie leicht und
gelassen diese es vollbringen, so ermuntert uns das sehr, und es ist, als ob
wir, wenn wir sie fliegen sehen, selber zu fliegen wagten, genau wie
Vogelkinder, die das Fliegen lernen. Können sie sich auch nicht gleich in die
Weite schwingen, so ahmen sie doch ganz allmählich ihre Eltern nach. Das ist
eine große Hilfe; ich habe es selbst erfahren. Richtig ist es auch, wenn solche
Menschen, trotz all ihrer Entschlossenheit, den Herrn nicht zu beleidigen, sich
nicht in Gelegenheiten begeben, wo sie das tun könnten. Sie sind noch nicht weit
entfernt von den ersten Wohnungen, und so könnte es leicht geschehen, daß sie
dorthin Zurückgehen, weil ihre Stärke noch nicht auf so festem Boden gegründet
ist wie die Kraft derer, die schon im Leiden erfahren sind, die Stürme der Welt
kennen und wissen, wie wenig diese zu fürchten und wie wenig deren Freuden zu
begehren sind. Und es wäre möglich, daß sie durch eine harte Verfolgung
zurückgetrieben werden. Denn der Satan versteht es wohl, dergleichen
anzustiften, um uns zu schaden, so daß wir im guten Eifer, andere von ihren
Sünden zu befreien, selber den Dingen nicht zu widerstehen vermöchten, die uns
dabei begegnen könnten.
Schauen wir auf unsere eigenen Fehler und lassen wir die fremden; denn es
geschieht oft, daß solche Menschen, die so ordentlich leben, vor allem und jedem
erschrecken. Dabei könnte es vielleicht sein, daß wir von demjenigen, über den
wir bestürzt sind, im Wesentlichsten wohl etwas zu lernen vermöchten und daß wir
ihm nur in der äußeren Haltung und im Benehmen überlegen sind. Das ist aber
nicht das Wichtigste, obwohl es etwas Gutes ist. Es gibt auch keinen Grund,
warum wir wünschen sollten, alle möchten unseren Weg gehen, oder weshalb einer,
der selber vielleicht keine Ahnung hat, was für eine Sache das ist, sich nun
anschicken sollte, den Weg des Geistes zu lehren. Aus dem von Gott uns
eingegebenen Verlangen nach dem Heil der Seelen können wir, meine Schwestern,
viele Irrtümer begehen. Es ist darum besser, wenn wir uns an das halten, was
unsere Regel sagt: »Immer in Schweigen und Hoffnung leben zu wollen.« Denn der
Herr selber wird für seine Seelen besorgt sein. Wenn wir nicht nachlassen, Gott
anzuflehen, so erweisen wir ihnen damit durch seine Gunst einen großen Dienst.
Er sei gepriesen in Ewigkeit.
DIE VIERTE WOHNUNG
ERSTES KAPITEL
Ehe ich nun von der vierten Wohnung zu reden beginne, muß ich das tun, was ich
schon früher tat: mich dem Heiligen Geiste anvertrauen und ihn anflehen, er möge
von nun an durch mich reden, so daß ich von den nächsten Räumen etwas zu sagen
vermag, was ihr verstehen könnt; denn hier fangen die übernatürlichen Dinge an,
und es ist höchst schwierig, sie begreiflich zu machen, falls nicht Seine
Majestät es tut, wie schon einmal, vor ungefähr vierzehn Jahren, bei einem
anderen Buch, in dem niedergeschrieben wurde, was ich bis dahin erfahren hatte.
Obwohl es mir scheint, als ob die Gnaden, die der Herr manchen Seelen erweist,
mir heute ein wenig klarer wären, ist es doch noch etwas anderes, dies auch
ausdrücken zu können. Seine Majestät tue es, wenn es irgendeinen Wert haben
soll; und wenn nicht, dann eben nicht.
Da diese Wohnung dem Orte näher ist, wo der König weilt, ist ihre Schönheit
groß, und es gibt dort so feine Dinge zu sehen und zu verstehen, daß der
Verstand sich nicht auszudenken vermag, wie man mit Worten es so ausdrücken
könnte, daß es für die, welche keine Erfahrung haben, wenigstens nicht völlig
dunkel bleibt; denn wer es selbst erlebt hat, wird es recht gut verstehen, vor
allem wenn er über eine große Erfahrung verfügt. Es mag nun so scheinen, als
müsse man, um in diese Wohnung zu gelangen, vorher lange Zeit in anderen gelebt
haben. Obwohl es das übliche ist, daß man zunächst in den Räumen gewesen sein
muß, von denen wir eben gesprochen haben, so ist dies doch keine starre Regel,
wie ihr wohl schon des öfteren gehört habt; denn der Herr gibt seine Güter, wann
er will und wie er will und wem er will. Das bedeutet für niemanden eine
Kränkung.
Nur selten dringen in diese Wohnung die giftigen Wesen ein, und wenn sie
hereingelangen, so richten sie doch keinen Schaden an, sondern bringen eher
Gewinn. Und ich halte es für viel besser, wenn sie hereinkommen, um uns zu
befehden, solange wir auf dieser Stufe des Gebets sind; denn wenn es keine
Anfechtung gäbe, so könnte uns der Satan trotz den von Gott geschenkten Wonnen
betrügen und uns sehr viel mehr Schaden zufügen. Die Seele hätte nicht soviel
Gewinn, weil dann zumindest all das ihr vorenthalten bliebe, was ihr Gelegenheit
bieten sollte, sich Verdienste zu erwerben. Sie würde so in einer ständigen
Versenkung belassen, die ich, wenn sie in einem fortdauert, für nicht ganz
geheuer halte; denn es scheint mir unmöglich, daß der Geist des Herrn anhaltend
hier bei uns in der Verbannung weilt.
Doch ich möchte nun über das reden, von dem ich euch sagte, daß ich es hier
erklären würde: nämlich den Unterschied, der zwischen den Freuden im Gebet und
den Wonnen besteht. Freuden oder Befriedigungen kann man nach meiner Meinung
jene glücklichen Empfindungen nennen, die wir durch unsere Meditation und durch
die Bitten, die wir an unseren Herrn richten, erlangen. Sie entstammen also
unserer Natur, wenn auch letztlich Gott dazu beiträgt (denn man sollte bei
allem, was ich sage, im Auge behalten, daß wir ohne ihn nichts vermögen). Doch
sie sind die Frucht, die unmittelbar aus dem tugendhaften Werk erwächst, das wir
vollbringen; und es scheint, daß wir sie durch unsere Mühe selber erworben
haben. Mit Recht empfinden wir ja ein freudiges Gefühl der Befriedigung, weil
wir uns solchen Dingen gewidmet haben. Doch wenn wir es uns überlegen – dieselbe
Freude und Befriedigung werden wir auch über allerlei andere Dinge empfinden,
die uns auf Erden begegnen: etwa über ein großes Vermögen, das jemand sich über
Nacht beschafft; beim überraschenden Anblick eines Menschen, den wir sehr
lieben; beim erfolgreichen Abschluß eines wichtigen Geschäftes, eines
bedeutsamen Werkes, das allgemeine Anerkennung findet; oder wenn man unverhofft
den totgesagten Ehemann, Bruder oder Sohn gesund und munter daherkommen sieht.
Ich habe gesehen, wie Menschen vor lauter Freude Tränen vergossen; und auch mir
selbst ist es gelegentlich so gegangen. Und ich meine, daß die Befriedigungen,
welche uns durch die göttlichen Dinge zuteil werden, ebenso natürlich sind wie
jene, nur sind sie von edlerer Abkunft (was keineswegs heißt, daß die anderen
schlecht wären). Kurz und gut: die Befriedigungen oder Freuden im Gebet beginnen
in unserer eigenen Natur und enden in Gott; die Wonnen dagegen beginnen in Gott,
und die Natur empfindet sie und genießt sie genauso sehr wie die Freuden, ja
noch viel mehr. O Jesus, wie sehr wünschte ich, dies erklären zu können; denn
ich glaube hier einen deutlichen Unterschied zu erkennen, aber mein Wissen
reicht nicht aus, ihn verständlich zu machen. Möge der Herr es tun.
Jetzt erinnere ich mich eines Verses, den wir in der Prim zum Schluß des letzten
Psalmes sagen. Dieser endet mit den Worten: »Cum dilatasti cor meum.« Wer viel
Erfahrung besitzt, dem genügt dies, um den Unterschied zu sehen, der zwischen
den beiden Empfindungsarten besteht. Wer keine Erfahrung hat, der benötigt dazu
einiges mehr. Die Freuden, von denen wir gesprochen haben, erweitern nicht das
Herz; meistens scheinen sie es eher ein wenig zusammenzupressen, trotz aller
Befriedigung, die man über das empfindet, was man Gott zuliebe getan hat. Es
kommen einem dabei einige Tränen der Betrübnis, die anscheinend irgendwie von
der Leidenschaft ausgelöst werden. Ich weiß wenig von diesen Leidenschaften der
Seele (sonst würde ich es vielleicht verstehen) und von dem, was aus der
Sinnlichkeit und aus unserer Natur kommt; denn ich bin sehr unwissend. Ich
könnte mich verständlich machen, wenn ich mein eigenes Erleben begriffe. Wissen
und Kenntnisse sind wichtig in jeder Hinsicht. Was ich aus eigener Erfahrung von
diesem Zustand, das heißt: von den Geschenken und Befriedigungen in der
Meditation weiß, ist nur das eine, daß ich, wenn ich bei der Betrachtung der
Passion zu weinen begann, nicht aufhören konnte, bis mir der Kopf zersprang;
weinte ich wegen meiner Sünden, so war es dasselbe. So reiche Gnaden hat mir
unser Herr erwiesen, daß ich jetzt nicht untersuchen möchte, welche davon nun
die beste sei, die eine oder die andere; ich wollte nur gern den Unterschied,
der zwischen beiden besteht, zum Ausdruck bringen. Die Tränen und das Sehnen
werden hierbei manchmal von der Natur unterstützt, je nach der Stimmung, in der
wir uns befinden. Aber schließlich finden sie, wie gesagt, trotzdem ihr Ziel in
Gott. Und man muß es als etwas Hohes schätzen, falls auch die Demut vorhanden
ist, die einsieht, daß man deshalb nicht besser ist; denn es ist nicht zu
erkennen, ob alles Wirkungen der Liebe sind, und wenn ja, ob sie von Gott
eingegeben ist. Meist sind es die Seelen in der vorigen Wohnung, die eine solche
Art der Andacht haben; denn sie sind fast ständig mit der Bemühung um
Verständnis beschäftigt, sie überlegen, meditieren; und sie tun recht daran,
weil ihnen nicht mehr gegeben ist. Freilich wäre es gut für sie, wenn sie sich
auch eine Weile damit befassen würden, Taten zu vollbringen, Gott zu loben und
sich seiner Güte zu freuen; wenn sie froh darüber wären, daß er ist, wer er ist,
und seine Ehre und seinen Ruhm wünschten. Nach bestem Können sollte man dies
tun, denn es ermuntert den Willen sehr. Und man hüte sich ja davor, wenn der
Herr einem dieses andere aufgibt, es zu versäumen, um nur ungestört die gewohnte
Meditation beenden zu können.
Weil ich hierüber anderswo des langen und breiten gesprochen habe, will ich dazu
nichts weiter sagen. Ich möchte auch nur darauf hinweisen, daß es, wenn man auf
diesem Wege gut vorankommen und zu den ersehnten Wohnungen emporsteigen will,
nicht darauf ankommt, viel zu denken, sondern viel zu lieben. Darum tut das, was
am meisten Liebe in euch erweckt. Vielleicht wissen wir aber gar nicht, was
Lieben ist. Das würde mich nicht sehr wundern; denn es besteht nicht in dem
größeren Genuß, sondern in der größeren Entschlossenheit, Gott in allem erfreuen
zu wollen, sich mit allen Kräften darum zu bemühen, daß wir ihn nicht
beleidigen, und ihn zu bitten, daß die Ehre und der Ruhm seines Sohnes sowie das
Wachstum der katholischen Kirche stets Vorrang vor allem anderen habe. Das sind
die Zeichen der Liebe. Aber glaubt nicht, ihr dürftet nun an überhaupt nichts
anderes mehr denken, und es sei alles verloren, wenn ihr euch ein wenig
zerstreut.
Ich habe mich manchmal sehr verängstigt in diesem Tumult des Denkens
umherbewegt, und es ist wohl kaum mehr als vier Jahre her, daß ich durch
Erfahrung zu der Erkenntnis kam, daß das Denken oder die Einbildungskraft – um
es verständlicher zu sagen – nicht der Verstand ist. Ich fragte einen Gelehrten,
und der bestätigte es mir, was mich nicht wenig befriedigte. Denn da der
Verstand eine der Seelenkräfte ist, kam es mich hart an, daß er zuweilen so
unbeholfen, so wenig flügge war, während das Denken für gewöhnlich so schnell
umherfliegt, daß nur Gott es aufzuhalten vermag, wenn er uns so fesselt, daß wir
irgendwie von diesem Leibe losgelöst zu sein scheinen. Es kam mir vor, als sähe
ich die Kräfte der Seele Gott hingegeben und bei ihm versammelt, während
gleichzeitig das aufgeregt umherflatternde Denken mich völlig wirr machte.
O Herr, halte uns zugute, was wir aus Unwissenheit auf diesem Wege alles
durchmachen! Das schlimme daran ist, daß wir, weil wir meinen, wir müßten nur an
Dich denken und brauchten nichts zu wissen, nicht einmal die zu fragen
verstehen, die das Wissen haben; und daß wir überhaupt nicht begreifen, daß man
fragen muß. So erleben wir schreckliche Leiden, weil wir uns selbst nicht
verstehen, und halten das, was nicht schlecht, sondern gut ist, für eine große
Schuld. Daher stammen die Kümmernisse, unter denen viele Menschen leiden, die
sich dem Gebet widmen. Hier ist der Grund jener Klagen über innere Beschwerden
(zumindest eines großen Teils von ihnen), die man von Leuten ohne erlerntes
Wissen hört. Und daher kommen die Schwermutsanwandlungen, der Schwund der
Gesundheit. Dies kann manchmal so weit führen, daß man alles aufgibt, nur weil
man nicht bedenkt, daß es im Innern eine eigene Welt gibt. Genausowenig wie wir
die Bewegung des Himmels aufzuhalten vermögen, der schnell mit seiner ganzen
Geschwindigkeit dahinzieht, können wir unser Denken aufhalten. Wir bringen es
mit den Kräften der Seele durcheinander und meinen, wir seien verloren und die
Zeit vergeudet, die wir vor Gott zubringen. Dabei ist die Seele vielleicht ganz
bei ihm versammelt, in der Wohnung, welche dicht in seiner Nähe ist, während das
Denken sich im Vorgelände der Burg umhertreibt unter tausend wilden, giftigen
Tieren leidet und durch dieses Leiden sich Verdienste erwirbt. Deshalb sollten
wir uns dadurch nicht aus der Fassung bringen lassen und sollten unser Vorhaben
nicht aufgeben, denn das bezweckt der Satan damit. Meist kommen alle Unruhen und
Schwierigkeiten daher, daß wir uns selbst nicht erkennen.
Während ich dies schreibe, denke ich über das nach, was in meinem Kopf vor sich
geht: jenes Dröhnen, von dem ich eingangs gesprochen habe und das es mir beinahe
unmöglich gemacht hat, meinem Auftrag mit dieser Niederschrift nachzukommen. Es
klingt genauso, als wären darin viele wasserreiche Flüsse und als stürzten diese
Wasser alle in die Tiefe. Es ist wie das Durcheinanderzwitschern vieler kleiner
Vögel, und zwar nicht in den Ohren, sondern im oberen Teil des Kopfes, wo – wie
es heißt – der höhere Teil der Seele ist. Ich habe darüber recht lange
nachgedacht, weil es mir schien, daß die große Bewegung des Geistes schnell nach
oben drang. Gott gebe, daß ich mich daran erinnere, die Ursache hierfür zu
nennen, wenn wir von den nächsten Wohnungen sprechen; denn hier fügt es sich
nicht gut. Es wäre nicht verwunderlich, wenn der Herr mir dieses Kopfleiden
gegeben hätte, damit ich dies besser verstehe; denn trotz des Getöses, das damit
verbunden ist, hindert es mich weder beim Gebet noch bei der jetzigen Darlegung;
die Seele ist vielmehr sehr gesammelt in ihrer Ruhe, ihrer Liebe, ihrem Wollen
und voll klarer Erkenntnis.
Wenn also im oberen Teil des Kopfes der höhere Teil der Seele ist – wie kann es
da sein, daß jenes Rauschen sie nicht stört? Das weiß ich nicht; aber ich weiß,
daß es wahr ist, was ich sage. Es tut weh, wenn ich nicht im Gebet der
Entrückung bin; denn solange dieses anhält, fühlt man kein Übel. Doch es wäre
sehr schlimm, wenn ich wegen dieser Beschwerlichkeit alles aufgeben würde. Auch
wäre es nicht gut, wenn wir uns durch die Gedanken verwirren ließen. Wir sollten
uns nichts daraus machen; denn wenn der Satan sie uns eingibt, so wird er schon
einmal damit aufhören; wenn sie aber – wie es in Wirklichkeit der Fall ist – von
dem Elend herkommen, das uns von Adams Sünde her anhaftet, wie so vieles andere,
dann laßt uns Geduld haben und es erleiden aus Liebe zu Gott.
Wir sind ja auch dem Zwang unterworfen, essen und trinken zu müssen, ohne uns
ihm entziehen zu können, und das ist eine schlimme Plage. Erkennen wir also
unser Elend und sehnen wir uns dorthin, wo niemand uns verächtlich macht.
Manchmal kommt mir das Wort in den Sinn, das ich einmal gehört habe – ein Wort,
das die Braut im Hohenliede sagt. Und wirklich, ich finde im ganzen Leben
nichts, worauf es sich mit mehr Recht anwenden ließe; denn alle Erniedrigungen
und Leiden, die einem im Leben widerfahren mögen, scheinen mir nicht an die Qual
dieser inneren Kämpfe heranzureichen. Jede Unruhe und jeden Streit kann man –
wie gesagt – erdulden, wenn wir dort, wo wir wohnen, Ruhe finden. Doch wenn wir
ausruhen wollen von den tausend Drangsalen, die es in der Welt gibt, wenn der
Herr uns die Rast bereiten will und etwas, das in uns selber ist, uns diese
verwehrt, so muß das für uns sehr schmerzlich und beinahe unerträglich sein.
Darum, Herr, führe Du uns dahin, wo diese Erbärmlichkeiten, die manchmal der
Seele zu spotten scheinen, uns nicht mehr verhöhnen können. Schon in diesem
Leben befreit uns der Herr davon, sobald wir in die letzte Wohnung gelangt sind.
Davon werde ich noch reden, wenn es Gott gefällt.
Nicht alle werden von diesen Nöten so sehr heimgesucht und so gepeinigt, wie es
mir während vieler Jahre geschah, weil ich so verderbt war, daß es schien, als
wollte ich mich an mir selber rächen. Doch weil es für mich so peinigend war,
denke ich, daß es vielleicht auch euch so gehen könnte. Und darum sage ich euch
nur immer und immer wieder, um es euch vielleicht doch einmal verständlich zu
machen, daß dies etwas Unumgängliches ist, was euch nicht beunruhigen und
bekümmern sollte. Lassen wir also diese Klappermühle ruhig weiterrattern, und
mahlen wir unbeirrt unser Mehl, indem wir die Tätigkeit unseres Willens und
unseres Verstandes nicht aufgeben.
Je nach dem Gesundheitszustand und der Witterung macht sich dieses Hindernis
mehr oder weniger bemerkbar. Die arme Seele erdulde es, auch wenn sie daran
unschuldig sein mag. Wir machen uns in anderen Dingen schuldig, und deshalb ist
es recht und billig, daß wir uns in Geduld fassen. Und weil das, was wir an
Ratschlägen aus Büchern entnehmen – nämlich daß wir uns nicht um diese Gedanken
kümmern sollen –, für uns, die wir wenig wissen, nicht genügt, so scheint mir
die Zeit, die ich daran rücke, um es euch etwas näher zu erklären und euch
deswegen zu trösten, nicht vergeudet zu sein. Doch solange der Herr uns nicht
erleuchten will, nützt es wenig. Aber es ist nötig, und der Herr wünscht es, daß
wir etwas unternehmen, um uns selber zu erkennen, damit wir nicht der Seele die
Schuld an Dingen zuschreiben, die das Werk unserer schwachen Einbildungskraft,
unserer Natur und des Satans sind.
ZWEITES KAPITEL
Mein Gott, auf was habe ich mich da eingelassen! Ich habe bereits vergessen,
wovon ich sprach; denn die Geschäfte und mein Gesundheitszustand zwingen mich,
damit aufzuhören, wenn ich gerade im besten Zuge bin. Und weil ich ein schwaches
Gedächtnis habe, wird alles verworren herauskommen. Da ich es nicht noch einmal
durchlesen kann, ist vielleicht sogar das Ganze ein wildes Durcheinander. Aber
es ist darin zumindest das ausgedrückt, was ich empfinde.
Ich glaube, ich sprach von den geistlichen Tröstungen. Da sie zuweilen
eingehüllt in unsere Leidenschaften erscheinen, sind sie manchmal von heftigem
Schluchzen begleitet; ja ich habe sogar von einigen Personen gehört, daß sich
ihnen dabei die Brust zusammenpreßt und daß es selbst zu unwillkürlichen äußeren
Bewegungen kommen kann, die so heftig sind, daß ihnen das Blut aus der Nase
rinnt und ähnliche unangenehme Dinge sich einstellen. Davon kann ich nichts
berichten, da ich es nicht erlebt habe. Doch es muß uns letztlich ein Trost
sein; denn – wie gesagt – es endet alles in dem Wunsch, Gott zu gefallen und
sich Seiner Majestät zu erfreuen.
Was ich die Wonnen Gottes nenne (anderswo habe ich es Gebet der Ruhe geheißen),
ist von ganz anderer Art. Ihr, die es durch Gottes Erbarmen erfahren habt,
werdet es verstehen. Stellen wir uns, um es besser zu erfassen, zwei
Brunnenbecken vor, die sich mit Wasser füllen. Ich finde nämlich nichts, was zur
Erklärung mancher geistigen Dinge geeigneter wäre als eben das Wasser, und zwar
deshalb, weil ich wenig weiß und der Verstand mir nicht weiterhilft, und auch
weil ich dieses Element so liebe, daß ich es mit mehr Aufmerksamkeit betrachtet
habe als andere Dinge; denn in allen, die ein so großer, so weiser Gott
erschaffen hat, dürfte es wohl viele Geheimnisse geben, aus denen wir Nutzen
ziehen können. Und das tun auch die Menschen, die es verstehen; obgleich ich
glaube, daß es in jedem winzigen Ding, das Gott erschaffen hat – und sei es eine
winzige Ameise –, mehr gibt, als wir begreifen können.
Diese zwei Brunnenbecken nun füllen sich auf verschiedene Weise. Bei dem einen
kommt das Wasser von weither durch viele Röhren, mittels kunstvoller
Vorrichtungen; das andere aber ist unmittelbar dort erbaut, wo das Wasser
entspringt, und es füllt sich völlig lautlos. Ist die Quelle reichhaltig, wie
die, von der wir reden, so fließt, wenn das Becken gefüllt ist, ein starker Bach
daraus hervor. Man braucht da keine Kunst, und der Zufluß versiegt nicht,
sondern immer quillt Wasser daraus hervor. Das durch Röhren herbeigeleitete
Wasser gleicht meines Erachtens den Befriedigungen, von denen ich gesagt habe,
daß wir sie durch die Meditation erlangen; denn wir leiten sie mittels der
Gedanken herbei, indem wir uns in der Beschauung der erschaffenen Dinge bedienen
und dabei den Verstand ermüden. Und wenn es endlich dank unseren Anstrengungen
kommt, so stürzt es in tosendem Schwall herein, falls es – wie gesagt – die
Seele so füllen soll, daß es ihr Nutzen bringt.
Dem anderen Brunnen strömt das Wasser unmittelbar vom Quellort zu – nämlich von
Gott –, und sowie Seine Majestät nach eigenem Gefallen eine übernatürliche Gnade
erweisen will, quillt es friedvoll und mit größter Ruhe und Sanftheit aus dem
tiefsten Inneren unseres eigenen Wesens empor – ich weiß weder wo noch wie. Auch
fühlt man jene Freude und Wonne nicht wie die irdischen Glücksgefühle im Herzen
(ich meine, nicht gleich zu Beginn; denn später erfüllen sie alles). Dieses
Wasser läuft über und durchströmt alle Wohnungen und Seelenkräfte, bis es zum
Körper gelangt. Darum sagte ich, daß es in Gott beginnt und in uns endet; denn
wirklich, der ganze äußere Mensch genießt dieses Wohlgefühl und diese Sanftheit,
wie derjenige wissen wird, der es erfahren hat.
Als ich eben dieses schrieb, habe ich daran gedacht, daß es in dem Vers, den ich
vorher anführte, heißt: »Dilatasti cor meum«, was besagen will, daß das Herz
sich weitete. Doch, wie gesagt, ich habe den Eindruck, daß es etwas ist, das
nicht im Herzen entspringt, sondern anderswo, noch weiter innen, wie aus einer
Tiefe. Ich nehme an, daß es im Zentrum der Seele sein muß (wie ich später
erkannt habe und wovon ich am Schluß noch reden werde). Denn wahrlich, ich sehe
Geheimnisse in uns selbst, die mich oft erschreckt haben. Und wieviel mehr wird
es geben! Oh, mein Herr und mein Gott, wie groß ist Deine Herrlichkeit! Und wir
laufen hier herum wie dumme Hirtenstoffel. Wir meinen, wir erfassen etwas von
Dir, und dabei ist es gewiß so viel wie nichts; denn in uns selber sind große
Geheimnisse, die wir nicht verstehen. Ich sage: »So viel wie nichts«, im
Vergleich zu der unendlichen Vielfalt, die in Dir ist; nicht weil ich glaubte,
die Herrlichkeit, wie sie noch in Deinen Werken für uns sichtbar ist, sei nicht
sehr groß und erhaben.
Doch zurück zu dem Vers. Was mir darin für unseren Fall eine Hilfe zu bieten
scheint, ist der Ausdruck jener Erweiterung. Es scheint also, daß das himmlische
Wasser jener Quelle, von der ich sprach, wenn es der Tiefe unseres Wesens
entquillt, sich ausbreitet, unser ganzes Inneres ausweitet und vielerlei Güter
hervorbringt, die sich nicht nennen lassen. Nicht einmal die Seele kann
verstehen, was es ist, das ihr da geschenkt wird. Sie gewahrt einen Duft – so
wollen wir einmal sagen –, als befinde sich in jenem inneren Abgrund ein
Glutbecken, auf das man wohlriechende Räucherstoffe streute. Man sieht nicht die
Glut, und man weiß auch nicht, wo sie ist; doch die Wärme und der duftende Rauch
durchziehen die ganze Seele, und oftmals ist – wie ich schon gesagt habe – auch
der Körper davon nicht ausgeschlossen. Versteht mich recht: man fühlt dabei
keine Wärme und riecht auch keinen Duft; denn es ist etwas Köstlicheres als
diese Dinge. Ich wollte es euch damit nur verständlich machen. Wer es noch nicht
erlebt hat, der soll wissen, daß es sich wirklich und wahrhaftig so ereignet.
Man versteht es klarer, die Seele erfaßt es deutlicher, als ich es jetzt
ausgesprochen habe. Denn es gehört nicht mehr zu dem, was man sich einbilden
kann. Wir mögen uns noch so sehr anstrengen, so können wir es doch nicht
erlangen. Und an eben dieser Tatsache ist zu sehen, daß es nicht von unserem
Metalle ist, sondern aus jenem allerreinsten Gold der göttlichen Weisheit. Hier
sind die Kräfte der Seele – wie mir scheint – nicht vereint. Hingerissen und
gleichsam erschrocken schauen sie, was das ist.
Es könnte sein, daß ich bei der Darstellung dieser innerlichen Dinge etwas in
Widerspruch mit dem gerate, was ich anderswo gesagt habe. Das wäre kein Wunder;
denn in beinahe fünfzehn Jahren, die vergangen sind, seitdem ich darüber
schrieb, hat der Herr mich vielleicht diese Dinge etwas klarer sehen lassen, als
ich sie damals zu erkennen vermochte. Und heute wie damals kann ich in allem
irren, aber nicht lügen; denn ich würde – durch Gottes Barmherzigkeit – lieber
tausendmal sterben. Ich sage es, wie ich es verstehe.
Der Wille – so scheint mir – muß wohl in gewisser Weise mit Gottes Willen
vereint sein. Doch an den Wirkungen und Werken, welche die Folge davon sind,
erkennt man diese Wahrheiten des Gebets. Es gibt keinen besseren Prüfstein. Sehr
groß ist die Gnade unseres Herrn, wenn derjenige, welcher sie empfängt, sie auch
erkennt, und ein Zeichen großer Gunst ist es, wenn die Seele nicht wieder
zurückgeht. Ihr, meine Töchter, werdet nun danach streben, diese Art des Gebets
zu erlangen. Und ihr tut recht daran; denn – wie gesagt – die Seele kann nie die
Gnaden ganz ermessen, die der Herr ihr da erweist, und vermag nicht die Liebe zu
begreifen, mit der er sie zu sich zieht. Wahrlich, es muß unser Wunsch sein, zu
erfahren, wie wir diese Gnade erlangen. Ich werde euch sagen, was ich davon
begriffen habe.
Reden wir nicht von dem Fall, wo es dem Herrn gefällt, sie zu erteilen, weil es
ihm gefällt und aus keinem anderen Grund. Er weiß, weshalb. Wir haben uns nicht
dareinzumischen. Nachdem wir getan haben, was die Seelen in der vorigen Wohnung
tun, heißt die Losung: Demut, Demut. Durch sie läßt sich der Herr alles
abringen, was wir von ihm wollen. Wenn ihr diese Tugend habt, so erkennt ihr
dies zuerst daran, daß ihr nicht denkt, ihr hättet diese Gnaden und Wonnen des
Herrn verdient, und auch nicht meint, ihr könntet sie je in eurem Leben
verdienen. Ihr werdet mich fragen: »Ja, wie soll man sie dann erlangen, wenn man
sie nicht erstrebt?« Darauf antworte ich, daß es kein besseres Verhalten gibt
als das, welches ich euch nannte: nämlich nicht danach zu trachten. Und zwar aus
folgenden Gründen: 1. Weil das erste, was dazu nötig ist, darin besteht, Gott
ohne Eigennutz zu heben. 2. Weil es nicht gerade ein Zeichen von Demut ist, zu
denken, wir könnten durch unsere erbärmlichen Dienste etwas so Großes erwerben.
3. Weil die richtige Vorbereitung dafür die Sehnsucht nach dem Leiden ist, also
das Verlangen, dem Beispiel des Herrn zu folgen, und nicht der Wunsch, daß wir,
die wir ihn doch beleidigt haben, Wonnen erfahren mögen. 4. Weil Seine Majestät
sich zwar verpflichtet hat, uns die ewige Seligkeit zu schenken, falls wir seine
Gebote halten, aber nicht dazu verpflichtet ist, uns solche Wonnen zu gewähren.
Denn wir brauchen sie nicht zu unserer Erlösung; und er weiß besser, was für uns
gut ist und wer ihn wirklich hebt. Das ist gewißlich so, das weiß ich. Und ich
kenne Menschen, die den Weg der Liebe gehen, wie sie sollen, allein um ihrem
gekreuzigten Christus zu dienen, und die nicht nur keine Wonnen erbitten oder
sie ersehnen, sondern ihn wirklich und wahrhaftig anflehen, sie ihnen in diesem
Leben nicht zu geben. 5. Weil wir uns vergeblich abmühen, da man dieses Wasser
nicht durch Röhren herbeileiten kann, wie das vorige, und es darum wenig nützt,
daß wir uns müderackern, wenn die Quelle es nicht von selber gibt. Damit will
ich sagen: Wir mögen uns noch so sehr der Meditation hingeben, bis zur
Erschöpfung darum ringen und noch so viele Tränen vergießen, so fließt dieses
Wasser doch nicht hervor. Es wird nur dem geschenkt, dem Gott es geben will, und
oft gerade dann, wenn die Seele am wenigsten daran denkt.
Wir sind sein, Schwestern; er mache mit uns, was er will. Er führe uns, wohin es
ihm beliebt. Und ich glaube fest, daß dem, welcher sich wirklich demütigt und
sich von allen Wünschen losmacht (ich sage »wirklich«, denn nicht nur in
Gedanken soll es geschehen, sondern wir müssen uns völlig frei gemacht haben) –,
daß dem der Herr diese Gnade und viele andere, die wir nicht einmal zu ersehnen
wissen, nicht vorenthalten wird. Er sei gelobt und gepriesen in Ewigkeit, Amen.
DRITTES KAPITEL
Die Wirkungen dieses Gebets sind mannigfach. Einige davon will ich nennen. Zuvor
möchte ich jedoch von einer anderen Art des Gebetes reden, welche dieser fast
immer vorausgeht. Weil ich anderswo schon darüber gesprochen habe, will ich mich
kurz fassen. Es ist dies eine innere Sammlung, die mir ebenfalls übernatürlich
zu sein scheint, denn sie beruht nicht darauf, daß man sich im Dunkel aufhält
oder die Augen schließt, oder auf sonst irgend etwas Äußerlichem. Ohne daß man
es will, geschieht es da, daß einem die Augen zugehen und man die Einsamkeit
ersehnt; und ohne künstliche Bemühungen scheint das Gehäuse für das vorhin
besprochene Gebet errichtet zu werden. Die Sinne und äußeren Dinge scheinen mehr
und mehr an Recht zu verlieren, da die Seele ihr verlorenes Privileg in
wachsendem Maß zurückgewinnt.
Es heißt, daß die Seele in sich gehe; und bei anderen Gelegenheiten sagt man,
daß sie sich über sich selbst erhebe. Mit dieser Ausdrucksweise könnte ich
nichts erklären; denn ich beherrsche sie nicht gut. So wie ich es ausdrücke,
werdet ihr es, glaube ich, wohl verstehen. Vielleicht dient es auch nur mir
selber. Stellt euch also vor, die Sinne und Seelenkräfte, die – wie gesagt – die
Bewohner dieser Burg sind (dieses Beispiel habe ich gewählt, um überhaupt etwas
sagen zu können) – diese Bewohner wären hinausgegangen und trieben sich
tagelang, jahrelang mit Fremden herum, mit den Feinden dieser Burg. Nachdem sie
einmal draußen sind, gewahren sie endlich ihre Verlorenheit und nähern sich
wieder der Burg. Sie gehen zwar nicht wieder hinein – denn die Gewohnheit des
Umherstreunens läßt sich schwer überwinden, doch sind sie keine Verräter mehr
und streifen rings um den Wall herum. Und wie der große König, der in dieser
Burg wohnt, ihren guten Willen sieht, will er sie in seiner großen
Barmherzigkeit wieder zu sich holen. Wie ein guter Hirte mit einem sanften
Pfeifen lockt, so sanft, daß sie es beinahe selber nicht gewahren, läßt er sie
seine Stimme hören, damit sie nicht länger verloren umherirren, sondern zu
seiner Wohnung zurückkehren. Und eine solche Macht hat das Pfeifen des Hirten,
daß sie die Dinge draußen, welche sie entfremdet hatten, liegen und stehen
lassen und sich in die Burg begeben.
Mir scheint, daß ich es nie so verständlich gemacht habe wie jetzt. Es ist eine
große Hilfe, wenn Gott einem diese Gnade erweist, damit man ihn im Inneren suche
(wo er besser zu finden ist als in den Geschöpfen und wo die Begegnung uns mehr
Nutzen bringt – wie der heilige Augustinus sagt, der ihn fand, nachdem er ihn
vielerorts gesucht hatte). Aber denkt nicht, es könne durch den Verstand
erworben werden, indem man sich bemüht, sich Gott im eigenen Inneren zu denken,
oder man schaffe es mit der Einbildungskraft, indem man sich ausmalt, wie er in
uns ist. Das ist recht und gut und eine hilfreiche Form der Meditation; denn sie
ist auf Wahrheit begründet, auf der Wahrheit, daß Gott in uns selber ist. Doch
das ist es nicht, was ich hier meine. Denn in dieser Weise zu meditieren, das
kann jeder – Gottes Beistand immer vorausgesetzt. Aber was ich meine, vollzieht
sich auf andere Weise. Denn manchmal befindet sich dieses Schloßgesinde, bevor
es noch an Gott zu denken begonnen hat, bereits in der Burg; und ich weiß weder
wo noch wie es das Pfeifen seines Hirten hörte, das nicht mit den Ohren zu
vernehmen ist. Denn es ist nicht zu hören, aber man hat das deutliche Gefühl,
als werde man sanft in das Innere zurückgezogen. Wer es erlebt, wird es
gewahren. Ich kann es nicht besser erklären. Ich glaube gelesen zu haben, daß es
wie bei einem Igel oder bei einer Schildkröte ist, wenn sie sich einziehen. Wer
das geschrieben hat, der hat es wohl gut verstanden. Doch während diese Tiere
sich in sich zurückziehen, wann sie wollen, haben wir es nicht in der Hand, den
Zustand, von dem wir reden, nach Belieben herbeizuführen. Er tritt nur ein, wenn
Gott uns diese Gnade erweisen will. Und ich habe den Eindruck, als ließe Seine
Majestät, wenn Er es tut, es solche Menschen erfahren, die sich schon
angeschickt haben, den Dingen der Welt den Abschied zu geben. Ich sage damit
nicht, daß diejenigen, die in einem Stande leben, der dies nicht zuläßt, die
Trennung vom Irdischen tatsächlich vollzogen haben müßten. Ihre Sehnsucht danach
ist es, was den Herrn veranlaßt, sie eigens zu rufen, damit sie auf die inneren
Dinge achten. Und darum glaube ich, daß Seine Majestät, wenn wir Ihn nur tun
lassen, demjenigen, den Er einmal zum Höheren gelockt hat, nicht nur dies zum
Geschenk machen wird.
Es lobe Ihn von Herzen, wer dies in sich erfährt; denn er hat allen Grund, die
Gnade zu erkennen. Und der Dank, den wir dafür entrichten, wird uns zur
Vorbereitung für andere, noch größere Gunstbeweise. Die Voraussetzung dafür ist
– so rät man uns in manchen Büchern –, daß wir nicht mit den Gedanken hin und
her schweifen, sondern aufmerksam auf das schauen, was der Herr in der Seele
wirkt. Doch wenn Seine Majestät noch nicht begonnen hat, uns an sich zu ziehen,
so weiß ich – obwohl verschiedene geistliche Personen hierüber schon reichlich
debattiert haben – nicht recht, wie wir dem Denken Einhalt gebieten könnten,
ohne daß dies uns mehr schadete als nützte. Und ich bekenne meine geringe Demut,
indem ich erkläre, daß sie noch nie ein Argument vorgebracht haben, das mich
hätte überzeugen können. Einer führte ein gewisses Buch des heiligen Bruders
Pedro de Alcäntara an (den ich so nenne, weil ich glaube, daß er wirklich ein
Heiliger ist). Ihm würde ich mich beugen, denn er wußte es. Wir lasen daraufhin
das Buch, und es ist darin dasselbe gesagt, was ich behaupte, wenn auch nicht
mit den gleichen Worten. Aber es ist daraus zu ersehen, daß die Liebe zuvor
erwacht sein muß. Es mag sein, daß ich mich täusche. Doch für mich sind folgende
Gründe bestimmend:
Erstens: In diesem Werk des Geistes tut der am meisten, der am wenigsten zu tun
denkt und tun will. Was wir zu tun haben, ist, daß wir bitten, so wie arme
Bedürftige einem großen und reichen Herrscher ihre Bitten vorbringen, und daß
wir dann zu Boden blicken und in Demut warten. Wenn wir meinen, die geheimen
Wege Gottes ließen uns erkennen, daß er uns hört, dann ist es gut, wenn wir
schweigen; denn er hat uns gestattet, in seiner Nähe zu sein. Und es wäre nicht
schlecht, wenn wir danach trachteten, nicht mit dem Verstand zu arbeiten – falls
uns dies möglich ist, meine ich. Doch solange wir noch nicht wissen, ob dieser
König uns gehört hat oder ob er uns sieht, sollten wir uns nicht so anstellen,
als hätten wir keine Vernunft. Solch ein Bemühen treibt die Seele in schlimme
Torheit und läßt sie noch mehr verdorren. Vielleicht wird die Phantasie durch
die gewaltsame Anstrengung, mit der man sich dazu gezwungen hat, nichts zu
denken, sogar noch unruhiger. Der Herr will aber, daß wir ihn bitten und uns
seine Gegenwart bewußt machen; denn er weiß, was uns zukommt. Bei Dingen, vor
denen Seine Majestät anscheinend eine Grenze gezogen hat und die er sich selber
vorbehalten will, kann ich mich nicht zu menschlichen Anstrengungen überreden.
Vieles hat er uns überlassen, was wir mit seiner Hilfe und nach dem Maß unserer
armseligen Kräfte tun können, so die Bußübungen, die guten Werke und das Gebet.
Der zweite Grund: Diese innerlichen Wirkungen sind alle sanft und ruhig; und
etwas Peinvolles zu tun, schadet eher, als daß es nützt. Peinvoll nenne ich es,
wenn wir uns selber irgendwie Gewalt antun wollen. Dies ist genauso eine Pein,
wie wenn wir den Atem anhalten würden. Wir sollen vielmehr die Seele den Händen
Gottes überlassen – mag er mit ihr machen, was er will –, so sorglos und
unbekümmert um ihren Vorteil, wie wir nur immer sein können, und völlig ergeben
in den Willen Gottes.
Der dritte Grund ist, daß gerade die Sorge, die man darauf verwendet, nichts zu
denken, vielleicht den Verstand dazu anregt, viel zu denken.
Der vierte: Für Gott ist es das Wichtigste und Erfreulichste, daß wir uns seiner
Ehre und Herrlichkeit erinnern und uns selber, unseren Vorteil, was wir
geschenkt bekommen und an Wonnen erfahren mögen, vergessen. Denn wie kann der
sich selber vergessen haben, der vor lauter Sorge sich nicht zu rühren wagt und
seinem Verstand und seinen Wünschen es nicht erlaubt, daß sie sich regen und
nach der höheren Ehre Gottes sich sehnen oder sich an seiner sichtbaren Glorie
freuen? Wenn Seine Majestät will, daß der Verstand von seinem Tun abläßt, so
beansprucht er ihn auf andere Weise und schenkt der Erkenntnis eine Erleuchtung,
die so erhaben ist über das, was wir von uns aus zu erreichen vermögen, daß der
Verstand hingerissen verharrt. Und da erfährt er, ohne zu wissen wie, eine
Unterweisung, die sehr viel besser ist als alles, was er mit seinem Eifer, der
ihn nur immer tiefer in die Verlorenheit stürzt, je erlangen könnte. Denn Gott
hat uns die Seelenkräfte gegeben, daß wir mit ihnen arbeiten und eine jede ihren
Lohn erlangt. Es gibt keinen Grund, weshalb wir sie mit einem lähmenden Bann
belegen sollten. Wir wollen sie vielmehr ihres Amtes walten lassen, bis ihnen
der Herr eine höhere Aufgabe zuweist. Nach meiner Erfahrung ist es für die
Seele, welche der Herr in diese Wohnung eingelassen hat, am besten, wenn sie –
wie gesagt – versucht, ohne jede Gewalt und ohne Lärm das Hin- und Herschweifen
des Verstandes zu zügeln, ohne das Denken und den Verstand deshalb außer Kraft
setzen zu wollen. Der Verstand sollte sich vielmehr darauf besinnen, daß er vor
Gott steht, und sich das Wesen dieses Gottes vergegenwärtigen. Wird er von dem,
was er in sich spürt, ganz gefangen – schön und gut. Aber er trachte nicht
danach, zu verstehen, was dies ist, denn dem Willen wurde dies geschenkt. Ihn
lasse er genießen, ohne etwas anderes dazu beizutragen als ein paar Worte der
Liebe; denn auch wenn wir nicht danach streben, hierbei nichts zu denken, ist
man doch oft frei von Gedanken, freilich nur sehr kurze Zeit. Aber – wie ich
anderswo schon sagte – die Ursache, weshalb der Verstand bei dieser Gebetsweise
(ich meine diejenige, mit der ich die Beschreibung dieser Wohnung begonnen habe
und der ich dann das Gebet der inneren Sammlung habe folgen lassen, das ich
eigentlich zuerst hätte nennen müssen, da es weit geringer ist als das Gebet der
Wonnen von Gott und nur den Anfang des Weges zu dem letzteren bildet; im Gebet
der inneren Sammlung darf man nämlich die Meditation nicht aufgeben und sollte
den Verstand weiterhin sich mit diesem Quellborn, der nicht durch Röhren
gespeist wird, beschäftigen lassen) – die Ursache also, weshalb der Verstand
sich hier bescheidet oder zur Bescheidenheit genötigt wird, liegt in der
Einsicht, daß er nicht verstehen kann, was er verstehen möchte. Und darum bewegt
er sich wie närrisch hin und her, ohne irgendwo zu verweilen. Der Wille hat zu
einer solch tiefen Ruhe in Gott gefunden, daß ihn das Umherschwirren der
Gedanken sehr verdrießt. Er darf sich jedoch nicht um sie kümmern, da er sonst
viel von dem verlieren würde, was er genießt. Er sollte vielmehr die Gedanken
und sich selber den Armen der Liebe anvertrauen; denn Seine Majestät wird den
Willen lehren, was er in dieser Lage zu tun hat. Dies besteht fast nur darin,
daß er entdeckt, wie unwürdig er eines solchen Glückes ist, und daß er dankt für
das, was er empfangen hat.
Um vom Gebet der inneren Sammlung reden zu können, habe ich bisher darauf
verzichtet, von den Wirkungen und Zeichen zu sprechen, die Gott unser Herr in
der höheren Gebetsart dieser Wohnung uns schenkt. Deutlich gewahrt man dabei ein
Anschwellen oder Ausweiten in der Seele, als ob ein Wasser, das einer Quelle
entspringt, nicht ablaufen könnte, und als ob die Brunneneinfassung, die aus
einem nachgiebigen Stoff gemacht ist, umso größer würde, je reichlicher das
Wasser hervorquillt. Genauso scheint es der Seele in diesem Gebet zu ergehen,
wobei der Herr noch viele andere Wunder in ihr bewirkt, um sie dazu fähig zu
machen, daß sie alles in sich zu fassen vermag. Diese innere Geschmeidigkeit und
Erweiterung zeigt sich auch darin, daß derjenige, dem sie widerfährt, fortan in
den Dingen des Gottesdienstes nicht mehr so ängstlich ist wie zuvor, sondern
sich sehr viel freier bewegt und sich nicht aus Angst vor der Hölle quält.
Obwohl er nun noch mehr darum besorgt ist, Gott nicht zu beleidigen (eine Sorge,
die hier das Knechtische verliert), vertraut er jetzt mit großer Zuversicht
darauf, daß er sich seines Herrn erfreuen werde. Wer für gewöhnlich fürchtete,
er könnte durch Bußübungen seine Gesundheit verlieren, dem scheint es nun, als
könne er in Gott alles vollbringen, und fühlt mehr Verlangen nach ihnen als je
zuvor. Die Furcht, die er sonst vor Leiden und Mühsal hatte, ist nun gemildert,
denn der Glaube ist lebendiger. Und die Seele weiß, daß der Herr, wenn sie das
Beschwerliche um seinetwillen trägt, ihr die Gnade erweisen wird, daß sie es mit
Geduld zu erleiden vermag. Ja, manchmal wird sie sich sogar Leiden wünschen;
denn es drängt sie nun auch ein starker Wille, etwas für Gott zu tun. Je mehr
sie dessen Größe erkennt, für um so erbärmlicher hält sie sich. Da sie schon die
Wonnen Gottes gekostet hat, erkennt sie, daß die Freuden der Welt nur Kehricht
sind. Mehr und mehr entzieht sie sich diesen und erlangt eine immer stärkere
Herrschaft über sich selbst, die sie dazu befähigt. Kurzum, in allen Tugenden
ist sie gestärkt und wird weiterhin wachsen, falls sie nicht wieder rückwärts
geht und Gott beleidigt; denn dann ginge alles verloren, so hoch die Seele auch
zum Gipfel emporgeklommen sein mag. Man verstehe dies aber nicht so, als ob all
diese Wirkungen schon eintreten würden, wenn Gott diese Gnade einmal oder
zweimal einer Seele erwiesen hat, wenn man sie also nicht beständig empfängt;
denn in dieser Beständigkeit liegt all unser Heil.
Mit Nachdruck rate ich demjenigen, der sich auf dieser Stufe befindet, das eine:
Er möge sich sehr davor hüten, sich irgendwelchen Gelegenheiten auszusetzen, wo
er Gott beleidigen könnte; denn hier ist die Seele noch nicht erwachsen, sondern
wie ein Kind, das eben zu saugen begonnen hat. Entfernt es sich von den Brüsten
seiner Mutter – was hat es anderes zu erwarten als den Tod? Ich fürchte sehr,
daß es dem, der sich vom Gebet abwendet, nachdem Gott ihm diese Gnade erwiesen
hat, ebenso ergeht, es sei denn, ein ganz besonderer Anlaß habe ihn dazu
gezwungen und er kehre schnell wieder zu ihm zurück. Sonst gerät man vom
Schlechten ins Schlimmere. Ich weiß, daß man sich hiervor sehr zu fürchten hat,
und habe aus eigener Anschauung erfahren, wovon ich rede; denn ich kenne
verschiedene Menschen, die mein größtes Mitleid erregt haben, weil sie sich von
dem entfernten, der sich ihnen mit so viel Liebe zum Freunde geben und dies mit
Werken beweisen wollte. Ich warne so nachdrücklich davor, sich den Gelegenheiten
zum Bösen auszusetzen, weil der Satan für eine dieser Seelen sehr viel mehr
Fallgruben gräbt als für viele andere, denen der Herr nicht diese Gnaden
erweist; denn sie können den Bösen erheblich stören, indem sie andere nach sich
ziehen und vielleicht der Kirche Gottes einen großen Dienst leisten. Schon
allein die Tatsache, daß er sieht, wie Seine Majestät ihnen besondere Liebe
erzeigt, ist ihm Anlaß genug, daß er darauf brennt, sie zu verderben. Darum
stehen sie in harter Anfechtung und stürzen sehr viel tiefer als andere, wenn
sie fallen. Ihr, Schwestern, seid frei von diesen Gefahren – soweit wir dies
beurteilen können. Von Hochmut und Dünkel befreie euch Gott. Und sollte der
Satan die göttlichen Gnaden euch fälschlich vorspiegeln, so ist das daran zu
erkennen, daß nicht die Wirkungen eintreten, die ich genannt habe, sondern das
Gegenteil.
Auf eine andere Gefahr möchte ich noch euer Augenmerk lenken – auch wenn ich
euch anderswo schon darauf hingewiesen habe –, eine Gefahr, in die ich Menschen
geraten sah, die dem Gebet ergeben waren, vor allem Frauen. Denn da wir
schwächer sind, widerfährt uns das Unheil leichter, von dem ich reden möchte.
Manche befinden sich nämlich wegen häufiger Bußübungen, Gebete und Nachtwachen
und auch schon von Natur aus in einem Zustand körperlicher Schwäche. Haben sie
nun ein innerliches Geschenk erhalten, so können sie ihrer Natur nicht länger
widerstehen, und da sie im Inneren eine gewisse Befriedigung empfinden und
zugleich äußerlich einen Zusammenbruch erleiden, sich schlaff und matt fühlen,
so meinen sie (weil es einen Schlaf gibt, den man den geistigen Schlaf nennt und
der ein wenig mehr ist als der Zustand, von dem wir vorhin sprachen), daß das
eine gleich dem anderen sei, lassen die Besinnung fahren und versinken in ein
ohnmächtiges, dumpfes Staunen. Und je mehr sie ihr Bewußtsein aufgeben, desto
mehr geraten sie außer sich, weil ihr Körper immer kraftloser wird, und das
erscheint ihnen in ihrem Hirn als Verzückung. Ich nenne es Verdummung; denn man
verliert damit nur seine Zeit und vergeudet seine Gesundheit (einer Person
widerfuhr es, daß sie acht Stunden in diesem Zustand war!), man ist weder bei
Sinnen, noch fühlt man etwas Göttliches. Durch Schlafen, Essen und Einschränkung
der Bußübungen befreite man die genannte Person von solchen Anwandlungen, weil
jemand da war, der sie durchschaut hatte. Ihren Beichtvater und andere Leute
hatte sie getäuscht, ebenso sich selber; denn sie hatte diese Irreführung nicht
absichtlich begangen. Ich glaube fest, daß der Satan sich dabei einige Mühe
gegeben hatte, um etwas zu profitieren, und er war ja auch bereits im Begriff,
nicht wenig Gewinn daraus zu schlagen.
Es gilt zu begreifen, daß die Seele, wenn sie ein Erlebnis hat, das wahrhaft von
Gott kommt, keine Schwächung erleidet, auch wenn innerlich und äußerlich ein
Zusammenbruch der Kräfte erfolgt, und daß sie von starken Gefühlen bewegt wird,
weil sie sich Gott so nahe sieht. Auch dauert solch ein Erlebnis nicht lange,
sondern ganz kurze Zeit. Selbst wenn man wiederholt in Versenkung gerät, so
kommt es bei dieser Gebetsart – wenn es nicht, wie gesagt, bloße Schwäche ist –
doch nicht so weit, daß der Körper zu Boden stürzte oder daß äußerlich irgend
etwas zu fühlen wäre.
Darum sei man auf der Hut, und wenn jemand etwas derartiges an sich verspürt, so
sage er es der Oberin und lenke sich ab, so gut er kann. Auch sollte man diese
Menschen veranlassen, sich nicht stundenlang dem Gebet zu widmen, sondern nur
ganz kurz, und sollte dafür sorgen, daß sie genügend schlafen und essen, bis sie
wieder ordentlich zu Kräften kommen. Ist die betreffende Person aber von so
schwacher Natur, daß auch dies nicht hilft, so glaubt mir, daß Gott sie zu
nichts anderem als zu einem tätigen Leben bestimmt hat; denn auch solche braucht
man in den Klöstern. Man beauftrage sie mit verschiedenen Ämtern und verliere
dabei nie aus den Augen, daß sie nicht viel allein sein sollte, da sie sonst
vollends die Gesundheit verlieren würde. Das wird für sie eine bittere Entsagung
und Kasteiung bedeuten. An der Art, wie sie diesen Verzicht leistet, wird der
Herr die Liebe erproben, die sie für ihn hegt. Und es mag ihm gefallen, ihr nach
einiger Zeit die Kraft zurückzugeben. Tut er dies nicht, so werden das mündliche
Gebet und der Gehorsam ihr Gewinn bringen, und sie wird sich so dieselben
Verdienste erwerben wie auf andere Weise, vielleicht noch mehr.
Möglicherweise gibt es auch unter euch manche, wie ich einige gekannt habe, die
einen so schwachen Kopf und eine so kränkliche Phantasie besitzen, daß sie alles
zu sehen glauben, was sie denken. Das ist recht gefährlich. Da ich davon
vielleicht später noch reden werde, sei dies genug für den Augenblick. Ich habe
mich in dieser Wohnung lange aufgehalten, weil hierher – nach meinem Eindruck –
die meisten Seelen gelangen, und weil der Satan hier, wo das Natürliche und das
Übernatürliche dicht beieinander sind, mehr Schaden stiften kann als in den
nächsten, noch nicht geschilderten Wohnungen, wo Gott ihm nicht soviel Spielraum
läßt. Der Herr sei gelobt in Ewigkeit, Amen.
DIE FÜNFTE WOHNUNG
ERSTES KAPITEL
O Schwestern! Wie könnte ich euch den Reichtum und die Schätze und Wonnen sagen,
die es in der fünften Wohnung gibt? Ich glaube, es wäre besser, von allem
weiteren gar nichts zu sagen denn es ist unmöglich, es auszudrücken, und der
Verstand kann es nicht begreifen, und kein Vergleich reicht aus es zu erklären,
weil die Dinge der Erde dafür viel zu niedrig sind. Sende mir Licht vom Himmel,
mein Herr, damit ich etwas davon diesen Deinen Dienerinnen mitteile kann, da es
Dir ja gefällt, daß einige von ihnen tagtäglich diese Wonnen erfahren. Gib, daß
sie keinem Trug zum Opfer fallen, wenn der Satan sich in einen Engel des Lichts
verwandelt; denn all ihr Wünschen gilt dem einen Ziel Dich zu erfreuen.
Obwohl ich von »einigen« gesprochen habe, gibt es unter uns doch wenige, die
nicht in diese Wohnung gelangen, von der ich jetzt reden möchte. Die einen
dringen jedoch tiefer ein, die anderen weniger tief. Darum sage ich, daß die
meisten hineingelangen. Manches, was in diesen Gemächern zu finden ist und wovon
nun die Rede sein soll, erfahren freilich wohl nur wenige. Doch wenn man auch
nur bis zur Türe gelangt, so ist dies schon ein Beweis von Gottes großem
Erbarmen; denn viele sind berufen und wenige auserwählt. Obwohl wir alle, die
wir dieses heilige Gewand vom Karmel tragen, zum Gebet und zur Kontemplation
berufen sind – denn dies war unser Anfang, von jenem Stamme kommen wir, als
Nachfahren jener Heiligen Väter vom Berge Karmel, die in solch großer Einsamkeit
und solcher Verachtung der Welt diesen Schatz suchten, diese kostbare Perle, von
der wir sprechen –, sind es doch unter uns nur wenige, die sich dafür
bereitmachen, auf das der Herr sie uns schauen lasse. Im Äußeren halten wir uns
wohl an das, was zur Erlangung der Tugenden gefordert wird; doch um bis dorthin
zu kommen, benötigen wir sehr, sehr viel. Wir dürfen uns dabei keine Lässigkeit
erlauben. Deshalb, meine Schwestern, hört! Da wir in gewisser Weise den Himmel
auf Erden genießen können, so laßt uns den Herrn darum bitten, daß er uns gnädig
beistehe, damit wir es nicht durch eigene Schuld versäumen. Er möge uns den Weg
weisen und unserer Seele Kräfte verleihen, so daß sie graben kann, bis sie
diesen verborgenen Schatz findet, der wirklich und wahrhaftig in uns selber
liegt. Dies möchte ich euch gern verständlich machen, falls es dem Herrn
gefällt, mir die Fähigkeit zu schenken.
Ich habe von Kräften für die Seele gesprochen; denn ihr sollt verstehen, daß
derjenige, dem Gott unser Herr keine körperlichen Kräfte schenkt, ihrer auch
nicht bedarf. Er verwehrt es keinem, seine Reichtümer zu erwerben. Wenn jeder
gibt, was er hat, so ist der Herr zufrieden. Gepriesen sei ein so großer Gott.
Doch schaut, meine Töchter – für das, wovon wir reden, verlangt er, daß ihr
nichts für euch zurückbehaltet. Sei es nun viel oder wenig – er will alles für
sich. Und je nach dem Maße dessen, was ihr selber gegeben habt, werden euch
größere oder kleinere Gnaden zuteil werden. Hieran läßt sich am genauesten
prüfen, ob unser Gebet bis zur Vereinigung gelangt oder nicht. Ihr dürft nicht
meinen, daß es sich dabei um etwas Traumhaftes handelt, wie auf der vorigen
Stufe. Ich sage »Traumhaftes«, weil die Seele dort wie eingedämmert wirkt, so
daß sie weder recht zu schlafen scheint noch sich wach fühlt. Hier dagegen ist
sie völlig in tiefen Schlaf versunken, der sie den Dingen der Welt und sich
selber gänzlich entrückt. Denn in der kurzen Zeit, die es dauert, ist sie
wirklich wie ohne Besinnung, so daß sie nicht zu denken vermag, selbst wenn sie
wollte. Hier bedarf es keiner künstlichen Bemühungen, um dem Denken Einhalt zu
gebieten. Die Seele vermag nicht einmal zu verstehen, wie die Liebe, falls sie
eine fühlt, entstanden ist, wem sie gilt oder nach was sie sich sehnt. Kurzum,
es ist, als wäre sie gänzlich gestorben und aus der Welt geschieden, um noch
mehr in Gott zu leben. Und deshalb ist es ein lieblicher Tod, gleichsam ein
Entrissenwerden aus allem Tun, das die Seele ausüben mag, solange sie im Körper
weilt; ein Hinscheiden, das voller Wonne ist, weil die Seele, obgleich sie in
Wirklichkeit noch im Körper ist, ihn zu verlassen scheint, um besser in Gott zu
sein, und zwar so, daß ich jetzt noch nicht weiß, ob dem Leib dabei noch genug
Leben zum Atmen bleibt. (Eben habe ich darüber nachgedacht, und es scheint mir,
als atme er dabei nicht; tut er es doch, so merkt die Seele es jedenfalls
nicht.) Ihr ganzer Verstand möchte sich dafür einsetzen, etwas von dem zu
verstehen, was sie empfindet. Und da seine Kräfte dazu nicht ausreichen,
überkommt ihn erschrockenes Staunen, so daß er, wenn er sich nicht gänzlich
verliert, doch »weder Hand noch Fuß bewegt« (wie wir hierzulande sagen, wenn
jemand so ohnmächtig ist, daß wir meinen, er wäre tot). O Geheimnisse Gottes!
Ich wollte nicht müde werden, mich darum zu bemühen, sie verständlich zu machen,
wenn ich dächte, ich könnte je dieses Ziel erreichen. Und darum werde ich
tausend Ungereimtheiten sagen, um vielleicht einmal das Richtige zu treffen,
damit wir den Herrn von Herzen loben.
Ich sagte, daß es kein Traumzustand ist. In der vorigen Wohnung wird sich
nämlich die Seele, solange sie noch keine große Erfahrung hat, nicht darüber
klar, was das nun eigentlich war, ob sie sich das nur eingebildet oder ob sie
geschlafen hatte; ob es von Gott ihr eingegeben worden war oder ob der Satan
sich in einen Engel des Lichts verwandelt hatte. Von tausend Zweifeln und
argwöhnischen Gedanken wird sie bedrängt. Und das ist gut so, denn – wie gesagt
– sogar unsere eigene Natur kann uns in jenem Stadium zuweilen täuschen. Obwohl
das giftige Getier dort kaum mehr eindringen kann, so schlüpfen doch einige
Eidechslein mit herein, die überall hineinwitschen, weil sie so schlank, flink
und wendig sind. Richten sie auch keinen Schaden an (vor allem wenn man sich
nicht viel um sie kümmert; denn es sind so kleine Gedankenregungen, die der
Phantasie und den anderen genannten Ursachen entstammen), so werden sie einem
doch oft lästig. Hier aber, in der fünften Wohnung, können die Eidechslein nicht
hereinhuschen, trotz all ihrer Wendigkeit. Denn es gibt keine Phantasie, keine
Erinnerung und keinen Verstand, der hier dem Heil im Wege sein könnte. Ja, ich
wage zu behaupten: Wenn es wirklich eine Vereinigung mit Gott ist, so kann nicht
einmal der Satan sich einschleichen und irgendeinen Schaden stiften. Seine
Majestät ist da dem innersten Wesen der Seele so nahe und so mit ihr verbunden,
daß der Böse sich nicht heranwagen wird. Er wird dieses Geheimnis wohl nicht
einmal verstehen. Das liegt auf der Hand; denn es heißt ja, daß er unser Denken
nicht verstehen kann. Etwas so Geheimes, das Gott nicht einmal unserem Verstand
anvertraut, wird er dann noch weniger begreifen. Oh, welch ein Glück, sich dort
aufzuhalten, wo dieser Verfluchte uns nicht schadet!
Der Seele wird also ein solch reicher Gewinn zuteil, weil Gott in ihr wirkt,
ohne daß irgend jemand – nicht einmal wir selber – dies hinderte. Was wird er
uns nicht schenken, er, der so ein Freund des Gebens ist und alles zu geben
vermag, was er will?
Vielleicht habe ich euch nun verwirrt, indem ich sagte, »wenn es eine
Vereinigung mit Gott ist«, was bedeutet, daß es auch noch eine andere gibt. Und
ob es sie gibt! Auch der Satan kann einen entrücken, freilich zu nichtigen
Dingen, wenn man diese heftig Hebt. Doch er tut es nicht auf dieselbe Weise wie
Gott, nicht mit der Wonne und Befriedigung für die Seele, nicht mit diesem
Frieden und dieser Freude. Die Vereinigung mit Gott übersteigt alle Lust der
Erde, all ihre Wonnen und Freuden. Und man braucht nicht danach zu schauen, wo
diese Freuden und wo die irdischen ihren Ursprung haben; die Art, wie man sie
fühlt, ist völlig verschieden. Das habt ihr wohl selber schon erfahren. Ich
sagte einmal, daß es so ist, als fühlte man es bald außen auf der Haut, bald bis
ins Mark. Das ist ein treffender Vergleich. Ich weiß nicht, wie ich es besser
sagen könnte.
Es scheint mir aber, als hätte ich euch damit noch nicht beruhigt. Ihr meint,
ihr könntet euch täuschen, weil solch innerliche Erscheinungen schwer zu prüfen
sind. Und obwohl das Gesagte für den, der es selber erlebt hat, ausreicht, weil
der Unterschied zwischen beiden Erscheinungen groß ist, will ich euch doch noch
ein deutliches Merkmal nennen, das euch vor Täuschung bewahrt, so daß ihr nicht
zu zweifeln braucht, ob euer Erlebnis von Gott gekommen ist. Seine Majestät hat
mich heute an dieses Kennzeichen erinnert, das mir zuverlässig zu sein scheint.
– Immer, wenn es um schwierige Dinge geht, gebrauche ich die Wendung »mir
scheint«, obwohl ich den Eindruck habe, daß ich es weiß und die Wahrheit sage;
denn falls ich im Irrtum sein sollte, bin ich jederzeit bereit, das zu glauben,
was diejenigen sagen, die eine hohe Gelehrsamkeit besitzen. Auch wenn sie diese
Dinge nicht selbst erlebt haben, so verfügen große Gelehrte doch über etwas
Besonderes. Da Gott sie als Licht seiner Kirche aufgestellt hat, schenkt er
ihnen, wenn es um eine Wahrheit geht, die Einsicht, auf daß diese Wahrheit
anerkannt werde. Und wenn sie sich nicht Zerstreuungen überlassen, sondern
Diener Gottes sind, so werden sie nie erschrecken vor der Größe seiner Taten;
denn sie wissen wohl, daß er noch viel, viel mehr vermag. Und obwohl manche
Erscheinung nicht so recht geklärt ist, werden sie doch in der Schrift allerlei
finden, aus dem sie ersehen, daß derlei Dinge möglich sind.
Das habe ich sehr oft erlebt. Jedoch habe ich auch mit ängstlichen Halbgelehrten
meine Erfahrungen gemacht, die mir sehr teuer zu stehen kamen. Ich glaube
jedenfalls, daß der sich die Tür zum Empfang solcher Gnaden verschließt, der
nicht daran glaubt, daß Gott noch viel mehr vermag, und daran zweifelt, daß er
es für gut gehalten hat und für gut hält, sie zuweilen seinen Geschöpfen
mitzuteilen. Darum verfallet nie in diese Haltung, Schwestern. Glaubet aber, daß
der Herr noch viel, viel mehr vermag, und richtet euer Augenmerk nicht darauf,
ob diejenigen, denen er diese Gnaden erweist, nun böse oder gut sind. Denn – wie
gesagt – Seine Majestät weiß es. Und wir brauchen uns da nicht einzumischen,
sondern sollen dem Herrn einfältigen Herzens und in Demut dienen und ihn preisen
um seiner Werke und seiner Wunder willen.
Sprechen wir jedoch wieder von dem Zeichen, von dem ich euch sagte, daß es die
Wahrheit verbürge. Ihr seht, wie Gott diese Seele völlig dumm gemacht hat, um
ihr die wahre Weisheit besser einzuprägen. Sie sieht nichts, sie hört nichts und
versteht nichts, solange dieser Zustand anhält, der immer nur von kurzer Dauer
ist (und ihr noch viel kürzer erscheint, als er wohl in Wirklichkeit ist). Dabei
verbindet sich Gott selber mit dem Inneren dieser Seele, so daß sie, wenn sie
wieder zu sich kommt, keinesfalls daran zweifeln kann, daß sie in Gott war und
Gott in ihr.
Mit solcher Gewißheit verbleibt ihr diese Wahrheit, daß sie, selbst wenn Jahre
vergingen, ohne daß Gott ihr nochmals solch eine Gnade erwiese, sie dies nicht
vergessen und nicht daran zweifeln könnte, daß er es war. Die Wirkungen, die
dieses Erleben bei ihr hinterläßt, wollen wir jetzt noch nicht betrachten. Davon
will ich später sprechen, denn es ist sehr wichtig.
Ihr werdet mich jedoch fragen: »Wie hat es die Seele denn gesehen oder wie hat
sie es verstanden, wenn sie dabei doch weder sieht noch etwas versteht?« Ich
behaupte nicht, daß sie es im betreffenden Augenblick sieht, sondern daß sie es
hinterher klar erkennt; und zwar nicht, weil sie es als Vision erschaut, sondern
als eine Gewißheit empfängt, die in der Seele verbleibt als eine Sicherheit, die
nur Gott ihr eingeben kann. Ich weiß von einer Person, die niemals etwas davon
gehört hatte, daß Gott in allen Dingen ist als gegenwärtige Macht und Wesenheit,
und die durch eine derartige Gunst, welche Gott ihr erwies, zu diesem Glauben
gelangte. Darum hatte sie die Wahrheit so sicher inne, daß sie, als sie einen
der genannten Halbgelehrten fragte, wie Gott in ihr sein könne (er wußte es
sowenig wie sie, ehe Gott es ihr zu verstehen gab), und dieser ihr antwortete,
daß er es nur als Gnade sei, ihm keinen Glauben schenkte und andere danach
fragte, die ihr dann die Wahrheit sagten, was ihr ein großer Trost war.
Ihr dürft euch nicht täuschen und meinen, daß diese Gewißheit einem in
körperlicher Form zuteil werde, so wie der Leib unseres Herrn Jesu Christi uns
im Allerheiligsten Sakrament gegeben wird, obgleich wir ihn nicht sehen. Denn
hier schenkt er sich uns nicht auf diese Weise, sondern allein in seiner
Göttlichkeit. Wie erfassen wir dann das, was wir nicht sehen, mit solcher
Sicherheit? Das weiß ich nicht. Es ist sein Werk. Doch ich weiß, daß ich die
Wahrheit sage. Und wenn jemand danach nicht diese Sicherheit hat, so würde ich
sagen, daß es keine Vereinigung der ganzen Seele mit Gott gewesen ist, sondern
nur die einer einzelnen Seelenkraft, also eine der vielen anderen Arten von
Gnaden, die Gott der Seele erweist. Bei all dem müssen wir darauf verzichten,
erkennen zu wollen, wie eines aus dem andern sich ergab. Denn unser Verstand
reicht nicht aus, dies zu erfassen. Wozu wollen wir uns vergeblich anstrengen?
Es genügt, wenn wir sehen, daß es der Allmächtige ist, der dies tut. Und da
keineswegs wir diejenigen sind, die es bewirken – so eifrig wir uns auch
bemühen, es zu erlangen –, sondern Gott es ist, der es vollbringt, so sollten
wir auch nicht diejenigen sein wollen, die es verstehen.
Jetzt, wo ich sage, daß nicht wir es sind, die es vollbringen, erinnere ich mich
daran, daß ihr schon die Worte gehört habt, welche die Braut im Hohenlied sagt:
»Der König führte mich in den Weinkeller« (oder »brachte mich hinein«, wie es,
glaube ich, heißt). Es wird also nicht gesagt, daß sie von sich aus
hineingegangen sei. Und es heißt auch, daß sie überall nach ihrem Geliebten
gesucht habe. Hier nun ist – so verstehe ich es – der Weinkeller, in den der
Herr uns bringen will, wann er will und wie er will. Doch durch eigene
Anstrengungen können wir nicht hineinkommen. Seine Majestät muß uns
hineinbringen. Er muß in die Mitte unserer Seele eindringen. Und um seine Wunder
uns besser zeigen zu können, will er, daß wir nur mit dem Willen beteiligt sind,
der sich ihm völlig ergeben hat, und daß wir ihm nicht die Tür der Seelenkräfte
und Sinne öffnen, die alle schlafen. Ganz von sich aus will er in die Mitte der
Seele eintreten, so wie er zu seinen Jüngern hereintrat, als er sagte: »Pax
vobis«, nachdem er das Grab verlassen hatte, ohne den Stein zu heben. Später
werdet ihr sehen, wie sehr Seine Majestät es wünscht, daß die Seele sich seiner
in ihrem eigenen Inneren erfreut – in der letzten Wohnung noch sehr viel mehr
als hier.
O Töchter, wieviel werden wir schauen, wenn wir nichts anderes schauen wollen
als unsere Niedrigkeit und unser Elend und allein erkennen wollen, daß wir nicht
würdig sind, Dienerinnen
eines so großen Herrn zu sein, und nicht fähig, seine Wunder zu fassen! Er sei
gelobt in Ewigkeit, Amen.
ZWEITES KAPITEL
Es wird euch so vorkommen, als sei schon alles gesagt, was in dieser Wohnung zu
schauen ist. Doch es fehlt noch viel; denn – wie gesagt – der eine sieht viel,
der andere weniger. Im Blick auf die Vereinigung glaube ich nicht mehr sagen zu
können. Aber wenn die Seele, der Gott diese Gnaden erweist, sich bereit macht,
so gibt es viele Dinge, die der Herr in ihr bewirkt und wovon es noch zu reden
gilt. Einige davon will ich nennen und auch den Zustand beschreiben, in dem die
Seele sich danach befindet. Um es verständlicher zu machen, will ich dazu ein
passendes Gleichnis benutzen, mit dem auch verdeutlicht werden soll, wieviel wir
schon dadurch, daß wir uns bereit machen, dazu beitragen können, daß Seine
Majestät uns diese Gnade erweist, auch wenn wir bei dem Werk, das der Herr in
uns vollbringt, nichts weiter tun können.
Ihr werdet wohl schon von den göttlichen Wundern gehört haben, die sich bei der
Seidenzucht offenbaren. Nur Er konnte so etwas erfinden. In einem Samenkorn, das
wie ein kleines Pfefferkörnchen aussieht (ich habe es nie gesehen, sondern nur
davon gehört; sollte also etwas verdreht sein, so ist es nicht meine Schuld) –
in diesem Samenkorn also beginnt, sobald es warm wird und die Maulbeerbäume die
ersten Blätter treiben, sich Leben zu regen. Ehe die Speise, von der es sich
nährt, nicht da ist, ist es tot. Man zieht das winzige Wesen mit den Blättern
des Maulbeerbaumes auf. Wenn es dann groß geworden ist, legt man ihm Zweiglein
hin, und daran spinnt es, aus sich selber heraus, mit dem Mäulchen die Seide und
macht eine dichte Hülle, worin es sich selber einschließt. Die Raupe, die nun
groß und häßlich ist, stirbt, und aus der gleichen Hülle schlüpft ein kleiner
weißer, wunderhübscher Schmetterling hervor. Wenn man das aber nicht sehen
könnte, sondern nur als Kunde aus fernen Zeiten hörte – wer könnte es glauben,
und durch welche Überlegungen könnten wir darauf kommen, daß ein so
unvernünftiges Wesen wie eine Raupe oder eine Biene so emsig zu unserem Vorteil
arbeitet, mit solchem Eifer, daß das arme Räuplein dafür das eigene Leben aufs
Spiel setzt? Das ist genug, Schwestern, um eine Weile darüber nachzusinnen. Auch
wenn ich nicht mehr darüber sage, könnt ihr an diesem Beispiel die Wunderkraft
und Weisheit unseres Gottes betrachten. Wie wäre es erst, wenn wir die
Beschaffenheit aller Dinge wüßten? Es ist sehr nützlich, diese Wunderwerke zu
bedenken und uns darüber zu freuen, daß wir Bräute eines so weisen und mächtigen
Königs sind.
Kehren wir jedoch zu dem vorhin Gesagten zurück. Diese Raupe nimmt Leben an,
sobald sie in der Wärme des Heiligen Geistes sich der Hilfe zu bedienen anfängt,
die Gott uns allen gemeinhin gibt; sobald sie beginnt, die Mittel zu gebrauchen,
die er in seiner Kirche hinterlassen hat. (Regelmäßig zu beichten oder gute
Bücher zu lesen und Predigten zu hören – das sind Heilmittel für eine Seele, die
in Sorglosigkeit und Sünde erstorben ist, umringt von den Gelegenheiten zum
Bösen.) Benutzt sie diese Mittel, so beginnt sie zu leben und nährt sich von
diesen und den guten Meditationen, bis sie herangewachsen ist. Nur darauf kommt
es mir an. Das andere ist unwichtig.
Ist diese Raupe nun ausgewachsen, so fängt sie an, die Seide zu spinnen und das
Haus zu verfertigen, in dem sie sterben soll. Dieses Haus will ich hier als
Christus verstanden wissen. Ich meine, irgendwo gelesen oder gehört zu haben,
daß unser Leben in Christus oder in Gott – beide sind eines – verborgen sei,
oder daß unser Leben Christus ist. Heiße es nun so oder anders – darauf kommt es
in diesem Zusammenhang nicht an.
Denn ihr seht hier, Töchter, was wir mit Gottes Gunst zu tun vermögen: daß Seine
Majestät selbst unsere Wohnung sei – wie in diesem Gebet der Vereinigung –, die
wir doch selber herstellen. Es scheint, als wollte ich sagen, wir könnten von
Gott etwas nehmen und etwas in ihn hineintun, weil ich sage, daß er die Wohnung
ist und daß wir sie erbauen können, um uns hineinzusetzen. Als ob wir von Gott
etwas nehmen oder ihm etwas hinzufügen könnten! Wir können nur von uns selber
etwas nehmen und dazutun, wie es diese Räuplein machen. Denn wir werden mit dem,
was wir tun können, noch nicht ganz fertig sein, da vereint Gott dieses
armselige Machwerk – das nichts ist – mit seiner Größe und verleiht ihm einen so
großen Wert, daß der Herr selbst der Lohn dieser Arbeit ist. Und wie er es
gewesen ist, der die meisten Kosten auf sich genommen hat, so will er auch
unsere dürftigen Werke vereinen mit dem großen Leiden, das Seine Majestät
ertragen hat, auf daß alles eins werde.
Also auf, meine Töchter, schnell an die Arbeit, daß wir diese Hülle weben und
uns dabei unserer Eigenliebe und unseres Willens entledigen, uns von der Bindung
an irgendwelche irdischen Dinge lösen, indem wir Buße tun, beten, uns abtöten,
Gehorsam üben und alle anderen Pflichten, die ihr kennt. Wirken wir denn so gut
wir können und wie es uns als unsere Aufgabe gelehrt worden ist! Sie sterbe, sie
sterbe, diese Raupe, so wie sie stirbt, wenn sie das beendet hat, wozu sie
aufgezogen worden ist. Und ihr werdet gewahren, daß wir Gott schauen und uns von
seiner Größe so umschlossen sehen, wie es das Räuplein in seiner Hülle ist.
Beachtet, daß ich sage: »Gott schauen«; denn ich habe ja gesagt, daß Gott bei
dieser Art der Vereinigung sich so zu fühlen gibt.
Sehen wir also zu, was aus dieser Raupe wird (deswegen habe ich nämlich alles
übrige gesagt). Wenn sie in diesem Gebet ist – völlig gestorben für die Welt –,
so schlüpft ein weißer kleiner Schmetterling hervor. O Herrlichkeit Gottes! Und
wie geht eine Seele daraus hervor, wenn sie hier eine kleine Weile – die meinem
Eindruck nach niemals auch nur eine halbe Stunde dauert – versenkt ist in Gottes
Größe und ihm so nahe ist! Ich sage euch in Wahrheit, daß die Seele sich, selber
nicht mehr kennt; denn schaut, derselbe Unterschied, der zwischen einer
häßlichen Raupe und einem weißen Schmetterling besteht, ist auch hier vorhanden.
Die Seele weiß nicht, wodurch sie so viel Glück verdienen konnte (wodurch es ihr
zufallen konnte, wollte ich sagen; denn sie weiß wohl, daß sie es nicht
verdient). Sie sieht sich von einem solchen Verlangen erfüllt, den Herrn zu
loben, daß sie am liebsten vergehen und tausendmal für ihn sterben möchte. Dann
überkommt sie eine unwiderstehliche Sehnsucht, schwere Leiden auf sich zu
nehmen, ein brennendes Verlangen nach Buße, Einsamkeit, und der Wunsch steigt in
ihr auf, daß alle Gott erkennen möchten. Daraus aber erwächst ihr großer Kummer,
wenn sie sieht, daß er beleidigt wird. In der nächsten Wohnung wird davon noch
mehr die Rede sein; denn obwohl das, was hier in dieser Wohnung zu finden ist,
beinahe dasselbe ist wie dort, so ist doch die Stärke der Wirkungen sehr
verschieden. Wie gesagt: Nachdem Gott zu ihr gekommen ist, wird die Seele, wenn
sie sich hier darum bemüht, weiter voranzukommen, noch große Dinge schauen.
Oh, das ruhlose Umherflattern dieses kleinen Schmetterlings zu sehen, der doch
niemals in seinem Leben eine größere Ruhe, einen tieferen Frieden gefunden hat,
ist ein Anblick, der zum Lobe Gottes zwingt. Der Falter weiß nämlich nicht, wo
er sich niederlassen und ausruhen soll; denn nachdem er einmal solch einen
Ruheort hatte, befriedigt ihn nichts, was er auf Erden sieht, vor allem wenn
Gott ihm oft von diesem Wein zu kosten gibt. Fast mit jedem Mal wird ihm daraus
neuer Gewinn zuteil. Nun betrachtet er das, was er als Raupe getan hat –
Stückchen um Stückchen die Hülle zu weben –, als nichts. Flügel sind ihm
gewachsen – wie könnte er sich jetzt, wo er fliegen kann, damit zufrieden geben,
langsam Schritt vor Schritt zu gehen? Verglichen mit ihrem Verlangen, ist der
Seele nun alles, was sie für Gott tun kann, zu gering. Sie empfindet keine
besondere Bewunderung mehr für das, was die Heiligen durchgestanden haben, da
sie nun aus Erfahrung weiß, wie der Herr hilft und eine Seele verwandelt, so daß
sie innerlich und äußerlich nicht mehr sich selber gleicht. Denn die Schwäche,
die sie früher bei den Bußübungen an sich wahrzunehmen glaubte, findet sie nun
in Stärke verwandelt. Die Bindung an Verwandte, Freunde oder Besitz (die sie
einstens weder durch Taten noch durch Entschlüsse oder durch das Verlangen, sich
davon frei zu machen, abschütteln konnte, weil sie sich danach nur noch mehr
verhaftet fühlte) hat sich so verändert, daß ihr die Verpflichtungen, denen sie,
wenn sie nicht gegen Gottes Gebot verstoßen will, nachkommen muß, eine Last
sind. Alles ermüdet sie, denn sie hat erfahren, daß die Geschöpfe ihr nicht die
wahre Ruhe geben können.
Es scheint, als ob ich weitschweifig würde, und doch könnte ich noch viel mehr
sagen. Wem diese Gnade von Gott zuteil geworden ist, der wird sehen, daß ich nur
unzureichend davon gesprochen habe. Es ist also nicht verwunderlich, daß dieser
kleine Schmetterling erneut einen Ruheort sucht, sobald er sich als Fremdling
unter den irdischen Dingen wieder findet. Doch wohin soll der Arme? Dahin
zurückkehren, woher er gekommen ist – das kann er nicht; denn – wie gesagt – es
liegt nicht in unserer Hand, so viel wir auch tun mögen, ehe es Gott nicht
gefällt, uns von neuem diese Gnade zu erweisen. O Herr, und wie viel neue Leiden
beginnen für diese Seele! Wer hätte das gedacht, nach einer so hohen Gnade? Auf
die eine oder andere Weise müssen wir eben das Kreuz tragen, solange wir leben.
Und sollte jemand behaupten, er fühle sich, seitdem er auf diese Stufe gekommen
sei, immer in Ruhe und Annehmlichkeit – von dem würde ich sagen, daß er niemals
so weit gekommen ist; daß er aber vielleicht, falls er bis in die vorige Wohnung
gelangt ist, irgendeine Wonne erlebt hat, begünstigt durch natürliche Schwäche
und möglicherweise sogar vom Satan, welcher der Seele Frieden einflößt, um sie
danach desto heftiger zu bekriegen.
Ich will nicht sagen, daß diejenigen, welche in diese Wohnung kommen, keinen
Frieden haben; denn sie haben ihn wirklich und in reichem Maße, da gerade diese
Leiden, so schlimm sie sein mögen, doch von so hohem Wert und so guten Ursprungs
sind, daß aus ihnen selber der Friede und die Freude kommen. Eben aus der
Unzufriedenheit, welche die Seelen angesichts der irdischen Dinge empfinden,
erwächst ein Verlangen, der Welt zu entrinnen, eine so schmerzliche Sehnsucht,
die allenfalls nur der eine Gedanke lindern kann: Gott will es, daß wir in
dieser Verbannung leben. Und nicht einmal dieser Trost genügt; denn noch ist die
Seele, trotz allem, was sie gewonnen hat, nicht so in Gottes Willen ergeben, wie
dies später zu sehen ist, obgleich sie unablässig danach strebt, sich ihm
anzugleichen. Doch dies geschieht unter großem Schmerz und vielen Tränen. Sie
kann nicht anders, weil ihr nicht mehr gegeben ist. Bei jedem Gebet ist dies ihr
Kummer. Vielleicht kommt es auch von der großen Pein, die es ihr bereitet, wenn
sie sieht, daß Gott beleidigt und wenig geachtet wird in dieser Welt, und wenn
sie an die vielen Seelen denkt, die verlorengehen, seien es nun Ketzer oder
Mauren. Doch am meisten ist es ihr leid um die Seelen der Christen; denn obwohl
sie die Größe von Gottes Erbarmen sieht und obwohl sie weiß, daß jene Seelen –
so übel sie auch dahinleben – sich bessern und retten können, fürchtet sie doch,
daß viele verdammt werden.
O Herrlichkeit Gottes! Noch vor wenigen Jahren, ja vielleicht noch vor wenigen
Tagen dachte diese Seele an nichts anderes als an sich selbst. Wer hat sie in
solch schmerzliche Sorgen gestürzt? Denn so schmerzlich, wie diese Seele das
jetzt empfindet, könnten wir es nicht fühlen, selbst wenn wir uns viele Jahre
der Meditation hierüber widmen würden. Gott steh mir bei! Wenn ich viele Tage
und Jahre mich darum bemühe, mich darin übe, es zu erfassen, welch großes Übel
es bedeutet, wenn man Gott beleidigt; und wenn ich bedenke, daß die, welche
verdammt werden, seine Kinder und meine Brüder sind; wenn ich mir vor Augen
halte, von welchen Gefahren umringt wir leben und wie gut es für uns ist, aus
diesem erbärmlichen Leben zu scheiden – dies alles wäre also nicht genug? Nein,
Töchter. Der Schmerz, den man hier in dieser Wohnung empfindet, ist anders als
der, den wir früher, durch Gottes Hilfe, wenn wir viel darüber nachsannen,
vielleicht empfinden konnten. Es drang nicht bis ins innerste Eingeweide wie
hier, wo es die Seele zu zerstückeln und zu zermalmen scheint, ohne daß sie
etwas dazugetan hat, ja manchmal, ohne daß sie es will. Was ist das nur? Woher
kommt das? Ich will es euch sagen.
Habt ihr nicht gehört, daß Gott die Braut in den Weinkeller führte, wo die Liebe
über ihr war als sein Panier? (Ich habe es hier schon ein andermal gesagt, wenn
auch nicht in diesem Zusammenhang.) Daher kommt es nämlich. Weil jene Seele sich
schon seinen Händen überläßt und die große Liebe sie dazu drängt, sich so weit
hinzugeben, daß sie nichts anderes weiß und wünscht, als daß Gott mit ihr mache,
was er will. Denn Gott wird – meines Erachtens – diese Gnade niemals einer Seele
erweisen, die er nicht schon sehr als sein Eigentum betrachtet. Er will, daß
sie, ohne zu wissen, wie ihr geschieht, geprägt von seinem Siegel daraus
hervorgehe. Denn wahrlich, die Seele vollbringt dort nicht mehr als das Wachs,
wenn jemand ihm das Siegel aufdrückt. Das Wachs drückt es sich nicht selber auf,
es ist nur bereit, die Prägung zu empfangen, das heißt: weich; und um dieser
Bereitschaft willen macht es sich auch nicht noch weicher, sondern ist ruhig und
läßt es geschehen! O Güte Gottes, daß alles zu Deinen Lasten gehen muß! Du
willst nur unseren Willen und wünschst nichts weiter, als daß das Wachs gefügig
sei.
Ihr seht also, Schwestern, was unser Gott hier tut, damit die Seele sich bereits
als sein Eigentum erkennt. Er gibt von dem, was er hat; von dem, was sein Sohn
in diesem Leben hatte. Er kann uns keine größere Gnade erweisen. Wer hätte wohl
sehnlicher gewünscht, dieses Leben zu verlassen? Deshalb sagte Seine Majestät
beim Abendmahl: »Mich hat herzlich verlangt...«
»Aber wie, Herr! Schreckt Dich denn nicht der qualvolle, furchtbare Tod, den Du
erleiden sollst?«
»Nein. Denn meine Liebe zu den Seelen und meine Sehnsucht nach ihrer Erlösung
ist unvergleichlich viel stärker als diese Schmerzen. Und die entsetzlichen
Qualen, die ich litt und leide, seitdem ich auf der Welt bin, sind schlimm
genug, um die kommenden Leiden daneben für nichts zu achten.«
Oft habe ich so darüber nachgedacht. Und ich kenne die Qual, die eine Seele,
welche mir vertraut ist, aussteht und ausgestanden hat, weil sie sieht, wie
unser Herr beleidigt wird. Diese Marter ist so unerträglich, daß man viel lieber
sterben möchte, als dies weiterhin erdulden. Und empfindet schon eine Seele mit
einer Liebe, die im Vergleich zur Liebe Christi so kümmerlich ist, daß man sagen
kann, sie sei daneben fast überhaupt nicht vorhanden, diese Marter als so
unerträglich – was empfand dann erst unser Herr Jesus Christus, und was für ein
Leben hatte er durchzustehen, er, dem alle Dinge gegenwärtig waren und der
ständig die schweren Beleidigungen erblickte, die man seinem Vater zufügte? Ich
glaube fest, daß diese Schmerzen sehr viel größer waren als die –, welche er in
seiner heiligsten Passion erduldete. Denn da gewahrte er schon das Ende dieser
Qualen. Dies und die Genugtuung, uns durch seinen Tod erlöst zu sehen, sowie die
Freude, seine Liebe zum Vater dadurch zu erzeigen, daß er so viel litt um
seinetwillen, linderten ihm wohl die Schmerzen. So geht es ja hier auch denen,
die mit der Kraft der Liebe schwere Bußdienste auf sich nehmen: sie fühlen es
beinahe nicht, wollen eher mehr und immer mehr ertragen, und alles wird ihnen
leicht. Was mußte es da für Seine Majestät bedeuten, solch eine Gelegenheit vor
sich zu haben, wo er seinem Vater zeigen konnte, wie getreu er die Pflicht des
Gehorsams und der Nächstenliebe erfüllte? O selige Lust, zu leiden, indem man
Gottes Willen tut! Doch immer mit ansehen zu müssen, wie Seine Majestät ständig
beleidigt wird und wie so viele Seelen der Hölle entgegengehen, das halte ich
für etwas so Bitteres und Schmerzliches, daß nach meiner Meinung ein Tag solcher
Qual ausgereicht hätte, seinem Leben vielmals ein Ende zu bereiten, nicht nur
einmal, wäre er nicht mehr als ein Mensch gewesen.
DRITTES KAPITEL
Kehren wir denn zu unserem kleinen Falter zurück und betrachten wir einige der
Gaben, die Gott in diesem Stadium gewährt. Immer – das versteht sich – muß die
Seele bestrebt sein, voranzukommen im Dienst unseres Herrn und in der
Selbsterkenntnis; denn wenn sie nichts weiter tut, als diese Gnade anzunehmen,
wenn sie sich ihrer Sache so sicher glaubt, daß sie sorglos wird in ihrem
Lebenswandel und abkommt vom Weg zum Himmel – das heißt: von den Geboten –, so
wird es ihr ergehen wie dem Falter, der aus einer Raupe hervorgegangen ist und
seinen Samen weitergibt, damit andere daraus entstehen, während er selber stirbt
für immer. Ich sage, daß er seinen Samen weitergibt, weil es nach meiner Meinung
Gottes Wille ist, daß eine so große Gnade nicht vergebens erteilt wurde, sondern
anderen zum Nutzen gereicht, wenn schon die Seele sie nicht für sich selber
nutzt. Bleibt sie dem Verlangen, vorwärts zu kommen, treu und hegt sie die
genannten Tugenden, so nützt sie immer, solange sie im Guten verharrt, auch
anderen Seelen und erwärmt sie durch ihre Wärme; und selbst wenn diese einem
schon verloren gegangen ist, so fühlt man doch noch den Wunsch, andere möchten
davon einen Nutzen haben, und mit Freuden tut man die Gnaden kund, die Gott dem
erweist, der ihn hebt und ihm dient.
Ich habe eine Person gekannt, die es an sich erfuhr, daß sie, obwohl sie selber
tief in der Verlorenheit war, doch Freude daran fand, daß andere die Gnaden, die
Gott ihr erwiesen hatte, sich zunutze machten. Und mit Freude zeigte sie denen,
die ihn nicht wußten, den Weg des Gebets und war damit von großem, großem
Nutzen. Später erleuchtete sie der Herr von neuem. Sie hatte damals freilich
noch nicht die Wirkungen an sich erfahren, von denen wir vorhin gesprochen
haben. Doch wie viele wird es geben, die der Herr zu seinen Jüngern beruft,
gleich dem Judas, denen er sich mitteilt, die er zu Königen machen will, gleich
dem Saul, und die danach durch ihre eigene Schuld verloren gehen! Daraus ersehen
wir, Schwestern, daß der einzig sichere Weg, uns mehr und mehr Verdienste zu
erwerben und nicht verloren zu gehen wie jene, darin besteht, daß wir am
Gehorsam festhalten und von Gottes Gesetz nicht abweichen. Das sage ich denen,
die solche Gnaden erfahren, und ebenso allen anderen.
Es scheint mir, daß nach allem, was ich gesagt habe, diese Wohnung für euch noch
immer etwas dunkel bleibt. Da es so viel Gewinn bringt, wenn man dorthin
gelangt, wäre es nicht gut, wenn ich den Eindruck erweckte, als bestünde für
die, denen der Herr nicht solch übernatürliche Dinge zuteil werden läßt, keine
Hoffnung; denn die wahre Vereinigung kann man – mit Gottes Gunst – sehr wohl
erlangen, wenn wir mit Eifer danach streben, auf unseren eigenen Willen
verzichten und uns nur an das halten, was Gottes Wille ist. Oh, wie viele gibt
es unter uns – ich habe es wohl schon einmal ausgesprochen –, die dies sagen und
meinen, sie wollten nichts anderes und wären bereit, für diese Wahrheit zu
sterben. Denn ich sage euch und werde es euch noch oft sagen: Wäre dies so, dann
hättet ihr diese Gnade des Herrn bereits erlangt, und es würde euch nicht
bekümmern, ob ihr jene andere herrliche Vereinigung erfahret oder nicht; denn
das Wertvollste an jener ist, daß sie eben aus der Verbindung erwächst, von der
ich gerade spreche, und daß man jene nicht erreichen kann, wenn diese
Vereinigung (die darin besteht, daß unser Wollen sich dem Willen Gottes ergibt)
noch nicht fest und sicher ist. Oh, wie begehrenswert ist diese Vereinigung!
Glücklich die Seele, die sie erlangt hat; denn sie wird schon in diesem Leben
voll Ruhe sein und im anderen auch. Kein irdisches Ereignis wird sie bedrücken,
es sei denn, sie sähe sich in der Gefahr, Gott zu verlieren, oder sie erblickte,
wie er beleidigt wird. Weder Krankheit noch Tod bekümmern sie, außer wenn ein
Mensch dahingeht, der in der Kirche Gottes eine Lücke hinterläßt. Denn diese
Seele sieht wohl, daß Er besser weiß, was Er tut, als sie weiß, was sie sich
wünscht.
Ihr werdet sicher merken, daß dabei verschiedenerlei schmerzliche Empfindungen
auftauchen. Die einen entspringen – genau wie die Freuden – jählings unserer
Natur, die anderen erwachsen aus der mitleidenden Liebe zu den Nächsten – wie
sie unser Herr empfand, als er den Lazarus erweckte. Doch diese Kümmernisse
rauben uns nicht die Einigkeit mit dem Willen Gottes und verwirren die Seele
auch nicht mit einer unruhigen, leidenschaftlichen Erregung, die lange anhält.
Sie gehen schnell vorüber, denn sie dringen allem Anschein nach – wie ich dies
schon von manchen Wonnen beim Gebet sagte – nicht bis in die Tiefe der Seele,
sondern nur bis zu den Sinnen und Seelenkräften. Sie erscheinen nur in den
Wohnungen, die wir bereits durchschritten haben, nicht aber in der, von welcher
zuletzt die Rede sein muß. Hierfür ist nämlich das nötig, was von der Aufhebung
der Seelenkräfte gesagt worden ist, obgleich der Herr die Macht hat, die Seelen
auf vielerlei Wegen zu bereichern und in diese Wohnungen zu führen, nicht nur
auf dem Abkürzungspfad, von dem wir sprachen.
Beachtet aber wohl, Töchter, daß die Raupe notwendigerweise sterben muß. Und das
wird euch hier härter ankommen; denn dort fällt das Sterben viel leichter, weil
die Seele sich bereits in einem völlig neuen Leben sieht. Hier jedoch ist es
nötig, daß wir, solange wir noch mitten in diesem Leben sind, sie in uns töten.
Ich gestehe euch, daß dies sehr viel beschwerlicher ist, doch ist es der Mühe
wert, und der Lohn wird darum um so größer sein, wenn ihr siegreich daraus
hervorgeht. Daß es aber möglich ist, daran ist nicht zu zweifeln, falls die
Vereinigung mit dem Willen Gottes wirklich echt ist. Diese Einigkeit habe ich
mein Leben lang ersehnt, und um sie bitte ich ständig unseren Herrn. Sie ist die
klarste und sicherste.
Aber ach, wie wenige von uns werden sie erlangen, obwohl man meint, es sei alles
getan, wenn man sich davor hütet, Gott zu beleidigen, und sich einem kirchlichen
Leben weiht! Oh, es ist einiges Gewürm geblieben, das man erst bemerkt, wenn es
– gleich jenem Wurm, der den Efeu des Jonas zernagte – die Tugenden angefressen
hat durch Eigenliebe, Eigendünkel, Richten über die Nächsten (sei es auch nur in
Kleinigkeiten), durch Mangel an Liebe zum anderen, den wir nicht so gern haben
wie uns selbst. Wenn wir auch mühsam und schleppend der Pflicht nachkommen,
nicht zu sündigen, so gelangen wir damit noch lange nicht so weit, daß wir
völlig mit dem Willen Gottes vereint sein können.
Doch was, meine Töchter, wird wohl sein Wille sein? Daß wir vollkommen seien, um
eins zu sein mit ihm und dem Vater – wie Seine Majestät es erbeten hat. Schaut,
wieviel uns noch fehlt, um dahin zu gelangen. Ich sage euch, daß ich dies in
tiefer Betrübnis schreibe, weil ich mich so weit davon entfernt sehe, und zwar
nur durch meine eigene Schuld. Denn der Herr muß uns dazu keine großen Geschenke
gewähren; es genügt, was er uns geschenkt hat, als er uns seinen Sohn gab, damit
er uns den Weg weise. Denket nicht, es käme darauf an, daß ich, wenn mein Vater
oder mein Bruder stirbt, so sehr mit Gottes Willen übereinstimme, daß ich dabei
keinen Schmerz empfinde, und wenn Not und Krankheit über mich kommen, ich sie
mit Freude erdulde. Gelingt uns das, so ist es gut, und zuweilen beruht es auf
Klugheit; denn wir können nichts weiter tun und machen so aus der Not eine
Tugend. Wie viele Beispiele solcher Haltung bieten uns die Philosophen; und
erwiesen sie es nicht in genau dem gleichen Fall, so doch bei anderen Anlässen,
die viel Weisheit erfordern. Hier aber verlangt der Herr nur zwei Dinge von uns:
Liebe zu Seiner Majestät und zum Nächsten. Darum haben wir zu ringen. Bewahren
wir sie ohne Fehl, so tun wir seinen Willen und sind dadurch eins mit ihm. Doch
wie weit sind wir – wie gesagt – davon entfernt, dieses zweifache Gebot so zu
halten, wie wir es einem solch großen Gotte schuldig sind! Möge es Seiner
Majestät gefallen, uns die Gnade zu verleihen, daß wir es verdienen, auf diese
Stufe zu gelangen. Wir haben es in der Hand, wenn wir wollen.
Das sicherste Merkmal dafür, daß wir diese zwei Gebote halten, ist meines
Erachtens die treue Wahrung der Liebe zum Nächsten. Denn ob wir Gott lieben,
kann man nicht wissen (obwohl es deutliche Anzeichen gibt, die es erkennen
lassen); aber ob wir unseren Nächsten lieben, das merkt man. Und ihr dürft mir
glauben: Je mehr ihr hierin Fortschritte macht, um so tiefer ist eure Liebe zu
Gott; denn Seine Majestät liebt uns so sehr, daß er als Lohn für die Liebe, die
wir dem Nächsten entgegenbringen, unsere Liebe zu Seiner Majestät tausendfältig
wachsen läßt. Daran kann ich nicht zweifeln.
Es ist sehr wichtig, mit großer Aufmerksamkeit darauf zu achten, wie wir uns in
dieser Hinsicht verhalten. Wenn wir es hierin zur Vollkommenheit bringen, so ist
alles gewonnen. Ich glaube nämlich, daß unsere Liebe zum Nächsten, weil wir von
Natur aus böse sind, sich nie zur Vollkommenheit entwickeln kann, wenn sie nicht
aus der Wurzel unserer Liebe zu Gott erwächst. Da dies für uns so bedeutsam ist,
so wollen wir danach trachten, daß wir uns selbst in den kleinsten Dingen
verstehen und uns nichts aus den großartigen Taten machen, wie sie beim Gebet
uns reichlich vorschweben, Taten, die wir für unsere Nächsten oder zum Heil
einer einzigen Seele künftig zu vollbringen wähnen. Denn folgen darauf nicht die
entsprechenden Werke, so besteht auch kein Anlaß zu glauben, daß wir sie
verwirklichen. Dasselbe rate ich euch im Blick auf die Demut und alle anderen
Tugenden. Groß ist die List und Tücke des Satans, der tausendmal die Hölle in
Bewegung setzt, um uns glauben zu machen, wir hätten eine Tugend, die wir in
Wirklichkeit nicht besitzen. Und er tut es mit gutem Grund; denn er richtet
damit viel Schaden an, weil diese eingebildeten Tugenden – ihrer Herkunft
entsprechend – stets von Ehrsucht begleitet sind, während die anderen, die Gott
schenkt, frei sind von Dünkel und Hochmut.
Manchmal muß ich lächeln, wenn ich Seelen sehe, die beim Gebet den Wunsch in
sich zu fühlen glauben, Gott zuliebe Erniedrigungen und öffentliche Anfeindungen
zu erleiden, und die danach einen kleinen Fehler, den sie begangen haben oder
den man ihnen nur anhängt, am liebsten verdecken würden, wenn sie es könnten.
Gott bewahre uns! Wer das nicht ertragen kann, der hüte sich davor, den
Entschlüssen, die er bei sich gefaßt zu haben scheint, irgendein Gewicht
beizumessen; denn in Wirklichkeit waren dies keine Entschlüsse des Willens –
handelt es sich tatsächlich um solche, so ist es etwas anderes –, sondern eine
Ausgeburt der Einbildung. In der Phantasie vollführt nämlich der Satan seine
Gaukeleien und trügerischen Kniffe, und uns Frauen oder dem unwissenden Volk
kann er da allerlei vormachen, weil wir die Seelenkräfte und die
Einbildungskraft nicht recht zu unterscheiden wissen und uns in tausenderlei
anderen inneren Erscheinungen nicht auskennen. Oh, Schwestern, klar und deutlich
ist es zu sehen, in wem von euch die Nächstenliebe in Wahrheit lebt und wo sie
noch nicht so vollkommen ist! Wenn ihr verstündet, wie wichtig diese Tugend ist,
so würdet ihr nichts anderem mehr nacheifern.
Wenn ich Seelen erblicke, die sich emsig bemühen, das Gebet zu erfassen, und mit
niedergeschlagenen Augen und fest verschlossenem Gesicht darin verharren (so daß
es scheint, als wagten sie nicht, sich zu rühren oder ihre Gedanken in Bewegung
geraten zu lassen, damit ihnen ja kein bißchen Wonne und Andacht entgehe), so
zeigt mir das, wie wenig sie von dem Weg wissen, auf dem man zur Vereinigung
gelangt. Sie glauben, hierin bestehe die ganze Arbeit, die von ihnen erwartet
wird. Nein, Schwestern, nein! Werke will der Herr! Und wenn du eine Kranke
siehst, der du eine Linderung verschaffen kannst, sollst du dir nichts daraus
machen, daß es dich deine Andacht kostet, sondern dich ihrer erbarmen. Hat sie
einen Schmerz, so fühle du ihn, und wenn nötig, so verzichte auf die Speise,
damit sie essen kann – nicht so sehr um ihretwillen, als weil du weißt, daß dies
dein Herr von dir verlangt. Dies ist die wahre Vereinigung mit seinem Willen.
Und wenn du hörst, daß jemand sehr gelobt wird, so freue dich darüber viel mehr,
als wenn man dich lobte. Das ist wahrlich nicht schwer; denn wer Demut besitzt,
dem wird es eher peinlich sein, wenn man ihm ein Lob spendet. Aber diese Freude
über die Anerkennung, welche die Tugenden der Schwestern finden, ist etwas
Großes, und ebenso die Fähigkeit, einen Fehler, den wir an irgend jemand
gewahren, wie eine eigene Schwäche zu empfinden und ihn zu bedecken.
Hierüber habe ich an anderer Stelle viel gesagt, weil ich sehe, Schwestern, daß
wir verloren sind, wenn wir hierin versagen. Möge es dem Herrn gefallen, daß
dies nie geschehe. Sind wir aber zu dieser Haltung der Nächstenliebe fähig, so
läßt euch der Herr gewiß – das sage ich euch – die Vereinigung zuteil werden,
von der wir gesprochen haben. Wenn ihr jedoch in dieser Hinsicht noch Mängel an
euch seht, glaubt es mir, dann seid ihr, auch wenn ihr Andacht empfindet und
darin Annehmlichkeiten fühlt (so daß ihr meint, ihr hättet es erreicht) oder gar
eine kleine Aufhebung im Gebet der Ruhe erlebt (so daß manche glauben, es sei
geschafft) – glaubt mir, dann seid ihr noch nicht zu dieser Vereinigung gelangt,
und bittet unseren Herrn, daß er euch die Vollkommenheit dieser Liebe zum
Nächsten schenken möge. Und laßt Seine Majestät machen; denn er wird euch mehr
schenken, als ihr euch wünschen könnt, wenn ihr euch mit allen Kräften hierum
bemüht und euren Willen zwingt, völlig zum Willen eurer Schwestern zu werden,
auch wenn ihr dabei etwas von eurem Recht verliert und euer eigenes Wohl dem der
anderen zuliebe vergeßt. Und trachtet danach – auch wenn eure Natur dem noch so
heftig widerstrebt –, dem Nächsten die Mühsal abzunehmen und sie euch selber
aufzuladen, sooft sich eine Gelegenheit dazu bietet. Denkt nicht, daß ihr es
umsonst bekommt und es euch fertig in den Schoß fällt. Schaut, was unseren
Bräutigam die Liebe zu uns gekostet hat. Um uns vom Tode zu befreien, starb er
den qualvollen Tod am Kreuz.
VIERTES KAPITEL
Ich glaube, ihr werdet begierig sein, zu sehen, was aus dem kleinen Falter wird
und wo er sich niederläßt; denn wir haben ja erkannt, daß er weder in
geistlichen Wonnen noch in irdischen Freuden ausruht. Höher hinauf führt sein
Flug, und ich kann euch diese Begierde nicht befriedigen, bevor wir nicht zur
letzten Wohnung gelangen. Wolle Gott, daß ich mich daran erinnere und
Gelegenheit finde, davon zu schreiben. Denn es sind schon fast fünf Monate
vergangen, seitdem ich hiermit begonnen habe, und mein Kopf ist nicht in dem
Zustand, daß ich es nochmals durchlesen könnte, so daß wohl alles recht
verworren ist und das eine oder andere vielleicht doppelt gesagt wurde. Da es
für meine Schwestern ist, macht es wenig aus.
Ich will euch noch eingehender erklären, was nach meiner Ansicht dieses Gebet
der Vereinigung ist. Meiner Geistesart entsprechend werde ich mich dazu eines
Gleichnisses bedienen. Später werden wir mehr von diesem kleinen Falter reden,
der nicht rastet (obwohl er unablässig wirkt für die Frucht, indem er sich
selbst und anderen Seelen Gutes tut), weil er nicht zu seiner wahren Ruhe
findet.
Ihr habt sicherlich schon oft gehört, daß Gott sich mit den Seelen geistlich
verlobt. Gepriesen sei sein Erbarmen, das sich so tief erniedrigen will. Und mag
dieser Vergleich auch plump sein – ich finde keinen anderen, der das, was ich
ausdrücken möchte, verständlicher machen könnte als das Sakrament der Ehe. Ist
auch die Art der Verbindung anders (da es bei dem, wovon wir reden, nichts gibt,
was nicht geistig wäre; das Körperliche ist sehr fern, und die geistigen
Freuden, die der Herr gibt, sind tausend Meilen von den Wonnen entfernt, welche
diejenigen wohl haben, die sich verloben), so ist es doch ganz gegenseitige
Liebe, und ihre Wirkungen sind überaus rein und so zart und fein, daß es mit
Worten nicht zu sagen ist. Doch der Herr vermag es, sie recht deutlich fühlen zu
lassen.
Es scheint mir, daß die Vereinigung, die in dieser Wohnung sich vollzieht, noch
nicht zur geistlichen Verlobung wird. Es geht hier vielmehr, wie bei irdischen
Verhältnissen, wenn zwei heiraten sollen, zunächst darum, ob sie zueinander
passen und daß beide die Verlobung wollen. Sie besuchen sich, um immer größeres
Gefallen aneinander zu finden. So ist es auch hier – vorausgesetzt, daß die
Übereinstimmung bereits zustande gekommen ist und die Seele sich sehr genau
darüber im klaren befindet, welches Glück dies für sie bedeutet, sowie, daß sie
entschlossen ist, in allem den Willen ihres Bräutigams zu tun, auf jede nur
erdenkliche Weise, die ihm Freude macht. Die göttliche Majestät, die es wohl
erkennt, wenn dies der Entschluß der Seele ist, begegnet ihr in derselben Weise.
Und darum wünscht der Herr in seiner Barmherzigkeit, daß die Seele ihn noch mehr
erkenne, daß sie – wie man so sagt – Auge in Auge einander begegnen, und vereint
sich mit ihr. Wir können sagen, daß dies so ist, weil es nur sehr kurze Zeit
währt. Hier gibt es kein anderes Geben und Nehmen als dies, daß die Seele auf
eine geheimnisvolle Weise sieht, wer dieser Bräutigam ist, den sie nehmen soll.
Denn mit ihren Sinnen und Geisteskräften könnte sie in tausend Jahren nicht
begreifen, was sie hier in kürzester Zeit erfaßt. Das Wesen dieses Bräutigams
aber macht es, daß allein dieser Anblick sie dessen würdiger werden läßt, daß
sie sich gleichsam die Hände reichen. Denn die Seele wird so von Liebe erfaßt,
daß sie von sich aus tut, was sie kann, damit diese göttliche Verlobung nicht
entzweigehe. Doch wenn die Seele achtlos wird und ihre Zuneigung auf etwas
anderes richtet, so geht ihr alles verloren. Und die Schwere dieses Verlustes
ist so gewaltig wie es die Größe der Gnaden, ist, die Er erweist und die weit
über unser Lob erhaben sind.
Darum, ihr christlichen Seelen, die der Herr bis hierher geführt hat, bitte ich
euch um seinetwillen, daß ihr nicht müde werdet in eurer Wachsamkeit, sondern
euch fernhaltet von den Gelegenheiten zur Sünde; denn selbst in diesem Stande
ist die Seele noch nicht so erstarkt, daß sie sich ihnen aussetzen könnte, wie
sie es vermag, nachdem das Verlöbnis geschlossen ist. Dies geschieht in der
Wohnung, von der wir anschließend reden. Denn die Verbindung bestand bisher
sozusagen in nichts als einem Blick, und der Satan wird ständig darauf aus sein,
die Seele anzufallen und die Verlobung zu hintertreiben. Später aber, wenn er
sieht, wie die Seele dem Bräutigam ganz ergeben ist, wagt er nicht mehr so viel,
da er sie fürchtet und aus Erfahrung weiß, daß er, wenn er sich darauf einließe,
mit einer schweren Niederlage abziehen müßte, während sie mit Gewinn bestünde.
Ich sage euch, Töchter, daß ich manche gekannt habe, die sehr hoch standen, die
bis zu dieser Stufe gelangt waren und die der Satan mit seiner großen List und
Tücke wieder für sich zu gewinnen verstand. Er bietet dazu wohl die ganze Hölle
auf, da ihm sonst – wie ich schon oft gesagt habe – nicht nur eine Seele,
sondern eine ganze Menge verloren geht. Er hat darin bereits Erfahrung. Bedenken
wir, wie viele Seelen Gott mit Hilfe einer einzigen zu sich zieht, so müssen wir
ihn rühmen und preisen ob der Tausende, welche durch die Märtyrer oder durch
eine Jungfrau wie Sankt Ursula bekehrt worden sind, und ob all der anderen, die
der Teufel durch den heiligen Dominikus, den heiligen Franziskus und andere
Ordensstifter verloren hat und noch jetzt durch den Pater Ignatius, den Gründer
der Gesellschaft Jesu, verliert! Sie alle haben offensichtlich – wie wir es ja
auch lesen – ähnliche Gnaden von Gott empfangen. Was heißt das anderes, als daß
sie sich darum bemühten, nicht durch eigene Schuld solch eine göttliche
Verlobung zu verspielen? Oh, meine Töchter! Dieser Herr ist heute wie eh und je
bereit, uns Gnaden zu erweisen, ja in gewissem Sinn ist er heute mehr darauf
angewiesen, daß wir diese empfangen wollen, weil es – im Vergleich zu früher –
nur noch wenige gibt, die sich um seine Ehre kümmern. Wir haben eine große Liebe
zu uns selber und wachen mit scharfsinniger Klugheit darüber, daß wir nichts von
unserem Recht einbüßen. Oh, was für ein schwerer Selbstbetrug! Der Herr
erleuchte uns mit seiner Barmherzigkeit, daß wir nicht in solche Finsternis
fallen.
Bei zwei Punkten werdet ihr mir vielleicht Fragen stellen oder Zweifel hegen.
Erstens: Wie kann die Seele sich selbst betrügen, wenn sie so mit Gottes Willen
übereinstimmt (wie gesagt worden ist), daß sie in nichts ihrer eigenen Neigung
folgen will? Zweitens: Auf welchen Wegen kann dem Teufel ein so gefährlicher
Einbruch gelingen, daß eure Seele noch da verloren geht, wo sie so abgesondert
ist von der Welt und so nahe den Sakramenten, Ja, wir können sagen, in
Gesellschaft von Engeln weilt? Denn durch die Güte des Herrn bringt keine der
Seelen ein anderes Verlangen mit, als ihm in allen Stücken zu dienen und ihm zu
gefallen. Daß jene, die mitten in den irdischen Gelegenheiten zur Sünde stehen,
dem Satan zum Opfer fallen, ist ja nicht verwunderlich. Ich sage euch: Eure
Fragen sind berechtigt; denn Gott hat uns viel Barmherzigkeit erwiesen. Doch
wenn ich – wie gesagt – sehe, daß Judas zur Gemeinschaft der Jünger gehörte und
ständig mit Gott selber umging und seine Worte hörte, so erkenne ich, daß dies
keine Sicherheit bedeutet.
Auf die erste Frage antworte ich: Würde sich diese Seele stets fest an Gottes
Willen halten, so könnte sie auch nicht verloren gehen, das ist klar. Doch der
Satan schleicht sich arglistig an sie heran, verleitet sie unterm Deckmantel der
Rechtschaffenheit dazu, in Kleinigkeiten davon ein bißchen abzuweichen und sich
in Dinge einzulassen, die er ihr als harmlos vorstellt, umnebelt ihr allmählich
den Verstand, lullt ihren Willen ein und läßt die Eigenliebe in ihr aufkeimen,
bis sie mehr und mehr sich von Gottes Willen entfernt und sich dem seinen
nähert. Damit ist auch bereits die Antwort auf die zweite Frage gegeben; denn es
gibt keine noch so dichte Klausur, in die er nicht einzudringen vermöchte, und
keine noch so abgelegene Wüste, wo er nicht hinkäme. Und überdies möchte ich
euch sagen : Vielleicht erlaubt ihm das der Herr, um zu sehen, wie sich die
Seele verhält, welche er zum Licht für andere machen will; denn wenn sie in
Verderbnis gerät, so ist es besser, dies geschieht am Anfang, als dann, wenn sie
vielen zum Unheil wird.
Was mir am meisten Sicherheit zu bieten scheint (außer der ständigen Bitte an
Gott im Gebet, er möge uns an seiner Hand halten, und der stets gegenwärtigen
Vorstellung, wie wir, wenn er uns losließe, in den Abgrund stürzten – was auch
wirklich geschähe –, sowie dem immer wachen Mißtrauen gegen uns selber; denn
alles andere wäre Torheit), das ist die Bemühung, uns mit besonderer Vorsicht
und Besonnenheit zu bewegen, stets darauf achtend, wie wir den Weg der Tugend
gehen: ob wir ein Stückchen vorankommen oder Rückschritte machen (vor allem in
der Liebe, die wir füreinander empfinden). Wir müssen darüber wachen, daß es
unser Wunsch ist, für die Geringste gehalten zu werden; auch dürfen wir unser
Verhalten bei alltäglichen Dingen nicht aus den Augen lassen. Schauen wir darauf
und bitten wir den Herrn, daß er uns erleuchte, so werden wir sehen, was uns
Gewinn bringt und was Verlust. Ihr dürft nicht denken, Gott würde eine Seele,
die er bis hierher geführt hat, so schnell von seiner Hand lassen, daß es dem
Satan keine große Mühe kostet. Es ist Seiner Majestät so leid um jede, die Er
verliert, daß Er ihr vorher tausendfach die verschiedensten Warnungen innerlich
zukommen läßt, damit ihr das Unheil nicht verborgen bleiben kann.
Zum Schluß sei darum gesagt: Laßt uns immer danach streben, daß wir vorankommen.
Geschieht das nicht, so muß uns große Furcht erfüllen; denn sicher will uns dann
der Satan irgendwie übertölpeln. Nachdem wir so weit gekommen sind, ist es
unmöglich, daß wir in unserem Wachstum stehen bleiben; denn die Liebe ist nie
müßig. Es wäre also ein recht schlimmes Zeichen. Eine Seele, die danach
getrachtet hat, die Braut von keinem Geringeren als Gott selber zu werden, die
schon mit ihm Umgang hatte und bis zu jener Höhe emporgestiegen ist, von der wir
sprachen, darf sich nicht hinlegen und schlafen. Und damit ihr seht, Töchter,
was er mit denen tut, die ihm schon verlobt sind, wollen wir beginnen, von der
sechsten Wohnung zu reden. Ihr werdet dabei erkennen, wie wenig all das Dienen
und Leiden und Wirken ist, dem wir uns hingeben können, um uns auf solch große
Gnaden vorzubereiten. Vielleicht hat Gott es angeordnet, daß mir befohlen wurde,
dies zu schreiben, damit wir, die Augen auf den Preis gerichtet und die
Unermeßlichkeit seines Erbarmens schauend (daß er sich mit Gewürm verbinden und
ihm sich offenbaren will!), unsere kleinen irdischen Freuden vergessen und, zu
seiner Größe emporblickend, ihm entgegeneilen, entflammt von seiner Liebe.
Möge es ihm gefallen, daß es mir gelingt, solch schwierige Dinge ein wenig zu
erklären. Denn wenn Seine Majestät und der Heilige Geist nicht die Feder führen,
so ist es unmöglich, das weiß ich gewiß. Sollte es aber nicht zu eurem Nutzen
sein, so flehe ich den Herrn an, daß es mir verwehrt sei, irgend etwas zu sagen;
denn er weiß es, daß ich dabei keinen anderen Wunsch hege – soweit ich mich
selber kenne –, als daß sein Name gelobt werde und daß wir uns Mühe geben, einem
solchen Herrn zu dienen, der schon hier auf der Erde uns so reich belohnt, daß
wir daraus erahnen können, was er uns im Himmel schenken wird, fern von den
Drohungen, Leiden und Gefahren, die es hier auf diesem Meer der Stürme gibt.
Wären wir nicht von der Gefahr bedroht, ihn zu verlieren und ihn zu beleidigen,
so wäre es nur schön, wenn wir weiterleben würden bis zum Ende der Welt, um für
einen so großen Gott und Herrn und Bräutigam zu arbeiten. Möge es Seiner
Majestät gefallen, daß wir es verdienen, ihm einen Dienst erweisen zu können,
ohne die vielen Mängel, die uns immer anhaften, selbst bei den guten Werken.
Amen.
DIE SECHSTE WOHNUNG
ERSTES KAPITEL
Beginnen wir denn mit Hilfe des Heiligen Geistes von der sechsten Wohnung zu
sprechen, wo die Seele schon verwundet ist von der Liebe des Bräutigams, wo sie
noch mehr nach Einsamkeit strebt und – je nach ihrem Stande – sich möglichst all
dessen zu entledigen sucht, was ihr diese Einsamkeit stören könnte. Der Anblick,
den sie erhalten hat, ist der Seele so eingemeißelt, daß es ihr ganzes Begehren
ist, ihn erneut genießen zu können.
Ich habe schon gesagt, daß man in diesem Gebet nichts derart sieht, daß man es
ein Sehen der Augen oder der Phantasie nennen könnte. »Anblick« sage ich im Sinn
des Vergleiches, den ich gebraucht habe. Die Seele ist bereits fest
entschlossen, keinen anderen Gemahl zu nehmen. Doch der Bräutigam achtet nicht
auf ihr brennendes Verlangen, schon jetzt die Hochzeit zu halten; denn er will,
daß sie es noch mehr ersehne und daß es sie etwas koste, weil es das höchste
aller Güter ist. Und obwohl alles, was sie dafür auf sich nehmen muß, gering ist
im Vergleich zu einem solch herrlichen, unermeßlichen Gewinn, sage ich euch,
Töchter, daß sie es nicht aushalten könnte, wenn sie nicht schon ein Pfand und
einen Beweis dafür hätte. Oh, mein Gott, wieviel innere und äußere Mühsal muß
sie erleiden, bevor sie in die siebte Wohnung eintritt!
Wahrlich, manchmal, wenn ich darüber nachdenke, fürchte ich, daß unsere schwache
Natur, wenn man dies vorher wüßte, wohl kaum je sich zu dem Entschluß aufraffen
würde, alles auf sich zu nehmen und willig zu erdulden, trotz noch so herrlicher
Güter, die einem dafür in Aussicht gestellt werden – es sei denn, die Seele wäre
schon in die siebte Wohnung gelangt. Denn dort ist man der Angst enthoben, daß
die Seele nicht bereit sein könnte, sich rückhaltlos hinzuwerfen und es Gott
zuliebe zu erleiden. Der Grund dafür ist, daß sie fast immer in der
unmittelbaren Nähe Seiner Majestät weilt. Daher stammt ihre Kraft.
Ich glaube, es wird jedoch gut sein, wenn ich euch einige der Leiden nenne, von
denen ich weiß, daß sie einem hier mit Sicherheit begegnen. Vielleicht werden
nicht alle Seelen diesen Weg geführt; obwohl ich es sehr bezweifle, daß Seelen,
die zuweilen so wirklich und wahrhaftig himmlische Dinge genießen, frei von
jeglichem irdischen Leiden leben.
Obgleich es nicht meine Absicht war, hierüber zu reden, habe ich doch gedacht,
daß es für eine Seele, die davon bedrückt wird, ein großer Trost sein müßte,
wenn sie erfährt, was in denen vorgeht, welchen Gott ähnliche Gnaden erweist;
denn es kommt einem da wirklich so vor, als wäre alles verloren. Ich werde diese
Leiden aber nicht in der Reihenfolge anführen, wie sie einem begegnen, sondern
wie sie mir gerade ins Gedächtnis kommen, und möchte mit den kleinsten beginnen.
Zu diesen gehört ein Tratsch unter den Leuten, mit denen man zu tun hat, und
auch unter solchen, die einem völlig fern stehen und von denen man nie vermutet
hätte, sie könnten sich überhaupt an uns erinnern. Da heißt es dann: »Sie macht
sich zur Heiligen; sie gibt sich überspannt, um die Leute zu täuschen und die
anderen schlechtzumachen, die bessere Christen sind als sie, ohne solch ein
feierliches Gehabe zur Schau zu stellen.« Dabei tut die Seele, von der die Rede
ist, wohlgemerkt, nichts anderes, als daß sie sich darum bemüht, ihren Stand
gewissenhaft zu wahren. Die einst ihre Freunde waren, trennen sich von ihr; und
eben diese sind es, die ihr am ärgsten zusetzen. Von ihnen schmerzt es am
meisten. Sie sagen: »Diese Seele ist verloren, sie ist offensichtlich
irregeleitet; diese Dinge stammen vom Satan; es ergeht ihr bestimmt wie der und
jener Seele, die zugrunde gegangen ist; sie ist daran schuld, daß die Tugend
abnimmt, denn sie täuscht die Beichtväter.« Und dann gehen sie zu diesen,
erzählen ihnen das gleiche und verweisen dabei auf Beispiele, wie es einigen
ergangen sei, die auf diese Weise in ihr Verderben gelaufen seien. So wird
tausenderlei Hohn und Tratsch verbreitet.
Ich weiß von einer Person, die ernstlich fürchtete, sie könnte niemanden finden,
der – nach den Gerüchten, die umliefen – noch bereit wäre, ihr die Beichte
abzunehmen. Soviel wird da geredet, daß es keinen Sinn hat, sich weiter damit
aufzuhalten. Und das Schlimme daran ist, daß diese Gerüchte nicht kommen und
rasch wieder verschwinden, sondern sich das ganze Leben lang halten. Und eine
warnt die andere, man möge sich davor hüten, mit derartigen Personen umzugehen.
Ihr werdet mir antworten, daß es auch solche gibt, die Gutes reden. O Töchter,
wie wenige sind es, die daran glauben als an etwas Gutes, verglichen mit denen,
die es schmähen! Und außerdem sind solche gutgemeinten Äußerungen eine weitere
Pein, die noch schlimmer ist als die üble Nachrede; denn da die Seele klar
erkennt, daß es ihr von Gott geschenkt ist, wenn etwas Gutes an ihr ist, und daß
es keinesfalls von woanders kommen kann, weil sie sich kurz zuvor noch ganz
verderbt in schweren Sünden befand. Darum ist ihr solch ein Lob eine
unerträgliche Qual, zumindest am Anfang; später mindert sie sich aus
verschiedenen Gründen. Erstens: Weil die Erfahrung ihr deutlich zu erkennen
gibt, daß eine gute Nachrede so schnell entsteht wie eine üble, macht sie sich
aus der einen nicht mehr als aus der anderen. Zweitens: Weil der Herr sie noch
klarer gewahren läßt, daß nichts, was an ihr gut ist, ihr Eigentum darstellt,
sondern ein Geschenk ist von Gott, vergißt sie, daß sie selber irgendwie daran
beteiligt ist, und lobt Gott von neuem, als sähe sie das Gute an einer fremden
Person. Drittens: Weil sie erlebt hat, daß der Anblick der Gnaden, welche Gott
ihr erweist, einigen Menschen zum Nutzen geworden ist, denkt sie, Seine Majestät
habe dieses Mittel – daß man sie für gut hält, wo sie es doch nicht ist – dazu
gewählt, daß es anderen zum Heil gereiche. Viertens: Weil sie die Ehre Gottes
mehr im Auge hat als den eigenen Ruhm, wird sie frei von der Anfechtung, die
anfänglich mit der Furcht sie überkam, diese Lobsprüche würden sie ins Verderben
stürzen, wie sie es bei einigen anderen gesehen hat. Und darum macht es ihr auch
wenig aus, wenn man ihr die Ehre versagt, falls dafür ihre Person dann als Anlaß
dient, daß Gott gepriesen wird, sei es auch nur ein einziges Mal. Möge daraus
werden, was da will.
Diese und andere Überlegungen lindern die große Pein, welche solche Lobesworte
über die eigene Person der Seele bereiten. Sie wird allerdings fast nie ganz
frei von solch schmerzlichen Empfindungen, es sei denn, daß sie überhaupt nicht
beachtet wird. Aber in der Öffentlichkeit so ohne jede Berechtigung als gut zu
gelten, bedrückt einen unvergleichlich mehr als alles Gerede. Wenn die Seele
jedoch einmal so weit gekommen ist, daß sie solchen Lobsprüchen keine große
Bedeutung mehr beimißt, so wird ihr das Geläster noch viel weniger gewichtig
erscheinen, eher vergnügt es sie und klingt ihr wie eine sanfte Musik in den
Ohren. Das ist eine wichtige Wahrheit. Es stärkt die Seele mehr, als daß es sie
schwächt; denn die Erfahrung hat sie bereits gelehrt, welch großen Gewinn sie
auf diesem Wege erhält, und sie ist nicht der Meinung, daß ihre Verfolger Gott
beleidigen, sondern glaubt vielmehr, daß Seine Majestät ihnen die Erlaubnis zu
ihrem Tun gegeben hat, damit sie dadurch einen großen Gewinn erlange. Und da sie
dies mit aller Deutlichkeit fühlt, hegt sie für ihre Verleumder eine besonders
innige Liebe; denn es scheint ihr, diese Menschen seien ihr die besseren Freunde
und brächten ihr mehr Gewinn als die anderen, die gut von ihr reden.
Auch legt der Herr einem oft schwere Krankheiten auf. Das ist ein viel größeres
Leiden, vor allem wenn starke Schmerzen damit verbunden sind. Sind sie heftig,
so ist dies meines Erachtens das Schlimmste, was einen auf Erden treffen kann
(äußerlich, meine ich), so viel einem hier auch zustoßen mag – falls die
Schmerzen wirklich entsetzlich sind. Denn das Innere und Äußere wird dadurch
zerrüttet, und die Seele wird davon so bedrückt, daß sie nicht mehr aus noch ein
weiß und viel lieber jede Art von Martyrium, die schnell zum Tode führt, auf
sich nehmen würde als diese Schmerzen. Der äußerste Grad an Heftigkeit hält zwar
nicht lange an (denn Gott legt uns schließlich nicht mehr auf, als wir ertragen
können, und Seine Majestät schenkt uns zuerst die Geduld dazu), doch andere
schwere Qualen und Krankheiten vielerlei Art begleiten uns oft Tag für Tag.
Ich kenne eine Person, die seit der Zeit, wo der Herr ihr die Gnade, von der wir
gesprochen haben, zu erweisen begann – was vor vierzig Jahren geschah –,
wirklich nicht mehr sagen kann, daß sie auch nur einen Tag ohne Schmerzen oder
sonstige Leiden verlebt habe. Ich meine Mängel der körperlichen Gesundheit, ohne
auf andere schwere Bedrängnisse anzuspielen. Es trifft freilich zu, daß diese
Seele sehr verderbt gewesen war; und im Vergleich zur Hölle, die sie verdient
hätte, erscheint ihr das alles unbedeutend. Andere, die unseren Herrn nicht so
beleidigt haben, wird er einen anderen Weg führen. Ich würde jedoch immer den
des Leidens wählen, schon um es unserem Herrn Jesus Christus nachzutun, wäre
auch sonst kein besonderer Gewinn damit verbunden, der doch immer reichlich auf
ihm zu finden ist.
Oh, wenn wir von den innerlichen Leiden reden, müssen – falls es gelingt, sie
auszudrücken – die anderen unwesentlich erscheinen. Ihre Erscheinungsweisen zu
erklären ist unmöglich. Beginnen wir mit der Qual, die es einer Seele bereitet,
wenn sie auf einen Beichtvater stößt, der so zaghaft vorsichtig und so wenig
erfahren ist, daß ihm überhaupt nichts als gewiß und sicher erscheint. Er
fürchtet alles, setzt in alles seinen Zweifel, sobald er Dinge gewahrt, die
nicht alltäglich sind; vor allem wenn er an der Seele, der sie widerfahren,
irgendeine Unvollkommenheit entdeckt (denn solche Menschen meinen, es müßten
Engel sein, denen Gott diese Gnaden erweist, und es könne einem so etwas
unmöglich begegnen, solange man in diesem Leibe sei). Dann wird alles als Werk
des Teufels oder der Melancholie verdammt. Und von der letzteren ist die Welt so
voll, daß ich mich nicht darüber verwundere. So häufig tritt sie jetzt in
Erscheinung und der Teufel bewirkt durch sie so viele Übel, daß es sehr wohl
berechtigt ist, wenn die Beichtväter sie fürchten und sehr genau auf sie achten.
Doch die arme Seele, die von derselben Furcht erfüllt ist und zum Beichtvater
wie zu einem Richter geht, wird durch seine Verdammung in eine solch große Qual
und Verwirrung gestürzt, daß nur der, welcher es selbst erlebt hat, verstehen
wird, wie schrecklich sie leidet.
Eine andere schwere Bedrängnis, von der diese Seelen gequält werden, vor allem
wenn sie böse waren, ist nämlich der Gedanke, Gott könnte es wegen ihrer Sünden
zulassen, daß sie getäuscht werden. Obwohl sie, solange Seine Majestät ihnen die
Gnade erweist, ihrer Sache sicher sind und nicht glauben können, es sei ein
anderer Geist am Werk als der Geist Gottes, so befällt sie doch später – weil
die Gnadenerscheinung nicht lange währt, die Erinnerung an ihre Sünden sie aber
nie verläßt und sie ständig Fehler an sich selber gewahren (denn an solchen
mangelt es nie) – diese bohrende Qual. Ermutigt der Beichtvater die Seele, so
legt sich ihre Angst, wenn sie auch bald von neuem erwacht. Doch wenn seine
Hilfe darin besteht, daß er ihr noch mehr Furcht einflößt, so ist es
unerträglich, vor allem wenn sie danach Zeiten der Dürre erlebt, so daß es nicht
den Anschein hat, als habe sie sich irgendwann einmal an Gott erinnert oder als
werde sie dies jemals tun, und daß es ihr vorkommt, als spreche man von einer
Person, deren Namen sie von ferne einmal gehört habe, wenn sie vernimmt, daß von
Seiner Majestät die Rede ist.
Das alles bedeutet nichts, falls nicht die weitere Qual hinzukommt, daß sie
meint, sie könne sich den Beichtvätern nicht mitteilen und habe sie getäuscht.
Mag sie noch so viel darüber nachdenken und feststellen, daß sie sogar jede
erste Regung einer sündigen Anwandlung ihnen sagt, so hilft ihr das dennoch
nicht, weil ihr Verstand so verdunkelt ist, daß er die Wahrheit nicht zu sehen
vermag, sondern glaubt, was die Einbildung der Seele vorgaukelt. Denn nun hat
diese die Herrschaft erlangt mit den Wahnbildern, die der Teufel der Seele vor
Augen führen will. Ihm hat unser Herr wohl die Erlaubnis gegeben, die Seele zu
prüfen, und ihm sogar gestattet, ihr den Gedanken einzuflößen, daß Gott sie
verworfen habe. So vielerlei Anfechtungen sind es, die sie im Inneren mit solch
unerträglicher Qual bedrängen, daß ich nicht weiß, mit wem sonst ich sie
vergleichen könnte als mit denen, die in der Hölle schmachten. Denn keinerlei
Tröstung wird in diesem rasenden Sturm gewährt. Will sie sich beim Beichtvater
Trost holen, so scheint es, als seien die Teufel diesem zu Hilfe geeilt, damit
er sie noch mehr martere. Einer Seele, die sich in diesem Sturm befand, gab ein
Beichtvater, nachdem es vorüber war, einmal den Rat, sie möge es ihm mitteilen,
wenn sie in diesen Zustand gerate (denn es erschien ihm bedrohlich, weil so
viele Dinge gleichzeitig auf die Seele einstürmten). Doch es wurde nur
schlimmer, so daß er schließlich zu der Einsicht kam, daß er nichts dagegen
vermochte. Wollte die betroffene Person ein in ihrer Muttersprache geschriebenes
Buch zur Hand nehmen, so geschah es ihr nämlich, daß sie – obwohl sie gut lesen
konnte – nicht mehr davon verstand, als wenn sie die Buchstaben nie gelernt
hätte; denn ihr Verstand hatte das Fassungsvermögen verloren.
Es bleibt einem in diesem Sturm nichts weiter übrig, als auf das Erbarmen Gottes
zu warten, welches unversehens durch ein einziges Wort oder durch irgend etwas
anderes alle Bedrängnis so rasch zerstreut, daß es scheint, als sei die Seele
nie umwölkt gewesen. Von Sonne ist sie dann durchflutet und erfüllt von
strahlenderem, reicherem Tröste denn je zuvor. Und wie jemand, der siegreich aus
einer gefahrvollen Schlacht hervorgegangen ist, lobt sie unseren Herrn; denn er
ist es, der den Sieg errungen hat. Und die Seele weiß sehr genau, daß sie nicht
gekämpft hat, weil sie alle Waffen, mit denen sie sich hätte verteidigen können,
in den Händen ihres Gegners zu sehen glaubte. Darum erkennt sie klar ihre
Armseligkeit und begreift, wie erbärmlich wenig wir von uns aus tun könnten,
wenn der Herr uns im Stich ließe.
Um das zu verstehen, braucht sie – wie es scheint – keine Betrachtung mehr; denn
die Erfahrung ihrer eigenen völligen Ohnmacht, die sie dabei machte, hat ihr
unsere Nichtigkeit und Armseligkeit offenbart. Die Gnade – die dennoch sie nicht
verlassen haben konnte, da sie trotz all diesem Sturm Gott nicht beleidigte noch
um alles in der Welt beleidigt hätte – war so verborgen, daß sie meinte, sie
könne nicht einmal einen winzigen Funken in sich gewahren, der ihr verriete, daß
sie Gott liebe oder daß sie ihn überhaupt je geliebt habe. Hatte sie etwas Gutes
getan oder hatte Gott ihr irgendeine Gnade erwiesen, so erschien ihr dies alles
als Traumgebilde oder Vorspiegelung ihrer Phantasie. Von ihren Sünden dagegen
wußte sie sicher, daß sie wirklich von ihr begangen worden waren.
O Jesus, welchen Anblick bietet eine Seele, die solch eine Verlassenheit erlebt!
Und wie wenig nützt ihr – wie gesagt – aller irdische Trost! Darum, Schwestern,
denkt nicht, wenn ihr euch einmal in dieser Lage befindet, die Reichen und all
jene, die in Freiheit leben, hätten in solchen Fällen mehr Hilfsmittel zur Hand.
Nein, gewiß nicht. Mir kommt dies vor, als böte man den Verdammten alle Genüsse
der Erde dar, die ihnen doch keine Linderung verschaffen können, sondern eher
ihre Qualen steigern. Dort wie hier muß die Hilfe von oben kommen, und irdische
Dinge nützen uns nichts. Dieser große Gott will, daß wir ihn als den König
erkennen und unser Elend begreifen. Das ist von großer Bedeutung für alles
Weitere.
Was aber soll die arme Seele tun, wenn sie Tag für Tag sich in diesem Zustand
befindet? Betet sie, so ist es, als bete sie nicht – das heißt: sie fühlt keinen
Trost –; denn sie findet im Inneren
kein Gehör. Sie versteht ja nicht einmal selber, was sie da betet, obwohl sie
mit dem Munde betet, da es für das innerliche Gebet nun keineswegs die rechte
Zeit ist. Ihre Seelenkräfte sind dazu nicht bereit. Die Einsamkeit kann ihr
vielmehr äußerst schädlich werden. Es quält sie freilich andererseits auch, wenn
sie nicht allein ist und man mit ihr redet. Deshalb geht sie, trotz aller
Anstrengung, mit so verschlossener und verdrossener Miene umher, daß es einem
anderen gleich in die Augen springt. Wie könnte sie sagen, was sie hat? Es ist
unsagbar, denn es sind Bedrängnisse und Schmerzen im Geist, für die es keine
Namen gibt. Das beste Mittel (nicht um davon befreit zu werden – denn so eines
habe ich nicht gefunden –, sondern um es ertragen zu können) ist, sich guten
praktischen Werken zu widmen und auf das Erbarmen Gottes zu warten, das keinem
versagt bleibt, der auf ihn harrt. Er sei gepriesen in Ewigkeit, Amen.
Andere, äußere Leiden, die von den bösen Geistern verursacht werden, sind wohl
nicht so häufig. Es ist daher nicht nötig, von ihnen zu reden. Sie sind auch
meist nicht so peinigend; denn so sehr sie einem auch zusetzen, bringen sie es
meines Erachtens doch nicht zuwege, daß sie die Seelenkräfte so sehr ihrer
Fähigkeiten berauben oder die Seele so sehr verwirren, daß nicht am Ende doch
noch genug Vernunft für den Gedanken da ist, daß ihre Macht nur so weit reicht,
wie der Herr es zuläßt. Und solange diese Einsicht noch nicht verloren ist, ist
alles unerheblich im Vergleich zu dem, was wir vorher nannten.
Von anderen inneren Leiden werden wir bei unserem Gang durch diese Wohnung
sprechen, wenn wir von den Unterschieden im Gebet und bei den Gnaden des Herrn
reden. Obwohl einige dieser Leiden noch härter und schmerzhafter sind als die
vorigen – wie an ihrer Wirkung auf den Körper zu sehen ist –, verdienen sie
dennoch nicht die Bezeichnung »Leiden«, und es ist ein Unrecht, wenn wir sie so
nennen, da es große Gnaden des Herrn sind und die Seele mitten in der
Heimsuchung begreift, daß sie dies sind und daß sie ein Geschenk darstellen, das
weit, weit über das hinausgeht, was sie verdienen würde. Hier kommt schon die
große Pein, die dem Eintritt in die siebente Wohnung vorausgeht und sich
zusammen mit vielen anderen Leiden zeigt, von welchen ich nur einige nennen
will; denn alle anzuführen oder gar ihre Eigenart zu beschreiben, wäre
unmöglich. Sie sind von anderer, höherer Abkunft als die bisher genannten, und
wenn ich schon von diesen, die doch von niedererem Stamme sind, nicht mehr
erklären konnte als das, was ich gesagt habe, so werde ich es bei den anderen
noch weniger können. Der Herr schenke mir zu allem seine Gunst, um der
Verdienste seines Sohnes willen. Amen.
ZWEITES KAPITEL
Es scheint, als hätten wir den kleinen Falter weit hinter uns gelassen; doch es
scheint nur so. Denn diese Leiden sind es, was ihn noch höher emporfliegen läßt.
Reden wir denn davon, wie der Bräutigam sich zu der Seele verhält und wie er,
bevor er sich ihr ganz zu eigen gibt, eine große Sehnsucht danach in ihr
erweckt, auf so zarte Weise, daß die Seele es selber nicht versteht und ich
nicht glaube, es so ausdrücken zu können, daß es jemand begreift, der es nicht
erlebt hat. Denn es sind so zarte, feine Antriebe, die vom tiefsten Inneren der
Seele ausgehen, daß ich keinen passenden Vergleich dafür nennen kann.
Es ist ganz anders als alles, was wir hier anstreben können, ja auch ganz anders
als die Wonnen, von denen wir sprachen. Denn oftmals, wenn der Betreffende sich
dessen gar nicht versieht und sich überhaupt nicht an Gott erinnert, erweckt ihn
Seine Majestät wie durch den rasch vorüberhuschenden Lichtschweif eines Meteors
oder einen Donnerschlag, obwohl kein Schall zu hören ist. Doch die Seele erfaßt
genau, daß Gott sie gerufen hat, und so unzweifelhaft ist dieses Erkennen, daß
sie zuweilen – vor allem am Anfang – davor erschauert und sogar jammert, ohne
daß ihr etwas weh täte. Sie fühlt sich verwundet auf höchst wohltuende Weise,
doch sie errät nicht, wie und durch was sie verwundet worden ist. Doch sie
erkennt genau, daß dies etwas sehr Kostbares ist, und niemals wollte sie von
jener Wunde geheilt sein. Mit Worten der Liebe klagt sie, sogar hörbar – denn
sie kann nicht anders –, ihrem Bräutigam, weil sie weiß, daß er da ist, doch
sich nicht so offenbaren will, daß sie sich an ihm erfreuen könnte. Das ist für
sie eine heftige, aber dennoch angenehme und süße Qual. Und selbst wenn sie
davon befreit sein wollte, könnte sie ihr nicht entrinnen. Doch niemals wollte
sie dies. Es befriedigt sie noch viel mehr als die wonnevolle, schmerzlose
Versunkenheit im Gebet der Ruhe.
Ich zerbreche mir den Kopf, Schwestern, um euch diese Wirkung der Liebe
verständlich zu machen, und weiß nicht wie; denn es scheint sich zu
widersprechen, wenn der Geliebte klar zu erkennen gibt, daß er bei der Seele
ist, und doch zugleich sie anscheinend mit einem solch deutlichen,
unverkennbaren Zeichen herbeiruft, sich ihr mit einem so durchdringenden Pfeifen
kundgibt, daß sie es nicht überhören kann. Spricht der Bräutigam, der in der
siebten Wohnung weilt, auf diese Weise – die keine geformte Rede ist –, so
scheint es nämlich, als wagte alles Volk, das in den anderen Wohnungen ist, sich
nicht zu rühren – weder die Sinne noch die Phantasie oder die Seelenkräfte. Oh,
mein mächtiger Gott, wie groß sind Deine Geheimnisse und wie verschieden sind
die Dinge des Geistes von allem, was auf Erden zu sehen und zu begreifen ist;
denn mit nichts ist diese Gnade zu erklären, die doch so gering ist im Vergleich
zu den großen Taten des Erbarmens, die Du in den Seelen bewirkst!
So gewaltig ist diese Wirkung, die er in der Seele hervorruft, daß diese sich
vor Sehnsucht verzehrt und nicht weiß, um was sie bitten soll, weil es ihr klar
erscheint, daß ihr Gott bei ihr ist. Ihr werdet mich fragen: »Ja, wenn sie dies
merkt, was ersehnt sie dann und was bereitet ihr Pein? Was könnte sie sich
Besseres wünschen?« Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, daß diese Pein ihr tief ins
Herz zu dringen scheint, so daß sie, wenn der, welcher sie verwundet hat, den
Pfeil herauszieht, wirklich meint, er ziehe ihr Inneres mit heraus. So stark ist
der Liebesschmerz, den sie empfindet.
Eben habe ich darüber nachgedacht, ob nicht vielleicht von diesem Feuer des
glühenden Kohlenbeckens, das mein Gott ist, ein Funke heraussprang und in die
Seele fiel, so daß sie jenes flammende Feuer in sich fühlte. Und da es nicht
genug war, um sie zu verbrennen, und zugleich solche Wonne weckte, empfand sie
jene Pein. Aus der Berührung mit jenem Feuer entsteht diese Wirkung. Das scheint
mir der beste Vergleich zu sein, mit dem ich es auszudrücken vermag. Denn dieser
lustvolle Schmerz – der kein Schmerz ist – dauert nicht in einem fort. Hält er
auch zuweilen geraume Zeit an, so geht er doch sonst schnell vorbei, je nachdem,
wie der Herr ihn mitteilen will. Es ist nämlich nichts, was auf irgendeinem
menschlichen Weg sich beschaffen ließe. Aber selbst wo dieser Schmerz manchmal
eine Weile anhält, verschwindet er bald und taucht bald wieder auf. Er ist also
nie beständig vorhanden, und darum verzehrt er auch die Seele nicht bis auf den
Grund. Kaum entzündet sie sich, so erstirbt der Funke, und die Seele sehnt sich
danach, von neuem jenen Liebesschmerz, den er ihr verursacht, zu erleiden.
Hier braucht man sich nicht zu überlegen, ob es etwas sein könnte, das unserer
eigenen Natur entstammt oder von der Melancholie hervorgerufen worden ist; ob es
ein teuflischer Betrug oder die Vorspiegelung einer Laune ist. Denn es ist gut
zu erkennen, daß die Bewegung von dort ausgeht, wo der Herr weilt, der
unwandelbar ist. Und die Wirkungen sind nicht dieselben wie bei anderen
Zuständen der Andacht, wo die tiefe Versunkenheit in der Wonne uns Zweifel
erwecken kann. Hier schauen alle Sinne und Seelenkräfte, fern jeder
Versunkenheit, was das sein kann, ohne – wie mir scheint – jene lustvolle Pein
im geringsten zu stören und ohne sie steigern oder aufheben zu können. Wem unser
Herr diese Gnade erweist, der wird es verstehen, wenn er dies liest. Und er
danke Gott von ganzem Herzen dafür, daß er sich nicht darum Ängsten muß, ob es
ein Trug ist. Er fürchte sich aber sehr davor, angesichts einer so großen Gnade
undankbar zu sein, und strebe mit aller Kraft danach, Ihm zu dienen und sein
ganzes Leben zu bessern, und er wird sehen, wohin er gelangt und wie er mehr und
immer mehr empfängt. Eine Person, die diese Gnade erfuhr, verbrachte einige
Jahre in diesem Zustand, doch war sie damit so sehr zufrieden, daß sie sich
reich belohnt gefühlt hätte, auch wenn sie viele Jahre lang dem Herrn unter
großen Leiden gedient hätte. Er sei gepriesen in alle Ewigkeit, Amen.
Vielleicht grübelt ihr nun darüber nach, inwiefern hier mehr Sicherheit herrsche
als anderswo. Dafür sprechen meines Erachtens die folgenden Gründe. Erstens: Daß
der Satan wohl nie einen solch lustvollen Schmerz wie diesen verursacht. Er kann
zwar eine scheinbar geistige Annehmlichkeit und Lust verleihen, doch sie mit
Pein zu verbinden, mit einer solch großen Pein, und der Seele dabei Ruhe und
Wohlgefallen zu schenken – das ist nicht in seiner Macht. Denn seine Gewalt
beschränkt sich auf das Äußere, und die Pein, die er verursacht, ist meines
Erachtens niemals angenehm und friedvoll, sondern unruhig und voller Streit. –
Als zweiter Grund spricht für diese Sicherheit, daß dieser wohltuende Sturm aus
einem Bereich kommt, über den der Satan keine Herrschaft hat. Als dritter: Der
große, vielfältige Nutzen, den dieses Erlebnis der Seele bringt. Dazu gehören
für gewöhnlich auch der Entschluß, für Gott zu leiden, sowie der Wunsch, schwere
Mühsal auf sich zu nehmen, und der sehr viel strengere Vorsatz, sich
fernzuhalten von den Freuden und Vergnügungen der Welt.
Daß es sich hierbei um keine Einbildung handelt, ist völlig klar; denn selbst
wenn man jene Empfindung ein andermal bewußt wieder in sich hervorrufen wollte,
so gelänge einem dies nicht. Es ist etwas so Offenkundiges, daß man es sich in
keiner Weise vorspiegeln kann; das heißt: man kann nicht meinen, es sei
vorhanden, wenn es nicht da ist, noch seine Wirklichkeit bezweifeln, wenn man es
erfährt. Bleibt es aber doch irgendwie zweifelhaft – ich meine: zweifelt man, ob
man es erlebt hat oder nicht –, so möge man sich darüber im klaren sein, daß es
nicht die wahren Triebkräfte sind; denn diese sind so deutlich wahrzunehmen, wie
wenn das Ohr eine mächtige Stimme vernimmt. Die Befürchtung, daß es eine
Ausgeburt der Melancholie sei, ist völlig abwegig, weil die Melancholie nur in
der Phantasie ihre Bilder erzeugt, während die Erscheinung, von der wir reden,
dem Inneren der Seele entstammt. Ich mag mich täuschen, doch solange ich keine
anderen Argumente von jemandem vernommen habe, der darin Erfahrung hat, werde
ich stets bei dieser Meinung bleiben. Ich weiß auch von einer Person, die sich
vor derartigen Täuschungen sehr fürchtet, aber bei diesem Gebet eine solche
Angst nie empfinden konnte.
Unser Herr pflegt auch noch auf manche andere Weise die Seele zu wecken.
Unversehens, während sie mit dem Munde betet, ohne auf etwas Innerliches zu
achten, ist es ihr, als flamme eine Wonne auf, als überwalle sie jählings ein
starker Geruch, der durch alle Sinne sich ihr mitteilt (ich sage nicht, es sei
ein Geruch, sondern gebrauche dies nur als Vergleich). Mit solchen und ähnlichen
Erscheinungen will der Herr die Seele nur fühlen lassen, daß der Bräutigam
zugegen ist. Er erregt in ihr eine so süße Sehnsucht, sich an seiner Seele zu
erfreuen, daß sie bereit wird, große Taten für unseren Herrn zu vollbringen und
ihn zu preisen. Der Ursprung dieser Gnade ist derselbe, dem die vorher genannte
entstammt; doch hier ist nichts, was Schmerz bereitete, und selbst das
Verlangen, sich am Herrn zu erfreuen, ist frei von Pein. Diese Sehnsucht ist es,
was die Seele am häufigsten fühlt. Auch hier gibt es meines Erachtens nichts zu
fürchten (aus verschiedenen Gründen, die ich schon genannt habe), vielmehr gilt
es, darauf bedacht zu sein, diese Gnade in Dankbarkeit zu empfangen.
DRITTES KAPITEL
Gott kennt noch eine weitere Art, die Seelen zu wecken. Obwohl diese in gewisser
Weise als eine größere Gnade denn die vorher genannten erscheint, kann sie doch
gefährlicher sein, und deshalb will ich mich etwas länger dabei aufhalten. Es
handelt sich um gewisse Anreden, welche die Seelen auf vielerlei Art vernehmen.
Manche solcher Anreden scheinen von außen zu kommen, andere aus dem tiefsten
Inneren der Seele, wieder andere aus deren oberer Zone, und manche widerfahren
einem so äußerlich, daß man es mit den Ohren hört, weil sie als klare und
deutliche Stimme wirken. Manchmal, ja oft kann es eine Täuschung sein, besonders
bei Leuten mit kranker Phantasie oder bei Melancholikern (ich meine: bei
solchen, die an besonders starker Schwermut leiden). Bei Menschen, die zu diesen
beiden Gruppen gehören, darf man es meiner Meinung nach nicht ernst nehmen, auch
wenn sie sagen, daß sie es sehen und hören und verstehen. Man sollte sie aber
nicht dadurch beunruhigen, daß man sagt, es sei der Satan; sondern sie anhören,
wie man Kranke anhört. Und die Äbtissin oder der Beichtvater, an die sie sich
wenden, sollten ihnen sagen, daß sie dem keine Beachtung schenken müßten, daß
sie dies nicht brauchten, um Gott dienen .zu können, und daß der Satan schon
viele damit betrogen habe, obgleich dies bei ihnen vielleicht nicht der Fall sei
(um sie nicht noch bekümmerter zu machen, als sie es bei ihrer Gemütsart ohnehin
schon sind; denn sagte man ihnen, daß dies von der Melancholie kommt, so würden
sie in einem fort beschwören, daß sie es sehen und hören, weil es ihnen eben so
vorkommt).
Es ist freilich unumgänglich, die Sache insofern zu beachten, als man der
betreffenden Person das stumme Gebet untersagt und mit allen Kräften darauf
hinwirkt, daß sie sich nichts daraus macht; denn der Satan pflegt kranke Seelen
dieser Art zu seinem Vorteil zu gebrauchen – wenn nicht zu ihrem eigenen
Schaden, so doch zu dem von anderen. Und bei den Kranken wie bei den Gesunden
muß man angesichts solcher Dinge stets auf der Hut sein, bis man erkennt, wes
Geistes diese Stimme ist. Und ich meine, daß es zunächst immer das Beste ist,
nichts darauf zu geben; denn wenn es von Gott kommt, trägt dies um so mehr dazu
bei, daß man vorwärts gelangt, und es nimmt eher zu, wenn es auf die Probe
gestellt worden ist. Dies ist gewiß; aber man darf die Seele dabei nicht zu sehr
bedrängen und sie nicht beunruhigen, denn sie kann wirklich nicht anders.
Kehren wir jedoch zu dem zurück, was ich von den Anreden an die Seele gesagt
habe: Von welcher der genannten Arten sie auch sein mögen – sie können immer
sowohl von Gott kommen wie auch vom Satan und von der eigenen Einbildung. Ich
werde, falls es mir – mit der Gunst des Herrn – gelingt, die Zeichen nennen,
woran man die Unterschiede erkennt, und sagen, in welchem Fall diese Anreden
gefährlich sind. Denn unter den Menschen, die sich dem Gebet widmen, gibt es
viele Seelen, die solche Stimmen vernehmen, und ich möchte nicht, Schwestern,
daß ihr denkt, ihr tätet unrecht, wenn ihr ihnen keinen Glauben schenkt; ihr
sollt aber auch nicht meinen, es sei böse, wenn ihr ihnen glaubt, falls sie nur
euch selber erfreuen oder euch hinweisen auf Mängel, die euch anhaften, mögen
sie nun kommen, von wem sie wollen, und sei es auch eine Täuschung – das wäre
nicht so schlimm. Vor einem jedoch möchte ich euch warnen: auch wenn es von Gott
kommt, solltet ihr nicht meinen, ihr wäret deshalb besser als die anderen; denn
er hat viel zu den Pharisäern geredet, und alles Heil liegt darin, wie man diese
Worte nützt. Und einem Wort, das nicht völlig mit der Heiligen Schrift
übereinstimmt, solltet ihr nicht mehr Beachtung schenken, als wenn ihr es vom
Satan selber hörtet. Mag es auch eurer kranken Phantasie entstammen, so müßt ihr
es doch als eine Versuchung in Glaubensdingen ansehen und derlei Anreden
widerstehen, damit ihr sie loswerdet. Und sie werden sicher von euch ablassen,
weil sie wenig Kraft in sich haben.
Ungeachtet, ob sie – wie ich zu Beginn sagte – aus dem Inneren, aus der oberen
Zone der Seele oder von außen kommen, können diese Anreden also alle von Gott
sein. Die sichersten Kennzeichen, die man erhalten kann, sind meiner Meinung
nach die folgenden.
Das erste und verläßlichste Merkmal ist die Macht, mit der sie auftreten, eine
Macht, welche zugleich redet und wirkt. Ich will mich deutlicher ausdrücken.
Eine Seele befindet sich in all der Drangsal und inneren Ruhelosigkeit, von der
ich gesprochen habe, inmitten der Dunkelheit des Verstandes und in der Dürre; da
genügt ein Wort, das nichts weiter besagt als: »Sei unbekümmert«, und sie ist
gestillt und ledig aller Pein; ein großes Licht erfüllt sie, und hinweg ist all
jene Qual, von der sie meinte, daß die ganze Welt und alle Weisen, wenn sie
zusammenkämen, um die Seele mit Vernunftgründen auszurüsten, nichts dagegen
ausrichten könnten, so sehr die Gelehrten sich auch darum bemühen würden, sie
dieser Trübsal zu entreißen. Ein andermal ist die Seele bekümmert und voller
Angst, weil der Beichtvater und andere ihr gesagt haben, der Geist des Satans
sei in ihr. Und ein einziges Wort, das sie vernimmt: »Ich bin’s, sei ohne
Furcht«, befreit sie von allem und erfüllt sie mit innigstem Trost, so daß sie
meint, es könnte keinem gelingen, sie an diesem Glauben irrezumachen. Wieder ein
andermal ist die Seele wegen mancher schwierigen Geschäfte von schweren Sorgen
gequält; denn sie weiß nicht, wie das noch enden soll. Da hört sie, daß sie
ruhig sein möge, alles werde ein gutes Ende nehmen; Sicherheit durchdringt sie,
und aller Gram ist gewichen. Und so geschieht es in vielen anderen Fällen.
Das zweite Kennzeichen ist eine große Ruhe, welche die Seele überkommt, eine
andächtige und friedvolle Sammlung und die Bereitschaft zum Lobe Gottes. O Herr,
wenn ein Wort, das Du durch einen Deiner Pagen zu uns gelangen läßt (denn
angeblich spricht ja – wenigstens bei diesen Worten, in dieser Wohnung – nicht
der Herr selber, sondern irgendein Engel), wenn ein Seele, die in Liebe mit Dir
verbunden ist, so wie Du mit ihr?
Das dritte Zeichen ist, daß diese Worte sehr lange nicht aus dem Gedächtnis
schwinden und manche überhaupt nie, im Gegensatz zu dem, was wir hier vernehmen,
ich meine: was wir von den Menschen hören. Mag es auch bedeutend und gelehrt
sein, so bleibt es doch unserem Gedächtnis nicht so eingemeißelt; und bezieht es
sich auf künftige Dinge, so glauben wir auch nicht so fest daran wie an diese
Worte; denn sie hinterlassen eine überaus starke Gewißheit. Obwohl einen
manchmal, wenn es sich um Dinge handelt, die nach unserer Meinung ziemlich
unmöglich sind, Zweifel anwandeln, ob das sein kann oder nicht, und der Verstand
etwas ins Wanken gerät, herrscht doch in der Seele selber eine Sicherheit, die
nicht umzuwerfen ist, auch wenn es ihr selber vorkommt, als widerspreche alles
den Worten, die sie vernommen hat. Und mögen auch Jahre darüber vergehen, so
kann ihr dies nicht die Überzeugung rauben, daß Gott andere Wege sucht, welche
die Menschen nicht begreifen, und daß es am Ende doch sich erfüllen muß – und so
geschieht es auch. Freilich bleibt ihr – wie ich schon sagte – nicht erspart,
darunter zu leiden, wenn sie vieles gewahrt, was dem widerspricht; denn da es
schon lange her ist, daß sie die Stimme gehört hat, und die Vorgänge ebenso wie
die im Gedächtnis hinterlassene Gewißheit, daß es Gott gewesen, schon weit
zurückliegen, können derlei Zweifel aufkommen, so daß sie denkt, ob es nicht
vielleicht doch der Satan war oder aus ihrer Einbildung kam. Aber keines dieser
Bedenken kann sich bei ihr halten; sie ist vielmehr bereit, für die Wahrheit
jener Worte zu sterben. All diese Hirngespinste gibt einem wohl der Satan ein,
um die Seele zu quälen und sie feige zu machen. Vor allem wenn die Erfüllung der
Worte, die man vernommen, reichen Gewinn für die Seelen bringen wird, zur hohen
Ehre Gottes gereicht und einen Dienst für Ihn bedeutet, der mit großen
Schwierigkeiten verbunden ist – was wird der Böse da nicht alles versuchen?
Durch derlei Anwandlungen wird der Glaube also zumindest geschwächt; denn es ist
ein schwerer Schade, wenn man nicht glaubt, daß Gott mächtig genug ist, Dinge zu
vollbringen, die unser Verstand nicht begreifen kann.
Trotz all dieser Anfechtungen, und selbst wenn jemand da ist, der zu der
betreffenden Person sagt, dies alles sei Unsinn (ich meine die Beichtväter, mit
denen man über diese Dinge spricht), ja selbst wenn noch so viele üble
Ereignisse eintreten, die zu beweisen scheinen, daß die Worte nicht in Erfüllung
gehen können, so bleibt dennoch – ich weiß nicht wo – ein Funke lebendig, der
ihr sagt, es werde doch geschehen. Mögen auch alle anderen Hoffnungen erstorben
sein – selbst wenn sie es wollte, könnte sie es nicht verhindern, daß dieser
Funke von Gewißheit am Leben bleibt. Schließlich aber erfüllt sich also das Wort
des Herrn, und die Seele ist danach so befriedigt und fröhlich, daß sie nichts
anderes tun möchte, als immerdar Seine Majestät zu preisen, nicht so sehr seiner
Tat wegen – auch wenn ihr daran viel gelegen ist –, sondern vor allem, weil sie
sieht, daß sich erfüllt hat, was ihr gesagt worden ist.
Ich weiß nicht, weshalb es der Seele derart wichtig ist, diese Worte möchten
sich als wahr herausstellen. Es wäre ihr weniger schmerzlich, wenn man sie
selbst der Lüge bezichtigte. Und wie könnte sie etwas anderes sagen, als was ihr
gesagt worden ist! Unzählige Male dachte eine gewisse Person in dieser Lage an
Jonas, den Propheten, und wie er fürchtete, Ninive könnte nicht zugrunde gehen.
Da es der Geist Gottes ist, der hier spricht, so ist es nur recht und billig,
daß man ihm die Treue hält und sehnlich wünscht, er möge nicht als Lügner
erscheinen; denn er ist die höchste Wahrheit. Und so ist die Freude groß, wenn
die Seele sieht, daß nach tausend Umwegen und unter den größten Schwierigkeiten
dennoch sein Wort in Erfüllung gegangen ist. Mögen für sie selber auch große
Leiden daraus erwachsen, so will sie doch lieber noch mehr erdulden, als daß
nicht Wahrheit wird, was der Herr – so glaubt sie fest – zu ihr gesagt hat.
Vielleicht haben nicht alle diese Schwäche falls es eine Schwäche ist. Ich
jedenfalls kann es nicht als etwas Böses verurteilen.
Entstammen jene Stimmen aber der Einbildung, so ist keines dieser Zeichen zu
gewahren, weder Gewissheit noch Friede oder innere Freude. Allerdings kann es
vorkommen – und ich weiß sogar von einigen Personen, denen es widerfahren ist –,
daß manche, während sie tief im Gebet der Ruhe und im geistlichen Schlaf
versunken sind, körperlich und in ihrem Verstand so geschwächt sind, daß sie aus
diesem oder einem anderen, mir unbekannten Grund sich bei dieser großen Sammlung
dermaßen außer sich befinden, daß sie sich nicht mehr in der Erdenwelt fühlen.
Alle Sinne sind da so eingelullt, daß es diesen Menschen wie einem Schlafenden –
und vielleicht sind sie auch tatsächlich eingedämmert – traumhaft vorkommt, als
spräche man zu ihnen; und obwohl sie etwas sehen und meinen, es komme von Gott,
so bleiben doch am Ende die Wirkungen aus, wie bei einem Traum. Und ebenso kann
es sein, daß sie, wenn sie Gott herzlich um etwas bitten, das zu hören meinen,
was sie sich wünschen – auch das kommt zuweilen vor. Doch wer es oft erfahren
hat, wie Gott zu der Seele redet, der kann meines Erachtens dabei nicht durch
die Einbildung getäuscht werden.
Vor dem Satan dagegen muß man mehr auf der Hut sein. Doch wenn die genannten
Zeichen zu erkennen sind, so kann man recht sicher sein, daß das Vernommene von
Gott kommt. Trotzdem sollte man, falls es sich auf etwas Schwerwiegendes bezieht
und einen Auftrag darstellt, den man von sich aus zu verwirklichen hat, oder
wenn es eine Sache angeht, die von entscheidender Bedeutung für die Geschäfte
dritter Personen ist, niemals etwas unternehmen oder sich auch nur seine
Gedanken darüber machen, ohne die Meinung eines gelehrten und klugen
Beichtvaters, der ein Diener Gottes ist, dazu eingeholt zu haben; selbst wenn
man mehr und mehr erkennt und es einem ganz klar erscheint, daß es von Gott
kommt. Denn so will es Seine Majestät, und wir dürfen nicht versäumen, seinem
Befehl zu gehorchen. Er hat uns geboten, den Beichtvater als seinen
Stellvertreter anzuhören, und darum ist auch nicht daran zu zweifeln, daß es
Gottes Worte sind, die wir durch diesen vernehmen. Diese Worte aber tragen dazu
bei, daß wir Mut schöpfen, wenn es sich um eine schwierige Aufgabe handelt, und
unser Herr wird den Beichtvater bestimmen und ihm den Glauben eingeben, daß die
Erscheinung, die uns begegnete, von Seinem Geiste ist, falls er dies will. Wenn
nicht, so sind wir aller weiteren Verpflichtung ledig. Sollte jemand anders
handeln und hierbei seinem eigenen Gutdünken folgen, so halte ich dies für sehr
gefährlich. Und darum, Schwestern, ermahne ich euch im Namen unseres Herrn,
niemals dergleichen zu tun.
Noch eine andere Weise gibt es, in welcher der Herr zu der Seele redet und von
der ich glaube, daß sie ganz gewiß von Gott stammt. Es ist eine Schau des
Verstandes, die ich im folgenden beschreiben werde. Sie ereignet sich so tief im
Inneren der Seele, und so klar meint man jene Worte mit den Ohren der Seele vom
Herrn selber zu hören, so im geheimen, daß eben die Art, wie man die Worte
vernimmt, zusammen mit den Vorgängen, die durch diese Vision selber ausgelöst
werden, einem die Gewißheit verleiht, daß hieran der Satan nicht beteiligt ist.
Dieses Erlebnis hinterlässt starke Wirkungen, die für eine solche Überzeugung
sprechen; zumindest hat man die Sicherheit, daß es nicht aus der Einbildung
stammt. Und die Seele kann diese Gewißheit immer haben, wenn sie auf die
folgenden Beweisgründe achtet. – Erstens: Die Worte müssen sich durch eine
besondere Klarheit auszeichnen; denn sie sind so deutlich zu vernehmen, daß die
Seele sich an jede einzelne Silbe erinnert, die sie vernommen hat. Ebenso bleibt
es ihr im Gedächtnis, ob es in diesem oder jenem Stil gesagt worden ist,
obgleich der Sinn ein und derselbe sein mag. Bei den Vorspiegelungen der
Einbildung wird die Sprache nicht so klar und die Worte werden nicht so
unverwechselbar sein, alles wird vielmehr halb wie geträumt erscheinen. –
Zweitens: Redet Gott zu der Seele, so geschieht es oft, daß sie die Worte hört,
ohne daß sie an derlei gedacht hat; ich meine: es kommt überraschend, ja
manchmal, während man sich im Gespräch mit anderen befindet. Freilich beziehen
sich die Worte häufig auf etwas, das einem geschwind durch den Kopf geht oder
das man früher gedacht hatte. Aber oft geht es um etwas, von dem man keine
Ahnung hatte und von dem man nicht einmal dachte, daß dies überhaupt möglich
wäre. Darum kann es wohl nicht die Einbildung hervorgerufen haben, als eine
Selbsttäuschung der Seele, die sich damit etwas vorspiegeln würde, was sie nie
ersehnt oder gewollt hat und was ihr nie in den Kopf gekommen ist. – Drittens:
In dem einen Fall verhält sich der Angeredete wie jemand, der hört. Ist es aber
ein Werk der Einbildung, so verhält sich der Betreffende wie jemand, der nach
und nach das ersinnt, was er selber gesagt bekommen will. – Viertens: Die Worte
Gottes sind ganz anders als alles, was wir zu hören gewohnt sind, und ein
einziges von ihnen enthält vieles, was unser Verstand nicht so schnell
zusammenbrächte. – Fünftens: Mit den Worten, die Gott zur Seele sagt, wird einem
oft – ich kann nicht sagen, auf welche Weise – viel mehr zu verstehen gegeben,
als die Worte selber sagen. Von dieser Art des Verstehens, die etwas sehr Feines
ist und einen zum Lobe Gottes drängt, werde ich an anderer Stelle noch mehr
reden; denn schon viele Menschen sind wegen dieser Wahrnehmungsweise und ihrer
Besonderheit in große Zweifel geraten, vor allem eine Person, der es selber
widerfahren ist. Und es wird noch mehrere geben, die sich darüber nicht recht
klar geworden sind. Ich weiß, daß die genannte Person diese Erscheinung mit
großer Aufmerksamkeit beobachtete (denn der Herr verlieh ihr sehr oft diese
Gnade) und daß ihr Hauptzweifel anfänglich in dem Verdacht bestand, ob sie sich
nicht selber etwas vormache. Steckt der Satan dahinter, so merkt man es nämlich
schneller, obwohl er so viele Finten weiß, daß er es durchaus versteht, den
Geist des Lichtes nachzuäffen. Meines Erachtens kann er das aber nur, indem er
sich sehr klar in Worten ausdrückt, so daß man genausowenig daran zweifeln kann,
daß man sie vernommen hat, wie wenn sie vom Geist der Wahrheit kommen. Doch es
wird dem Satan unmöglich sein, die Wirkungen, von denen wir sprachen,
nachzuahmen: diesen Frieden in der Seele zu hinterlassen, dieses Licht. Eher
läßt er Unruhe und lärmende Verwirrung zurück. Aber er kann nur geringen oder
gar keinen Schaden anrichten, falls die Seele demütig ist und tut, was ich
gesagt habe: nämlich nicht eigenmächtig irgend etwas beginnt, was die Worte, die
sie vernahm, ihr aufgetragen haben.
Sind es Gunstbeweise und Geschenke des Herrn, so achte die Seele sorgsam darauf,
daß sie sich deswegen nicht für besser hält. Ist sie nicht um so verwirrter und
beschämter, je größer das Gnadenwort ist, das ihr zuteil wurde, so glaube sie ja
nicht, daß es vom Geiste Gottes kam. Denn es ist ganz gewiß, daß die Seele, wenn
wirklich Gott zu ihr spricht, sich selber für um so geringer und erbärmlicher
hält, je größer die Gnade ist, die er ihr erweist; und um so mehr ist sie sich
ihrer Sünden bewußt, um so weniger denkt sie an ihr Verdienst. Ihr Wille und ihr
Bewußtsein aber sind immer mehr von dem Wunsch erfüllt, daß Gott allein geehrt
werde. Sie denkt nicht an den eigenen Nutzen, ist ängstlicher darauf bedacht, in
keinem Fall von seinem Willen abzuweichen, und weiß sicherer denn je, daß sie
niemals diese Gnaden verdient hat, sondern die Hölle. Wenn diese Wirkungen durch
all die Dinge und Gnaden, die der Seele im Gebet begegnen, hervorgerufen werden,
so sollte sie deshalb nicht in Schrecken und Mutlosigkeit fallen, sondern auf
das Erbarmen des Herrn vertrauen, der treu ist und es nicht zulassen wird, daß
der Satan sie betrüge, obgleich es immer gut ist, in Furcht zu wandeln.
Es mag sein, daß diejenigen, die der Herr nicht auf diesem Wege führt, nun
meinen, die Seelen könnten die an sie gerichteten Worte überhören und sie hätten
– falls die Worte in ihrem Inneren ertönen – die Möglichkeit, sich so
abzulenken, daß sie dieselben nicht aufnehmen und so diesen Gefahren entgehen.
Darauf antworte ich: Das ist unmöglich. Ich spreche nicht von denen, die an
Einbildungen leiden; denn sie können sich helfen, indem sie sich bemühen, nicht
mit solcher Begierde etwas zu ersehnen und ihren Phantasien keine Bedeutung
beizumessen. Bei den anderen Worten aber, die man im Inneren vernimmt, gibt es
kein Ausweichen; denn derselbe Geist, der da redet, bewirkt mit solcher Macht
ein Innehalten aller übrigen Gedanken und eine Aufmerksamkeit für die Worte, daß
es mir gleichsam vorkommt – und ich glaube, es ist wirklich so –, als könne eher
einer, der aus vollem Halse ruft, von einem anderen, der sehr gut hört, nicht
vernommen werden, weil der Angerufene es möglicherweise nicht beachtet und seine
Gedanken auf etwas anderes richtet. Doch in dem Fall, von dem wir reden, ist das
ausgeschlossen: Es gibt da keine Ohren, die man sich zuhalten könnte, und man
hat keinerlei Macht, an irgend etwas anderes zu denken als eben an das, was
einem gesagt wird; denn der, welcher auf die Bitte von Josua (er war es, glaube
ich) den Lauf der Sonne aufzuhalten vermochte, kann die Seelenkräfte und alles,
was in uns ist, zum Einhalten bringen, und die Seele sieht dabei sehr genau, daß
ein anderer Herr, der größer ist als sie, diese Burg regiert. Dies erregt in ihr
tiefe Andacht und Demut. Es gibt also kein Mittel zur Ausflucht. Möge die
göttliche Majestät uns die Gnade schenken, daß wir darauf achten, wie wir Ihn
erfreuen können, und uns selber vergessen. Amen. Er gewähre mir auch, daß ich
verständlich machen kann, was ich hier darlegen wollte, und daß es für
diejenigen, die in diese Lage kommen, einen Hinweis bedeutet, der ihnen etwas
nützt.
VIERTES KAPITEL
Bei diesen Leiden und Schwierigkeiten, wie ich sie hier erwähnte, und all den
übrigen – was für eine Ruhe kann es da für den armen, kleinen Falter geben?
Alles trägt dazu bei, daß die Seele sich noch mehr danach sehnt, sich des
Bräutigams zu erfreuen. Und die göttliche Majestät, die unsere Schwachheit
kennt, macht sie auf diese Weise und mit noch anderen Mitteln dazu bereit, daß
sie den Mut faßt, sich mit einem so großen Herrn zu vereinen und ihn zum
Bräutigam zu nehmen.
Ihr werdet darüber lachen, daß ich dies sage, und es wird euch unsinnig
erscheinen; denn jede von euch wird meinen, daß es dazu keines Mutes bedarf und
daß es kein noch so niederes Weib gibt, das nicht kühn genug wäre, sich mit dem
König zu verloben. Sicher ist es so bei dem irdischen König, das glaube ich
auch. Aber bei dem Himmelskönig, das sage ich euch, ist dazu mehr Mut
erforderlich, als ihr meint; denn unsere Natur ist für ein so großes Unterfangen
viel zu furchtsam und niedrig, und ich bin fest davon überzeugt, daß wir –
obwohl ihr genau erkennt, wieviel Gutes diese Verbindung uns bringt – doch nicht
dazu imstande wären, wenn nicht Gott uns diesen Mut schenkte. Und da werdet ihr
sehen, was Seine Majestät tut, um diese Verlobung zustande zu bringen. Soweit
ich es verstehe, geschieht dies wohl dann, wenn er der Seele Verzückungen
schenkt, wodurch er sie ihren Sinnen entreißt. Sähe sie sich nämlich mit ihren
Sinnen so nahe dieser großen Majestät, so könnte sie wohl kaum am Leben bleiben.
Ich meine wirkliche Verzückungen, keine Weiberschwächen, wie sie bei uns
vorkommen und die wir in Bausch und Bogen für Verzückungen und Ekstasen halten.
Es gibt ja, wie ich wohl schon gesagt habe, Menschen von so schwacher
Konstitution, daß sie bei einem Gebet der Ruhe sterben.
Hier will ich nun einige Arten der Verzückung darstellen, die ich durch den
Umgang mit so vielen Menschen, die dem geistlichen Leben sich widmeten, erfahren
habe; doch weiß ich nicht, ob es mir so gelingen wird wie an anderer Stelle, wo
ich hierüber und von einigen anderen Dingen, die dazugehören, geschrieben habe.
Aus mancherlei Gründen scheint es mir nicht unnötig, noch einmal davon zu reden,
schon deshalb, weil hier die Wohnungen alle im Zusammenhang dargestellt werden.
Es gibt eine Art der Verzückung, wo es scheint, als lasse Seine Majestät,
während die Seele sich angerührt fühlt von einem Worte Gottes (dessen sie sich
erinnert oder das sie hört, sei es auch nicht im Gebet), den erwähnten Funken
aus dem Inneren der Seele zur Flamme wachsen, getrieben vom Erbarmen, weil er
sie so lange leiden sah aus Sehnsucht nach ihm. Vom Feuer völlig verzehrt,
ersteht sie neu, wie ein Vogel Phönix, befreit von ihren Sünden, die ihr – wie
man in frommer Demut glauben darf – vergeben worden sind. Und mit der so
Geläuterten vereinigt er sich, ohne daß es, selbst hier, irgend jemand gewahrte
außer den beiden. Nicht einmal die Seele selber erfaßt es so, daß sie es danach
sagen könnte, obwohl sie nicht ohne inneres Bewußtsein ist; denn es ist nicht
so, wie wenn jemand eine Ohnmacht oder einen Paroxysmus erleidet, wo man weder
innerlich noch äußerlich irgendetwas gewahrt. Nach meiner Erfahrung ist die
Seele in diesem Zustand wacher und aufgeschlossener denn je für die Dinge
Gottes, und nie zuvor war sie so erfüllt von dem mächtigen Licht und der tiefen
Erkenntnis Seiner Majestät.
Das mag unmöglich erscheinen, weil die Seelenkräfte oder Fähigkeiten so
hingerissen sind, daß man sagen kann, sie seien tot, genau wie die Sinne. Wie
soll man da verstehen, daß die Seele dieses Geheimnis erfaßt? Ich weiß es nicht,
und vielleicht ist das keinem Geschöpf bekannt, sondern nur dem Schöpfer selber,
wie vieles andere auch, was auf dieser Stufe, ich meine: in diesen beiden
Wohnungen geschieht; denn die sechste und die letzte könnte man gut als eine
nehmen, da es zwischen ihnen keine verschlossene Türe gibt. Weil es jedoch in
der letzten Wohnung Dinge gibt, die sich denen nicht offenbart haben, die noch
nicht bis dorthin gelangt sind, schien es mir besser, sie getrennt darzustellen.
Hält es der Herr für gut, der Seele, während sie in diesem Zustand der
Entrücktheit ist, einige Geheimnisse zu offenbaren, etwa gewisse himmlische
Dinge und bildhafte Visionen, so kann sie dies nachher berichten, und es bleibt
so tief ihrem Gedächtnis eingeprägt, daß sie es nie wieder vergißt. Sind es aber
Verstandesgesichte – intellektuelle Visionen –, so kann sie dies nicht
schildern; denn es gibt in solchen Augenblicken wohl mancherlei derart erhabene
Visionen, die nicht dazu bestimmt sind, von denen, die auf der Erde leben, so
erfaßt zu werden, daß man es mit Worten wiedergeben könnte. Von den
Verstandesgesichten jedoch, welche die Seele empfängt, solange sie im Besitz
ihrer Sinne ist, sind viele mitteilbar. Vielleicht verstehen manche von euch
nicht, was eine Vision ist, und vor allem nicht, was die Verstandesgesichte
sind. Ich werde es zu gegebener Zeit erklären; denn es ist mir aufgetragen von
dem, der das Recht dazu hat; und obgleich es vermessen erscheinen mag, gereicht
es doch vielleicht einigen Seelen zum Nutzen.
Ihr werdet mir sagen: »Wenn man sich danach an diese so erhabenen Gnaden nicht
erinnert, die der Herr in jenem Zustand der Seele erweist – was für einen Nutzen
können sie ihr da bringen?« O Töchter! Er ist so groß, daß er gar nicht hoch
genug gerühmt werden kann. Läßt es sich auch nicht mit Worten sagen, so bleiben
diese Gnaden doch dem tiefsten Inneren der Seele sorgsam eingeschrieben und
geraten nie in Vergessenheit. Aber wenn sie keine bildhafte Erscheinung haben
und auch von den Seelenkräften nicht wahrgenommen werden – wie kann man sich da
an sie erinnern? Auch ich verstehe das nicht; aber ich verstehe, daß einige
Einsichten in die Wahrheit der Größe Gottes so fest in der Seele haften, daß
diese, auch wenn sie nicht den Glauben besäße, der ihr sagt, wer er ist, und der
sie lehrt, daß sie verpflichtet ist, an ihn zu glauben als an Gott, ihn doch als
solchen anbeten würde von jenem Zeitpunkt an, wie Jakob es tat, als er die
Leiter erblickte. Sicher hat er dabei noch andere Geheimnisse erfahren, die er
nicht in Worte fassen konnte; denn wenn er nur eine Leiter gesehen hätte, an der
Engel auf und nieder gingen, und ihm kein stärkeres Licht im Inneren entzündet
worden wäre, hätte er solch große Mysterien nicht verstanden.
Ich weiß nicht, ob ich mit dem, was ich sage, das Richtige treffe; denn ich habe
es zwar gehört, weiß aber nicht, ob ich mich genau erinnere. Auch Moses war
nicht imstande, alles zu sagen, was er im Dornbusch gesehen hatte, sondern nur
das, von dem Gott wollte, daß er es sagte. Aber hätte Gott nicht tatsächlich
seiner Seele Geheimnisse offenbart, so gewiß, daß er sah und glaubte, daß es
Gott war, dann hätte er nicht so viele und große Mühen auf sich genommen. Er muß
in den Dornen jenes Brombeerstrauches so große Dinge wahrgenommen haben, daß ihm
daraus der Mut erwuchs, das zu tun, was er für das Volk Israel vollbrachte. Wir
sollten also, Schwestern, bei den verborgenen Dingen Gottes nicht nach Gründen
suchen, um sie zu verstehen. Da wir glauben, daß er mächtig ist, so ist es ja
klar, daß ein Wurm, dessen Kraft so bescheiden ist wie die unsrige,
seine Größe nicht erfassen kann. Loben wir ihn also von Herzen dafür, daß er die
Güte hat, uns einiges davon begreifen zu lassen.
Ich wollte, ich könnte einen treffenden Vergleich anführen, um euch damit
vielleicht etwas von dem verständlich zu machen, was ich nun sagen möchte; doch
ich glaube, daß es keinen gibt, der passend wäre. Aber gebrauchen wir einmal den
folgenden. Ihr tretet in das Gemach eines Königs oder eines großen Herrn ein – »Camarin«
heißt man es, glaube ich –, wo zahllose Arten von Gläsern, feiner Keramik und
viele andere Dinge so aufgestellt sind, daß man fast alle beim Eintreten
erblickt. Einmal führte man mich in ein solches Zimmer im Hause der Herzogin
Alba (wo ich auf der Durchreise, unterm Zwang des Gehorsams, weil jene Dame
hartnäckig meine Vorgesetzten darum gebeten hatte, Aufenthalt machte). Ich war
verblüfft, als ich hineinkam, und überlegte mir, wozu ein solches Kunterbunt von
Dingen gut sein könnte. Und ich sah, daß man angesichts einer solchen Vielfalt
von Dingen Gott loben darf, und es freut mich jetzt, daß ich dies hier verwenden
kann. Ich war zwar eine ganze Weile dort, doch gab es so viel zu schauen, daß
ich danach alles vergaß und mir von all jenen Gegenständen nicht mehr im
Gedächtnis blieb, als wenn ich sie nie gesehen hätte, so daß ich nicht einmal
sagen kann, welche Form und Gestalt sie hatten. So ist es auch hier, wenn die
Seele so mit Gott eins geworden ist, während sie in diesem herrscherlichen
Himmelsgemach weilt, das wir wohl im Inneren unserer Seele haben; denn es ist ja
klar: da Gott in ihr ist, hat er eine dieser Wohnungen inne. Und obwohl der Herr
nicht immer, solange die Seele so in der Ekstase ist, die Absicht hat, daß sie
diese Geheimnisse sieht, weil sie so vertieft ist in die Lust an ihm, daß sie
volle Genüge hat an einem solch großen Gut, so gefällt es ihm doch manchmal, daß
sie aus der Versunkenheit erwacht und plötzlich sieht, was in jenem Gemache ist.
Und darum kann sie, wenn sie wieder zu sich gekommen ist, die Herrlichkeiten
sich vorstellen, die sie sah; doch kann sie nichts davon mit Worten wiedergeben,
und ihre Natur ist auch nicht fähig, mehr von dem Übernatürlichen zu schauen,
als Gott sie sehen lassen wollte.
Also gebe ich zu, daß es ein Sehen war, daß es eine bildhafte Vision ist! Das
möchte ich hiermit nicht sagen; denn davon ist jetzt nicht die Rede, sondern von
der intellektuellen Vision. Da ich ungebildet bin, verstehe ich es in meiner
Unwissenheit nicht, mich auszudrücken. Soweit nämlich das, was ich bisher von
diesem Gebet gesagt habe, gut ist, bin nicht ich es – das begreife ich klar –,
der es gesagt hat. Wenn die Seele, der solches widerfährt, manchmal diese
Geheimnisse in den Verzückungen nicht erfaßt, so meine ich, daß es keine
Verzückungen sind, sondern irgendeine natürliche Schwäche; denn bei Menschen von
schwacher Konstitution – zu denen wir Frauen gehören – kann es vorkommen, daß
eine geistige Kraft die Natur überwältigt und sie so in Versunkenheit bleiben,
wie ich es, glaube ich, beim Gebet der Ruhe dargelegt habe. Solche Anwandlungen
haben nichts mit Verzückung oder Entrückung zu tun; denn ist es wirklich eine
solche, glaubt mir, so raubt sich Gott die ganze Seele und zeigt ihr, die
nunmehr sein Eigentum und bereits seine Braut geworden ist, ein Stücklein des
Königreichs, das sie gewonnen hat durch diese Verbindung. Mag dieses Stück auch
noch so klein sein – alles, was dieser große Gott in sich schließt, birgt eine
Fülle. Und er will, daß niemand dabei stört, weder die Fähigkeiten noch die
Sinne. Darum befiehlt er, geschwind die Türen all dieser Wohnungen zu schließen,
und nur der Raum wo er weilt, bleibt offen, damit wir eintreten können.
Gepriesen sei so viel Barmherzigkeit, und mit Recht werden die verdammt sein,
die sie verschmähen und diesen Herrn verlieren.
O meine Schwestern! Was wir aufgegeben haben, ist nichts, alles ist nichts, was
wir auch tun oder tun könnten für einen Gott, der sich so einem Wurme mitteilen
möchte! Und da wir Hoffnung haben, noch in diesem Leben dieses Gut zu genießen –
was tun wir? Womit halten wir uns noch auf? Was kann uns dazu nötigen, auch nur
einen Augenblick noch zu warten, bevor wir diesen Herrn suchen, wie die Braut
des Hohenliedes ihn suchte auf Straßen und Plätzen?
Oh, Tand und Gaukelwerk ist alles, was die Welt uns bietet, wenn es uns nicht
dahin bringt, uns nicht dazu verhilft, selbst wenn ihre Genüsse, ihre Reichtümer
und alle erdenklichen Wonnen, die sie uns verschaffen mag, ewig währten! Denn
alles ist Ekel und Unrat, verglichen mit diesen Schätzen, deren Genuß ohne Ende
sein wird; und selbst diese sind nichts neben dem, was es bedeutet, daß wir den
Herrn all dieser Schätze, des Himmels und der Erde zu eigen haben.
O menschliche Blindheit! Wann endlich, wann wird dieser Erdenstaub von unseren
Augen gewischt? Obwohl es den Anschein hat, als ob wir nicht in der Gefahr
stünden, daß er uns völlig blind macht, sehe ich doch einige Splitterchen und
Sandkörnlein, die uns großen Schaden antun können, wenn wir zulassen, daß sie
sich vermehren. Nutzen wir vielmehr, Schwestern, um der Liebe Gottes willen,
diese Mängel zur Erkenntnis unseres Elends, damit sie unseren Blick schärfen und
uns so zum Heil werden, wie es der Schlamm für den Blinden wurde, den unser
Bräutigam heilte. Wenn wir uns so unvollkommen sehen, wollen wir noch
dringlicher ihn bitten, daß er etwas Gutes aus unserer Erbärmlichkeit mache,
damit wir Seine Majestät in allem erfreuen.
Ich bin weit abgeschweift, ohne es zu merken. Verzeiht mir, Schwestern, und
glaubt, daß ich, sobald ich zu diesen Herrlichkeiten Gottes gelange – ich meine:
sobald ich darauf zu sprechen komme –, nicht umhin kann, es bitter zu beklagen,
daß ich sehe, wieviel wir durch eigene Schuld verlieren. Denn obwohl es wahr
ist, daß dies Dinge sind, die der Herr gibt, wem er will, so würde er doch, wenn
wir Seine Majestät liebten, wie er uns liebt, sie jedem geben. Er sehnt sich
nach nichts anderem, als daß er jemanden hat, dem er es geben kann; denn seine
Reichtümer werden dadurch nicht geringer.
Doch kehren wir zu dem zurück, was ich gesagt habe: Der Bräutigam befiehlt, die
Türen der Wohnungen zu schließen, auch die Tore der Burg und ihrer Ringmauern;
denn in seinem Wunsch, die Seele mit sich zu reißen, entzieht er ihr so den
Atem, daß sie – auch wenn zuweilen die anderen Sinne noch ein wenig länger tätig
sind – völlig außerstande ist zu reden. Ein andermal freilich wird alles
zugleich und in einem Nu entrückt, und die Hände erkalten, ja der ganze Leib,
und zwar so, daß man meint, er berge keine Seele mehr, und man zuweilen
überhaupt nicht mehr merkt, ob er atmet. Dieser Zustand hält nur eine kurze
Weile an (ich meine: ohne Unterbrechung); denn sobald diese große Entrücktheit
ein wenig nachläßt, scheint es, als komme der Körper wieder etwas zu sich, als
hole er Luft, um erneut zu sterben und der Seele ein größeres Leben zu gewähren.
So hält bei alledem diese große Ekstase nicht lange an.
Aber es kommt vor, daß der Wille, obwohl die Verzückung nachläßt, so versunken
bleibt und der Verstand so außer sich verharrt, einen ganzen Tag, ja mehrere
Tage lang, daß es scheint, als seien sie unfähig, etwas anderes wahrzunehmen,
als was den Willen zur Liebe erweckt; denn dafür ist er hellwach, während er
zugleich schläft und nicht bereit ist, irgendein Geschöpf ins Auge zu fassen
oder sich mit ihm einzulassen.
Oh wenn die Seele wieder völlig zu sich kommt, wie verwirrt ist sie da und wie
übermächtig das Verlangen, sich Gott zu widmen, für ihn zu wirken, auf welche
Weise auch immer er sich ihrer bedienen will! Wenn schon die früheren Gebete
solche Wirkungen hinterließen, wie wir beschrieben – was wird da erst die Folge
einer so großen Gnade sein, wie wir sie hier erfahren?
Tausend Leben wollte die Seele haben, um sie alle Gott hinzugeben, und sie
wünschte, alle Dinge, die es auf Erden gibt, wären Zungen, die ihn lobten in
ihrem Namen. Die Sehnsucht, Buße zu tun, ist übermächtig, und indem sie diese
vollzieht, tut die Seele nichts Großes; denn erfüllt von der Kraft der Liebe,
leidet sie wenig, soviel sie auch vollbringt, und sie erkennt klar, daß die
Märtyrer in den Qualen, die sie erlitten, nichts Besonderes taten, da es leicht
fällt, wenn einem diese Hilfe des Herrn zuteil wird. Und darum beklagen sich
diese Seelen bei Seiner Majestät, wenn sich ihnen keine Gelegenheit zum Leiden
bietet.
Wird ihnen diese Gnade insgeheim erwiesen, so schätzen sie das als ein großes
Geschenk; denn ereignet es sich vor anderen, ist die Scham und Verwirrung,
welche die Seele danach fühlt, so groß, daß sie dem seligen Genuß, in den sie
versunken war, irgendwie entzogen wird durch den Kummer und die Sorge, die ihr
erwachsen, wenn sie überlegt, was die anderen, die es gesehen haben, davon
denken mögen. Denn solche Seelen kennen die Bosheit der Welt und wissen, daß man
es vielleicht nicht als das auslegt, was es ist, sondern daß man das, wofür man
den Herrn rühmen müßte, vielleicht zum Anlaß nimmt, um zu hecheln und zu
verurteilen. In gewisser Weise erscheinen mir dieser Kummer und diese Scham als
ein Mangel an Demut; doch die Seele kann nicht anders. Denn wenn die betreffende
Person sich Schmach und Beschimpfung wünscht – was kann es ihr da anhaben?
Jemand, der in dieser Betrübnis war, vernahm von unserem Herrn die Worte: »Sei
unbekümmert; denn entweder müssen sie mich loben oder über dich lästern, und in
beiden Fällen ist es dein Gewinn.« Später erfuhr ich, daß die betreffende Person
durch diese Worte sehr erquickt und getröstet wurde. Für den Fall, daß eine von
euch sich in derselben Bedrängnis sieht, habe ich sie hier für euch
wiedergegeben. Anscheinend ist es der Wunsch unseres Herrn, alle möchten
erkennen, daß jene Seele schon ihm gehört und daß niemand an sie rühren soll.
Wohl kann man ihrem Leib, ihrer Ehre, ihrem Hab und Gut Schaden antun, weil all
dies zum Ruhm Seiner Majestät gereichen wird. Doch der Seele darf nichts
geschehen; denn solange sie sich nicht frevelhaft und vermessen von ihrem
Bräutigam trennt, wird er sie verteidigen wider die ganze Welt, ja gegen die
ganze Hölle.
Ich weiß nicht, ob ich damit ein bißchen verständlich gemacht habe, was eine
Verzückung ist; denn – wie gesagt – es ist unmöglich, dies vollkommen faßbar
darzustellen. Ich glaube nicht, daß es irgendwie abträglich ist, davon zu reden,
so daß man erkennt, wie sehr die echten Verzückungen sich von den vorgeblichen
unterscheiden. Ich spreche nicht von »vorgeblichen«, weil die davon heimgesuchte
Person betrügen will, sondern weil sie selbst die Betrogene ist; und weil die
Zeichen und Wirkungen nicht mit einer solch großen Gnade übereinstimmen, gerät
sie so sehr in Schmach und Schande, daß man danach, nicht ohne Grund, auch
solchen, denen Gott diese Gnade wirklich erweist, mit Unglauben begegnet. Er sei
gelobt und gepriesen in Ewigkeit. Amen, Amen.
FÜNFTES KAPITEL
Eine weitere Art der Verzückung gibt es – ich nenne sie Geistesflug –, die man
im Inneren völlig anders empfindet, obwohl ihr Wesen ein und dasselbe ist wie
bei allen übrigen. Urplötzlich fühlt man nämlich zuweilen eine so rasche Regung
der Seele, daß es scheint, als werde der Geist mit einer Schnelligkeit
hingerissen, die einem heftige Furcht einjagt, besonders am Anfang. Darum sagte
ich euch, daß derjenige, dem Gott diese Gnade erweist, großen Mut braucht,
außerdem Glaube, Vertrauen und die hingebungsvolle Bereitschaft, unseren Herrn
mit der Seele machen zu lassen was er will. Meint ihr, man erschrecke nicht,
wenn man hellwach bei Sinnen ist und merkt, wie einem die Seele (und bei manchen
– wie wir gelesen haben – zugleich, der Körper) fortgerissen wird, ohne daß man
weiß, wohin und von wem und auf welche Weise sie entführt wird? Denn zu Beginn
dieser jähen Bewegung ist man sich nicht so gewiss, daß es Gott ist.
Aber gibt es denn kein Mittel, um dem widerstehen zu können? Nein, keineswegs.
Widerstrebt man, so wird es eher noch schlimmer – das weiß ich von einer
gewissen Person denn es scheint, als wolle Gott der Seele, nachdem sie sich so
oft und mit solcher Ernsthaftigkeit in seine Hände gelegt und so mit ganzem
Willen ihm alles dargeboten hat, zu verstehen geben, daß sie keinen Anteil mehr
an sich selber habe, und sie wird mit spürbar heftigerer Bewegung hingerissen.
Und die betreffende Person nahm sich vor, nichts weiter zu tun, als was ein
Strohhalm tut, wenn der Bernstein ihn zu sich emporzieht (falls ihr das schon
beobachtet habt), und sich den Händen dessen zu überlassen, der so mächtig ist,
daß sie erkennt: das beste ist es, aus der Notwendigkeit eine Tugend zu machen.
Und weil ich vom Strohhalm gesprochen habe – es ist gewißlich so, daß ebenso
leicht, wie ein kräftiger Bursche einen Strohhalm fortraffen kann, dieser
gewaltige Riese den Geist hinwegrafft.
Wir sprachen von einem Brunnenbecken (ich glaube, in der vierten Wohnung, falls
die Erinnerung mich nicht täuscht), das so sanft und gelinde – ich meine: ohne
irgendeine Bewegung – sich füllt. Hier nun scheint es nicht anders, als habe
dieser große Gott, der die Quellen der Gewässer in Händen hat und das Meer nicht
über seine Grenzen fluten läßt, die Quellen, aus denen dieser Brunnen gespeist
wird, aller Fesseln entledigt, und mit einer großen Wucht schießt eine so
gewaltige Woge empor, daß das Schifflein unserer Seele in die Höhe getragen
wird. Und genauso wie ein Steuermann und alle, die ein Schiff lenken, nicht die
Macht haben, ihr Fahrzeug dort zu halten, wo sie wollen, wenn die Wogen wütend
anstürmen, genauso wenig, ja noch viel weniger kann das Innere der Seele dort
verharren, wo es will, oder ihre Sinne und Kräfte dazu zwingen, etwas anderes zu
tun, als was ihnen befohlen ist. Äußerlicher Widerstand ist hier ohnehin
sinnlos.
Wirklich, Schwestern, allein indem ich davon schreibe, erschaudere ich davor,
wie sich hier die gewaltige Macht dieses großen Königs und Herrschers zeigt. Wie
wird es erst dem ergehen, der es erlebt? Ich glaube, daß die Menschen, die in
tiefer Verderbnis auf dieser Erde wandeln, wenn nicht aus Liebe, so doch aus
Furcht es nicht mehr wagen würden, Seine Majestät zu beleidigen, wenn er sich
ihnen so offenbarte wie diesen Seelen. Oh, welch hohe Verpflichtung haben darum
diejenigen, welche auf so erhabenem Wege die Warnung erhielten, mit allen
Kräften danach zu streben, daß wir diesen Herrn nicht erzürnen! Um seinetwillen,
Schwestern, flehe ich euch, denen Seine Majestät diese oder ähnliche Gnaden
vielleicht schon erwiesen hat, darum an, nicht so achtlos zu sein, daß ihr euch
damit begnügt, sie zu empfangen. Bedenkt, daß viel bezahlen muß, wer viel
schuldet.
Dazu bedarf es auch eines großen Mutes; denn es ist eine Aufgabe, vor der man
verzagen möchte, und wenn unser Herr einem nicht die nötige Kühnheit gäbe, würde
man stets in Angst und Kummer leben. Wenn nämlich die Seele sieht, was Seine
Majestät mit ihr tut, und dagegen an sich selber gewahrt, wie wenig sie leistet
im Vergleich zu dem, wozu sie verpflichtet ist, und daß das bißchen, was sie
tut, voller Fehler, Gebrechen und Schwachheit ist, so meint sie, um nicht immer
an die Unvollkommenheit ihrer guten Werke erinnert zu werden (falls sie solche
vollbringt), sei es das beste, wenn sie dieselben zu vergessen sucht, sich ihre
Sünden ins Gedächtnis ruft und sich der Barmherzigkeit Gottes anheimgibt, da sie
ja nichts hat, mit dem sie bezahlen könnte. Und sie bittet: Möge sein Mitleid
und Erbarmen, das er immer den Sündern bewies, für alles aufkommen.
Vielleicht wird er da der Seele dasselbe zur Antwort geben, was er einer
gewissen Person erwiderte, die tieftraurig vor einem Kruzifix stand, in dem
Gedanken, daß sie noch nie etwas besessen habe, was sie Gott hätte geben oder
auf das sie um seinetwillen hätte verzichten können. Tröstend sprach der
Gekreuzigte selber zu ihr, er schenke ihr alle Schmerzen und Leiden, die er in
seiner Passion erlitten damit sie ihr eigen seien und sie dieselben seinem Vater
darbringe. So getröstet fühlte sich dadurch jene Seele und so reich – wie ich
von ihr erfahren habe –, daß sie es nicht vergessen kann, sondern vielmehr
jedesmal, wenn sie sich so elend fühlt, in der Erinnerung daran Aufmunterung und
Tröstung findet. Einige Beispiele dieser Art könnte ich hier erzählen; denn da
ich so vielen heiligen und dem Gebet ergebenen Menschen begegnet bin, sind mir
nicht wenige bekannt; damit ihr jedoch nicht denkt, es handle sich um mich,
unterlasse ich es. Das hier geschilderte Erlebnis scheint mir von großem Nutzen
zu sein, weil es euch erfahren läßt, wie es unseren Herrn freut, wenn wir uns
selbst erkennen und uns darum bemühen, immer aufs neue unsere Armut, unser Elend
zu sehen und zu begreifen, daß wir nichts besitzen, was wir nicht empfangen
haben. Darum, meine Schwestern, bedarf es des Mutes, hier und bei vielem
anderen, was einer Seele widerfährt, die der Herr schon bis zu dieser Stufe
geführt hat. Ganz besonders viel Mut braucht man aber – wie ich glaube – für das
eben Geschilderte, falls es der Seele nicht an Demut fehlt. Möge der Herr sie
uns verleihen.
Doch kehren wir zurück zu diesem jähen Hingerissensein des Geistes. Es scheint
dabei wirklich so, als verlasse er den Leib, wobei es andererseits keinen
Zweifel gibt, daß die betreffende Person nicht tot ist; zumindest einige
Augenblicke lang aber kann sie selber nicht sagen, ob sie im Körper ist oder
nicht. Es scheint ihr, als sei sie mit ihrem ganzen Wesen in einer fremden
Region gewesen, die ganz anders ist als die, in der wir leben. Dort zeigt sich
ihr ein anderes Licht, das so verschieden von dem hiesigen ist, daß es ihr
unmöglich wäre, auch wenn sie sich ihr ganzes Leben lang darum bemühte, es sich
mit all den anderen Dingen auszudenken. In einem Augenblick wird ihr da eine
solche Unzahl von Dingen gezeigt, daß sie in vielen Jahren der Mühe mit ihrer
Phantasie und ihrem Denken nicht ein Tausendstel davon zusammenbrächte. Dies ist
keine Vision des Verstandes, sondern eine bildhafte Schau die man mit den Augen
der Seele viel besser aufnehmen kann, als wir hier mit denen des Körpers sehen;
und ohne Worte werden ihr da mancherlei Dinge klar. Sieht sie etwa irgendwelche
Heilige, so erkennt sie diese, als sei sie ihnen schon oft begegnet.
Bei anderen Gelegenheiten erscheinen ihr neben dem, was sie mit den Augen der
Seele gewahrt, in einer Verstandesschau noch andere Dinge, vor allem Scharen von
Engeln mit ihrem Herrn. Und ohne daß sie irgend etwas mit den Augen des Leibes
oder der Seele sieht, gewahrt sie – in einer wunderbaren Einsicht, die ich nicht
ausdrücken kann – das Gesagte und viele andere Dinge mehr, die nicht in Worte zu
fassen sind. Wer das schon erlebt hat und befähigter ist als ich, kann sie
vielleicht verständlich machen, was mir freilich schwierig erscheint. Ob dies
alles geschieht, während die Seele im Körper oder außerhalb des Leibes ist, kann
ich nicht sagen; zumindest möchte ich nicht beschwören, daß sie sich dabei im
Körper befinde, und genauso wenig, daß der Körper dabei ohne Seele sei.
Oft habe ich gedacht, ob es nicht so ist wie bei der Sonne. Sie steht am Himmel,
ihre Strahlen aber haben eine solche Kraft, daß sie schnell herab zur Erde
dringen, ohne daß die Sonne sich von ihrem Platze rührt. Die Seele und der Geist
sind ein und dasselbe, genau wie die Sonne und ihre Strahlen. Kann da nicht,
während sie an ihrem Platz verweilt, mit der Kraft der Wärme, die sie von der
wahren Sonne der Gerechtigkeit empfängt, irgendein höherer Teil über sich selbst
hinausdringen? Aber ich weiß nicht, was ich sage. Wahr ist auf jeden Fall, daß
so geschwind, wie eine Kugel die Büchse verläßt, wenn man Feuer gibt, im Innern
der Seele etwas auffliegt – ich kann es nicht anders nennen; denn obwohl es ganz
lautlos geschieht, läßt es doch so deutlich eine Bewegung entstehen, daß es
keineswegs eine Einbildung sein kann. Und wenn sie ganz außer sich ist – soweit
sie das zu begreifen vermag –, zeigen sich ihr große Dinge. Fühlt sie sich
wieder in sich selber, dann empfindet sie sich so bereichert und schätzt alle
Dinge der Erde so gering im Vergleich zu dem, was sie geschaut hat, das Sie ihr
als Unrat erscheinen. Von da an lebt sie auf dieser Erde in großer Qual, und
nichts von dem, was sie einst für gut und schön hielt, besitzt in ihren Augen
jetzt noch einen Wert. Es scheint, als habe der Herr ihr etwas von dem Lande
zeigen wollen, in das sie gelangen soll, so wie die Kundschafter des Volkes
Israel, die ins Land der Verheißung vorausgeschickt worden waren, Zeichen
mitbrachten dem Volk, damit es die Mühsale dieses Leidensweges erdulde in dem
Wissen, wo es zur Ruhe finden wird.
Auch wenn ihr vielleicht meint, daß etwas, das so rasch vorübergeht, von keinem
großen Nutzen sei, ist doch der Wert, den es in der Seele hinterläßt, so groß,
daß er nur von dem zu erfassen ist, der es erlebt hat. Daraus ist klar zu
ersehen, daß es kein Werk des Satans ist. Weder die eigene Einbildung noch der
Teufel könnten einem Dinge vor Augen führen, die eine solche Wirkung, solchen
Frieden, solche Ruhe und so viel Gewinn in der Seele hinterlassen, vor allem
aber drei Dinge in reichem Maße: Erkenntnis der Größe Gottes (denn je mehr wir
davon sehen, um so mehr begreifen wir sie); Selbsterkenntnis und Demut (durch
den Eindruck, wie ein Wesen, das so niedrig ist im Vergleich zum Schöpfer so
vieler Herrlichkeiten, es gewagt hat, ihn zu beleidigen, und noch immer wagt, zu
ihm aufzublicken); und als dritte Frucht: eine Geringachtung aller Dinge dieser
Erde, außer denen, die sie im Dienst für einen so großen Gott gebrauchen kann.
Dies sind die Kleinode, die der Bräutigam seiner Braut zu schenken beginnt, und
sie sind von so hohem Wert, daß die Braut sie mit Sorgfalt bewahrt. Diese
Gesichte bleiben nämlich dem Gedächtnis so eingemeißelt, daß es mir unmöglich
scheint, sie könnten jemals der Erinnerung verlorengehen, bis zu jener Zeit, wo
die Seele sich auf ewig daran erfreut. Geschähe es dennoch, so wäre es für sie
ein schrecklicher Schade. Doch der Bräutigam, der ihr diese Geschenke macht, ist
mächtig genug, ihr auch die Gnade zu verleihen, daß sie dieselben nicht
verliert.
Was aber den Mut angeht, dessen es hier bedarf – glaubt ihr, daß der so leicht
zu haben sei? Denn es scheint wirklich so, als trennte sich die Seele vom Leib;
man merkt, daß einem die Sinne schwinden, und versteht nicht, wozu. Da ist es
nötig, daß er diesen Mut uns verleiht, er, der auch alles übrige uns schenkt.
Ihr werdet sagen: Diese Angst wird reichlich belohnt. Dasselbe sage auch ich.
Ewig sei er gerühmt, der so viel zu geben vermag. Möge Seine Majestät uns die
Gnade verleihen, daß wir würdig sind, ihm zu dienen. Amen.
SECHSTES KAPITEL
Diese Gnaden hinterlassen in der Seele ein so großes Verlangen, sich dessen, der
dies alles für sie tut, ganz zu erfreuen, daß sie in heftiger und doch
lustvoller Qual lebt. Eine unbändige Sehnsucht nach dem Tode erfüllt sie, und
deshalb fleht sie, meist unter Tränen, Gott darum an, sie wegzunehmen aus dieser
Verbannung. Alles ödet sie an, was sie hier erblickt. Ist sie allein, fühlt sie
eine gewisse Erleichterung, aber dann stellt sich aufs neue dieser Schmerz ein,
von dem sie niemals frei ist. Kurz gesagt: der kleine Falter kann keinen Platz
finden, wo er dauernd ruhen könnte. Da die Seele von einer so innigen Liebe
getrieben ist, drängt vielmehr alles, was dieses Feuer noch mehr entfacht, sie
zum Weiterfliegen. Und deshalb folgt in dieser Wohnung eine Verzückung der
anderen, wovor es kein Ausweichen gibt, selbst in der Öffentlichkeit nicht.
Verfolgungen und böse Nachrede lassen nicht auf sich warten. Die Seele will zwar
furchtlos bleiben, aber man erlaubt es ihr nicht. Viele Leute flößen ihr da
Ängste ein, vor allem die Beichtväter. Und obwohl sie einerseits, vor allem wenn
sie mit Gott allein ist, in ihrem Inneren eine große Sicherheit zu fühlen
glaubt, ist sie andererseits doch sehr gequält, weil sie fürchtet, der Satan
könnte sie vielleicht derart täuschen, daß sie damit den kränkt, den sie so
innig liebt. Das Gerede kümmert sie wenig, es sei denn, daß der Beichtvater
selber ihr so zusetzt, als ob sie etwas daran ändern könnte.
In diesem Fall bittet sie nur alle anderen, für sie zu beten und fleht Seine
Majestät an, sie einen anderen Weg führen; denn dazu rät man ihr, weil dieser
Weg sehr gefährlich ist. Aber nachdem sie auf ihm so viel für ihr Heil gefunden
hat, daß sie von der Ansicht nicht abzubringen ist, dies sei, auch nach allem,
was sie gelesen, gehört und durch die Gebote Gottes erfahren habe, der Weg, der
zum Himmel führt, bringt sie es nicht über sich, selbst wenn sie es wollte,
einen anderen Wunsch zu fühlen, als seinen Händen sich zu überlassen. Aber daß
sie den Wunsch nach einem anderen Weg sich nicht zu eigen machen kann, schmerzt
sie ebenfalls, weil es ihr scheint, als werde sie damit dem Beichtvater
gegenüber ungehorsam. Im Gehorsam und in der Sorge, unseren Herrn nicht zu
kränken, scheint ihr aber das einzige Heilmittel zu bestehen, das sie vor Trug
und Täuschung schützen kann. Deshalb würde sie wissentlich niemals auch nur eine
läßliche Sünde begehen und ließe sich – davon ist sie überzeugt – lieber in
Stücke hauen. Aber es bekümmert sie sehr, wenn sie sieht, daß sie es nicht
vermeiden kann, vielfach zu sündigen, ohne daß sie es merkt.
Gott gibt diesen Seelen ein so übermächtiges Verlangen ein, ihm durch nichts zu
mißfallen – auch nicht durch eine noch so geringe Kleinigkeit – und sich niemals
unvollkommen zu erweisen, wenn sie dies irgend vermögen. Und schon deshalb,
geschehe es auch aus keinem anderen Grund, möchte sie den Leuten entfliehen und
beneidet sehr die Einsiedler, die in den Wüsten lebten oder noch heute dort
leben. Aber auf der anderen Seite möchte sie am liebsten mitten in die Welt
gehen, um zu sehen, ob sie nicht etwas dazu beitragen kann, daß auch nur eine
Seele Gott inniger lobe. Handelt es sich um eine Frau, so ist sie traurig über
die Fesseln, die ihre Natur ihr auferlegt und die ihr nicht erlauben, dies zu
tun, und heftig beneidet sie diejenigen, die die Freiheit haben, es laut
hinauszurufen und aller Welt zu verkünden, wer dieser große Gott der Heerscharen
ist.
Oh, armer kleiner Falter, festgehalten von so viel Fesseln, die dich nicht
fliegen lassen, wohin du willst! Hab Mitleid mit ihm, mein Gott. Gebrauche Deine
Macht, damit er ein wenig seiner Sehnsucht folgen kann, zu Deiner Ehre und
Deinem Ruhm. Denk nicht daran, wie wenig er dies verdient und von welch niederer
Natur er ist. Du hast die Gewalt, Herr, das große Meer und die Fluten des
Jordans zurückweichen zu lassen, so daß die Kinder Israels hindurchziehen
können. Hab kein Mitleid mit der Seele; denn mit Hilfe Deiner Stärke kann sie
viel Mühsal bestehen. Sie ist bereit dazu und will es erleiden. Strecke Deinen
mächtigen Arm aus, Herr, laß sie ihr Leben nicht mit so niederen Dingen
zubringen. Deine Größe erweise sich an einem so niederen weiblichen Wesen, damit
die Welt, wenn sie erkennt, daß dies etwas ist, was ein Weib nicht aus sich
selber hat, Dich loben möge. Das wünscht sich Deine Magd, koste es, was es
wolle. Und tausend Leben wollte sie hingeben, wenn sie so viele hätte, damit
eine einzige Seele Dich auch nur ein bißchen inniger lobe. Und sie täte es in
der Überzeugung, ihre Zeit gut angewandt zu haben. Dabei ist sie sich freilich
klar bewußt, daß sie nicht würdig ist, für Dich auch nur eine ganz kleine Mühsal
zu erdulden, geschweige denn zu sterben.
Ich weiß nicht, Schwestern, warum ich das gesagt habe und wozu; denn ich
verstehe mich selber nicht recht. Wir müssen erkennen: dies sind die Wirkungen
der Erhebungen oder Ekstasen. Es ist nämlich keine Sehnsucht, die vorbeigeht,
sondern eine, die ständig anhält, und wenn sich irgendeine Gelegenheit bietet,
wo sie sich erweisen kann, so zeigt es sich, daß es keine Einbildung war. Warum
sage ich »ständig«? Manchmal fühlt sich die Seele verzagt, und zwar bei den
geringsten Dingen; sie ist verängstigt und hat so wenig Mut, daß es ihr
unmöglich scheint, sich zu irgend etwas aufzuschwingen. Meiner Ansicht nach
überläßt der Herr sie da ihrer eigenen Natur, zu ihrem noch viel größeren Nutzen
und Heil; denn da sieht sie, daß der Mut, den sie vielleicht einmal für irgend
etwas aufgebracht hat, ihr von Seiner Majestät eingegeben wurde. Sie erkennt
dies in einer Klarheit, die sie selber vernichtet und sie noch deutlicher das
Erbarmen Gottes erfahren läßt und seine Größe, die er an einem so niederen Wesen
erweisen wollte. Meist herrscht jedoch in der Seele die Sehnsucht, von der ich
vorhin gesprochen habe.
Eines müßt ihr euch merken, Schwestern: diese heftigen Regungen der Sehnsucht,
unseren Herrn zu sehen, bedrängen einen manchmal so sehr, daß man sie nicht noch
unterstützen darf. Ihr müßt euch da vielmehr ablenken, wenn ihr es könnt. Bei
anderen Aufwallungen des Verlangens, von denen ich noch reden werde, ist das
völlig ausgeschlossen, wie ihr sehen werdet. Bei den ersteren ist es jedoch
manchmal durchaus möglich; denn da ist die Vernunft stark genug, um sich in den
Willen Gottes zu fügen und das zu sagen, was der heilige Martin sprach. Auch
kann man den Gegenstand der Betrachtung wechseln, wenn die Sehnsucht allzu
bedrängend wird; denn weil dies anscheinend ein Verlangen ist, das sich allein
bei Menschen regt, die schon weit fortgeschritten sind, könnte es ja sein, daß
der Satan den Antrieb dazu gibt, damit wir meinen, wir seien der Vollkommenheit
schon so nahe. Es ist immer gut, in Furcht zu wandeln. Ich für mein Teil glaube
jedoch, daß der Böse nicht die Ruhe und den Frieden stiften kann, welche diese
Pein der Seele einflößt, sondern daß er dabei eine Leidenschaft erregt, wie wir
sie empfinden, wenn wir irdischer Dinge wegen Kummer leiden. Wer aber nicht in
beidem erfahren ist, der wird es nicht begreifen, und da er denkt, es sei etwas
Großes, wird er mit allen Kräften nachhelfen und dadurch seiner Gesundheit
großen Schaden zufügen; denn diese Pein hält ständig an oder ist jedenfalls die
meiste Zeit zu spüren.
Auch müßt ihr bedenken, daß eine schwache körperliche Verfassung oftmals die
Ursache derartigen Kummers ist, vor allem bei manchen zarten Personen, die wegen
jeder Kleinigkeit weinen. Solchen Menschen wird der Satan tausendmal den
Gedanken einflößen, sie weinten aus Liebe zu Gott, auch wo dies gar nicht der
Fall ist. Ja, es kann sogar vorkommen, wenn die Tränen in Strömen fließen und
man bei jedem Wörtchen, das man über Gott hört oder denkt, ihnen nicht
widerstehen kann, daß irgendeine Stimmung das Herz überkommt, die mehr als die
Liebe zu Gott daran beteiligt ist, daß man in ein Weinen ausbricht das nicht
mehr aufzuhören scheint. Und da die betreffenden Menschen schon erfahren haben,
daß Tränen etwas Gutes sind, wehren sie sich nicht dagegen, wünschen sich gar
nichts anderes und fördern sie, so gut sie können. Der Satan verfolgt dabei die
Absicht, sie auf diese Weise zu schwächen, so daß sie nachher nicht einmal fähig
sind, zu beten oder die Regel einzuhalten.
Ich glaube euch vor mir zu sehen, wie ihr fragt, was ihr nun eigentlich tun
sollt, wenn ich überall eine Gefahr wittere und selbst bei einem so guten
Zeichen wie den Tränen die Möglichkeit einer Täuschung argwöhne; und ich meine
zu hören, wie ihr sagt, ich selber sei die Getäuschte. Das kann wohl sein, aber
glaubt mir: ich würde das nicht sagen, wenn ich es nicht schon an manchen
Personen beobachtet hätte, freilich nicht an mir; denn ich bin keineswegs zart,
sondern habe vielmehr ein so zähes Herz, daß es mich manchmal bekümmert. Aber
mag das Herz auch noch so hart sein – es träufelt wie aus einem
Destillierkolben, wenn das innerliche Feuer groß ist. Und ihr werdet es deutlich
merken, daß die Tränen, wenn sie in dieser Weise kommen, eher stärken und
beruhigen als aufwühlen und daß sie selten schaden. Falls es aber eine Täuschung
ist, so hat doch bloß der Leib den Schaden zu tragen und nicht die Seele, wenn
nur die nötige Demut da ist. Fehlt aber diese, so hat man guten Grund, um die
Seele zu bangen.
Wir dürfen nicht meinen, wir hätten es geschafft, wenn wir viel weinen. Nein,
laßt uns tatkräftig Hand ans Werk legen und die Tugenden erringen – denn darauf
kommt es an –, und die Tränen mögen fließen, wenn Gott sie schickt, ohne daß wir
uns darum bemühen. Solche Tränen werden diese ausgetrocknete Erde netzen und
viel dazu beitragen, daß sie Frucht bringt. Je weniger wir uns darum kümmern,
desto besser; denn es ist Wasser, das vom Himmel fällt. Das andere, nach dem wir
mühsam graben, um es dann heraufzuholen, ist damit nicht zu vergleichen; denn
oftmals graben wir bis zur völligen Erschöpfung und finden nicht einmal eine
Pfütze, geschweige denn eine Quelle. Deshalb, Schwestern, halte ich es für
besser, daß wir uns vor den Herrn begeben und seine Barmherzigkeit und Größe
betrachten und unsere eigene Niedrigkeit. Er gebe uns, was er will, sei es
Wasser oder Dürre. Er weiß besser, was gut für uns ist. Denken wir so, dann
werden wir sorglos unseren Weg gehen, und der Satan hat weniger Gelegenheit, uns
durch Blendwerk in eine Falle zu locken.
Neben diesen Qualen, die zugleich Wonnen sind, schenkt unser Herr der Seele
zuweilen auch ein Frohlocken und ein Gebet, die so ungewöhnlich sind, daß sie es
nicht zu fassen vermag. Ich erwähne dies hier, damit ihr wißt, daß dergleichen
geschehen kann, und ihr Gott von Herzen rühmt, wenn er euch diese Gnade erweisen
sollte. Es ist nach meiner Meinung eine große Vereinigung der Seelenkräfte, nur
läßt unser Herr ihnen dabei genauso wie den Sinnen die Freiheit, diese Wonne zu
genießen, ohne daß sie begreifen, was sie eigentlich genießen und wie sie es
genießen. Das klingt wie ein wirres, unverständliches Gerede, und doch ist es so
und nicht anders. Es ist eine solch überschwängliche Lust der Seele, daß sie es
nicht allein genießen, sondern allen sagen möchte, damit sie gemeinsam mit ihr
unseren Herrn preisen; denn dazu drängt ihr ganzes Gefühl. Oh, was für Feste
würde sie feiern, wenn sie könnte, und es allem Volk verkünden, damit jedermann
ihre Wonne verstünde. Es ist, als habe sie sich selber gefunden und als wollte
sie, wie der Vater des verlorenen Sohnes, alle Welt einladen und große
Freudenfeste bereiten, weil sie ihre Seele an einem Orte sieht, von dem sie mit
Gewißheit glaubt, daß sie hier in Sicherheit ist, wenigstens in diesem
Augenblick. Und ich glaube, sie hat recht damit; denn so viel Wonne im tiefsten
Inneren der Seele, bei solchem Frieden und wo all ihre Freude sie drängt zum
Lobe Gottes – das kann unmöglich der Satan eingeben.
Steigt die Freude mit so stürmischer Gewalt empor, dann fällt das Schweigen
recht schwer, und sie zu verheimlichen, ist keine geringe Qual. So hat es wohl
der heilige Franziskus empfunden, als die Räuber ihm begegneten und er laut
rufend übers Feld ging und ihnen sagte, er sei der Herold des großen Königs;
ebenso andere Heilige, die in die Einöde gehen, um gleich Franziskus diesen
Lobpreis Gottes laut und offen ausrufen zu können. Ich kannte selber einen
solchen Heiligen namens Bruder Pedro de Alcäntara (nach seiner Lebensweise halte
ich ihn wirklich für einen Heiligen). Er tat dasselbe, und die Leute, die ihn
gelegentlich hörten, hielten ihn für verrückt. Oh, welch gute Verrücktheit,
Schwestern. Würde Gott sie doch uns allen schenken!
Und wieviel Gnade hat er euch damit erwiesen, daß ihr an einem Orte lebt, wo
man, auch wenn der Herr euch dies zuteil werden läßt und ihr es zu erkennen
gebt, euch eher dabei helfen wird, als daß man euch zum Gegenstand von üblem
Gerede macht, wie es euch erginge, wenn ihr im weltlichen Leben stündet. Dieses
öffentliche Verkündigen ist man so wenig gewohnt, und es geschieht so selten,
daß es gar nicht verwunderlich ist, wenn darüber gelästert wird.
Oh, unselige Zeiten und erbärmliches Leben, das wir jetzt führen. Glücklich
jene, denen das gute Los zugefallen ist, davon befreit zu sein! Manchmal ist es
mir eine besondere Freude, wenn ich die Schwestern beisammen sehe und gewahre,
wie sie von einem so großen inneren Glück erfüllt sind, daß sie miteinander
wetteifern, von Herzen unseren Herrn dafür zu preisen, daß sie im Kloster leben.
Denn man sieht es klar und deutlich, daß diese Lobpreisungen tief aus der Seele
kommen. Ich wünschte mir, Schwestern, daß ihr dies oftmals tut und daß eine, die
den Anfang macht, die anderen dazu erweckt. Wozu könntet ihr eure Zunge auch
besser gebrauchen, wenn ihr beisammen seid, als zum Lobe Gottes, dem wir so viel
zu danken haben?
Möge es Seiner Majestät gefallen, daß er uns oft dieses Gebet schenkt; denn es
ist so sicher und bringt so viel Gewinn. Wir von uns aus können es nicht
erlangen, weil es etwas ganz Übernatürliches ist. Und es kommt vor, daß es einen
vollen Tag anhält und die Seele umhergeht wie jemand, der viel getrunken hat,
aber doch nicht so viel, daß er von Sinnen ist, oder wie ein Melancholiker, der
zwar den Verstand nicht völlig verloren hat, aber stets an einer Sache haftet,
die sich in seiner Vorstellung festgesetzt hat und von der ihn auch niemand
abbringen kann. Das sind echt grobe Vergleiche für etwas so Kostbares, doch mein
Geist ist nicht fähig, andere zu finden. Es ist nämlich wirklich so, daß die
Seele über dieser Freude sich selber und alle Dinge derart vergißt, daß sie gar
nichts anderes mehr bemerkt und nichts anderes auszudrücken vermag, als was
ihrer Freude entquillt, als den Lobpreis Gottes. Laßt uns alle dieser Seele
dabei helfen, meine Töchter. Warum wollen wir vernünftiger sein? Was kann uns
größere Freude schenken? Und alle Geschöpfe mögen mit uns einstimmen zur Ehre
des Herrn und für alle Ewigkeit. Amen, Amen, Amen.
SIEBTES KAPITEL
Vielleicht meint ihr, Schwestern – vor allem diejenigen unter euch, die nicht
diese Gnaden erlangt haben –, daß die Seelen, denen sich der Herr auf so
besondere Weise mitteilt, schon so sicher seien, immer sich seiner zu erfreuen,
daß sie nichts mehr zu fürchten hätten und ihre Sünden nicht mehr beweinen
müßten. Das wäre ein schlimmer Irrtum; denn die Sünden schmerzen nur um so mehr,
je mehr uns von Gott geschenkt wird. Wer wirklich ein solches Geschenk von Gott
empfangen hat, wird mir das bestätigen. Und ich bin überzeugt, daß der Schmerz
nicht aufhören wird, bis wir dort sind, wo uns nichts mehr ein Leid zufügen
kann.
Es stimmt, daß die Pein manchmal quälender ist als sonst und auch von anderer
Art; denn die Seele denkt da nicht mehr an die Qual, die ihr die Sünden
bereiten, sondern daran, wie undankbar sie gegen den war, dem sie so viel
schuldet und der wohl würdig ist, daß man ihm dient. Durch die Herrlichkeiten,
die er der Seele mitteilt, erkennt sie nämlich viel klarer die Größe Gottes. Es
erschreckt sie, wie sie so vermessen sein konnte; sie beweint ihre geringe
Ehrfurcht, und so irrwitzig erscheint ihr die eigene Torheit, daß sie es nie
genug beklagen kann, wenn sie daran denkt, daß sie eine solch erhabene Majestät
so niedriger Dinge wegen je verließ. Damit sind ihre Gedanken viel mehr
beschäftigt als mit den Gnaden, die sie empfängt, auch wenn diese so groß sind
wie die, von denen noch die Rede sein wird. Es scheint, als würden sie jeweils
von einem gewaltigen Strom herangeschwemmt und wieder fortgerissen. Die Sünden
aber sind wie der Schlamm auf dem Grund einer Lache; denn immer wieder werden
sie von der Erinnerung aufgewühlt. Und das ist eine schreckliche Qual.
Ich weiß von einer Person, die nicht nur sterben wollte, um Gott zu schauen,
sondern sich auch nach ihrem Ende sehnte, um nicht ständig von dem Gedanken
gequält zu werden, wie undankbar sie gegen den gewesen war, dem sie immer so
viel verdankte und noch verdanken sollte. Darum glaubte sie auch, die
Schlechtigkeit keines anderen Menschen könnte der ihrigen gleichkommen; denn sie
sah ein, daß es wohl niemanden geben könne, den Gott mit solcher Langmut
ertragen und dem er zugleich so viele Gnaden erwiesen hat. Was aber die Angst
vor der Hölle angeht – solche Seelen fühlen sie überhaupt nicht; nur manchmal
bedrängt sie heftig die Furcht, sie könnten Gott verlieren, aber das geschieht
recht selten. Sie befürchten einzig und allein, Gott könnte sie von seiner Hand
lassen, so daß sie ihn beleidigen könnten und sich wieder in jenem elenden
Zustande sähen wie einst. Um die eigene Pein oder Seligkeit kümmern sie sich
nicht; und wenn sie den Wunsch haben, nicht lange im Fegefeuer zu bleiben, so
mehr aus der Sorge, nicht so lange von Gott getrennt zu sein, als aus Furcht vor
den Qualen, die sie dort zu erdulden haben.
Ich hielte es für gefährlich, wenn eine Seele – sei sie auch noch so sehr von
Gott begnadet worden – es vergäße, daß sie sich einmal in einem elenden Zustand
befand; denn so qualvoll solch eine Erinnerung ist, so nützlich ist sie in
vieler Hinsicht. Vielleicht meine ich das, weil ich selbst so verderbt gewesen
bin, und deshalb habe ich es auch immer im Gedächtnis. Diejenigen, die gut
gewesen sind, werden es wohl nicht empfinden, obgleich es immer Brüche gibt,
solange wir in unserem sterblichen Leibe leben. Bei dieser Pein bringt der
Gedanke, daß unser Herr die Sünden schon vergeben und vergessen hat, keine
Erleichterung, eher steigert es die Pein, wenn man so viel Güte erfährt und
sieht, daß all die Gnaden jemandem zuteil werden, der nichts als die Hölle
verdiente. Ich glaube, daß dies für den heiligen Petrus und die Magdalena ein
großes Martyrium war; denn da ihre Liebe so hoch entflammt war, da sie so viele
Gnaden empfangen und die Größe und Majestät Gottes erkannt hatten, mußte die
Erinnerung an ihre Sünden sie wohl bitter schmerzen und die schärfste Reue in
ihnen wecken.
Ihr meint vielleicht auch, daß jemand, der sich solch hoher Dinge erfreut, nicht
mehr über die Geheimnisse der allerheiligsten Menschlichkeit unseres Herrn Jesus
Christus meditieren wird, weil einer solchen Seele sich alles in Liebe
verwandelt hat. Das ist eine Frage, über die ich anderswo ausführlich
geschrieben habe, und obgleich man mir damals widersprochen und gesagt hat, ich
verstünde es nicht (denn das seien Wege, auf denen Gott unser Herr die Seelen
führe, und sobald man die Anfänge hinter sich habe, sei es besser, sich mit
göttlichen Dingen zu befassen und das Körperliche zu fliehen), wird man mich
nicht zu dem Bekenntnis bringen, dies sei ein guter Weg. Es mag schon sein, daß
ich mich täusche und daß wir alle ein und dasselbe meinen; doch ich habe
gesehen, daß der Satan mich eben damit betrügen wollte, und dies hat mich so
abgeschreckt, daß ich – auch wenn ich es schon oft gesagt habe – es euch hier
noch einmal sagen möchte, dabei doch ja recht wachsam zu sein. Und schaut, ich
wage zu sagen, daß ihr niemand glauben sollt, der euch darüber etwas anderes
sagt. Ich werde mich auch darum bemühen, mich noch deutlicher auszudrücken, als
ich es früher tat; denn vielleicht hätte derjenige, den ich vorhin meinte, das
Richtige gesagt, wenn er es ausführlicher erklärt hätte; aber so in Bausch und
Bogen gesprochen, zu uns, die wir nicht so klar verstehen, kann es viel Unheil
anrichten.
Manche Seelen meinen wohl auch, sie könnten nicht mehr an die Passion denken.
Noch weniger werden sie also an die heiligste Jungfrau oder das Leben der
Heiligen denken können – Erinnerungen, die uns so viel nützen, uns so ermutigen.
Ich kann mir nicht vorstellen, an was sie überhaupt denken; denn von allem
Körperlichen getrennt sein bedeutet für engelhafte Geister, immer in Liebe
entflammt zu sein; doch wir, die wir in einem sterblichen Leibe leben sind
darauf angewiesen, von jenen zu reden, an jene zu denken und uns in das Geleite
derer zu begeben, die in eben diesem leiblichen Dasein so große Taten für Gott
vollbrachten. Noch weniger begreife ich, wie man sich absichtlich von dem
entfernen kann, der unser ganzes Heil und unsere Rettung ist – von der
heiligsten Menschlichkeit unseres Herrn Jesus Christus, Ich kann nicht glauben,
daß sie das tun, sondern meine, daß sie sich selber nicht verstehen; und so
schaden sie sich und anderen. Zumindest versichere ich ihnen, daß sie nicht in
diese beiden letzten Wohnungen gelangen. Wenn sie nämlich den Führer verlieren,
den guten Jesus, so werden sie den Weg nicht finden, und es wäre schon reichlich
viel, wenn sie sich in den anderen Wohnungen sicher fühlen könnten. Denn der
Herr selber sagt, er sei der Weg. Und er fährt fort: »Ich bin das Licht; niemand
kommt zum Vater denn durch mich, und wer mich sieht, der sieht meinen Vater.«
Man wird mir entgegnen, diese Worte seien anders zu verstehen. Ich erkenne
keinen anderen Sinn. Mit diesem Sinn aber, den meine Seele stets als die
Wahrheit empfindet, bin ich sehr gut gefahren.
Es gibt manche Seelen (und ziemlich viele haben mit mir darüber gesprochen),
welchen der Herr die vollkommene Beschauung schenkt und die deshalb am liebsten
immer in diesem Zustand verharren würden. Und das ist unmöglich. Aber wenn sie
diese Gnade des Herrn erfahren haben, können sie danach nicht mehr so wie früher
an die Passion und an das Leben Christi denken. Ich weiß nicht, was die Ursache
ist; doch es geschieht recht häufig, daß der Verstand hernach weniger zur
Meditation befähigt ist. Ich glaube, das kommt wohl daher, daß bei der
Meditation alles ein Suchen nach Gott ist und daß die Seele, wenn sie einmal
Gott gefunden hat und daran gewöhnt ist, ihn immer aufs neue mit Hilfe des
Willens zu suchen, nun sich nicht mehr mit dem Verstand ermüden möchte. Und es
scheint mir auch, als wolle der Wille, diese großmütige Seelenkraft, da er schon
entflammt ist, jene andere Fähigkeit nicht in Anspruch nehmen, wenn es nicht
unumgänglich ist. Damit handelt er nicht böse; doch er kann nicht auf das Denken
verzichten, vor allem nicht, bevor er in diese letzten Wohnungen gelangt; er
wird sonst nur Zeit verlieren, denn oft bedarf es der Hilfe des Verstandes,
damit der Wille entflammt wird.
Achtet auf diesen Punkt, Schwestern, denn er ist wichtig und ich will ihn
deshalb noch genauer erklären. Die Seele ist voll der Sehnsucht, sich ganz der
Liebe hinzugeben, und möchte nichts anderes mehr gewahren. Doch das ist
unmöglich, auch wenn sie dies will; denn der Wille ist zwar nicht tot, aber das
Feuer, das ihn entbrennen läßt, ist immer am Erlöschen, und es braucht einen,
der hineinbläst, damit es Hitze aussprüht. Wäre es gut, wenn die Seele in dieser
Dürre verharrte und wie unser Vater Elia darauf warten würde, daß Feuer vom
Himmel fällt und dieses Opfer in Brand setzt, welches sie mit dem eigenen Wesen
Gott darbringen will? Nein, gewiß nicht. Wir dürfen nicht auf Wunder warten. Der
Herr wird sie der Seele schenken, wenn es ihm beliebt, wie schon gesagt worden
ist und noch gesagt werden muß. Nach dem Willen des Herrn sollen wir uns
vielmehr als verderbt ansehen, als unwürdig einer solchen Gnade, so daß wir alle
Hilfsmittel benützen, über die wir selber verfügen. Und es ist meine
Überzeugung, daß wir, solange wir nicht gestorben sind, darauf nicht verzichten
können, so hoch wir auch im Gebet emporgestiegen sein mögen.
Freilich, diejenigen, die der Herr schon in die siebte Wohnung geführt hat,
bedürfen dieser Mühe nur noch in seltenen Fällen oder fast nie. Weshalb sie das
entbehren können, werde ich zu gegebener Zeit sagen, falls ich daran denke; aber
dort sind sie fast ununterbrochen in wunderbarer Weise bei Christus unserem
Herrn, der, göttlich und menschlich zugleich, sie immerfort geleitet. Wenn also
das Feuer, von dem wir sprachen, im Willen nicht entzündet ist und man die
Gegenwart Gottes nicht fühlt, so ist es nötig, daß wir sie suchen. Seine
Majestät will, daß wir es machen wie die Braut im Hohenlied und daß wir – wie
der heilige Augustin es sagte, ich glaube, in seinen Meditationen oder
Bekenntnissen – die Geschöpfe fragen, wer sie erschaffen hat. Wir sollten nicht
wie Toren die Zeit verlieren, indem wir darauf warten, daß uns nochmals gegeben
wird, was uns schon einmal geschenkt wurde; denn anfänglich kann es sein, daß
ein Jahr oder gar viele Jahre vergehen, ohne daß uns der Herr das wieder
gewährt. Seine Majestät weiß warum. Wir sollten nicht danach verlangen, den
Grund zu wissen. Wozu auch? Wir wissen ja durch die Gebote und Sprüche den Weg,
wie wir Gott erfreuen können. Auf ihm wollen wir eifrig weitergehen, indem wir
seines Lebens und seines Todes gedenken und uns erinnern, wieviel wir ihm
verdanken. Das übrige mag kommen, wann der Herr will.
Doch es wird einem entgegnet, man dürfe sich nicht mit diesen Dingen aufhalten.
Und nach dem früher Gesagten ist ein solcher Einwand in gewisser Weise sogar
berechtigt. Ihr wißt ja, daß es nicht dasselbe ist, ob man mit dem Verstand sich
etwas erdenkt oder ob die Erinnerung dem Verstand Wahrheiten vergegenwärtigt.
Ihr sagt vielleicht, ihr verstündet mich nicht, und es kann wirklich sein, daß
ich selber es nicht genügend verstehe, um es ausdrücken zu können; doch ich
werde es in Worte fassen, so gut ich kann. »Meditation« nenne ich ein langes
Nachsinnen mit dem Verstand, das folgendermaßen vor sich geht: Wir beginnen an
die Gnade zu denken, die uns Gott erwies, indem er uns seinen einzigen Sohn gab,
und bleiben dabei nicht stehen, sondern gehen weiter zu den Geheimnissen seines
ganzen glorreichen Lebens; oder wir beginnen beim Gebet am Ölberg, und der
Verstand hält nicht eher inne, bis er ans Kreuz gelangt ist; oder wir erwählen
einen Ausschnitt der Leidensgeschichte, etwa die Gefangennahme, und dringen in
dieses Geheimnis ein, indem wir genau die einzelnen Erscheinungen betrachten,
die es da zu bedenken und nachzuempfinden gibt, so den Verrat des Judas, die
Flucht der Jünger und alles andere. Das ist ein bewundernswertes, sehr
verdienstvolles Gebet.
Dieses Gebet meine ich, wenn ich sage, daß diejenigen, die Gott zu
übernatürlichen Dingen und zur vollkommenen Beschauung geführt hat, wohl recht
haben, wenn sie sagen, sie könnten es nicht mehr so ausüben wie früher. Warum –
das weiß ich nicht. Jedenfalls sind sie meistens dazu nicht imstande. Doch sie
haben nicht recht, wenn sie sagen, daß sie sich mit diesen Geheimnissen
absichtlich nicht befassen und nicht oft daran denken. Das ist unrecht,
besonders dann, wenn die katholische Kirche diese Geheimnisse feiert. Auch ist
es unmöglich, daß die Seele, die so viel von Gott empfangen hat, solch kostbare
Liebesbeweise aus der Erinnerung verliert; denn es sind lebendige Funken, die
sie noch mehr entflammen lassen in der Liebe, die sie für unseren Herrn
empfindet. Nur versteht die Seele sich selber nicht, weil sie diese Geheimnisse
in vollkommenerer Weise versteht. Der Verstand stellt sich nämlich diese
Geheimnisse vor, und sie prägen sich derart der Erinnerung ein, daß es genügt,
wenn die Seele nur den Herrn schaut, wie er niedergeworfen, mit jenem
schrecklichen Schweiß bedeckt, am Ölberg kniet, um sie nicht nur eine Stunde,
sondern viele Tage lang mit einem einfachen Blick erkennen zu lassen, wer er ist
und wie undankbar wir gegenüber einem solch großen Leiden gewesen sind. Dann
eilt der Wille herbei – auch wenn man keine Rührung dabei empfindet –, voller
Verlangen, für solch eine große Gnade mit irgendeinem Dienst zu danken, und voll
Sehnsucht, etwas für den zu erleiden, der soviel litt. Mit solchen und ähnlichen
Wünschen beschäftigt der Wille das Gedächtnis und den Verstand. Und ich glaube,
daß dies der Grund ist, weshalb die Seele nicht mehr über die Passion nachsinnen
kann; und so kommt sie zu der Meinung, daß sie überhaupt nicht mehr daran denken
könne.
Denkt sie wirklich nicht daran, so ist es gut, wenn sie sich darum bemüht; denn
ich weiß, daß auch das erhabenste Gebet sie daran nicht hindert. Und ich halte
es für schlecht, wenn sie sich darin nicht häufig übt. Enthebt der Herr sie
dieser Andacht, nun gut; denn selbst wenn die Seele dem widerstreben würde,
müßte sie doch das aufgeben, mit dem sie beschäftigt ist. Ein solches Verhalten
ist nach meiner Meinung kein Hindernis, sondern eine große Hilfe bei allem
Guten. Ein Hindernis wäre es nur wenn die Seele sich mit Nachdenken abquälen
würde, wie ich zu Beginn gesagt habe, und ich glaube, daß dies einem, der schon
weiter gelangt ist, gar nicht möglich sein wird. Es mag schon sein, daß es
dennoch geschieht; denn auf vielen Wegen führt Gott die Seelen. Doch man sollte
diejenigen nicht verdammen, die den Weg des Nachsinnens nicht gehen können, noch
sollte man von ihnen denken, sie seien unfähig zum Erleben solch großer Güter,
wie die Geheimnisse unseres guten Jesus sie bergen. Keiner wird mich davon
überzeugen können – möge er im geistlichen Leben noch so erfahren sein –, daß
man auf gutem Wege ist, wenn man diese Güter nicht achtet.
Manchen Seelen, die eben erst zum Gebet der Ruhe gelangen und sich der
Tröstungen und Wonnen zu erfreuen beginnen, die der Herr dort schenkt, scheint
es, als sei es etwas sehr Großes, dort in ewigem Genusse zu verweilen. Sie mögen
mir glauben und sich nicht zu sehr damit durchtränken – wie ich schon anderswo
gesagt habe –; denn das Leben ist lang, und viele Mühsale gibt es in ihm, und
wir müssen auf Christus, unser Vorbild, schauen, wie er sie ertrug, müssen auf
seine Apostel und Heiligen sehen, um die Leiden in Vollkommenheit zu erdulden.
An Jesus haben wir einen sehr guten Gefährten. Nie sollten wir uns von ihm und
seiner heiligsten Mutter trennen. Und es freut ihn sehr, wenn wir seine
Schmerzen nachfühlen, obwohl uns das zuweilen um unsere eigene Freude und Wonne
bringt. Überdies, Töchter, wird das Geschenk solcher Wonnen im Gebet uns ja
nicht als etwas so Alltägliches gewährt, daß uns keine Zeit für anderes mehr
bliebe. Sollte jemand sagen, er erfahre es so anhaltend, daß er das, wovon wir
sprachen, niemals tun könne, so würde mir dies verdächtig erscheinen. Ihr
solltet dem auch nicht trauen. Sorgt dafür, daß ihr diesem Selbstbetrug entgeht,
und strengt alle Kräfte an, um euch aus solcher Versunkenheit zu befreien.
Reichen die Kräfte dazu nicht aus, so sagt es der Priorin, damit sie euch ein
Amt gibt, das euch so sehr in Anspruch nimmt, daß diese Gefahr sich
verflüchtigt, die zumindest für Kopf und Verstand sehr bedrohlich ist, falls
dieser Zustand lange dauert.
Ich glaube, damit ist hinreichend verständlich gemacht, weshalb keiner – so
vergeistigt er auch sein mag – die körperlichen Dinge so sehr meiden sollte, daß
ihm selbst die allerheiligste Menschlichkeit noch als schädlich erscheint. Man
führt als Begründung an, daß der Herr zu seinen Jüngern sagte, es sei gut für
sie, daß er fortgehe. Diese Auslegung kann ich nicht hinnehmen. Bekanntlich hat
er das nicht zu seiner heiligsten Mutter gesagt; denn sie war fest im Glauben,
sie wußte, daß er Gott und Mensch war. Und obgleich sie ihn noch mehr liebte als
die Jünger, war ihre Liebe doch so vollkommen, daß seine Gegenwart ihr eher
hilfreich war. Die Jünger waren damals wohl nicht so fest im Glauben, wie sie es
später waren und wie wir es jetzt mit gutem Grund sein sollten. Ich sage euch,
Töchter, daß ich das für einen gefährlichen Weg halte. Der Satan könnte uns auf
diese Weise noch die Verehrung des allerheiligsten Sakraments verderben.
Die Täuschung, in der ich mich – nach meiner Meinung – selbst befand, ging nicht
so weit, sondern bewirkte nur, daß ich nicht mehr mit der gleichen Freude an
unseren Herrn Jesus Christus dachte, vielmehr der Versunkenheit mich hingab, um
auf das Geschenk jener Wonnen zu warten. Und ich sah klar, daß ich nicht auf dem
rechten Wege war; denn da ich diese Gnade nicht immer erfahren konnte, gingen
die Gedanken hin und her, und die Seele flatterte im Kreis herum wie ein Vogel,
der nicht weiß, wo er sich niederlassen soll. Viel Zeit verlor ich so, ohne daß
ich an Tugend gewonnen hätte oder im Gebet weitergekommen wäre. Ich begriff die
Ursache nicht und hätte sie wohl auch nie begriffen, wenn nicht ein Diener
Gottes, mit dem ich über meine Gebetsweise sprach, mich darauf hingewiesen
hätte. Ich selber meinte nämlich, was ich tat, sei recht und gut. Daraufhin
erkannte ich jedoch klar, wie sehr ich abgeirrt war, und es tut mir ewig leid,
daß ich jemals glauben konnte, ich würde etwas gewinnen durch einen solch großen
Verlust. Selbst wenn dies möglich wäre, wollte ich nichts gewinnen, was ich
nicht durch den erlange, dem wir alle Güter verdanken. Er sei gelobt in
Ewigkeit. Amen.
ACHTES KAPITEL
Damit ihr noch klarer seht, Schwestern, daß es wirklich so ist, wie ich euch
gesagt habe, und daß eine Seele um so beständiger von dem guten Jesus begleitet
wird, je weiter sie vorwärts geht, wird es gut sein, davon zu reden, daß wir –
wenn Seine Majestät es so will – gar nicht anders können, als immer mit ihm zu
gehen. Das ist deutlich an den Formen zu erkennen, in welchen Seine Majestät
sich uns mitteilt und die Liebe zeigt, die er für uns empfindet, durch
mancherlei Erscheinungen und solch erstaunliche Visionen. Damit es euch nicht
erschreckt, wenn der Herr euch eine dieser Gnaden erweist, möchte ich euch –
falls es dem Herrn beliebt, daß mir dies gelingt – in Kürze etwas davon sagen,
auf daß wir ihn von Herzen loben, auch wenn er uns dies nicht selbst erfahren
läßt, allein schon deshalb, weil er, der doch so erhaben und gewaltig ist, sich
auf solche Weise mit einem Geschöpf verbinden will.
Es kann geschehen, daß die Seele, während sie mit keinem Gedanken daran denkt,
ihr könnte eine solche Gnade widerfahren, ja sogar wenn sie niemals der Meinung
war, eine solche zu verdienen, plötzlich Jesus Christus unseren Herrn an ihrer
Seite fühlt, obgleich sie ihn nicht sieht, weder mit den Augen des Leibes noch
mit denen der Seele. Diese Gnade nennt man intellektuelle Vision, ich weiß nicht
warum. Ich habe es erlebt, wie jene Person, der Gott diese Gnade erwies – neben
anderen, von denen ich noch reden werde –, anfänglich ganz zermürbt wurde; denn
es war ihr unbegreiflich, was das sein mochte, da sie nichts sah. Und doch
erkannte sie so gewiß, daß es Jesus Christus unser Herr war, der sich ihr auf
solche Weise zeigte, daß sie es nicht begreifen konnte – ich meine: daß jene
Vision da war. Freilich war sie noch ängstlich, ob es von Gott kam oder nicht,
obwohl es große Wirkungen mit sich brachte, an denen dies zu erkennen war. Noch
nie hatte sie etwas gehört von einer intellektuellen Vision, und niemals hatte
sie gedacht, daß es etwas Derartiges geben könnte. Aber sie erkannte sehr klar,
daß es derselbe Herr war, der so oft auf die vorher genannte Weise mit ihr
gesprochen hatte; denn bis zu der Zeit, wo er ihr diese Gnade erwies, von der
ich hier spreche, hatte sie niemals gewußt, wer mit ihr sprach, obgleich sie die
Worte verstand.
Ich weiß, daß sie aus Furcht (weil diese Vision nicht wie die bildhaften
Gesichte schnell vorübergeht, sondern viele Tage dauert, manchmal sogar länger
als ein Jahr) ganz verstört zu ihrem Beichtvater ging. Der fragte sie, wie sie
denn wissen könne, daß es unser Herr sei, wenn sie nichts sehe; sie solle ihm
sagen, was für ein Antlitz er gehabt habe. Sie sagte ihm, daß sie es nicht
wisse; sie habe kein Antlitz gesehen und könne nicht mehr sagen, als sie bereits
gesagt habe; sie wisse nur, daß Er es gewesen sei, der mit ihr gesprochen habe,
und daß es keine Einbildung gewesen sei. Und obgleich sie dabei noch oftmals
große Angst überkam, konnte sie doch nicht daran zweifeln, vor allem als Er ihr
sagte: »Fürchte dich nicht, ich bin es.« Eine solche Kraft hatten diese Worte,
daß sie es danach nicht mehr bezweifeln konnte, und sie fühlte sich sehr
gestärkt und fröhlich durch diese gute Gesellschaft; und sie erkannte klar, wie
sehr ihr dies dabei half, ständig im Gedanken an Gott zu leben und sich davor zu
hüten, daß sie jemals etwas tat, was ihm mißfallen könnte; denn es schien ihr,
als schaue er sie immer an. Und jedesmal, wenn sie mit Seiner Majestät im Gebet
oder auch sonst einmal reden wollte, schien er ihr so nahe zu sein, daß er sie
gewißlich hören mußte; obwohl sie seine Worte nicht dann verstand, wenn sie es
wollte, sondern unerwartet, wenn es für sie Notwendig war. Sie fühlte ihn zu
ihrer Rechten, aber nicht den Sinnen, die uns jemanden gewahren lassen, der
neben uns ist; denn man gewahrt es auf eine andere, feigere Weise, die man wohl
nicht mit Worten beschreiben kann; aber diese Wahrnehmung ist genauso sicher, ja
man erfaßt sie mit noch größerer Gewißheit als irgendeine Beobachtung mit den
Sinnen. Diese können wohl getäuscht werden, hier aber gibt es keinen Trug; denn
es bringt so viel inneren Gewinn, so viel innere Wirkungen mit sich, wie man sie
niemals erleben könnte, wenn es sich um eine Ausgeburt der Melancholie handelte;
niemals würde der Satan einem so viel Gutes tun, und die Seele wäre nicht so von
Frieden erfüllt, von solch beständigem Verlangen, Gott zu erfreuen, und von
solchem Abscheu vor allem, was sie nicht ihm näher bringt. Später erfaßte sie
klar, daß es nicht der Satan war, da sich der Herr ihr mehr und mehr zu erkennen
gab.
Dennoch weiß ich, daß sie zuweilen sehr ängstlich war und manchmal aufs höchste
verwirrt und beschämt, weil sie nicht wußte, wodurch ihr so viel Gutes zuteil
geworden war. Sie und ich waren so sehr eins, daß nichts in ihrer Seele vorging,
was ich nicht von ihr erfahren hätte, und darum kann ich ein guter Zeuge sein,
und ihr könnt mir glauben, daß alles Wahrheit ist, was ich hier sage. Es ist
eine Gnade des Herrn, welche die tiefste Verwirrung, Beschämung und Demut
hervorruft. Käme es vom Satan, so geschähe genau das Gegenteil; und da es etwas
ist, das deutlich erkennbar von Gott gegeben wurde – denn keine menschliche
Anstrengung würde hinreichen, solche Gefühle zu erwecken –, kann derjenige, der
das erfährt, unmöglich meinen, dieses Gut sei ihm eigen; er betrachtet es
vielmehr als eine Gabe aus der Hand Gottes. Und obwohl – wie mir scheint –
manche der früher genannten Gnaden noch größer sind, bringt diese doch eine
besondere Erkenntnis Gottes mit sich, und aus dieser ständigen Nähe erwächst
eine überaus zarte Liebe zu Seiner Majestät, eine noch größere Sehnsucht, sich
ganz seinem Dienst zu widmen, und eine große Reinheit des Gewissens, weil die
Anwesenheit, die sie neben sich fühlt, sie auf alles achten läßt. Denn obschon
wir ja wissen, daß Gott bei allem zugegen ist, was wir tun, ist doch unsere
Natur so, daß wir es oft vergessen, daran zu denken. Das ist in diesem Fall
unmöglich, weil der Herr, der bei der Seele ist, diesen Gedanken immer wachhält.
Auch werden die früher genannten Gnaden noch sehr viel häufiger, da die Seele
fast immer von einer unmittelbaren Liebe zu dem erfüllt ist, den sie sieht oder
von dem sie weiß, daß er neben ihr weilt.
An dem Gewinn der Seele sieht man also, daß es eine überaus große Gnade ist, die
man hochschätzen muß; und die Seele dankt es dem Herrn, daß er ihr dies gab,
ohne daß sie es verdienen konnte, und für keinen Schatz, für keine Lust der Erde
würde sie es eintauschen. Deshalb fühlt sie sich, wenn es dem Herrn beliebt,
sich ihr zu entziehen, tief einsam. Aber alle erdenklichen Bemühungen, die sie
aufwenden mag, um jene Gesellschaft wieder zu erlangen,
nützen wenig; denn der Herr schenkt sie, wann er will, und man kann sie nicht
selbst erwerben. Manchmal erscheint einem in der gleichen Weise auch ein
Heiliger, und auch dies bringt reichen Gewinn.
Ihr werdet fragen, wie man, wenn man es nicht sieht, erkennen kann, ob es nun
Christus ist oder ein Heiliger oder die glorreiche Mutter des Herrn. Das kann
die Seele nicht sagen, und sie kann nicht begreifen, wie sie es erkennt; aber
sie kann versichern, daß sie es weiß mit der unerschütterlichsten Gewißheit.
Eher faßlich scheint es, daß man den Herrn, wenn er spricht, erkennt; noch
wunderbarer aber ist es, daß man einen Heiligen erkennen kann, der nicht
spricht, den der Herr vielmehr als eine Hilfe jener Seele beizugeben scheint.
Noch mehr solcher geistlichen Dinge gibt es, die man nicht auszusprechen vermag,
die aber erkennen lassen, wie niedrig unsere Natur ist und wie schwer es ihr
fällt, die großen Herrlichkeiten Gottes zu erfassen, da wir nicht einmal fähig
sind, diese Erscheinungen zu begreifen. Wem Gott solche Gnaden schenkt, der
empfange sie mit Bewunderung und preise Seine Majestät; er sage ihm besonderen
Dank, denn da es eine Gnade ist, die nicht allen widerfährt, muß man sie
hochschätzen und darauf bedacht sein, Gott noch mehr zu dienen, nachdem er auf
so vielerlei Weise einem dazu hilft. Daher kommt es, daß die Seele, die so etwas
erlebt, sich danach nicht für etwas Besseres hält, sondern meint, daß unter
allen, die auf der Erde leben, sie es ist, die Gott am wenigsten dient; denn sie
glaubt, daß sie mehr als sonst jemand dazu verpflichtet sei, und jeder Fehler,
den sie begeht, durchbohrt ihr das Herz, und das mit vollem Recht.
Diese Wirkungen in der Seele, von denen ich gesprochen habe, kann jede von euch,
die der Herr auf diesem Wege führt, beobachten, um zu erkennen, daß es weder
Trug noch Einbildung ist; denn, wie gesagt, ich halte es für unmöglich, daß es
so lange dauern könnte, wenn es der Satan wäre, und daß es der Seele so
offenkundigen Gewinn brächte, sie mit solchen Freuden erfüllte. Dies entspricht
nicht seiner Art, und etwas so Böses kann – selbst wenn es wollte – nicht so
viel Gutes schaffen. Sonst würden sich ein paar Dunstwolken von Dünkel zeigen,
und die Seele würde denken, sie sei besser als die anderen. Daß die Seele
ständig Gott so nahe ist und ihre Gedanken unentwegt mit ihm beschäftigt sind,
würde den Bösen in solche Raserei versetzen, daß er, selbst wenn er diese
Täuschung versuchen wollte, sie nicht oft wiederholen würde; und Gott ist so
getreu, daß er ihm nicht erlauben wird, so mit einer Seele umzuspringen, die
nichts anderes erstrebt, als Seiner Majestät zu gefallen und ihr Leben
einzusetzen für seine Ehre und seinen Ruhm; der Herr wird vielmehr dafür sorgen,
daß sie von der Täuschung befreit wird.
Ich bin und bleibe der festen Überzeugung, daß Seine Majestät – falls die Seele
in der beschriebenen Weise lebt, welche die göttlichen Gnaden in ihr bewirkt
haben – sie mit Gewinn aus der Versuchung hervorgehen läßt, wenn er es
gelegentlich zuläßt, daß der Satan sich an sie heranwagt. Beschämt wird der Böse
das Feld räumen müssen. Darum, Töchter, erschreckt nicht, wenn eine von euch auf
diesem Weg geführt wird; es ist gut, Furcht zu haben. Gehen wir mit noch
größerer Vorsicht! Und ihr sollt auch nicht darauf bauen, daß ihr, weil ihr so
begünstigt seid, achtloser sein dürft; denn es wäre ein Anzeichen, daß es nicht
von Gott kommt, wenn ihr nicht die Wirkungen an euch wahrnehmt, von denen ich
gesprochen habe. Es ist gut, wenn ihr es gleich zu Beginn unter dem Siegel des
Beichtgeheimnisses mit einem wahren Gelehrten besprecht, denn solche Männer
müssen uns erleuchten; oder aber mit einem Menschen, der im geistlichen Leben
besonders erfahren ist, falls ihr einen solchen finden könnt; andernfalls lieber
mit einem beschlagenen Gelehrten, wenn möglich aber mit beiden. Und wenn sie
euch sagen sollten, daß es eine Einbildung ist, so macht euch nichts daraus,
denn die Einbildung kann eurer Seele weder im Guten noch im Bösen viel anhaben.
Bittet dann Seine Majestät, sie möge nicht zulassen, daß ihr betrogen werdet.
Sollten die befragten Männer euch sagen, daß es der Satan ist, wird es
schwieriger und quälender. Ein wahrer Gelehrter wird dies freilich nicht
behaupten, wenn die genannten Wirkungen vorhanden sind. Sollte er es aber doch
sagen, so weiß ich, daß der Herr selber, der mit euch geht, euch trösten und
Sicherheit schenken wird, und den Gelehrten wird er erleuchten, damit er euch
das Licht weiterreicht.
Besprecht ihr es mit einem Menschen, der zwar dem Gebet sich widmet, den aber
der Herr nicht auf diesem Wege geführt hat, so wird er sich entsetzen und wird
es verdammen. Darum rate ich euch, daß ihr einen hochgebildeten Mann wählt und –
falls ihr ihn findet – einen, der auch über geistliche Erfahrung verfügt. Die
Priorin soll dazu die Erlaubnis geben; denn obschon die Seele sicher wandelt, da
ihr gutes Leben sichtbar ist, hat die Priorin doch die Pflicht, eine solche
Besprechung zu gestatten, damit beide sicherer sind. Nach der Besprechung mit
diesen Personen sollte man sich beruhigen und es nicht noch anderen mitteilen;
denn manchmal, ohne daß ein Grund zur Furcht vorhanden wäre, flößt der Satan
einem solche Ängste ein, welche die Seele zwingen, sich nicht mit einem Mal zu
begnügen. Vor allem wenn der Beichtvater wenig Erfahrung hat und einen zaghaften
Eindruck macht, wenn er selber die Seele drängt, sich noch anderen mitzuteilen,
wird öffentlich bekannt, was mit gutem Grund ganz geheim hätte bleiben sollen,
und die Seele wird verfolgt und gepeinigt. Während sie noch meint, es sei
geheim, sieht sie, daß es stadtbekannt ist. Daraus erwachsen für sie und – unter
den heutigen Umständen – vielleicht auch für den Orden viele peinliche Folgen.
Darum ist es nötig, in dieser Hinsicht sehr vorsichtig zu sein. Den Priorinnen
lege ich dies sehr ans Herz. Sie sollten aber nicht meinen, daß eine Schwester,
die etwas Derartiges erlebt, besser sei als die anderen. Der Herr führt eine
jede, wie er es für nötig hält. Falls man diese Hilfe nützt, ist es eine
Vorbereitung, um zu einer willigen Dienerin Gottes zu werden. Doch zuweilen
führt Gott die Schwächsten auf diesem Weg; und deshalb gibt es daran nichts zu
billigen und nichts zu verdammen. Auf die Tugenden sollte man vielmehr schauen
und darauf achten, wer mit der größten Selbstaufopferung, Demut und Reinheit des
Gewissens unserem Herrn dient, denn sie wird die Heiligste sein. Freilich kann
man das hier auf Erden nur mit geringer Sicherheit erkennen, ehe der wahre
Richter einem jeden zuteilt, was er verdient. Da werden wir erschrecken, wenn
wir sehen, wie sehr sich sein Urteil von unserer Ansicht unterscheidet. Er sei
gelobt in Ewigkeit. Amen.
NEUNTES KAPITEL
Jetzt wollen wir zu den bildhaften Visionen kommen, von denen man sagt, daß bei
ihnen der Satan sich leichter einmischen könne als bei den vorigen – und so ist
es wohl auch. Stammen sie aber von unserem Herrn, so scheinen sie mir in
gewisser Weise noch hilfreicher zu sein als jene, weil sie mehr unserer Natur
entsprechen (abgesehen von den Visionen, die der Herr in der letzten Wohnung zu
erkennen gibt, denn ihnen kommen keine anderen gleich).
Ist der Herr so gegenwärtig, wie ich es im letzten Kapitel beschrieben habe,
schaut, dann ist es, als hätten wir in einem goldenen Kästchen einen kostbaren
Stein von höchstem Wert und gewaltigen Kräften. Wir wissen mit unanfechtbarer
Gewißheit, daß er darin ist. Obgleich wir ihn nie gesehen haben, helfen uns die
Kräfte des Steines, wenn wir ihn bei uns tragen. Haben wir ihn auch nie
erblickt, schätzen wir ihn doch, weil wir aus Erfahrung wissen, daß er uns von
verschiedenen Krankheiten geheilt hat, gegen die er das rechte Mittel ist. Aber
wir wagen nicht, ihn anzuschauen oder auch nur das Kästchen zu öffnen, und wir
können es auch nicht. Denn wie es zu öffnen ist, das weiß nur der, dem das Juwel
gehört, und obwohl er uns den Edelstein geliehen hat, damit wir ihn zu unserem
Heil gebrauchen, hat er den Schlüssel für sich behalten. Ihm gehört es, und er
wird es öffnen, wenn er den Stein uns zeigen will, und er wird es auch
wegnehmen, wenn es ihm beliebt – was er tatsächlich tut.
Stellen wir uns nun vor, er wolle das Kästchen unerwartet öffnen, dem zuliebe,
dem er es geliehen. Natürlich hat dieser danach eine noch viel größere Freude
daran, wenn er sich an den herrlichen Glanz des Steines erinnert, und er wird
ihn deshalb auch klarer im Gedächtnis bewahren. Genauso geht es hier, wenn es
unserem Herrn gefällt, die Seele noch reicher zu beschenken. Er zeigt ihr
deutlich seine heiligste Menschlichkeit, in der Weise, die ihm beliebt, entweder
so, wie er auf der Erde wandelte, oder in der Gestalt des Auferstandenen. Und
obwohl das so schnell geschieht, daß wir es mit einem Blitz vergleichen könnten,
bleibt dieses höchst glorreiche Bild dem Bewußtsein so eingegraben, daß es mir
undenkbar erscheint, es könne jemals wieder daraus getilgt werden, ehe die Seele
es dort erschaut, wo sie sich für immer daran erfreuen kann.
Ich spreche zwar von einem Bild, aber ihr müßt wissen, daß es dem, der es sieht,
nicht wie gemalt erscheint, sondern als wirklich lebendig, und zuweilen redet es
mit der Seele, ja es zeigt ihr große Geheimnisse. Dauert dies auch eine gewisse
Zeit, so müßt ihr doch wissen, daß man es nicht länger anschauen kann, als man
in die Sonne zu blicken vermag. Darum währt dieser Anblick immer nur sehr kurz,
und das nicht, weil sein Glanz wie ein Blick in die Sonne das innere Auge – mit
dem man das alles sieht – schmerzt. (Wie es ist, wenn man es mit den äußeren
Augen gewahrt, darüber kann ich nichts sagen, denn die von mir genannte Person,
von der ich insbesondere reden kann, hatte das nicht erlebt, und man kann keine
zuverlässige Auskunft über etwas geben, wovon man keine Erfahrung hat.) Der
Glanz ist wie eingegossenes Licht von einer Sonne, die mit etwas sehr Feinem
überdeckt ist; wie ein Diamant – wenn man den so verarbeiten könnte –, wie
holländisches Leinen ist die Gewandung, und beinahe jedesmal, wenn Gott diese
Gnade der Seele erweist, wird sie Zur Verzückung hingerissen, weil ihre
Niedrigkeit einen so erschreckenden Anblick nicht ertragen kann. Ich sage
erschreckend, obgleich dieser Anblick das Allerschönste ist und lustvoller, als
jemand sich überhaupt erdenken könnte, auch wenn er tausend Jahre lebte und all
seine Vorstellungskraft bemühte; denn es übersteigt bei weitem alles, was unsere
Phantasie und unser Verstand zu fassen vermöchten. Aber die Gegenwart dieser
Erscheinung ist von so erhabener Majestät, daß es die Seele zutiefst erschreckt.
Darum braucht man hier nicht zu fragen, wie die Seele wissen könne, wer es ist,
ohne daß es ihr gesagt wurde; denn es ist wohl zu erkennen, daß dies der Herr
des Himmels und der Erde ist. Bei den irdischen Königen wäre dies nicht der
Fall, denn sie allein würde man nicht weiter beachten, wenn sie nicht von ihrem
Gefolge begleitet wären und es einem nicht gesagt würde.
O Herr, wie wenig kennen wir Christen Dich. Was wird geschehen, wenn Du eines
Tages kommst, uns zu richten? Wenn Dein Anblick hier, wo Du in solcher
Freundschaft kommst, um mit Deiner Braut zu reden, solchen Schrecken erregt – o
Töchter, wie wird es sein, wenn er mit strenger Stimme spricht: »Geht, die ihr
verdammt seid von meinem Vater!«
Das sollten wir von dieser Gnade, die Gott der Seele erweist, im Gedächtnis
bewahren. Es wird uns nicht wenig helfen; denn selbst der heilige Hieronymus
hielt sich dies stets vor Augen, trotz seiner Heiligkeit. Deshalb macht es uns
nichts aus, wenn wir hier leiden unter der Strenge der Ordensregel, an die wir
uns halten. Denn wenn es lange dauert, so ist es doch nur ein Augenblick,
verglichen mit jener Ewigkeit. Ich sage euch wahrhaftig, daß ich, trotz meiner
Erbärmlichkeit, niemals die Qualen der Hölle gefürchtet habe. Sie wären nichts,
verglichen mit der Vorstellung, daß die Verdammten diese so schönen, sanften und
gütigen Augen des Herrn von Zorn erfüllt sehen werden. Ich glaube nicht, daß
mein Herz dies ertrüge. Wieviel mehr muß es dann der fürchten, dem er sich so
herrlich offenbart hat! Denn das Gefühl ist dabei derart, daß die Seele außer
sich gerät und nichts mehr fühlt. Das ist wohl die Ursache, weshalb sie
aufgehoben wird; denn der Herr hilft ihrer Schwachheit, damit sie sich vereine
mit seiner Größe in dieser so erhabenen Verbindung mit Gott.
Sollte die Seele geruhsam diesen Herrn anschauen können, so glaube ich nicht,
daß es eine Vision ist, sondern eine lebhafte Überlegung, die in der Phantasie
sich eine Gestalt erschaffen hat. Verglichen mit jenem anderen, wird ein solches
Bild immer als etwas Totes erscheinen.
Manche Leute haben eine so kränkliche Phantasie (und ich weiß, daß es wahr ist,
denn sie haben mit mir darüber gesprochen, nicht nur drei oder vier, sondern
viele), ihr Geist ist so lebhaft, oder was weiß ich – jedenfalls versenken sie
sich so in ihre Phantasie, daß sie meinen, alles was sie denken, klar und
deutlich vor sich zu sehen. Hätten sie eine wirkliche Vision erlebt, würden sie
die Täuschung so klar erkennen, daß ihnen nicht der geringste Zweifel bliebe;
sie selber fügen nämlich das zusammen, was sie in ihrer Phantasie sehen, und es
bleibt keinerlei Wirkung zurück, sie bleiben vielmehr kalt, viel kälter, als
wenn sie ein gemaltes Andachtsbild betrachtet hätten. Es ist so
selbstverständlich, daß man sich nichts daraus zu machen braucht, und darum
vergißt man es schneller als einen Traum.
Bei den Visionen, von denen wir reden, ist das nicht so. Wenn die Seele weit
davon entfernt ist, auch nur daran zu denken, sie könne etwas sehen, stellt es
sich jählings, auf einen Schlag ihr dar und wirft all ihre Fähigkeiten und Sinne
über den Haufen durch entsetzliche Angst und wilden Tumult, um sie hernach in
jenen seligen Frieden zu versetzen. So wie bei Paulus, als er zu Boden geworfen
wurde Jener Sturm und Aufruhr am Himmel wütete, so wird auch hier die innere
Welt zerwühlt von heftiger Bewegung. Und mit einem Male, wie gesagt, beruhigt
sich alles, und die Seele ist so vertraut mit einigen großen Wahrheiten, daß sie
keinen Lehrer mehr braucht, denn die wahre Weisheit selber hat die Unwissenheit
von ihr genommen, ohne daß die Seele sich irgendwie darum bemüht hatte. Auch ist
die Seele eine Zeitlang sich der göttlichen Herkunft dieser Gnade so gewiß, daß
man sie, auch wenn man ihr gegenüber noch so nachdrücklich das Gegenteil
behaupten würde, nicht mit einer möglichen Täuschung ängstigen könnte. Später,
wenn der Beichtvater ihr Furcht einflößt, läßt Gott es zu, daß sie wankend wird
und sich fragt, ob das nicht ihrer Sünden wegen möglich sei. Doch sie glaubt das
nicht, sondern sie empfindet es – wie ich schon in einem anderen Zusammenhang
gesagt habe – gleichsam als eine Versuchung in Glaubensdingen. Der Satan kann
zwar Unruhe stiften, aber er kann die Seele nicht wankend machen in ihrer
Standhaftigkeit. Im Gegenteil: je mehr er sie befehdet, desto stärker wird in
ihr die Gewißheit, daß der Satan nicht so viel Gutes in ihr zurücklassen könnte,
wie sie nun in sich fühlt; denn er hat keine solche Macht im Inneren der Seele.
Er wird die Vision nachahmen können, aber nicht mit dieser Wahrheit, dieser
Erhabenheit und diesen Wirkungen.
Da die Beichtväter dies nicht sehen können und derjenige, dem Gott diese Gnade
erweist, es vielleicht nicht auszudrücken vermag, sind sie ängstlich, und das
mit gutem Grund. Deshalb ist es nötig, vorsichtig zu sein und die Zeit
abzuwarten, wo diese Erscheinungen Früchte tragen, das allmähliche Wachsen der
Demut zu beobachten, welche sie in der Seele hervorrufen, und deren
Beharrlichkeit in der Tugend zu prüfen. Ist es vom Satan gewesen, so wird er
sich bald verraten, und man wird ihn bei tausend Lügen ertappen. Wenn der
Beichtvater erfahren ist und diese Dinge selbst erlebt hat, wird er nicht lange
brauchen, das zu erkennen. Der Bericht des Beichtenden wird ihn bereits sehen
lassen, ob es eine göttliche Erscheinung, eine Einbildung oder ein Werk des
Satans ist, vor allem wenn Seine Majestät ihm die Gabe verliehen hat, die
Geister zu erkennen. Hat er diese Fähigkeit und ist er außerdem gelehrt, so wird
er es, auch wenn er über keine eigene Erfahrung verfügt, klar unterscheiden
können.
Dringend erforderlich ist es, Schwestern, daß ihr dem Beichtvater gegenüber ganz
offenherzig und ehrlich seid. Ich meine nicht, beim Bekennen der Sünden – denn
das versteht sich von selbst –, sondern wenn ihr von euren Erfahrungen im Gebet
erzählt. Ist das nicht der Fall, so kann ich euch nicht versichern, daß ihr auf
gutem Wege seid, noch daß es Gott ist, der euch belehrt; denn ihm liegt viel
daran, daß man dem, der seine Stelle einnimmt, mit der gleichen Wahrhaftigkeit
und Offenheit begegnet wie ihm selber. Und dies soll aus dem Wunsch geschehen,
daß er all unsere Gedanken, besonders aber unsere Taten, so gering sie auch sein
mögen, erfährt.
Haltet ihr es so, dann werdet ihr weder verwirrt noch unruhig; käme die
Erscheinung auch nicht von Gott, so würde sie euch nicht schaden, falls ihr
Demut und ein gutes Gewissen habt; denn Seine Majestät kann aus Bösem Gutes
gewinnen, so daß ihr auf dem Weg, auf dem der Satan euch ins Verderben führen
wollte, noch größeren Gewinn erlangt. Indem ihr meint, daß der Herr euch so
große Gnaden erweist, werdet ihr euch nämlich bemühen, ihn noch mehr zu erfreuen
und bei jedem Schritt sich an seine Gestalt zu erinnern. Ein Gelehrter sagte,
der Satan sei ein großer Maler, und wenn der Böse ihm ein lebendiges Bild des
Herrn vor Augen stelle, so bekümmere ihn das nicht, es diene ihm vielmehr dazu,
seine Andacht zu beleben und den Satan mit seinen eigenen Waffen zu bekriegen.
Ein Maler könne sehr böse sein, aber deshalb sei es einem nicht verwehrt, das
Bild zu verehren, das er malt, wenn es unser ganzes Heil darstellt. Dieser
Gelehrte hielt es für sehr schlecht, was manche raten, nämlich eine Feige zu
machen, wenn man eine solche Vision habe; denn wir müßten unseren König
verehren, wo immer wir sein gemaltes Ebenbild erblicken. Und ich sehe, daß er
recht hat; denn auch hier auf der Erde würde so etwas als Kränkung empfunden.
Wenn jemand, der einen anderen sehr liebt, davon erführe, daß dieser seinem
Abbild derartige Schmähungen antut, so würde er sich nicht darüber freuen.
Wieviel ehrfürchtiger müssen wir dann erst einem Kruzifix oder irgendeinem
anderen Bildnis unseres Herrschers begegnen, wann und wo immer wir es erblicken!
Obwohl ich das an anderer Stelle bereits geschrieben habe, war es doch mein
Wunsch, dies auch hier anzuführen, da ich erlebt habe, in welche Bedrängnis
jemand kam, dem man befohlen hatte, dieses Mittel anzuwenden. Ich weiß nicht wer
dies erfunden hat. Aber einer Seele, der nichts anderes übrigbleibt, als zu
gehorchen, muß es zur Qual werden wenn der Beichtvater ihr dies anrät; denn sie
glaubt, es wäre ihr Verderben, wenn sie dem Rat nicht folgt. Mein Rat ist es,
falls euch so etwas aufgetragen wird, dem Beichtvater demütig zu sagen, was
dagegen spricht, und es nicht zu tun. Mir hat sehr zugesagt, was der Gelehrte,
der in diesem Fall mit mir sprach, an guten Argumenten dagegen nannte.
Einen großen Gewinn erlangt die Seele durch diese Gnade des Herrn, wenn sie,
sooft sie an ihn, sein Leben und seine Passion denkt, sich an sein überaus
sanftes und schönes Antlitz erinnert.
Das ist ihr ein großer Trost; denn auch unter Menschen freut es uns ja noch
mehr, wenn wir jemanden, der uns viel Gutes tut, von Angesicht kennen, als wenn
wir ihn nie gesehen haben. Ich sage euch, daß eine solch schöne Erinnerung einen
tiefen Trost und eine starke Hilfe bedeutet.
Noch viele andere Güter bringt sie mit sich; doch da ich schon so viel von den
Wirkungen gesprochen habe, die diese Dinge mit sich bringen, und noch anderes zu
sagen ist, will ich weder euch noch mich damit ermüden, sondern euch dringend
nahelegen, wenn ihr wißt oder hört, daß Gott diese Gnade manchen Seelen erweist,
ihn niemals darum anzuflehen noch es euch zu wünschen, daß er euch auf diesem
Wege führt. Auch wenn ihr meint, daß er der Richtige für euch sei – und man soll
ihn hochachten und ehren –, so gebührt sich dennoch ein solches Verlangen nicht,
und zwar aus verschiedenen Gründen. – Der erste ist, daß es ein Mangel an Demut
wäre, wenn ihr euch etwas wünschtet, was ihr niemals verdient habt, und deshalb
glaube ich, daß der nicht sehr demütig sein kann, der es begehrt. Genausowenig
wie es einem niederen Bauern in den Sinn kommt, König sein zu wollen – was ihm
unmöglich erscheint, weil er dessen nicht würdig ist –, fällt es dem Demütigen
ein, so etwas zu ersehnen. Und ich glaube auch daß es einem niemals auf Wunsch
gegeben wird; denn bevor der Herr diese Gnaden erteilt, schenkt er eine tiefe
Selbsterkenntnis. Wie könnte eine Seele, in deren Kopf solche Gedanken gedeihen,
wirklich begreifen, welch große Gnade es ist, daß sie sich nicht in der Hölle
befindet! – Der zweite Grund ist, daß man auf diese Weise gewiß betrogen würde,
oder jedenfalls liegt diese Gefahr sehr nahe; denn der Satan braucht nur eine
kleine Türe offen zu sehen, und schon spiegelt er uns tausenderlei Dinge vor. –
Der dritte Grund ist, daß die Einbildungskraft – also der Betreffende selber –,
wenn ein solches Verlangen erwacht, sich einredet, sie sehe das, was sie
begehrt, und sie höre es auch – genauso wie denjenigen, die tagsüber voller
Verlangen ständig an etwas denken, das Ersehnte zuweilen im Traum erscheint. –
Der vierte Grund ist, daß es eine große Dreistigkeit wäre, wenn ich den Weg
wählen wollte, ohne zu wissen, welcher der rechte für mich ist, statt es dem
Herrn, der mich kennt, zu überlassen, daß er mich auf dem geeigneten Wege führt
und so in allem sein Wille geschehe. – Der fünfte Grund: Glaubt ihr, daß
diejenigen, denen Gott diese Gnaden erweist, wenig zu erdulden haben? Nein, die
größten und vielfältigsten Leiden haben sie zu ertragen. Wißt ihr vielleicht, ob
ihr fähig seid, dies zu erleiden? – Der sechste Grund: Es könnte sein, daß ihr
durch eben das, womit ihr zu gewinnen meint, verliert – wie es dem Saul
widerfuhr, als er König wurde.
Noch andere Gründe könnte ich nennen, Schwestern. Aber glaubt mir: Das Sicherste
ist, nichts anderes zu wollen, als was Gott will; denn er kennt uns besser als
wir selbst und liebt uns. Legen wir uns in seine Hände, damit sein Wille in uns
geschehe; und wir werden nicht irren, wenn wir mit entschlossenem Willen uns
immer hieran halten. Ihr dürft auch nicht übersehen, daß man durch das empfangen
vieler solcher Gnaden keine größere Glorie erlangt; es bedeutet vielmehr die
Verpflichtung, mehr zu dienen, eben weil man mehr empfängt. Die Möglichkeit
aber, uns mehr Verdienste zu erwerben, wird uns vom Herrn nicht genommen; das
liegt in unserer Hand, und deshalb gibt es viele heilige Personen, die niemals
erfahren haben, was es heißt, jene Gnaden zu empfangen, und wieder andere
empfangen sie, ohne daß sie heilig sind. Und denket nicht, daß eine solche Gnade
beständig anhält; auf ein einziges Mal, wo der Herr sie erweist, kommen
unzählige Leiden; und darum denkt die Seele gar nicht daran, ob sie es wohl noch
einmal empfängt, sondern daran, wie sie dem Herrn dafür dienen könnte.
Es ist wahr, daß solche Gnaden sehr dazu beitragen, Tugenden von höherer
Vollkommenheit zu erlangen. Wer sie aber durch eigene Mühe erlangt, wird sich
damit ein viel größeres Verdienst erwerben. Ich weiß von einer Person, welcher
der Herr einige dieser Gnaden erwiesen hatte, ja sogar von zwei Personen – eine
davon war ein Mann –, die sich so danach sehnten, Seiner Majestät auf eigene
Kosten zu dienen, ohne solch große Geschenke, und die so zu leiden begehrten,
daß sie vor dem Herrn deshalb klagten, weil er ihnen diese Gnaden erwies. Hätten
sie ihnen ausweichen können, so hätten sie diese Gaben gemieden. Ich rede hier
nicht von den Visionen, die wir vorhin besprochen haben – denn jene Personen
sehen deren großen Gewinn und hohen Wert –, sondern meine die Wonnen, die der
Herr in der Betrachtung schenkt.
Freilich ist auch ein solches Verlangen – nach meiner Ansicht – übernatürlich
und nur bei Seelen möglich, die vor Liebe brennen und den Herrn sehen lassen
wollen, daß sie ihm nicht um eines Lohnes willen dienen. Und darum, wie gesagt,
denken sie nie daran, sie könnten für irgend etwas die Glorie empfangen, um sich
so noch mehr zum Dienste anzuspornen; sie wollen vielmehr nur der Liebe genügen,
deren Natur es ist, ständig auf tausenderlei Weise zu wirken. Könnten sie es,
würden sie nach Möglichkeiten sinnen, die Seele in Ihm sich verzehren zu lassen.
Wäre es nötig für die höhere Ehre Gottes, auf immer ausgelöscht zu sein, so
wären sie dazu mit inniger Freude bereit. Er, der seine Größe erweisen will,
indem Er sich erniedrigt, um sich mit so elenden Geschöpfen zu verbinden, sei
gelobt in Ewigkeit. Amen.
ZEHNTES KAPITEL
In vielfältiger Weise teilt sich der Herr durch diese Erscheinungen der Seele
mit. Ist sie betrübt, so zeigt er sich ihr anders, als wenn ihr eine schwere
Mühsal bevorsteht, und wieder anders gibt er sich ihr zu erkennen, wenn Seine
Majestät sich an ihr erfreuen und sie fröhlich machen will. Es ist nicht nötig,
jede Einzelheit hier zu besprechen; denn meine Absicht ist nur, euch die
Unterschiede zwischen den einzelnen Arten von Visionen, die ihr auf diesem Wege
erlebt, verständlich zu machen – soweit ich sie selber verstehe –, damit ihr,
meine Schwestern, deren Besonderheit erfaßt und die Wirkungen wißt, die sie
hinterlassen. Dadurch wird euch die Täuschung erspart, jede Einbildung für eine
Vision zu halten; falls es aber wirklich eine Vision ist, seid ihr darüber im
klaren, daß so etwas durchaus möglich ist, und werdet also deshalb nicht
beunruhigt oder bekümmert. Denn das würde dem Satan keinen geringen Gewinn
einbringen. Er freut sich immer, wenn er eine Seele verstört und bekümmert
sieht, weil er weiß, daß dies sie daran hindert, sich ganz der Liebe zu Gott und
seinem Lobpreis hinzugeben.
Seine Majestät teilt sich aber noch durch andere Erscheinungen mit, die noch
erhabener und nicht so gefährlich sind, weil der Satan sie – meiner Überzeugung
nach – nicht vortäuschen kann. Da sie etwas höchst Geheimnisvolles bleiben, sind
sie jedoch auch weit schwieriger zu beschreiben als die bildhaften Visionen, die
sich eher erklären lassen. Beliebt es dem Herrn, so geschieht es, daß die Seele,
während sie im Gebet und voll bei Sinnen ist, jählings von einer Entrückung
erfaßt wird, in welcher der Herr ihr große Geheimnisse zu verstehen gibt, die
sie anscheinend in Gott selber sieht. Denn dies sind keine Visionen der
allerheiligsten Menschlichkeit, und wenn ich auch sage, die Seele sehe, sieht
sie doch nichts, weil es keine Vision ist, sondern eine rein intellektuelle
Schau, wo sich ihr enthüllt, wie in Gott alle Dinge geschaut werden und wie er
sie alle in sich birgt. Das ist von großem Nutzen, weil es – obgleich es in
einem Augenblick vorüber ist – der Seele tief eingemeißelt bleibt und mit
schrecklicher Bestürzung sie klarer denn je erkennen läßt, wie übel wir tun,
wenn wir Gott kränken, da wir in Gott selber – das heißt: während wir uns in
seinem Inneren befinden – entsetzliche Frevel begehen. Ich will ein Gleichnis
gebrauchen, vielleicht kann ich mich damit so ausdrücken, daß ihr es versteht;
denn obwohl dies wirklich so ist und wir schon oft davon gehört haben, bedenken
wir es nicht oder wollen es nicht begreifen. Wären wir uns darüber ganz im
klaren, so müßte es undenkbar erscheinen, daß wir uns so dreist gebärden.
Stellen wir uns also vor, Gott sei wie eine Wohnung oder wie ein sehr großer und
schöner Palast, und dieser Palast umschließe die ganze Welt. Kann da der Sünder,
um seine Übeltaten zu begehen, sich vielleicht aus diesem Palast entfernen?
Nein, gewiß nicht, sondern drinnen, mitten in diesem Palast, der Gott selber
ist, geschehen die Greuel, Schamlosigkeiten und Bosheiten, die wir Sünder
begehen. Oh, wie furchtbar ist das! Und es ist wohl wert, daß wir es in allem
Ernst bedenken. Wie hilfreich müßte uns, die wir wenig wissen, diese Überlegung
sein. Wir haben diese Wahrheit noch nicht in ihrer vollen Bedeutung erfaßt,
sonst wäre es unmöglich, daß wir uns eine solch wahnwitzige Dreistigkeit
erlaubten! Und bedenken wir auch, Schwestern, welch große Barmherzigkeit und
Geduld Gott uns damit erzeigt, daß er uns nicht augenblicklich zerschmettert.
Laßt uns von Herzen ihm dafür danken, und schämen wir uns dessen, wie
empfindlich wir selber sind, wenn man uns etwas antut oder wider uns redet. Denn
es ist die schlimmste Schandtat der Welt, wenn wir sehen, mit welcher Langmut
Gott unser Schöpfer so viele Bosheiten seiner Geschöpfe in sich selber duldet,
und wir dann irgendein Wort, das einmal in unserer Abwesenheit und vielleicht
ohne böse Absicht gesagt worden ist, übel nehmen.
O menschliche Erbärmlichkeit! Wann endlich, Töchter, werden wir diesem großen
Gott ein wenig nacheifern? Oh, machen wir uns doch nichts aus dem Gerede. Was
macht es uns schon, Schmähungen zu ertragen! Laßt uns mit herzlicher Freude
alles erdulden und jene lieben, die uns beleidigen; denn dieser große Gott hat
nicht aufgehört, uns zu lieben, obwohl wir ihn oft beleidigt haben. Darum
erwartet er mit Fug und Recht, daß ein jeder dem anderen verzeihe, mag ihm noch
so übel mitgespielt worden sein. Ich sage euch, Töchter, diese Vision, so
schnell sie vorbeigeht, ist eine große Gnade für die Seele, der Gott sie
schenkt, falls die Seele sie zu ihrem Heil gebrauchen will und die Erinnerung
daran sich recht oft vor Augen hält.
Auch geschieht es, daß Gott ebenso jäh und in einer Weise, die nicht
auszusprechen ist, in sich selber eine Wahrheit zeigt, die alles zu verdunkeln
scheint, was an Wahrheit in den Geschöpfen ist, und mit höchster Klarheit zu
erkennen gibt, daß nur Er Wahrheit ist, daß Er nicht lügen kann. Und man
begreift genau, was David in einem Psalm sagt: daß jeder Mensch lügnerisch ist.
Niemals würde man das so erkennen, wenn man es auch oft gehört hat. Es ist eine
Wahrheit, die unanfechtbar ist. Ich erinnere mich dabei an Pilatus und denke,
wieviel seine Frage doch ausdrückte, die er an unseren Herrn in dessen
Leidensstunden richtete – »Was ist Wahrheit?« –, und wie wenig wir hier erfassen
von dieser höchsten Wahrheit.
Ich wollte euch davon gern mehr zu verstehen geben, doch es läßt sich nicht in
Worte fassen. Laßt uns daraus die Erkenntnis ziehen, Schwestern, daß wir, um
doch ein wenig mit unserem Gott und Bräutigam übereinzustimmen, gut daran tun,
uns ständig mit Eifer darum zu mühen, daß wir in dieser Wahrheit wandeln. Ich
meine damit nicht nur, daß wir keine Lüge aussprechen – denn in dieser Hinsicht
sehe ich, Gott sei Dank, daß ihr, die ihr hier im Kloster lebt, sehr darauf
achtet, um nichts auf der Welt so etwas über eure Lippen kommen zu lassen –,
sondern ich will damit sagen, daß wir uns wahrhaftig geben vor Gott und vor den
Menschen, soweit wir es irgend vermögen. Und vor allem sollten wir nicht für
besser gelten wollen, als wir sind, und an unseren Werken Gott den Anteil
zuschreiben, der ihm gebührt, und uns selbst das, was unser ist. Immer sollten
wir danach streben, die Wahrheit zu erkennen. Dann werden wir diese Welt
geringachten wo alles Lüge und Falschheit ist und die darum nicht dauern kann.
Ich überlegte mir einmal, aus welchem Grund wohl unser Herr so sehr die Tugend
der Demut liebte, und da kam – wie es mir schien, nicht aus der Überlegung,
sondern ganz unvermittelt – die Einsicht: weil Gott die höchste Wahrheit, die
Demut aber nichts anderes ist, als in der Wahrheit wandeln. Denn es ist
gewißlich wahr, daß wir nichts Gutes von uns selber haben, sondern nur
Armseligkeit und Nichtigkeit. Und wer dies nicht erkennt, der wandelt in der
Lüge. Je mehr einer das begreift, desto mehr entspricht er der höchsten
Wahrheit, da er in ihr wandelt. Möge es Gott gefallen, Schwestern, uns die Gnade
zu erweisen, daß wir dieser Selbsterkenntnis nicht davonlaufen. Amen.
Solche Offenbarungen schenkt unser Herr der Seele, weil er ihr als seiner wahren
Braut, die schon entschlossen ist, in allem seinen Willen zu vollbringen, einen
Hinweis geben will, womit sie das tun kann, und weil es sein Wunsch ist, ihr
etwas von seiner Herrlichkeit vor Augen zu führen.
Noch von mehr Gnaden dieser Art zu reden, ist nicht nötig. Von diesen beiden
habe ich deshalb gesprochen, weil ich glaube, wir könnten daraus reichen Nutzen
ziehen. Denn bei derlei Erscheinungen ist nichts zu fürchten, sondern nur der
Herr dafür zu loben, daß er sie uns schenkt. Der Satan und die eigene Einbildung
können hier – meiner Ansicht nach – wenig anrichten, und so bleibt die Seele
danach von tiefer Zufriedenheit erfüllt.
ELFTES KAPITEL
Ob all diese Gnaden, die der Bräutigam der Seele erwiesen hat ausreichen, um den
kleinen Falter – den ich nicht vergessen habe – so zu befriedigen, daß er sich
da niederläßt, wo er sterben soll? Nein, gewiß nicht; er fühlt sich noch viel
elender. Obgleich die Seele nun schon seit vielen Jahren diese Gunstbeweise
erhält, seufzt sie doch immer und geht verweint umher; denn jede solche
Erfahrung verstärkt ihren Schmerz. Und zwar deshalb, weil sie mehr und mehr die
Herrlichkeiten Gottes erkennt und sich zugleich so ferne davon sieht, so
geschieden von ihm, an dem sie sich freuen will. So wird ihre Sehnsucht immer
heftiger; denn auch die Liebe wächst, je mehr sie entdeckt, wie sehr dieser
große Gott und Herr es verdient, geliebt zu werden. Während all der Jahre nimmt
dieses Verlangen ganz allmählich zu, bis es zu dieser großen Pein kommt, von der
ich nun rede. Von Jahren habe ich gesprochen, der Erfahrung jener Person
entsprechend, von der ich schon vorher gesprochen habe. Doch ich weiß wohl, daß
man Gott keine Frist setzen kann und daß er es vermag, eine Seele im Nu in jene
erhabene Region zu führen, von der jetzt die Rede sein soll. Seine Majestät hat
die Macht zu allem, was sie zu tun begehrt, und immer hat er das Verlangen, viel
für uns zu tun.
Das Sehnen, die Tränen, die Seufzer und heftigen Auftriebe, von denen ich
gesprochen habe, scheinen alle aus unserer Liebe hervorzugehen, unter großem
Schmerz. Doch all dies ist nur wie ein schwelender Brand, den man ertragen kann,
wenn auch mit Pein, und ist nichts im Vergleich mit dem Späteren. Wenn die Seele
so entbrannt ist und sich verzehrt, geschieht es oft, durch einen flüchtigen
Gedanken (Wie lange der Tod wohl noch auf sich warten läßt? – oder durch
irgendein Wort, das sie daran erinnert), daß von irgendwoher – man begreift
nicht, woher es kommt oder wie – ein Stoß sie trifft oder etwas wie ein feuriger
Pfeil. Ich sage nicht, daß es ein Pfeil ist; aber was es auch sein mag – man
erkennt klar, daß es nicht aus unserer Natur kommen kann. Genauso wenig ist es
ein Stoß, auch wenn ich »Stoß« sage; doch es verwundet scharf, und zwar nicht
dort, wo man gewöhnlich die Schmerzen fühlt, sondern – so scheint es mir –
zutiefst im Inneren der Seele. Dahinein schlägt dieser Blitz, der alles, was er
Irdisches an unserer Natur findet, geschwind durchzuckt und in Staub verwandelt.
Solange dies dauert, ist es nämlich unmöglich, sich an irgend etwas zu erinnern,
das unserem eigenen Wesen angehört. Denn in einem Augenblick bindet es die
Fähigkeiten derart, daß sie zu nichts mehr Freiheit haben, außer zu dem, was
diesen Schmerz in ihr steigert.
Ich möchte nicht, daß es aussieht, als übertriebe ich; denn in Wirklichkeit sehe
ich, daß ich noch zu wenig sage, weil es mit Worten nicht auszudrücken ist. Es
ist eine Verzückung, welche die Sinne und Fähigkeiten hinwegrafft von allem, was
nicht – wie gesagt – zum Empfinden dieses Kummers beiträgt. Denn der Verstand
ist hellwach, um zu erkennen, wie berechtigt es ist, daß jene Seele fühlt, wie
fern sie von Gott ist. Und der Herr hilft dabei noch nach, indem er der Seele
zur gleichen Zeit eine solch lebendige Erfahrung seines Wesens vermittelt, daß
die Qual sich dermaßen steigert, bis der Betroffene schließlich in laute Schreie
ausbricht. Auch wenn es jemand ist, der gewohnt ist, große Schmerzen mit Geduld
zu ertragen, kann er in diesem Fall nicht anders, weil man diese Qual – wie
gesagt – nicht am Körper empfindet, sondern im Inneren der Seele. Daraus schloß
jene Person, wieviel heftiger die seelischen Leiden sind als die körperlichen;
und es wurde ihr deutlich, daß von dieser Art die Qualen sind, welche die Seelen
im Fegfeuer leiden; denn daß sie keinen Körper mehr haben, schließt nicht aus,
daß sie noch viel mehr leiden als alle, die hier auf Erden im leiblichen Dasein
leiden.
Ich selbst sah jemanden in einem solchen Zustand und dachte wirklich, er würde
sterben. Das wäre auch nicht verwunderlich gewesen; denn in einem solchen Fall
ist das Leben tatsächlich in großer Gefahr. Dauert dieser Vorgang auch nicht
lang, so wird der Körper dabei doch völlig verrenkt, und der Puls ist so
stockend, als wolle die Seele schon zu Gott. Das ist nicht zuviel gesagt. Denn
dem Leib geht die natürliche Wärme verloren, und zugleich verzehrt sich die
Seele in der Glut. Ganz wenig fehlt noch, und Gott hätte ihre Sehnsucht erfüllt.
Dabei empfindet sie jedoch keinerlei körperlichen Schmerz (obwohl – wie gesagt –
ihr Leib derart verrenkt wird, daß sie danach zwei oder drei Tage heftige
Schmerzen leidet und nicht einmal genug Kraft zum Schreiben besitzt. Ja, es
scheint mir, als erlange der Körper danach nie wieder die vorige Kraft). Diese
Unempfindlichkeit kommt wohl daher, daß der innere Schmerz, den die Seele fühlt,
so viel stärker ist. Sie merkt deshalb überhaupt nichts von dem, was den Körper
betrifft. Genauso ist es ja auch im gewöhnlichen Leben: schmerzt es uns irgendwo
sehr heftig, so spüren wir andere Leiden kaum, und mögen es noch so viele sein
(das habe ich selbst recht deutlich erlebt). In der Lage aber, von der wir
sprechen, fühlt die betreffende Person nicht den geringsten körperlichen
Schmerz. Ich glaube, sie würde es nicht einmal merken, wenn man sie in Stücke
risse.
Ihr werdet mir sagen, in diesem Schmerz zeige sich eine Unvollkommenheit. Denn
warum fügt sich diese Seele nicht dem Willen Gottes, dem sie sich doch ganz
übergeben hat? Bisher war ihr das möglich gewesen, und in dieser Haltung lebte
sie auch. Jetzt aber ist ihr das unmöglich, weil die Vernunft nun nicht mehr
Herr über die Seele ist, die an nichts anderes mehr zu denken vermag als an das,
was der Grund ihres Leidens ist. Nämlich daß sie getrennt ist von dem, was ihr
das Höchste ist. Wozu sollte sie da noch leben wollen? Sie fühlt eine seltsame
Einsamkeit; denn mit keinem Geschöpf der Erde verbindet sie eine Gemeinschaft,
die sie befriedigen könnte – und ich glaube, nicht einmal himmlische Wesen
könnten ihr das bieten, außer demjenigen, den sie liebt. Alles andere quält sie
eher nur noch mehr. Es ist ihr, als hinge sie im Leeren, so daß sie auf nichts
Irdischem Fuß fassen kann und auch nicht zum Himmel aufzusteigen vermag. Durst
verzehrt sie, doch sie kann nicht zum Wasser gelangen. Ein Durst, der nicht
auszuhalten ist, der so brennt, daß ihn kein Wasser mehr zu löschen vermag. Und
sie will auch gar nicht, daß er gelöscht wird, es sei denn durch jenes Wasser,
von dem unser Herr zu der Samariterin sprach. Aber dies wird ihr nicht gereicht.
Oh, mein Gott, mein Herr, wie bedrängst Du die, die Dich lieben! Doch alles ist
gering im Vergleich mit dem, was Du ihnen später schenkst. Es ist recht, daß
etwas, das viel wert ist, auch viel kostet; vor allem wenn das die Läuterung der
Seele bedeutet, so daß sie in die siebte Wohnung eintreten kann – eine
Läuterung, wie sie auch die Seelen, die in den Himmel kommen sollen, im Fegfeuer
erfahren. Daran gemessen, ist dieses Leiden so wenig wie ein Wassertropfen im
Meer, trotz all der Qual und Kümmernis, die meiner Ansicht nach gar nicht
schlimmer sein können; denn die betreffende Person hatte viele Schmerzen,
körperlicher und geistiger Art, erlitten, hielt aber alles für nichtig,
verglichen mit dem, was sie da empfand. Trotz alldem fühlt die Seele, daß diese
Qual einen so hohen Wert besitzt, den sie – das merkt sie sehr genau – niemals
selber hätte erwerben können. Zwar lindert dieses Gefühl den Schmerz in keiner
Weise, doch bewirkt es, daß sie ihn von Herzen gern erleidet und ihr ganzes
Leben lang ihn gern erleiden würde, wenn sie Gott damit dienen könnte, obwohl
das nicht ein einmaliges Sterben, sondern wirklich und wahrhaftig ein
fortwährendes Sterben wäre.
Denken wir daran, Schwestern, wie jene, die in der Hölle sind, ohne diese
Übereinstimmung, ohne die Freude und Wonne, die Gott der Seele eingibt, ohne die
Einsicht in den reichen Gewinn, den dieses Leiden bringt, nur mehr und mehr
leiden (ich meine: durch die hinzukommenden Schmerzen).Wenn die Qual der Seele
stärker ist als die des Körpers und die Martern, welche die Verdammten zu
erleiden haben, unvergleichlich viel schlimmer sind als die Pein, von der wir
eben gesprochen haben – wie mag es da diesen unglücklichen Seelen erst ergehen,
wenn sie erkennen, daß sie es immer und ewig ertragen müssen? Wird nicht alles,
was wir in diesem kurzen Leben tun oder erleiden können, völlig belanglos,
verglichen mit dem Ziel, von solch schrecklichen, ewigen Qualen befreit zu
werden? Ich sage euch: Es ist unmöglich, jemandem verständlich zu machen, wie
schmerzlich das Leiden der Seele ist und wie verschieden von körperlicher Pein,
falls der Betreffende es nicht selbst erlebt hat. Doch der Herr selber will es
uns begreiflich machen, damit wir um so klarer erkennen, wie sehr wir ihm dafür
Dank schulden, daß er uns zu einem Stand geführt hat, in dem wir durch seine
Barmherzigkeit die Hoffnung haben, daß er uns befreien und unsere Sünden
vergeben wird.
Kehren wir zurück zu dem, was wir vorhin sagten. Wir verließen diese Seele, als
sie in großer Qual war. In solcher Schärfe hält diese Pein nicht lange an. Es
werden höchstens drei oder vier Stunden sein, glaube ich; denn würde es lange
dauern, so könnte die Schwäche unserer Natur – falls nicht ein Wunder geschieht
– dies unmöglich ertragen. Es kam auch schon vor, daß es nicht länger als eine
Viertelstunde anhielt, aber so, daß jener Mensch völlig zerschlagen war. Damals
schwanden jener Person wirklich die Sinne, derart heftig war es, und zwar
während eines Gesprächs am Osterdienstag, nachdem die Seele all die Feiertage in
solcher Dürre verbracht hatte, daß ihr fast völlig entgangen war, um was es
ging. Ein einziges Wort aber – daß das Leben so lange kein Ende nehme – genügte.
Daran zu denken, man könne dem widerstehen, ist ganz unmöglich, genauso
unmöglich, wie wenn einer, der im Feuer steckt, bewirken wollte, daß die Flamme
keine Hitze hat und ihn nicht brennt. Es ist ein Schmerz, den man nicht so
verhehlen kann, daß die anderen, die dabei sind, die große Gefahr, in der man
sich befindet, nicht bemerken, obwohl sie nicht wahrnehmen, was im Inneren
vorgeht. Ihre Gegenwart empfindet die Seele, aber nur so, als wäre sie von
Schatten umgeben, und als solche erscheinen ihr alle Dinge der Erde.
Es kann geschehen – das sage ich euch für den Fall, daß ihr einmal in eine
solche Lage geratet –, daß die Schwäche unserer Natur sich dabei jählings
bemerkbar macht. Ist die Seele, wie ihr gesehen habt, einmal so weit, daß sie
stirbt vor Sehnsucht zu sterben, und ist der Druck so stark, daß sie meint, sie
verlasse nun fast schon den Leib, so befällt sie zuweilen wirkliche Angst, und
sie möchte, daß die Pein sich lindere, um nicht vollends zu sterben. Dabei ist
ganz klar zu erkennen, daß diese Angst von der natürlichen Schwäche kommt; denn
auf der anderen Seite wird die Sehnsucht der Seele nicht geringer, und es gibt
kein Mittel, mit dem dieser Schmerz zu dämpfen wäre, bevor der Herr selber – wie
es fast immer geschieht – ihn mit einer großen Verzückung oder einer Vision
tilgt, wobei der wahre Tröster die Seele so tröstet und stärkt, daß sie so lange
leben möchte, wie er es will.
Dieses Erleben ist eine Qual, aber es hinterläßt gewaltige Wirkungen in der
Seele. Sie fürchtet fortan keine Leiden mehr, die noch kommen mögen; denn
verglichen mit dem Schmerz, den sie empfand, erscheint ihr alles andere als
nichts. Diese Erfahrung hat ihr so viel genützt, daß sie es gern noch oft
erleiden würde. Doch das kann sie nicht aus eigenem Willen herbeiführen, und
durch kein Mittel läßt sich das wiederholen, ehe der Herr es will, genauso wenig
wie es möglich ist, dem zu widerstehen oder es auszulöschen, wenn es einen
überkommt. Die Seele verachtet künftig die Welt noch viel mehr als zuvor, weil
sie erfahren hat, daß nichts Irdisches in dieser Qual ihr half; und sie hängt
sehr viel weniger an den Geschöpfen, da sie nun weiß, daß nur der Schöpfer sie
trösten und stillen kann. Und mit größerer Furcht und Sorgfalt achtet sie
darauf, ihn nicht zu kränken, weil sie erkannt hat, daß er ebenso zu peinigen
wie zu trösten vermag.
Zweierlei gibt es, wie mir scheint, auf diesem geistlichen Weg, was das Leben in
Gefahr bringen kann. Das eine ist das Erlebnis, von dem wir eben gesprochen
haben und das wahrlich nicht ungefährlich ist. Das andere ist ein Übermaß an
Wonne und Seligkeit, das mit solch ungeheurer Macht die Seele bedrängt, daß es
wirklich scheint, als erliege die Seele und es bedürfe nicht der kleinsten
Kleinigkeit mehr, damit sie endgültig den Leib verläßt. Das wäre in der Tat kein
geringes Glück für sie. Hier könnt ihr sehen, Schwestern, ob ich recht hatte,
als ich sagte, daß Mut erforderlich ist; und ihr werdet erkennen, daß der Herr –
wenn ihr ihn um diese Erfahrungen bittet – euch mit gutem Grund dieselbe Frage
stellen wird, die er an die Söhne des Zebedäus richtete: »Könnt ihr den Kelch
trinken?«
Alle, das glaube ich, Schwestern, werden wir mit Ja antworten, und ganz zu
Recht; denn Seine Majestät schenkt jenen Kraft, von denen er weiß, daß sie ihrer
bedürfen. In allem verteidigt er diese Seelen und steht für sie ein bei
Verfolgungen und bösem Gerede, wie er es für Magdalena tat, wenn auch nicht mit
Worten, so durch Taten. Und schließlich, schließlich, ehe sie vollends sterben,
belohnt er sie für alles auf einmal, wie ihr nun sehen werdet. Er sei gepriesen
in Ewigkeit, und es rühme ihn alle Kreatur. Amen.
DIE SIEBTE WOHNUNG
ERSTES KAPITEL
Ihr werdet den Eindruck haben, Schwestern, es sei bereits so viel über diesen
geistlichen Weg gesagt worden, daß es unmöglich ist, noch mehr darüber zu sagen.
Das zu meinen, wäre sehr unbesonnen. Denn die Größe Gottes hat keine Grenzen,
und ebenso unbegrenzt sind wohl seine Werke. Wer könnte die Taten seines
Erbarmens und seiner Herrlichkeit zu Ende erzählen? Das ist nicht möglich, und
darum seid nicht bestürzt über das, was hier gesagt worden ist und noch gesagt
wird; denn es ist nichts als eine Ziffer für die Fülle, die es von Gott zu
berichten gibt. Viel Erbarmen hat er uns erwiesen, indem er diese Dinge jemandem
mitgeteilt hat, so daß wir davon erfahren können und darum, je tiefer wir es
erfassen, wie er sich den Geschöpfen mitteilt, um so mehr seine Größe rühmen und
uns bemühen, unsere Seelen, an denen der Herr so viel Gefallen findet, nicht
geringzuachten. Denn jeder von uns hat eine, nur schätzen wir sie nicht so, wie
es ein Geschöpf verdiente, das nach dem Bilde Gottes geschaffen ist, und
erkennen darum auch nicht die großen Geheimnisse, die darin verborgen sind. Möge
Seine Majestät – so es ihm gefällt – die Feder führen und mich wissen lassen,
wie ich euch etwas von dem vielen sagen kann, was es zu sagen gilt und was Gott
demjenigen zu erkennen gibt, den er in diese Wohnung führt. Von Herzen habe ich
Seine Majestät darum angefleht; denn er weiß, daß es meine Absicht ist, die
Werke seines Erbarmens nicht länger im Verborgenen zu lassen, auf daß sein Name
höher geehrt und inniger gepriesen werde.
Ich hoffe, daß er – nicht um meinetwillen, sondern euretwegen, Schwestern – mir
diese Gnade erweisen wird, damit ihr versteht, wie wichtig es für euch ist,
nicht selbst zu verhindern, daß euer Bräutigam diese geistliche Hochzeit mit
euren Seelen feiert; denn sie bringt viele Güter ein, wie ihr sehen werdet.
Oh, großer Gott! Eine so erbärmliche Kreatur, wie ich es bin, muß doch
erzittern, wenn sie von etwas spricht, das so hoch über das hinausgeht, was zu
begreifen ich verdiene. Und wirklich, ich war in arger Verwirrung, weil ich
dachte, ob es nicht besser wäre, mit wenigen Worten diese Wohnung abzutun.
Sicherlich denkt man sonst, ich wisse es aus eigener Erfahrung, und dabei fühle
ich eine tiefe Scham. Weil ich mich selber kenne und weiß, wie ich bin, ist mir
das etwas Schreckliches. Andererseits erschien mir dies als Versuchung und
Schwäche. Und mögt ihr noch soviel über mich urteilen – Gott sei gelobt und sein
Wesen ein wenig mehr verstanden, mag die ganze Welt auch über mich zetern. Das
soll mich nicht bekümmern, zumal ich vielleicht schon tot bin, wenn man dies zu
sehen bekommt. Gepriesen sei er, der lebt und leben wird in Ewigkeit. Amen.
Wenn es unserem Herrn gefällt, sich der Qualen zu erbarmen, die diese Seele,
welche er schon geistlich zu seiner Braut gemacht hat, erlitt und erleidet, so
führt er sie, bevor die geistliche Ehe geschlossen wird, in seine eigene, das
heißt in diese siebte Wohnung; denn wie er im Himmel seine Wohnstatt hat, so muß
er wohl auch in der Seele eine Stätte haben, wo nur Seine Majestät weilt, also
gleichsam einen zweiten Himmel. Es ist nämlich sehr wichtig, Schwestern, daß wir
die Seele nicht für etwas Dunkles halten (da wir sie nicht sehen, kommt es einem
gemeinhin ja so vor, als gäbe es kein anderes, kein innerliches Licht, sondern
nur das, welches wir mit den Augen gewahren) und nicht meinen, in unserer Seele
herrsche eine Art Finsternis. Bei einer Seele, die nicht in der Gnade lebt, mag
das so sein, das gebe ich zu; aber nicht, weil ihr die Sonne der Gerechtigkeit
fehlt, die doch immer in ihr ist und ihr das Sein verleiht, sondern weil sie
nicht fähig ist, das Licht aufzunehmen, wie ich – soweit ich mich erinnern kann
– in der ersten Wohnung gesagt habe. Einer gewissen Person ist es klar geworden,
daß diese unglücklichen Seelen gleichsam in einem dunklen Kerker liegen, blind,
stumm und gefesselt an Händen und Füßen, so daß sie nichts Gutes vollbringen
können, das zu ihrem Heil dienen würde. Mit Recht tun sie uns leid, und wir
sollten bedenken, daß wir uns einmal in der gleichen Lage befanden und der Herr
sich auch ihrer erbarmen kann.
Laßt uns ihn unermüdlich darum anflehen, Schwestern, vergessen wir dies nie;
denn die beste Gabe der Nächstenliebe ist, für die zu bitten, die in Todsünde
leben. Es ist eine sehr viel größere Verpflichtung, als wenn wir einen Christen
sehen würden, der an einen Pfahl gefesselt ist, die Hände mit starken Ketten auf
den Rücken gebunden, und der so allmählich verhungert, aber nicht, weil nichts
da ist, was er essen könnte – denn er hat die köstlichsten Speisen um sich –,
sondern weil er sie nicht greifen und zum Munde führen kann. Dabei fühlt er auch
noch einen heftigen Widerwillen und sieht, daß es mit ihm zu Ende geht, nicht
nur für dieses irdische Leben, sondern für alle Ewigkeit. Wäre es da nicht eine
entsetzliche Grausamkeit, einfach zuzuschauen und ihm nicht die Nahrung in den
Mund zu geben? Wie aber, wenn euer Gebet bewirken könnte, daß man ihm die Ketten
abnimmt? Ihr versteht mich schon. Um der Liebe Gottes willen bitte ich euch, daß
ihr bei euren Gebeten auch immer an solche Seelen denkt.
Doch jetzt wollen wir nicht von ihnen sprechen, sondern von denen, die durch das
Erbarmen Gottes schon Buße getan haben für ihre Sünden und in der Gnade leben.
Eine solche Seele ist nichts Enges, Eingepferchtes, sondern eine innere Welt,
die so viele und so schöne Gemächer birgt, wie ihr gesehen habt. Und das ist nur
recht und angemessen; denn in der Mitte dieser Seele ist eine Wohnung für Gott.
Wenn es also Seiner Majestät beliebt, ihr die Gnade zu erweisen, von der wir
sprachen, und er diese göttliche Ehe mit ihr eingehen will, so führt er sie
zuerst in seine Wohnung. Und er wünscht, daß dies nicht so vor sich geht wie bei
anderen Gelegenheiten, wo er sie entrückte; denn ich glaube zwar, daß er da und
in dem sogenannten Gebet der Vereinigung sich mit ihr verbindet, aber die Seele
hat dabei doch nicht den Eindruck, als sei sie berufen, in die innerste Mitte
einzutreten, wie jetzt in dieser Wohnung, sondern als gelange sie in deren
oberen Teil. Aber sei dem, wie es wolle – darauf kommt es nicht an. Der Herr
verbindet sich mit ihr, wobei er sie jedoch blind und stumm macht (wie es dem
heiligen Paulus bei seiner Bekehrung widerfuhr). Er läßt sie nicht fühlen, wie
und von welcher Art die Gnade ist, die sie genießt; denn das große Entzücken,
welches da die Seele empfindet, besteht darin, daß sie gewahrt, wie nahe sie bei
Gott ist. Wenn er sich aber mit ihr vereint, so begreift sie nichts davon, weil
ihr alle Seelenkräfte schwinden.
Hier dagegen ist es anders. Nun will unser guter Gott ihr die Schuppen von den
Augen nehmen, auf daß sie sehe und etwas von der Gnade begreife, die er ihr
erweist – freilich auf eine ungewohnte Weise. Nachdem sie durch eine
Verstandesschau in jene Wohnung geführt worden ist, zeigt sich ihr – gleichsam
als Darstellung der Wahrheit – die Heilige Trinität, in allen drei Gestalten,
mit einer Entflammung, die zuerst wie eine Wolke höchster Klarheit vor ihren
Geist kommt. Und durch eine wundersame Wahrnehmung, die der Seele zuteil wird,
begreift sie, daß all die drei Gestalten gewißlich und wahrhaftig ein Wesen sind
und eine Macht und ein Wissen und ein einziger Gott. Was wir im Glauben
festhalten, erkennt die Seele dort – so können wir sagen – im Schauen, obwohl
dies kein Schauen mit den Augen des Körpers oder der Seele ist, da es sich um
keine bildhafte Vision handelt. Hier teilen sich ihr all die drei Personen mit,
reden zu ihr und erläutern ihr jene Worte des Herrn, die im Evangelium stehen:
Er und der Vater und der Heilige Geist würden kommen, um bei der Seele zu
wohnen, die ihn liebt und seine Gebote hält.
Oh, großer Gott, was für ein Unterschied ist es doch, ob man diese Worte hört
und glaubt oder ob man auf diese Weise begreift, wie wahr sie sind! Und jeden
Tag verwundert sich diese Seele mehr; denn es scheint ihr, als wichen die drei
Personen nie mehr von ihr. Sie sieht vielmehr eindeutig – in der beschriebenen
Weise –, daß sie im Inneren ihrer Seele weilen. In der allerinnersten Mitte,
ganz unten, in einer Tiefe, die sie nicht beschreiben kann, weil sie unwissend
ist, fühlt sie in sich diese göttliche Gesellschaft.
Ihr werdet nun meinen, die Seele sei also nicht bei sich, sondern so versunken,
daß sie auf nichts anderes achten kann. Im Gegenteil: Bei allem, was im Dienste
Gottes geschieht, ist sie viel achtsamer als zuvor, ist sie aber frei von
Geschäften, so verweilt sie in dieser angenehmen Gesellschaft. Und wenn die
Seele Gott gegenüber nichts versäumt, so wird er es – meines Erachtens – nie
versäumen, sie seine Gegenwart so deutlich gewahren zu lassen. Und sie vertraut
fest darauf, daß Gott, nachdem er ihr diese Gnade erwiesen hat, sie nicht so
weit verlassen wird, daß ihr sein Geschenk wieder verlorengeht. Und dieses
Glaubens darf man sein. Dennoch achtet sie behutsamer denn je darauf, daß sie
ihm durch nichts mißfällt.
Diese göttliche Gegenwart, in der die Seele sich hier fühlt, ist allerdings
nicht so unmittelbar, das heißt: nicht immer so klar, wie sie sich beim ersten
Male offenbart, oder wie bei anderen Gelegenheiten, wenn Gott die Seele mit
dieser Gunst erfreuen will; denn wäre dies so, könnte sie unmöglich auf etwas
anderes achten oder auch nur unter den Leuten leben. Zeigt es sich ihr auch
nicht in so klarem Licht, findet sich die Seele aber doch immer, wenn sie darauf
achtet, in dieser Nähe. Mit anderen Worten: Es geht ihr wie jemandem, der mit
anderen in einem sehr hellen Raume ist, wo plötzlich die Fenster geschlossen
werden, so daß er im Dunkeln steht. Auch wenn das Licht verschwunden ist und er
die anderen nicht erblicken kann, bevor das Licht wieder erscheint, weiß er doch
noch immer, daß sie zugegen sind. Man wird nun fragen, ob die Seele selber nach
eigenem Belieben bewirken kann, daß das Licht zurückkehrt und sie die Gefährten
sieht. Aber das liegt nicht in ihrer Macht, und es geschieht nur, wenn es der
Wille unseres Herrn ist, daß das Fenster der Erkenntnis sich auftut. Doch er
erweist ihr schon damit eine große Barmherzigkeit, daß er sie nicht verläßt und
ständig dafür sorgt, daß sie dies so deutlich wahrnimmt.
Es scheint, als wolle die göttliche Majestät die Seele hier durch diese
wunderbare Gesellschaft auf noch Größeres vorbereiten; denn es ist klar, daß ihr
dies wesentlich dazu hilft, in allem auf dem Weg zur Vollkommenheit
voranzukommen und die Furcht zu verlieren, die sie – wie gesagt – angesichts der
anderen Gnaden, die sie erfuhr, überkam. Und so war es auch bei der Person, von
der wir sprachen. Sie fand sich in allem gebessert, und es kam ihr vor, als
verlasse das Wesentliche ihrer Seele – trotz aller Plagen und Mühen, mit denen
sie zu tun hatte – niemals dieses Gemach. Es schien ihr also gewissermaßen, als
ob in ihrer Seele eine Teilung vor sich gegangen sei. Und als schwere Mühsal sie
bedrückte, kurze Zeit nachdem Gott ihr diese Gnade erwiesen hatte, da beklagte
sie sich darüber, wie Martha, als sie über Maria klagte. Auch warf sie manchmal
ihrer Seele vor, sie genieße jenen Frieden, ganz nach ihrer Lust, und lasse sie,
die soviel Plage und Arbeit habe, im Stich, so daß sie nicht mit dabeisein
könne.
Das wird euch unsinnig vorkommen, meine Töchter. Doch so ist es wirklich; denn
obgleich man weiß, daß die Seele ein Ganzes ist, ist das, was ich gesagt habe,
doch kein Hirngespinst. So verhält es sich nämlich meistens. Darum sagte ich,
man sehe innerliche Dinge, die einen mit Gewißheit erkennen lassen, daß es
irgendwie einen Unterschied, und zwar einen sehr klaren Unterschied zwischen der
Seele und dem Geist gibt, obwohl im übrigen beide ein und dasselbe sind. Man
erkennt eine so feine Teilung, daß es zuweilen scheint, als handle das eine
nicht so wie das andere, je nach dem Eindruck oder Geschmack, den der Herr ihnen
vermitteln will. Auch scheint es mir, daß die Seele etwas anderes ist als die
Fähigkeiten, daß sie also nicht ein und dasselbe sind. Es gibt so viele und so
feine Dinge in unserem Inneren, daß es eine Vermessenheit wäre, wollte ich
versuchen, sie zu erklären. Drüben, im anderen Leben, werden wir es sehen, wenn
der Herr so gnädig ist, uns durch sein Erbarmen dahin zu bringen, wo wir diese
Geheimnisse verstehen.
ZWEITES KAPITEL
Wir wollen nun von der göttlichen oder geistlichen Vermählung sprechen. Diese
große Gnade wird sich freilich nicht vollkommen erfüllen, solange wir leben;
denn trennen wir uns je von Gott, so wird uns dieses große Gut verlorengehen.
Erweist Gott zum erstenmal diese Gunst, so ist es der Wunsch Seiner Majestät,
sich der Seele in einer bildhaften Vision seiner heiligsten Menschlichkeit zu
zeigen, damit sie es genau erfaßt und wissend erfährt, daß ihr eine so erhabene
Gabe zuteil wird. Andere Personen werden es vielleicht in anderer Form erleben;
derjenigen aber, von der wir sprachen, erschien der Herr, als sie eben das
Abendmahl genommen hatte, in einer Gestalt von großem Glanz, voll Schönheit und
Majestät, wie nach der Auferstehung, und er sprach zu ihr, es sei nun an der
Zeit, daß sie seine Dinge als die ihrigen betrachte und er für die ihrigen
sorge, und dazu noch andere Worte, die man besser fühlt als ausspricht.
Dies erscheint vielleicht als nichts Neues, da sich der Herr auch sonst schon
dieser Seele in solcher Form gezeigt hatte. Aber es war so anders, daß es sie
ganz verwirrte und bestürzte; einmal, weil diese Vision mit großer Gewalt
eintrat, und zum anderen, weil die Worte, die der Herr zu ihr sagte, sie
erschreckten. Auch hatte sie im Inneren der Seele, wo sich ihr dies zeigte, noch
keine Vision erlebt, außer der eben erwähnten. Wir müssen nämlich wissen, daß
ein riesiger Unterschied zwischen allen vorhergegangenen Visionen und dem
besteht, was wir in dieser Wohnung schauen; ein Unterschied, der so groß ist wie
der zwischen der geistlichen Verlobung und der geistlichen Ehe, oder wie der
zwischen einem verlobten Paar und zweien, die sich nicht mehr trennen können.
Ich habe es schon einmal gesagt, daß trotz dieser Vergleiche – die ich
gebrauche, weil es keine geeigneteren gibt – man sich darüber im klaren sein muß,
daß hier so wenig an Körperliches gedacht wird, als weilte die Seele nicht mehr
im Leibe. Hier ist nur noch Geist. Und viel weniger noch hat Körperliches mit
der geistlichen Vermählung zu tun; denn diese geheime Vereinigung vollzieht sich
in der allerinnersten Mitte der Seele, also an dem Ort, wo Gott selber weilt.
Und er bedarf, wie ich glaube, keiner Türe, um dort einzutreten. Ich sage, er
brauche keine Türe, weil er bei allem, wovon wir bisher sprachen, durch das
Medium der Sinne und Fähigkeiten zu uns kommt; und jene Erscheinung der
Menschlichkeit des Herrn geschah wohl ebenso. Was sich aber bei der Vereinigung
der geistlichen Vermählung ereignet, ist völlig anderer Art. Da zeigt sich der
Herr in diesem Zentrum der Seele nicht in einer bildhaften Vision, sondern in
einer Verstandesschau (die freilich feiner ist als die früher erwähnten), wie er
den Aposteln erschien, ohne durch die Tür einzutreten, als er zu ihnen sprach:
»Friede sei mit euch.« Was der Herr hier der Seele in einem Augenblick mitteilt,
ist ein so großes Geheimnis und eine so hohe Gnade, und das Entzücken, das die
Seele dabei empfindet, ist so übermächtig, daß ich es mit nichts anderem
vergleichen kann als der Seligkeit im Himmel, die der Herr ihr durch diesen
Augenblick offenbaren will, und zwar in erhabenerer Weise als bei irgendeiner
sonstigen Vision oder anderen geistigen Wonnen. Es läßt sich nichts weiter davon
sagen, als daß die Seele, ich meine: der Geist dieser Seele – soweit man dies
verstehen kann – eins geworden ist mit Gott. Da auch er Geist ist, hat Seine
Majestät die Liebe offenbaren wollen, die er für uns hegt, indem er einigen
Menschen zu verstehen gibt, wie weit diese Liebe reicht, auf daß wir seine Größe
rühmen. So innig hat er sich mit der Kreatur verbinden wollen, daß er – genau
wie die Vermählten, die sich nicht mehr trennen können – nicht mehr von der
Seele weichen will.
Die geistliche Verlobung ist anders; denn da gibt es oft eine Trennung. Und auch
die Vereinigung ist nicht von dieser Art. Obwohl »Vereinigung« bedeutet, daß
zwei Dinge sich zu einem verbinden, können sie sich schließlich doch wieder
trennen und jeder für sich bleiben. So erleben wir es oft, daß jene Gnade des
Herrn schnell vorübergeht und die Seele sich danach nicht mehr in jener
Gemeinschaft befindet; ich meine: nicht mehr so, daß sie es merkt. Bei dieser
Gnade des Herrn aber, von der wir jetzt sprechen, gibt es keine Trennung mehr,
denn immer bleibt die Seele mit ihrem Gott in jener Mitte. Wir wollen sagen: Die
Vereinigung gleicht zwei Wachskerzen, die man so dicht aneinanderhält, daß
beider Flammen ein einziges Licht bildet; und sie ist jener Einheit ähnlich, zu
der der Docht, das Licht und das Wachs verschmelzen. Danach aber kann man leicht
eine Kerze von der anderen trennen, so daß es wieder zwei Kerzen sind, und
ebenso läßt sich der Docht vom Wachs lösen. Hier jedoch ist es, wie wenn Wasser
vom Himmel in einen Fluß oder eine Quelle fällt, wo alles nichts als Wasser ist,
so daß man weder teilen noch sondern kann, was nun das Wasser des Flusses ist
und was das Wasser, das vom Himmel gefallen; oder es ist, wie wenn ein kleines
Rinnsal ins Meer fließt, von dem es durch kein Mittel mehr zu scheiden ist; oder
aber wie in einem Zimmer mit zwei Fenstern, durch die ein starkes Licht
einfällt: dringt es auch getrennt ein, so wird doch alles zu einem Licht.
Vielleicht ist es dies, was der heilige Paulus mit den Worten meint: »Wer sich
dem Herrn nähert und an ihn sich hängt, der wird eines Geistes mit ihm.« Damit
spielt er wohl auf diese erhabene Vermählung an, die voraussetzt, daß Seine
Majestät durch eine Vereinigung zur Seele gekommen ist. Auch sagt er: »Mihi
vivere Christus est, mori hierum.« Genau dasselbe kann meiner Meinung nach hier
die Seele sprechen; denn das ist der Ort, wo der kleine Falter, von dem wir
gesprochen haben, stirbt, und dies in höchster Wonne, weil sein Leben nunmehr
Christus ist.
Das versteht man im Lauf der Zeit immer besser durch die Wirkungen dieser Gnade.
Durch eine Art geheimen Anhauchs gewahrt man deutlich, daß es Gott ist, der
unserer Seele Leben gibt. Und dieser Anhauch ist oft so stark, daß überhaupt
nicht daran zu zweifeln ist; denn die Seele fühlt es sehr genau, auch wenn sie
es nicht ausdrücken kann. So heftig ist jedoch manchmal dieses Empfinden, daß es
zuweilen zärtliche Worte hervorruft, die man anscheinend unweigerlich
aussprechen muß: »Oh, Leben meines Lebens und Nahrung, die mich erhält!« oder
ähnliches. Aus jenen himmlischen Brüsten, an denen Gott immer die Seele zu
nähren scheint, schießen Strahlen von Milch hervor, die alle Bewohner der Burg
laben; denn es scheint, als wolle der Herr, daß auch sie etwas genießen von der
Fülle, deren die Seele sich erfreut, und daß aus jenem mächtig strömenden Fluß,
in den diese kleine Rieselquelle mündete und sich auflöste, ab und zu ein
Schwall herausschwappt, um die zu erquicken, die im Leiblichen diesen beiden
Neuvermählten zu dienen haben. Und wie es auch einem Achtlosen nicht entgehen
kann, wenn man ihn plötzlich ins Wasser wirft, genauso sicher, ja mit noch
größerer Gewißheit verspürt man diese Wirkungen, von denen ich gesprochen. Denn
wie jeder starke Wasserschwall, der uns treffen mag, irgendwoher kommen muß,
genauso unbestreitbar zeigt sich, daß im Inneren jemand ist, der diese Pfeile
schleudert, der Leben gibt diesem Leben; und daß da eine Sonne ist, aus der ein
großes Licht kommt, das den Fähigkeiten gesandt wird aus dem Inneren der Seele.
Diese bewegt sich – wie gesagt – nicht aus jener Mitte, und der Friede geht ihr
nicht verloren; denn derselbe, der ihn den Aposteln schenkte, als sie
beieinander waren, kann ihn ihr gewähren.
Es ist mir nun der Gedanke gekommen, dieser Gruß des Herrn müsse viel mehr
bedeutet haben, als der bloße Wortlaut besagt; ebenso damals, als er zur seligen
Magdalena sagte, sie solle in Frieden gehen; denn da die Worte des Herrn Taten
sind, wie bei uns die Werke, müssen sie in jenen Seelen, die schon vorbereitet
waren, so stark gewirkt haben, daß in ihnen alles, was leiblich ist an der
Seele, ausgeschieden wurde und diese hernach reiner Geist war, so daß sie sich
in dieser himmlischen Vereinigung mit dem unerschaffenen Geist verbinden konnte.
Denn es ist ganz gewiß, daß der Herr, wenn wir uns alles Kreatürlichen
entledigen und uns aus Liebe zu Gott davon losmachen, uns mit sich selber
erfüllen wird. Und so betete auch unser Herr Jesus Christus für seine Jünger –
ich weiß nicht, wo es steht –, sie möchten eins mit dem Vater werden und mit
ihm, gleichwie unser Herr Jesus Christus im Vater ist und er in ihm. Ich weiß
nicht, welch größere Liebe es geben könnte als diese! Und wir alle werden dahin
gelangen; denn Seine Majestät sagte: »Ich bitte nicht nur für sie, sondern auch
für all die anderen, die an mich glauben werden.« Und er fährt fort: »Ich bin in
ihnen.«
O Gott, wie wahr sind diese Worte, und wie erfaßt dies die Seele, die es in
diesem Gebet selber erlebt! Und wir alle würden es erfassen, wenn nicht unsere
eigene Schuld uns daran hinderte; denn die Worte Jesu Christi, unseres Königs
und Herrn, können nicht falsch sein! Doch da wir versagen, weil wir uns nicht
dafür bereitmachen und uns nicht abkehren von allem, was dieses Licht hemmen
kann, sehen wir uns nicht in diesem Spiegel, den wir betrachten und dem unser
Bildnis eingegraben ist.
Doch kehren wir zurück zu dem, was wir vorhin sagten. Führt der Herr die Seele
in diese seine Wohnung, welche die Mitte der Seele selber ist, so scheint es,
als seien die Regungen in der Seele, die für gewöhnlich in der Phantasie und den
Fähigkeiten zu fühlen sind, plötzlich nicht mehr vorhanden, sobald sie hier
eintritt (auch der höchste Himmel, der Feuerhimmel, wo unser Herr ist, bewegt
sich ja nicht wie die übrigen). So stören sie die Seele nicht und rauben ihr
nicht den Frieden. Es mag den Anschein erwecken, ich wollte damit sagen, die
Seele sei ihrer Erlösung sicher und der Gefahr enthoben, erneut zu fallen, wenn
sie einmal so weit gelangt ist, daß Gott ihr diese Gnade erweist. Das behaupte
ich aber nicht, und immer wenn ich in der Weise rede, daß es scheint, als sei
die Seele in Sicherheit, so ist dies mit dem Vorbehalt aufzunehmen: solange
Seine Majestät sie so an der Hand hält und sie ihn nicht beleidigt. Zumindest
weiß ich gewiß, daß die Seele, von der wir sprachen, obwohl sie sich in diesem
Stande sieht, und dies seit Jahren, sich nicht für gesichert hält, sondern noch
viel ängstlicher als zuvor sich vor jeder kleinen Kränkung Gottes hütet.
Zugleich empfindet sie ein so starkes Verlangen, ihm zu dienen – wovon nachher
noch die Rede sein wird –, und fühlt sich fast immer bekümmert und verwirrt
durch die Einsicht, wie wenig sie zu tun vermag im Vergleich zu dem vielen, wozu
sie verpflichtet ist. Das ist kein geringes Kreuz, sondern eine besonders harte
Buße; aber Übungen der Buße sind dieser Seele eine Wonne, und je härter das Werk
der Reue, desto größer ist ihre Freude. Eine wirkliche Buße ist es jedoch für
sie, wenn der Herr ihr Gesundheit und Kräfte nimmt, so daß sie nicht mehr
imstande ist, die Buße tätig zu üben. Ich habe zwar schon an anderer Stelle
gesagt, welch große Qual dies bereitet, doch hier ist es noch viel
schmerzlicher. Und das alles kommt wohl von dem Grund, in dem sie verwurzelt
ist. Der Baum, der dicht an den strömenden Wassern steht, ist frischer und
bringt mehr Frucht – wie könnte es da wundernehmen, daß diese Seele solche
Begierden fühlt, wo doch ihr wahrer Geist – wie wir sagten – eins geworden ist
mit dem himmlischen Wasser?
Um aber zum vorher Gesagten zurückzukehren: man darf das nicht so verstehen, als
blieben die Fähigkeiten, die Sinne und Leidenschaften ständig in diesem Frieden.
Die Seele selber, ja; doch in den anderen Wohnungen gibt es noch immer Zeiten
des Streits, der Leiden und Mühsale, wenn auch nicht in dem Maße, daß sie
dadurch ihres Friedens beraubt und von ihrer Stätte verdrängt werden könnte. So
ist es jedenfalls meistens. Dieses Zentrum unserer Seele – oder dieser Geist –
ist etwas, das so schwer sich ausdrücken läßt und auch so schwierig zu erfassen
ist durch den Glauben, daß ich fürchte, Schwestern, ihr könntet in die
Versuchung geraten, meinen Worten zu mißtrauen, weil ich mich nicht verständlich
machen kann; denn sagt man, es gebe Drangsal und Leiden, und behauptet zugleich,
die Seele sei im Frieden, so ist dies schwer zu begreifen.
Ich will euch ein Gleichnis nennen oder auch zwei. Gebe Gott, daß sie euch etwas
besagen. Tun sie das nicht, so weiß ich dennoch, daß ich die Wahrheit spreche.
Der König ist in seinem Palast, und gibt es auch viele Kriege, Bedrängnis und
Leiden in seinem Reich – er verharrt trotz alledem an seinem Platz. So ist es
auch hier. Mag es in den anderen Wohnungen noch so toben und wimmeln von wildem,
giftigem Getier, daß der Lärm herüberschallt, so dringt doch nichts in den
innersten Bereich, was die Seele daraus vertreiben könnte. Was sie da hört,
schmerzt sie zwar etwas, aber es stürzt sie nicht in Unruhe und raubt ihr nicht
den Frieden; denn die Leidenschaften sind schon bezwungen, so daß sie Angst
davor haben, dort einzudringen, weil sie sonst nur noch mehr entmachtet würden.
Der ganze Körper mag uns schmerzen, aber wenn der Kopf gesund ist, wird er uns
nicht deshalb wehtun, weil wir am Körper leiden.
Ich lache über diese Vergleiche, die mich nicht befriedigen; aber ich weiß keine
anderen. Denkt, was ihr wollt; es ist Wahrheit, was ich gesagt habe.
DRITTES KAPITEL
Jetzt ist also dieser kleine Falter gestorben, voll überschwenglicher Freude,
daß er nun zur Ruhe gefunden hat und Christus in ihm lebt. Schauen wir also,
welches Leben er jetzt führt und wie sich dies von seinem früheren Dasein
unterscheidet; denn an den Wirkungen werden wir erkennen, ob es wahr ist, was
hier gesagt worden ist. Ich weiß von den folgenden:
Die erste Wirkung ist eine Selbstvergessenheit der Seele, die so weit geht, daß
es – wie gesagt – wirklich so scheint, als existiere sie überhaupt nicht mehr.
Sie ist so völlig verwandelt, daß sie sich selbst nicht mehr kennt noch sich
daran erinnert, daß es für sie einen Himmel oder Leben oder Ehre gibt, weil ihr
ganzes Wesen damit beschäftigt ist, für Gottes Ehre zu sorgen. Es scheint, als
seien die Worte, die Seine Majestät zu ihr sprach – nämlich: sie solle auf seine
Dinge achten, und er werde nach den ihrigen schauen –, nun Wirklichkeit
geworden. Und so kümmert sie sich um nichts, was auch geschehen mag, sondern
lebt in einer wundersamen Vergessenheit, so daß es – wie gesagt – den Anschein
hat, als sei sie gar nicht mehr vorhanden. Auch möchte sie überhaupt nicht mehr
dasein, in keiner Weise, es sei denn, sie würde erkennen, daß von ihr etwas
ausgehen kann, was den Ruhm und die Ehre Gottes ein bißchen erhöht; denn dafür
würde sie von Herzen gern ihr Leben hingeben.
Ihr dürft das nicht so verstehen, Töchter, als kümmere sie sich nun nicht mehr
um Essen und Schlafen (obwohl diese Notwendigkeiten sie nicht wenig quälen) und
vernachlässige nun irgendwelche Pflichten ihres Standes. Wir sprechen von
innerlichen Dingen; von äußeren Werken ist wenig zu sagen. Es bekümmert sie
vielmehr, sehen zu müssen, daß ihre Kräfte zu nichts mehr ausreichen. Aber
niemals und um nichts auf der Welt würde sie von etwas ablassen, das sie zu
leisten vermag und von dem sie weiß, daß es im Dienste Gottes geschieht.
Die zweite Wirkung ist ein Verlangen nach großem Leiden, aber nicht in der
Weise, daß dies Verlangen sie beunruhigt, wie früher; denn die Sehnsucht, der
Wille Gottes möge in ihr geschehen, der diese Seele nun erfüllt, ist so
übergroß, daß sie alles, was Seine Majestät tut, als gut betrachtet: will er,
daß sie leidet, wohlan; will er es nicht, so zermartert sie sich deshalb nicht
wie einst.
Auch bereitet es solchen Seelen eine große Wonne, wenn sie verfolgt werden, und
sie fühlen dabei einen viel tieferen Frieden als bei den früheren Gelegenheiten,
ohne gegen jene, die ihnen Böses tun oder Böses zufügen wollen, irgendwelche
Feindschaft zu hegen. Sie fassen vielmehr eine besondere Liebe zu ihnen, und
wenn sie dieselben in einer Bedrängnis sehen, empfinden sie ein tiefes Mitleid
und würden alles auf sich nehmen, um sie davon zu befreien. Aus freiem Herzen
und tiefem Verlangen empfehlen sie dieselben in Gottes Schutz, und von den
Gnaden, die Seine Majestät ihnen gewährt, würden sie mit Freuden etwas missen,
wenn sie dafür jenen zuteil würden, damit sie unseren Herrn nicht länger
beleidigen.
Am allermeisten verwundert mich aber, daß nun – nachdem ihr ja gesehen habt,
unter wieviel Mühen und Qualen diese Seelen sich nach ihrem Tode sehnten, um
sich unseres Herrn zu erfreuen –, daß nun ihr Verlangen, ihm zu dienen, ihn zu
rühmen und womöglich einer Seele sich hilfreich zu erweisen, so groß ist, daß
sie nicht nur keine Sehnsucht nach dem Tod empfinden, sondern noch viele, viele
Jahre voll schwerster Mühen leben wollen, um so möglicherweise etwas dazu
beizutragen, daß Gott gepriesen werde, sei es auch nur im Allerkleinsten. Und
wüßten sie auch gewiß, daß die Seele, sobald sie den Leib verläßt, sich der
Gegenwart Gottes erfreut, so wäre ihnen dies gleich. Sie denken nicht an die
Herrlichkeit, in der die Heiligen leben, noch ist es ihr Wunsch, diese schon
jetzt zu erfahren. Ihre Seligkeit sehen sie darin, daß sie alles daransetzen, um
dem Gekreuzigten irgendwie zu helfen, falls dies möglich ist; vor allem, wenn
sie gewahren, wie oft er beleidigt wird und wie wenige es gibt, die ernsthaft
nach seiner Ehre trachten, ohne sich noch um irgend etwas anderes zu kümmern.
Freilich überkommt sie zuweilen, wenn sie dies einmal vergessen, wieder zärtlich
das Verlangen, sich des Herrn zu erfreuen, und damit der Wunsch, dieser
Verbannung zu entrinnen, vor allem wenn sie sehen, wie wenig sie nützen. Aber
dann schaut die Seele wieder in sich selber und gewahrt, wie sie ihn ständig bei
sich hat; und damit begnügt sie sich. Indem sie leben will, bietet sie Seiner
Majestät gleichsam ein Opfer dar, und zwar das kostbarste, das sie ihm zu geben
vermag.
Vor dem Tode fürchtet sie sich nicht, sowenig wie sie sich vor einer sanften
Entrückung ängstigen würde. Er, der einst jenes erste Verlangen mit solch
furchtbarer Qual in der Seele erweckte, flößt ihr nämlich nun dieses neue Sehnen
ein. Er sei gelobt und gepriesen in Ewigkeit.
Die Wünsche dieser Seelen gelten also nicht mehr den Gnadengeschenken und
Wonnen, weil sie den Herrn selber bei sich haben und es Seine Majestät ist, die
nun in ihnen lebt. Wie wir wissen war sein eigenes Leben nichts als ständige
Marter, und das unsere macht er nun dem seinen gleich, zumindest was unser
Sehnen und Wollen betrifft; denn im übrigen leitet er uns, wie man schwache
Gefährten führt. Sieht er jedoch, daß die Seelen es brauchen, so läßt er sie
teilhaben an seiner Stärke.
Sie sind gänzlich gelöst von allem, und immer ist es ihr Wunsch, allein zu sein
oder sich einem Tun zu widmen, das einer anderen Seele hilft. Weder Dürrezeiten
noch innere Mühsal suchen sie heim. Ständig gedenken sie unseres Herrn und
hängen an ihm in Zärtlichkeit, so daß sie niemals aufhören möchten, ihn zu
loben. Wird eine Seele schläfrig, so weckt der Herr selber sie in der Weise, die
wir beschrieben haben. Das läßt in aller Klarheit erkennen, daß jener Antrieb –
ich weiß nicht, wie ich es sonst nennen soll – vom Inneren der Seele ausgeht,
wie dies auch von den starken Antrieben gesagt worden ist. Hier geschieht es mit
großer Sanftheit, doch kommt es nicht aus dem Denken oder der Erinnerung. Es ist
etwas, das nicht zu begreifen ist; denn die Seele hat nichts von sich aus dazu
getan. Dieses Erlebnis widerfährt einem so häufig, ja es ist so etwas
Gewöhnliches, daß es genau zu beobachten war. Ein großes Feuer lodert nicht nach
unten, sondern nach oben, so stark man es auch entfachen mag, und genauso ist es
hier: man erkennt, daß diese innerliche Bewegung aus der Mitte der Seele kommt
und die Fähigkeiten weckt.
Wahrlich, gäbe es auf diesem Weg des Gebets nichts anderes zu gewinnen, als daß
man gewahrt, mit welch besonderer Fürsorge Gott darum bemüht ist, sich uns
mitzuteilen, und wie er wieder und wieder uns bittet – denn nichts anderes
scheint es zu sein –, bei ihm zu bleiben, so schienen mir alle Mühen wohl
angewandt, die man auf sich genommen hat, um dies zu genießen, daß man so sanft
und so durchdringend von seiner Liebe angerührt wird. Das werdet ihr, meine
Schwestern, erfahren haben; denn ich denke, daß der Herr uns mit dieser Fürsorge
umgibt, sobald wir zum Gebet der Vereinigung gelangen, falls wir nicht selber
achtlos werden gegenüber seinen Geboten. Erlebt ihr nun das, so denkt daran, daß
es von dieser inneren Wohnung ausgeht, wo Gott in unserer Seele weilt, und lobt
ihn von Herzen. Denn es ist gewiß: von ihm stammt diese Aufforderung, dieses
Brieflein, das mit so viel Liebe geschrieben ist, und zwar so, daß nur ihr seine
Schrift lesen könnt und versteht, worum er euch bittet. Und ihr dürft es unter
keinen Umständen versäumen, Seiner Majestät zu antworten, auch wenn ihr gerade
äußerlich beschäftigt seid oder mit anderen redet; denn es wird des öfteren
vorkommen, daß unser Herr euch diese geheime Gnade erweisen will, während ihr in
der Öffentlichkeit weilt. Doch da man innerlich antworten muß, fällt es nicht
schwer. Man tut einen Liebesdienst oder sagt die Worte des heiligen Paulus: »Was
willst du, Herr, das ich tun soll?« Auf vielerlei Weise wird er euch dann
lehren, womit ihr ihm einen Gefallen erweisen könnt. Es ist die rechte Zeit;
denn es scheint, daß er uns da erhört. Und fast immer wird diese feine Berührung
die Seele so bereitmachen, daß sie den Auftrag des Herrn mit entschlossenem
Willen erfüllen kann.
Was den Aufenthalt in dieser Wohnung von dem Leben in den anderen unterscheidet,
ist also, wie gesagt: daß es hier fast nie eine Dürre oder innere Wirren gibt,
wie sie in allen anderen zuweilen auftraten, sondern die Seele so gut wie immer
in Ruhe lebt; daß sie nicht fürchtet, der Satan könnte diese erhabene Gnade
vorgaukeln, sondern ständig die Gewißheit besitzt, daß es Gott ist; denn – wie
gesagt – die Sinne und Fähigkeiten haben hiermit nichts zu tun. Seine Majestät
hat sich der Seele offenbart und hat sie mitgenommen, da hinein, wo meines
Erachtens der Satan nicht einzudringen wagt und der Herr ihm den Zugang
verwehrt. Und alle Gnaden, die er hier der Seele erweist, empfängt sie – wie
gesagt – ohne jegliches eigene Dazutun, abgesehen davon, daß sie sich schon
vorher Gott ganz übergeben hat.
Alles, was der Herr hier zum Wohl der Seele tut und was er ihr zeigt, geschieht
in solcher Ruhe, so völlig lautlos, daß es mich dünkt, es sei wie beim Bau von
Salomons Tempel, wo kein Geräusch zu hören war. Ebenso ist es in diesem Tempel
Gottes, in dieser seiner eigenen Wohnung, wo er und die Seele sich aneinander in
tiefster Stille erfreuen. Da ist kein Grund zur Geschäftigkeit, und der Verstand
hat hier nichts zu suchen. Der Herr, der ihn schuf, will ihn hier ruhen lassen,
und nur durch einen kleinen Spalt soll er sehen, was da geschieht. Manchmal wird
ihm diese Sicht zwar versperrt, so daß er nichts mehr gewahren kann, aber doch
nur für ganz kurze Zeit; denn meines Erachtens verlieren sich die Fähigkeiten
hier nicht. Sie sind jedoch untätig und gleichsam vor Staunen erstarrt.
Mich selbst verwundert es, daß alle Entrückungen aufhören, sobald die Seele
hierher gelangt, von gelegentlichen Ausnahmen abgesehen, wobei es sich aber um
keine Entrückungen gleich jenen früheren und um keinen Geistesflug handelt. Auch
kommen sie sehr selten vor, und dann fast nie in Gegenwart von anderen, im
Gegensatz zu früher, wo dies recht häufig geschah. Besondere Gelegenheiten zur
Andacht, die ihr begegnen, bewegen sie nun nicht mehr wie früher. Sah sie da ein
frommes Bild oder hörte sie eine Predigt, ein Musik – kaum hatte sie etwas
vernommen, wie sehnsüchtig flatterte da der arme Falter auf, alles scheuchte ihn
empor und trieb ihn zum Flug. Jetzt aber, sei es weil die Seele ihren Ruheort
gefunden oder weil sie in dieser Wohnung so viel gesehen hat, daß sie vor nichts
mehr erschrickt, oder weil sie sich nicht mehr so einsam fühlt wie früher,
jetzt, wo sie sich einer solchen Gesellschaft erfreut – ach, Schwestern, ich
weiß nicht, was die Ursache sein mag, weshalb jene große Schwäche, die ihr eine
arge Plage war, zur selben Zeit von ihr genommen wurde, als der Herr ihr diese
Wohnung und was darinnen ist zu zeigen begann, und weshalb dies nicht schon
früher geschah. Vielleicht hat der Herr sie gestärkt, sie weiter gemacht und sie
gerüstet; es mag aber auch denkbar sein, daß er öffentlich zu erkennen geben
wollte, was er an diesen Seelen insgeheim getan hat, zu irgendwelchen Zwecken,
die Seine Majestät kennt; denn seine Ratschlüsse sind höher als alles, was wir
uns vorzustellen vermögen.
Diese Wirkungen – sowie alle anderen, die wir als gute Folgen der beschriebenen
Gebetsstufen genannt haben – schenkt Gott der Seele, wenn er sie an sich zieht
zu dem Kuß, den die Braut erbat; denn hier wird ihr – soweit ich es verstehe –
diese Bitte erfüllt. Hier wird der verwundeten Hindin Wasser im Überfluß
gewährt; hier ergötzt sie sich in der Laubhütte Gottes. Hier findet die Taube,
die Noah aussandte, um zu sehen, ob das Unwetter vorüber sei, den Ölbaum: ein
Zeichen, daß sie festes Land gefunden hatte inmitten der Fluten und Stürme
dieser Welt. O Jesus, wüßte ich doch all die vielen Dinge in der Heiligen
Schrift, die wohl sonst noch zur Erklärung dieses Friedens der Seele zu finden
sind! Mein Gott, da du siehst, wie wichtig er für uns ist, so mache, daß die
Christen ihn suchen wollen, und nimm ihn – um deiner Barmherzigkeit willen –
nicht wieder von denen, die du damit beschenkt hast; denn schließlich werden sie
immer in Furcht leben, bis du ihnen den wahren Frieden gibst und sie dahin
führst, wo er kein Ende nehmen kann. Ich spreche vom »wahren Frieden«, nicht
weil ich meine, daß der Friede hier nicht wahr wäre, sondern weil er sich wieder
in den vorausgegangenen Krieg verwandeln könnte, wenn wir uns von Gott trennten.
Aber was werden diese Seelen empfinden bei der Erkenntnis, daß ihnen ein so
großes Gut verloren gehen könnte? Es wird sie dazu bewegen, noch vorsichtiger zu
wandeln und dafür zu sorgen, daß sie Kraft aus ihrer Schwäche ziehen, um nicht
aus eigener Schuld eine Gelegenheit zu versäumen, wo sie Gott noch mehr Gefallen
erweisen könnten. Je mehr sie von Seiner Majestät begünstigt werden, desto
zaghafter und furchtsamer blicken sie auf sich selbst. Und da sie angesichts der
Herrlichkeiten Gottes nur noch mehr ihre eigene Erbärmlichkeit erkannt haben und
ihre Sünden daneben noch schwerer empfinden, wagen sie auf ihrem Weg oft kaum
den Blick zu erheben, gleich dem Zöllner. Zuweilen aber überkommt sie der
Wunsch, ihr Leben möge ein Ende nehmen, damit sie sich in Sicherheit sehen.
Danach freilich, aus Liebe zu ihm, erwacht in ihnen – wie gesagt – wieder der
Wille zu leben, um ihm zu dienen, und sie vertrauen alles, was sie selbst
betrifft, seiner Barmherzigkeit an. Manchmal drängen die vielen Gnaden sie dazu,
sich noch mehr zu demütigen, sich in ein Nichts zu verwandeln, da sie fürchten,
es könnte ihnen ergehen wie einem Schiff, das zu schwer beladen ist und darum
untergeht.
Ich sage euch, Schwestern, daß diesen Seelen das Kreuz nicht fehlt; nur
beunruhigt sie dies nicht, noch raubt es ihnen den Frieden, sondern es geht
vorüber, wie eine Woge, wie einzelne Stürme, denen heitere Stille und günstige
Winde folgen. Denn die Gegenwart des Herrn, die sie in sich tragen, läßt sie all
dies bald vergessen. Er sei ewig gepriesen und gerühmt von allen Kreaturen.
Amen.
VIERTES KAPITEL
Ihr dürft nicht meinen, Schwestern, die Wirkungen, von denen ich gesprochen
habe, hielten bei diesen Seelen ununterbrochen an (darum sage ich, wann immer
ich daran denke, daß es für gewöhnlich so sei). Manchmal nämlich überläßt sie
unser Herr ihrer Natur. Und da scheint es nicht anders, als rotteten sich alle
giftigen Wesen aus dem Vorgelände und den verschiedenen Wohnungen dieser Burg
zusammen, um sich an ihnen zu rächen für die Zeit, da sie ihnen nichts anhaben
können.
Freilich dauert das nicht lange – einen Tag höchstens oder wenig mehr –, und in
dieser großen Wirrnis, die meist von irgendeinem besonderen Anlaß herrührt,
gewahrt man, was die Seele durch die gute Gesellschaft gewinnt, in der sie sich
befindet; denn der Herr gibt ihr eine große Beharrlichkeit, so daß sie in keiner
Weise von seinem Dienst und ihren guten Vorsätzen abweicht. Es scheint vielmehr,
als werde sie darin gefördert und bestärkt, und eine erste, winzig kleine Regung
kann sie nicht abbringen von dieser Entschlossenheit. Solche Beunruhigungen
kommen, wie gesagt, nur selten vor. Und dabei will der Herr, daß die Seele ihr
eigenes Wesen nicht vergißt und darum stets demütig bleibt; und zum anderen
möchte er, daß sie dadurch noch mehr begreife, was sie Seiner Majestät verdankt,
welch große Gnade sie von ihm empfängt, und daß sie ihn dafür preise.
Es sollte euch auch nicht in den Sinn kommen, diese Seelen hätten, weil es ihr
inniger Wunsch ist und sie den festen Vorsatz haben, um nichts auf der Welt eine
Unvollkommenheit zu begehen, nun nicht mehr viele Mängel in ihrem Verhalten oder
seien auch nur von Sünden frei. Absichtlich begehen sie solche freilich nicht,
denn der Herr bewahrt sie wohl davor durch eine ganz besondere Hilfe. Ich meine
läßliche Sünden; von den Todsünden – die sie als solche erkennen – sind sie
frei, doch nicht davor gefeit. Sie werden wohl manche an sich haben, die sie
nicht erfassen, und das wird sie nicht wenig quälen. Auch peinigt es sie, zu
sehen, wie viele Seelen verloren gehen; und obwohl sie in gewisser Weise eine
große Hoffnung haben, daß sie nicht zu diesen gehören werden, können sie doch
wenn sie sich an manche erinnern, von denen die Schrift sagt, sie seien
offenkundig vom Herrn begünstigt worden (wie etwa ein Salomon, der ein solch
inniges Verhältnis zu Seiner Majestät hatte), sich der Furcht nicht erwehren,
wie ich schon sagte. Und je mehr eine von euch sich ihrer selber sicher fühlt,
desto mehr fürchte sie sich; denn »selig der Mann, der den Herrn fürchtet«, sagt
David. Seine Majestät beschütze uns allezeit. Ihn anzuflehen, daß wir ihn nicht
beleidigen, ist die größte Sicherheit, die wir besitzen können. Er sei gelobt in
Ewigkeit, Amen.
Es wird gut sein, Schwestern, euch zu erklären, wozu der Herr so viele Gnaden in
dieser Welt erweist. Obgleich ihr es an deren Wirkungen wohl schon gemerkt habt,
falls ihr darauf geachtet habt, will ich es euch hier erneut sagen, damit keine
von euch glaube, es geschehe nur zum Ergötzen dieser Seelen. Das wäre ein großer
Irrtum; denn Seine Majestät kann uns keine größere Gunst erweisen, als wenn er
uns ein Leben schenkt, das danach strebt, dem Leben seines geliebten Sohnes zu
gleichen. Und darum bin ich fest überzeugt, daß diese Gnaden dazu bestimmt sind,
unsere Schwachheit zu stärken – wie ich hier schon ein paarmal gesagt habe –, so
daß wir ihm nacheifern können in vielfachem Leiden.
Immer haben wir gesehen, daß die, welche Christus unserem Herrn am nächsten
waren, auch die größten Mühsale zu erdulden hatten. Schauen wir doch, was seine
glorreiche Mutter und die ehrwürdigen Apostel zu erleiden hatten. Wie konnte der
heilige Paulus solch entsetzliche Qualen überhaupt ertragen? An ihm ist zu
erkennen, welche Wirkungen die wahren Visionen und die echte Beschauung
erwecken, wenn sie von unserem Herrn stammen und nicht Einbildung oder
Gaukelwerk des Satans sind. Hat Paulus sich etwa in die Verborgenheit
zurückgezogen, um jene Wonne zu genießen und auf nichts anderes mehr zu achten?
Ihr wißt ja, daß er keinen Tag der Ruhe hatte, soweit wir unterrichtet sind. Und
genausowenig hatte er wohl Ruhe bei Nacht, denn da verdiente er sich, was er zur
Nahrung brauchte. An der Geschichte des heiligen Petrus gefällt mir sehr, wie
ihm, als er eben im Begriff war, aus dem Gefängnis zu entfliehen, unser Herr
erschien, der zu ihm sagte, er gehe nach Rom, um nochmals gekreuzigt zu werden.
Niemals beten wir an dem Festtag, der daran erinnert, ohne daß es mir ein
besonderer Trost ist. Was bewirkte diese Gnade des Herrn beim heiligen Petrus?
Was tat er? Er ging alsbald in den Tod. Und er betrachtete es als keine geringe
Barmherzigkeit, daß der Herr ihm jemanden entgegenschickte, der ihn dem Ende
überantwortete.
O meine Schwestern, wie wenig wird die Seele, von der Gott in solch besonderer
Weise Besitz ergriffen hat, noch an ihre eigene Ruhe denken; wie gering wird sie
alle Ehre achten, und wie fern wird es ihr liegen, etwas gelten zu wollen! Denn
ist sie viel mit ihm zusammen, wie es sein soll, so denkt sie wohl wenig an sich
selbst. Ihr ganzes Sinnen richtet sich darauf, wie sie ihn noch mehr erfreuen
und worin oder wodurch sie die Liebe, die sie für ihn hegt, erweisen könnte.
Hierfür ist das Gebet da, meine Töchter, das ist die Bestimmung dieser
geistlichen Ehe, nämlich daß ihr immerfort Werke entsprießen, Werke.
Dies ist das wahre Kennzeichen dafür, daß etwas eine Gnade ist, die von Gott
kommt. Denn es nützt mir wenig, wenn ich einsam, in tiefer Zurückgezogenheit mit
unserem Herrn Feste feiere und dabei den Vorsatz fasse, das Versprechen ablege,
Wunderwerke in seinem Dienst zu vollbringen, hernach aber, wo sich die
Gelegenheit bietet, genau das Gegenteil tue. Es ist falsch, wenn ich gesagt
habe, daß es wenig nütze; denn alles, was man mit Gott erlebt, ist von großem
Nutzen. Sind wir auch zu schwach, diese Entschlüsse später zu verwirklichen, so
wird Seine Majestät uns doch manchmal dazu bringen, das Vorgenommene zu
erfüllen; vielleicht selbst dann, wenn es uns gar nicht darum zu tun ist, wie es
ja oft geschieht. Sieht er, daß eine Seele sehr feige ist, legt er ihr, ganz
gegen ihren Willen, eine erdrückend schwere Last auf und läßt sie mit Gewinn aus
der Mühsal hervorgehen. Da dies die Seele erfaßt, verliert sie einiges von ihrer
Furcht und hat um so mehr Mut, sich ihm darzubieten. Ich wollte vorhin sagen,
daß die Zurückgezogenheit allein wenig ist, verglichen mit dem sehr viel
größeren Gewinn, den man erlangt, wenn die Werke mit den Worten und Gebärden der
Liebe übereinstimmen. Und wer nicht alles auf einmal tun kann, der möge langsam
eins nach dem andern vollbringen. Er suche den eigenen Willen zu beugen, wenn er
will, daß das Gebet ihm nützt. Hier in unseren vier Wänden wird es euch nicht an
mancherlei Gelegenheiten dazu fehlen.
Schaut, das ist sehr viel wichtiger, als ich selbst mit den dringlichsten Worten
euch klarmachen kann. Richtet die Augen auf den Gekreuzigten, und alles wird
euch leicht werden. Wenn der Herr uns seine Liebe erwiesen hat in solch
ungeheuren Werken und Qualen – wie wollt ihr ihn da allein mit Worten zufrieden
stellen? Wißt ihr, was es heißt, wahrhaft geistlich zu leben? Zu Sklaven Gottes
werden, die er – gezeichnet mit seinem Brandmal, weil sie ihm ihre Freiheit
schon hingegeben haben – verkaufen kann als Sklaven der ganzen Welt, wie es mit
ihm selbst geschah. Damit wird uns kein Schimpf angetan, sondern eine Gnade
erwiesen, die nicht gering ist. Wer sich dazu nicht entschließt, der braucht
nicht zu befürchten, er werde sehr viel weiter kommen; denn dieses ganze Bauwerk
geistlichen Lebens hat die Demut zum Fundament, und wenn diese nicht wirklich
und tatsächlich vorhanden ist, so wird es der Herr – schon um euretwillen –
nicht sehr weit in die Höhe bauen wollen, damit nicht alles einstürzt. Um gute
Fundamente zu bekommen, Schwestern, müßt ihr also danach streben, die geringste
von allen zu sein und die Sklavin aller, und müßt schauen, wie und durch was ihr
den anderen Freude machen und ihnen dienen könnt. Was ihr da tut, macht ihr mehr
für euch als für sie; denn da legt ihr so feste Steine, daß die Burg euch nicht
einstürzt.
Ich sage es nochmals: allein mit Gebet und Beschauung könnt ihr euer Fundament
nicht legen. Wenn ihr nicht nach Tugenden trachtet und euch nicht tätig darin
übt, werdet ihr immer Zwerge bleiben. Ja, Gott gebe, daß dann das Wachsen nimmer
stockt; denn ihr wißt doch: Wer nicht wächst, schrumpft ein. Ich halte es für
unmöglich, daß die Liebe sich damit begnügt, ständig auf der Stelle zu treten.
Es mag euch so vorkommen, als spräche ich hier mit denen, die erst beginnen;
später könne man ja schon ausruhen. Ich habe euch bereits gesagt, daß die Ruhe,
welche die Seelen in ihrem Inneren erfahren, ihnen dazu geschenkt wird, daß sie
im äußeren Leben um so weniger Ruhe benötigen und um so leichter darauf
verzichten. Was meint ihr, wozu jene Inspirationen – oder besser Aspirationen –,
von denen ich gesprochen habe, jene Zusicherungen aus der innersten Mitte, von
der Seele zu den Bewohnern im oberen Teil der Burg und zu allen anderen in den
verschiedenen Gemächern weitergeleitet werden? Damit sie sich schlafen legen?
Nein, nein, nein! Denn die Seele befehdet sie von dort aus noch heftiger, damit
sie nicht müßig seien, die Fähigkeiten und Sinne und alles, was dem Leibe
angehört; sie bekämpft sie härter als zu jener Zeit, wo sie sich noch leidend in
deren Gesellschaft bewegte. Denn damals begriff sie noch nicht den großen
Gewinn, den die Leiden bedeuten, und verstand nicht, daß diese vielleicht die
Mittel waren, durch die Gott sie ans Ziel bringen wollte. Auch verleiht die
Gemeinschaft, in der sich nun die Seele befindet, ihr sehr viel stärkere Kräfte
denn je zuvor. Wenn David sagt, daß wir mit den Heiligen heilig sein werden, so
ist nicht daran zu zweifeln, daß die Seele, wenn sie eins geworden ist mit dem
Starken, durch diese erhabene Vereinigung von Geist mit Geist es erfahren wird,
wie Stärke auf sie übergeht. Und so gewahren wir, woher die Heiligen die Kraft
zum Leiden und Sterben empfingen.
Es ist ganz gewiß, daß sogar von dieser Stärkung, welche die Seele dort
überkommt, allen Bewohnern der Burg etwas zuströmt, selbst dem Leib, den man
oftmals nicht mehr zu spüren glaubt. Der Mut, der die Seele kräftigt, sobald sie
vom Wein dieses Kellers trinkt, in den ihr Bräutigam sie geführt hat und aus dem
er sie nicht mehr entweichen läßt, fließt über in den matten Leib, wie im
irdischen Leben die Speise, die in den Magen gelangt, den Kopf und das ganze
Wesen stärkt. Die Seele, die hierher gelangt ist, hat also ein recht schweres
Los, solange sie lebt; denn soviel sie auch tut, die innere Kraft ist noch weit
größer und um so heftiger der Kampf, den sie zu bestehen hat, da ihr alles
dürftig und nichtig erscheint. Hieraus erwuchsen wohl die großen Bußtaten, die
viele Heilige vollbrachten (besonders die glorreiche Magdalena, die vorher immer
in Wohlstand und Annehmlichkeit gelebt hatte); und daher kommt auch jener
Hunger, der unseren Vater Elias verzehrte, der Hunger nach der Ehre seines
Gottes, und jener Eifer, der den heiligen Dominikus und den heiligen Franziskus
antrieb, Seelen zu sammeln für den Lobpreis des Herrn. Ihr dürft mir glauben:
indem sie so sich selber vergaßen, hatten sie gewiß nicht wenig auszustehen.
Es ist mein Wunsch, Schwestern, daß wir danach streben, so weit zu gelangen, und
dies nicht, um zu genießen. Nein, wir wollen es herbeisehnen und uns dem Gebet
hingeben, um diese Kräfte für den Dienst zu empfangen. Wir sollten uns nicht
wünschen, einen noch unbegangenen Weg zu gehen, denn da werden wir uns am
ehesten verirren. Und es wäre wohl ein recht neuer Weg, wenn wir meinten, wir
könnten diese Gnaden auf einem anderen Pfad erlangen und nicht auf dem, den der
Herr ging und alle seine Heiligen. Möge uns dies nie in den Sinn kommen. Glaubt
mir, Martha und Maria müssen beisammen sein, um den Herrn beherbergen zu können
und ihn immer bei sich zu behalten; sonst wird er schlecht bewirtet sein und
ohne Speise bleiben. Wie hätte Maria, die immer zu seinen Füßen saß, ihm etwas
zu essen gegeben, wenn die Schwester ihr nicht beigesprungen wäre? Seine Speise
aber ist, daß wir auf jede Weise Seelen sammeln, damit sie errettet werden und
ihn loben in Ewigkeit.
Ihr werdet mir zweierlei entgegenhalten. Erstens: daß der Herr sagte, Maria habe
das bessere Teil erwählt. Aber sie hatte ja auch bereits das Amt der Martha
erfüllt, da sie ihn schon erquickt hatte, als sie ihm die Füße wusch und sie mit
ihren Haaren trocknete. Und meint ihr, es sei für eine Dame, wie sie es war,
eine geringe Selbstkasteiung gewesen, durch die Gassen zu gehen, vielleicht
allein, weil sie in ihrem Ungestüm gar nicht darauf achtete, und dann dort
einzutreten, wo sie noch nie hineingegangen war, und später die Lästerreden des
Pharisäers und vieles andere böse Gerede über sich ergehen zu lassen? Denn merkt
man in der Stadt, daß eine Frau von ihrer Art sich dermaßen verändert, und dies
– wie wir wissen – unter solch üblen Menschen, so wird alsbald an das Leben
erinnert, das sie früher führte. Dafür genügte bei Maria allein schon die
Tatsache, daß sie mit dem Herrn befreundet war, den man dort so haßte. Und solch
eine wollte also jetzt zur Heiligen werden? Denn natürlich änderte sie daraufhin
ihre Kleidung und ihre ganze Lebensweise. Und wenn heutzutage Personen, die
nicht so bekannt sind, durch einen solchen Schritt derart ins Gerede kommen –
wie war es wohl damals? Ich sage euch, Schwestern: Maria gelangte durch viel
Leiden und Selbstkasteiung zu jenem besseren Teil. Und hätte sie auch nichts
weiter zu erdulden gehabt – schon allein dies, daß sie sehen mußte, wie ihr
Meister so geschmäht wurde, war für sie ein unerträglicher Schmerz. Später, beim
Tode des Herrn, mußte sie solch ein Unmaß an Qualen erdulden, daß ihr meiner
Meinung nach der Märtyrertod nur deshalb nicht zuteil wurde, weil sie das
Martyrium schon erlitt, als sie den Herrn sterben sah. Und auch die Jahre, die
sie noch leben mußte, fern von ihm, und die gewiß voll entsetzlicher Pein waren,
zeigen uns, daß sie nicht immer in angenehmer Beschaulichkeit zu Füßen des Herrn
saß.
Ein zweiter Einwand wird sein, daß ihr nicht wißt, wo oder wie ihr Seelen
gewinnen könntet, um sie zu Gott zu führen. Ihr würdet es mit Freuden tun; da
ihr aber nicht lehren oder predigen könnt, wie die Apostel es taten, sähet ihr
dazu keine Möglichkeit. Darauf habe ich schon mehrfach in meinen Schriften
geantwortet, vielleicht auch schon hier in der »Inneren Burg«. Da ich aber
glaube, daß euch dies durch den Kopf gehen wird, wenn der Herr ein vielfältiges
Verlangen in euch erweckt, möchte ich nicht versäumen, es euch nochmals zu
sagen. Schon früher habe ich erklärt, daß der Satan manchmal den Wunsch nach
gewaltigen Taten in uns erregt, damit wir nicht nach dem Nächstliegenden
greifen. So versäumen wir es, Gott mit dem Möglichen zu dienen, und begnügen uns
am Ende damit, daß wir das Unmögliche ersehnen. Vom Gebet einmal abgesehen, mit
dem ihr viel helfen könnt, solltet ihr nicht gleich der ganzen Welt beistehen
wollen, sondern denen, die mit euch zusammenleben. Und euer Werk wird so noch
größer sein, weil ihr diesen noch mehr verpflichtet seid. Meint ihr, es sei ein
kleiner Gewinn, wenn ihr so demütig seid, euch selber abtötet, einem jeden
dient, ein solch tiefes Erbarmen mit allen fühlt und Gott so von Herzen liebt,
daß dieses Feuer auch alle anderen entflammt und ihr durch die Macht eures
Strebens auch die übrigen Tugenden in ihnen weckt? Nein, dies wäre ein reicher
Lohn und ein Dienst, der dem Herrn große Freude macht. Und wenn ihr das
verwirklicht, was ihr tun könnt, wird Seine Majestät erkennen, daß ihr gern noch
viel mehr tätet, und wird euch darum einen Lohn geben, als hättet ihr ihm viele
Seelen gewonnen.
Ihr werdet sagen, das sei kein »Bekehren«, weil hier ja alle fromm seien. Was
kümmert euch das? Je besser die Seelen werden, desto erfreulicher wird ihr
Lobpreis dem Herrn klingen und desto mehr wird ihr Gebet dem Nächsten nützen.
Zum Schluß, meine Schwestern, noch den Rat: Bauen wir keine Türme ohne
Fundament; denn der Herr sieht nicht so sehr auf die Größe der Werke wie auf die
Liebe, mit der sie getan werden. Tun wir, was wir können, so wird Seine Majestät
es uns schenken, daß wir jeden Tag mehr vermögen. Laßt uns nicht gleich müde
werden, sondern die kurze Zeit, die dieses Leben noch währt – und vielleicht ist
sie kürzer, als der einzelne denkt – dem Herrn das Opfer darbringen, das wir ihm
bieten können. Seine Majestät wird es zu dem hinzutun, was er selber am Kreuz
dem Vater dargebracht hat um unsretwillen, damit unsere Gabe den Wert erlangt,
den unser Wollen verdient, seien die Werke auch klein.
Möge es Seiner Majestät gefallen, meine Schwestern und Töchter, daß wir alle uns
dort sehen, wo wir ihn ewig loben. Und mir möge Gott die Gnade schenken, daß ich
ein wenig von dem verwirkliche, was ich euch anrate, ob der Verdienste seines
Sohnes, der lebt und regiert in alle Ewigkeit, Amen. Denn ich bekenne, daß mich
dies zutiefst verwirrt und beschämt. Und darum bitte ich euch, um unseres
gemeinsamen Herrn willen, in euren Gebeten dieses arme, elende Wesen nicht zu
vergessen.
JHS
Obwohl ich zunächst mit dem Widerstreben, von dem ich eingangs sprach, an diese
Niederschrift ging, macht sie mir jetzt, nachdem sie beendet ist, doch große
Freude, und ich betrachte die Mühe, die ich daran gerückt habe, als wohl
angewandt, wenn ich auch gestehen muß, daß sie recht gering war. Bedenke ich, in
welch strenger Abgeschlossenheit ihr lebt, meine Schwestern, wie wenig
Unterhaltung ihr habt und daß in einigen eurer Klöster nicht so viel Häuser
vorhanden sind, wie nötig wären, so scheint es mir, als müßte es für euch ein
Trost sein, euch in dieser inneren Burg zu ergötzen; denn ohne Genehmigung der
Oberen könnt ihr zu jeder Stunde hineingehen und darin umherwandeln.
Freilich könnt ihr nicht in alle Wohnungen durch eigene Kraft gelangen – auch
wenn ihr von deren Macht und Gewalt überzeugt seid –, wenn nicht der Burgherr
selber euch hineinführt. Darum rate ich euch, nie irgendwie gewaltsam
vorzugehen, wenn ihr auf ein Hemmnis stoßt, da ihr ihn sonst derart erzürnen
würdet, daß er euch für immer den Eintritt verwehrte. Er ist ein großer Freund
der Demut. Haltet ihr euch selber nicht für würdig, auch nur in die dritte
Wohnung zu kommen, so werdet ihr um so eher seine Einwilligung zum Betreten der
fünften Wohnung erlangen. Und dort könnt ihr, wenn ihr auch dieses Gemach
oftmals aufsucht, ihm so dienen, daß er euch sogar in die Wohnung bringt, die
für ihn selber da ist und die ihr nicht wieder verlassen sollt, es sei denn, die
Priorin rufe euch. Daß ihr deren Willen erfüllt, ist diesem großen Herrn genauso
wichtig wie der Gehorsam gegen sein Gebot; und möget ihr auch durch deren Geheiß
noch so lange draußen bleiben, so wird er doch immer, wenn ihr zurückkehrt, euch
die Türe offen halten. Habt ihr einmal die Wonnen dieser Burg erfahren, werdet
ihr in allen Dingen Ruhe finden – seien sie auch voller Qual und Mühe –, aus der
Hoffnung, daß ihr dorthin zurückkehren könnt. Diese Hoffnung kann euch niemand
rauben.
War hier auch nur von sieben Wohnungen die Rede, so umschließt doch jede
einzelne von ihnen – oben, unten und zu allen Seiten – deren viele, mit hübschen
Gärten und Brunnen und labyrinthischen Wandelgängen, lauter Dingen, die euch so
entzücken, daß ihr am liebsten vergehen wollt im Lobpreis des großen Gottes, der
es geschaffen hat nach seinem Bild und Gleichnis. Findet ihr etwas gut an der
Art, wie euch hier von ihm berichtet wird, so glaubt gewißlich, daß Seine
Majestät es gesagt hat, um euch Freude zu bereiten, und was ihr schlecht findet,
das habe ich gesagt.
Da es meine große Sehnsucht ist, euch im Dienst dieses meines Gottes und Herrn
irgendwie behilflich zu sein, bitte ich euch, daß ihr in meinem Namen jedesmal,
wenn ihr hierin lest, Seine Majestät von Herzen rühmt und ihn um das Wachstum
seiner Kirche und Erleuchtung für die Lutheraner bittet; und für mich, auf daß
er mir meine Sünden vergebe und mich aus dem Fegfeuer ziehe; denn dort werde ich
vielleicht sein – durch die Barmherzigkeit Gottes –, wenn man euch dies zu lesen
gibt (vorausgesetzt, daß es nach der Prüfung durch Gelehrte als geeignet für die
Weitergabe erscheint). Sollte etwas daran irrig sein, so nur deshalb, weil ich
es nicht besser verstehe; und ich unterwerfe mich in allem dem Urteil der
heiligen katholischen Kirche; denn in dieser Ordnung lebe ich, und ich bekenne
und gelobe, darin zu leben und zu sterben. Gott unser Herr sei gerühmt und
gepriesen in Ewigkeit. Amen, Amen.
*
Diese Niederschrift wurde beendet im Kloster des heiligen Josef zu Avila am
Vorabend des Andreastages anno 1577 zur Ehre Gottes, der lebt und regiert von
Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.
ANMERKUNGEN
Die vorliegende Übersetzung beruht auf den neuesten kritischen Textausgaben von
Fray Efren de la Madre de Dios, O. C. D. (in der »Biblioteca de Autores
Cristianos«, Madrid, 1954), und von Tomás Navarro Tomás (in der Reihe »Clásicos
Castellanos« des Verlags Espasa–Calpe, Madrid, 1951).
Seite 1 Die innere Burg. – Spanisch: »Castillo interior.« Teresa selber hat
ihrem Werk diesen Titel gegeben, Auf dem ersten Blatt des Autographs, das noch
heute im Kloster der Barfüßigen Karmeliterinnen zu Sevilla aufbewahrt wird,
steht: »Este tratado, llamado Castillo interior, escrivió Teresa de Jesús...« –
»Diese Abhandlung, Die innere Burg genannt, schrieb Teresa de Jesus« (so lautet
der selbstgewählte Ordensname der Autorin). Dennoch hat sich in Spanien schon
sehr früh der Titel »Las Moradas« – »Die Wohnungen« – durchgesetzt.
Seite 19 ... .für den Fall, daß es verlorengegangen sein sollte. – Teresa
verweist hier auf ihr »Libro de la vida«, das von der Inquisition beschlagnahmt
worden war, und zwar auf Betreiben der Prinzessin Eboli, die seit der Gründung
des Klosters von Patraña im Jahre 1569 der Ordensreformatorin feindlich
gegenüberstand.
Seite 26 Ich weiß von einer Person... – Diese Person ist Teresa selber. Jerónimo
Gracián, der als Beichtvater sie zur Niederschrift der »Inneren Burg« bewogen
hatte, empfahl ihr – damit das neue Buch nicht dasselbe Schicksal erleide wie
ihre »Vida« –, dieselbe Lehre nicht in Form einer Geschichte ihres eigenen
Lebens, sondern nach Art einer Unterweisung darzustellen, ohne sich selber zu
erwähnen, oder höchstens in der dritten Person, falls dies zur Unterstützung der
Lehre nötig sei.
Seite 29 ...stellt die Burg euch vor wie eine Zwergpalme... – Die Zwergpalme,
spanisch: palmito, ist eine wildwachsende Pflanze, die in Andalusien und in der
Umgebung von Valencia häufig zu finden ist. Nur etwa 40–50 cm hoch. Der
unterirdisch wachsende oder nur sehr kurze Stamm ist völlig überdeckt von
fächerförmigen Blättern, die ein wenig an eine Palme erinnern. Allein das zarte
herzförmige Keimblatt wird gegessen. Teresa lernte die Pflanze wohl kennen, als
sie sich in Sevilla aufhielt.
Seite 33 Da ich schon hei anderer Gelegenheit viel davon gesprochen habe... – In
ihrem »Libro de la vida«, Kapitel XIII, und im »Camino de perfección«, Kapitel
X.
Seite 37 ...denn anderswo habe ich dies recht ausführlich dargelegt. – »Libro de
la vida«, Kapitel XI–XII, und »Camino de perfección«, Kapitel XX–XXIX.
Seite 41 ...sich bäuchlings zum Trinken hinwarfen... – Richter 7,5.
Seite 44 ...(so heißt es, glaube ich; doch ich weiß es nicht genau). –Teresas
Unsicherheit wird verständlich, wenn man bedenkt, daß sie keine wissenschaftlich
gebildete Theologin war und das Latein nie richtig erlernt hatte. Die in Spanien
vorhandenen Bibelübersetzungen waren – ebenso wie fast die gesamte spanisch
geschriebene geistliche Literatur – durch die verschärften Vorschriften der
Inquisition den Laien entzogen worden.
Seite 47 ...»Beatus vir, qui timet Dominum.« –»Selig der Mann, der den Herrn
fürchtet.« Psalm 112,1.
Seite 48 ...die großen Dürrezeiten... – Dürre, spanisch: sequedad, Unfähigkeit
zur wahren Andacht. Teresa gebraucht diesen Ausdruck sehr oft. Im XXX. und
XXXVII. Kapitel ihres »Libro de la vida« spricht sie von den Ängsten, die sie
durch die Dürre zu erleiden hatte.
Seite 59 ...bei einem anderen Buch... – »Libro de la vida«, Kapitel XIII–XV.
Seite 61 ...»Cum dilatasti cor meum.« – »Ich lief auf dem Weg deiner Gebote, als
du mein Herz erweitertest. «Psalm 119,32.
Seite 63 Ich fragte einen Gelehrten... – Gemeint ist Juan de la Cruz (Johannes
vom Kreuz), der später heiliggesprochene große Lyriker und Theologe der
spanischen Mystik (1542 bis 15 91). Er trug den Reformwillen Teresas in die
Männerklöster des Karmeliterordens.
Seite 74 ...ein gewisses Buch des heiligen Bruders Pedro de Alcántara... – Pedro
de Alcántara, 1499–1562. Bedeutender Mystiker, der in strengster
franziskanischer Askese lebte. 1669 heiliggesprochen durch Clemens IX. Seine
literarische Hinterlassenschaft: »Tratado de la oración y meditación« von 1533.
Seite 133 ...ob es mir so gelingen wird wie an anderer Stelle... – »Libro de la
vida«, Kapitel XX.
Seite 149 ...was der heilige Martin sprach. – »Herr, wenn Dein Volk mich noch
braucht, verweigere ich nicht den Dienst; Dein Wille geschehe.«
Seite 155 ...eine Frage, über die ich anderswo ausführlich geschrieben habe... –
»Libro de la vida«, Kapitel XXII.
Seite 168 ...einen kostbaren Stein von höchstem Wert und gewaltigen Kräften... –
Teresa glaubte nicht an die Kraft der Mittel für den Liebeszauber (»Libro de la
vida«, Kapitel V), doch sie zweifelte anscheinend nicht an der Heilwirkung
gewisser Amulette, die man gegen Krankheiten verwandte.
Seite 173 ...eine Feige zu machen... – Durch eine obszöne Geste – indem man den
Daumen zwischen Zeige – und Mittelfinger hindurchstreckt – Hohn und Verachtung
zum Ausdruck bringen. Wie die Amulette mit der entsprechenden Darstellung galt
die Gebärde selber als Bannmittel. Im »Libro de la vida«, Kapitel XXIX,
berichtet Teresa, daß es ihr von einem Beichtvater empfohlen wurde.
Seite 198 ...der höchste Himmel, der Feuerhimmel... – Gemeint ist das Empyreum
der antiken Astronomie, der eigentliche Sitz der Gottheit und Ort des
schöpferischen Ursprungs. Der griechische Terminus bedeutet »das Entflammte«,
weil dieser Himmel nach der Vorstellung der Alten alle anderen an Helligkeit und
Reinheit übertrifft, wie das Feuer die anderen Elemente.
Seite 217 ...im Kloster des heiligen Josef zu Avila... – Das Convento de San
José in Avila wurde 1562 von Teresa gegründet. Es war ihre erste
Klostergründung. Sie berichtet darüber ausführlich im »Libro de la vida«,
Kapitel XXXII.
KAPITELREGISTER
(Das Kapitelregister steht nicht im Originalmanuskript. Es stammt wohl von einem
Kopisten und wurde als Orientierungshilfe für den Leser schon in die Erstausgabe
von 1588 aufgenommen.)
DIE ERSTE WOHNUNG
Erstes Kapitel: Darin von der Schönheit und Würde unserer Seelen die Rede ist.
Die Autorin gebraucht ein Gleichnis zum besseren Verständnis und spricht von dem
Gewinn, den es bringt,
wenn man dies versteht und die Gnadenerweise kennt, die wir von Gott empfangen.
Sie erklärt, warum die Pforte dieser Burg das Gebet ist.
Zweites Kapitel: Das zeigt, was für ein häßlich Ding eine Seele ist, die in
Todsünde lebt, und berichtet, wie Gott jemandem davon eine Ahnung schenken
wollte. Auch handelt es von der Selbsterkenntnis. Es ist nützlich zu lesen, denn
es enthält einige bemerkenswerte Punkte. Die Autorin erklärt, wie man diese
Wohnungen sich vorzustellen habe.
DIE ZWEITE WOHNUNG
Einziges Kapitel: In dem davon die Rede ist, wie sehr man der Beharrlichkeit
bedarf, um zu den letzten Wohnungen zu gelangen; welch heftigen Kampf der Satan
einem dabei liefert und wie ratsam es ist, am Anfang nicht vom Wege abzuirren,
wenn man ans Ziel gelangen will. Die Autorin nennt ein Mittel, das sich bei ihr
als äußerst wirksam erwiesen hat.
DIE DRITTE WOHNUNG
Erstes Kapitel: Darin die Rede ist von der geringen Sicherheit, die wir haben
können, solange wir in dieser Verbannung leben, sei unser Stand auch noch so
erhaben, und wie ratsam es ist, immer in Furcht zu wandeln. Es enthält einige
gute Punkte.
Zweites Kapitel: Fortsetzung des Begonnenen. Darstellung der Dürrezeiten im
Gebet und der Folgen, die sie nach Meinung der Autorin haben können. Weshalb es
nötig ist, daß wir uns prüfen. Die Prüfungen, denen der Herr diejenigen
unterzieht, die sich in diesen Wohnungen befinden.
DIE VIERTE WOHNUNG
Erstes Kapitel: Das von dem Unterschied handelt, der zwischen den Freuden und
Rührungen beim Gebet und den Wonnen besteht. Die Autorin spricht von der
Befriedigung, die es ihr gewährte, als sie begriff, daß das Denken und der
Verstand nicht dasselbe sind. Es ist nützlich für den, der sich beim Gebet
leicht zerstreut.
Zweites Kapitel: Fortsetzung des Begonnenen. Durch ein Gleichnis wird erklärt,
was Wonnen sind und wie man sie erlangt, ohne sich darum zu bemühen.
Drittes Kapitel: Darin dargelegt wird, was ein Gebet der Sammlung ist, das der
Herr meist vor der bisher besprochenen Gebetsweise schenkt. Die Autorin erklärt
dessen Wirkungen und die Folgen des vorhin besprochenen Gebets, mit dem zusammen
die Wonnen geschildert worden sind.
DIE FÜNFTE WOHNUNG
Erstes Kapitel: Die Autorin beginnt davon zu reden, wie im Gebet die Seele sich
vereint mit Gott. Sie sagt, woran zu erkennen sei, daß es keine Täuschung ist.
Zweites Kapitel: Fortsetzung des Begonnenen. Die Autorin erklärt das Gebet der
Vereinigung durch ein feines Gleichnis; sie spricht von den Wirkungen, die es in
der Seele hinterläßt. Dieses Kapitel ist sehr beachtenswert.
Drittes Kapitel: Fortsetzung des Begonnenen. Die Autorin spricht von einer
anderen Art der Vereinigung, welche die Seele durch die Gunst Gottes erlangen
kann, und sagt, welche Bedeutung die Nächstenliebe dabei hat. Dieses Kapitel ist
sehr nützlich.
Viertes Kapitel: Fortsetzung des Begonnenen, wobei die Autorin diese Gebetsweise
noch genauer erklärt. Sie sagt, wie wichtig es ist, bedachtsam vorzugehen, weil
der Satan großen Scharfsinn aufwendet, um die Seele vom eingeschlagenen Wege
abzubringen.
DIE SECHSTE WOHNUNG
Erstes Kapitel: Wie die Leiden zunehmen, wenn der Herr größere Gnaden zu
verleihen beginnt. Die Autorin nennt einige dieser Leiden und schildert, wie
diejenigen, die schon in dieser Wohnung sind, sich dabei verhalten. Dieses
Kapitel ist gut für jene, die innerliche Leiden zu bestehen haben.
Zweites Kapitel: Es handelt von den verschiedenen Weisen, auf die unser Herr die
Seele erweckt. Es scheint, daß es dabei nichts zu befürchten gibt, obwohl es
sehr erhabene Geschehnisse und große Gnadenbeweise sind.
Drittes Kapitel: Fortsetzung des Begonnenen. Die Autorin spricht von der Art und
Weise, in der Gott zur Seele redet, wenn es ihm beliebt, und rät, wie man sich
dabei verhalten soll. Nicht dem eigenen Gutdünken darf man folgen. Sie gibt
einige Zeichen an, die erkennen lassen, ob es eine Täuschung ist oder nicht.
Dieses Kapitel ist von großem Nutzen.
Viertes Kapitel: Es spricht davon, wie Gott die Seele im Gebet aufhebt mit einer
Verzückung, Ekstase oder Entrückung – was nach meiner Meinung ein und dasselbe
ist – und welch großen Mutes es bedarf, um solch große Gnaden von Seiner
Majestät zu empfangen.
Fünftes Kapitel: Fortsetzung des Begonnenen. Es wird dargestellt, wie Gott die
Seele durch einen Geistesflug in anderer Weise erhebt, als es bisher geschildert
worden ist. Die Autorin nennt verschiedene Gründe, warum dabei Mut erforderlich
ist. Sie erklärt manches an dieser Gnade, die der Herr auf wunderbare Weise
schenkt. Dieses Kapitel ist von großem Nutzen.
Sechstes Kapitel: Darin die Rede ist von einer Wirkung jener Gebetsweise, über
die im vorigen Kapitel gesprochen worden ist. An ihr läßt sich erkennen, daß es
Wahrheit und keine Täuschung ist. Die Autorin spricht noch von einer anderen
Gnade, welche der Herr der Seele erweist, um sie zu seinem Lobe anzuregen.
Siebtes Kapitel: Die Autorin spricht davon, wie sehr die Seelen, denen Gott die
genannten Gnaden erweist, von der Erinnerung an ihre Sünden gepeinigt werden.
Sie sagt, welch großer Irrtum es wäre, nicht wieder und wieder die
Menschlichkeit unseres Herrn und Erlösers Jesus Christus uns zu
vergegenwärtigen, seine Passion, sein Leben, seine glorreiche Mutter und die
Heiligen. Dieses Kapitel ist sehr nützlich.
Achtes Kapitel: Darin wird dargestellt, wie Gott durch eine intellektuelle
Vision sich der Seele mitteilt. Die Autorin gibt dazu einige Hinweise. Sie nennt
die Wirkungen, die sich zeigen, wenn es eine Vision ist. Sie empfiehlt, diese
Gnaden geheimzuhalten.
Neuntes Kapitel: Wie der Herr durch eine bildhafte Vision sich der Seele
mitteilt. Die Autorin rät dringend, man möge sich vor dem Wunsch hüten, auf
diesem Wege geführt zu werden. Sie nennt dafür einige Gründe. Dieses Kapitel ist
sehr nützlich.
Zehntes Kapitel: Die Autorin spricht von weiteren Gnaden, die der Herr der Seele
erweist; von der anderen Weise, in der dies geschieht, und vom großen Nutzen,
den die Gnaden hinterlassen.
Elftes Kapitel: Die Autorin spricht von einem Verlangen, das Gott der Seele
eingibt, von einer Sehnsucht, sich seiner zu erfreuen, die so groß, so heftig
ist, daß die Seele in die Gefahr gerät, das Leben zu verlieren. Auch wird
gesagt, welch großen Nutzen diese vom Herrn gewährte Gnade bewirkt.
DIE SIEBTE WOHNUNG
Erstes Kapitel: Es handelt von großen Gnaden, die Gott den Seelen erweist, die
so weit gelangt sind, daß sie in die siebte Wohnung eintreten dürfen. Die
Autorin sagt, weshalb ihrer Meinung nach zwischen der Seele und dem Geist ein
gewisser Unterschied besteht, obgleich beide eines sind. Dieses Kapitel enthält
bemerkenswerte Dinge.
Zweites Kapitel: Fortsetzung des Begonnenen. Die Autorin spricht von dem
Unterschied, der zwischen der geistlichen Vereinigung und der geistlichen
Vermählung besteht. Sie erklärt es mit feinen Vergleichen.
Drittes Kapitel: Es handelt von den großen Wirkungen, die das besprochene Gebet
hervorruft. Man muß sie aufmerksam betrachten; denn der Unterschied zu den
Wirkungen der früheren Gebetsweisen ist bewundernswert.
Viertes Kapitel: Die Autorin schließt ihre Darlegungen, indem sie erklärt, was
nach ihrer Meinung unser Herr erstrebt, wenn er der Seele solch große Gnaden
erweist, und warum es nötig ist, daß Martha und Maria beisammen bleiben. Dies zu
lesen ist von großem Nutzen.