Die
Wohltaten der Liebtaetigkeit bestehen darin: den Armen zu geben und den
Notleidenden Hilfe zu leisten, jedoch mit Klugheit
425.
Man muß unterscheiden zwischen den Pflichten der Liebtätigkeit,
und deren Wohltaten. Unter
den Pflichten der Liebtätigkeit werden diejenigen Übungen derselben
verstanden, die aus der Liebtätigkeit
selbst unmittelbar hervorgehen, und wie soeben gezeigt worden ist, zunächst
Obliegenheiten des Berufes
sind, in dem jeder steht. Unter den Wohltaten hingegen werden diejenigen
Hilfeleistungen verstanden,
die außer jenen statthaben. Wohltaten heißen sie, weil es in des Menschen
Freiheit und Gutdünken liegt,
sie zu tun, und sie, wenn sie erwiesen werden, vom Empfänger nicht anders
angesehen werden, denn als
Wohltaten, und diese zugewendet werden Jesajah nach den Gründen und
Triebfedern, die der Wohltäter
in seinem Gemüt erwägt. Im gemeinen Glauben liegt, daß die Liebtätigkeit
nichts anderes sei, als den Armen
geben, den Notleidenden beistehen, Sorge für Witwen und Waisen tragen, Beiträge
geben zur Erbauung
von Spitälern, Krankenhäusern, Pilgerhäusern, Waisenhäusern, besonders aber
zu Kirchen, und zu deren
Ausschmückung und Dotierung; allein vieles hiervon ist nicht die eigentliche
Liebtätigkeit, sondern
Äußerliches derselben. Diejenigen, welche die Liebtätigkeit in solche
Wohltaten setzen, können nicht
anders als ein Verdienst in diese Werke setzen, und obwohl sie mit dem Mund
bekennen, sie wollen nicht,
daß dieselben Verdienste seien, so liegt doch inwendig bei ihnen der Glaube an
Verdienst. Dies stellt sich
deutlich nach dem Tode an ihnen heraus; denn sie zählen dann ihre Werke auf,
und verlangen die Seligkeit
als Lohn; es wird aber alsdann untersucht, aus welchem Ursprung und somit von
welcher Beschaffenheit
dieselben sind, und wenn man findet, daß sie entweder aus dem Hochmut oder dem
Haschen nach Ruhm,
oder aus bloßer Freigebigkeit, oder aus Freundschaft, oder aus bloß natürlicher
Neigung, oder aus Heuchelei
hervorgegangen sind, so werden sie dann nach diesem Ursprung gerichtet, denn die
Beschaffenheit des
Ursprungs wohnt den Werken inne. Echte Liebtätigkeit aber geht aus denen
hervor, welche dieselbe sich
angeeignet haben aus Gerechtigkeit und Urteil bei den Werken, die sie tun ohne
ein Absehen auf Lohn,
gemäß den Worten des Herrn, Luk.14/12-14. Diese nennen die Dinge der oben erwähnten
Art auch
Wohltaten, sowie auch Pflichten, [bei ihnen] jedoch sind es Werke der Liebtätigkeit.
426.
Es ist bekannt, daß einige, welche jene Wohltaten, die vor der
Welt als Zeichen der Liebtätigkeit
erscheinen, getan haben, meinen und glauben, sie haben Werke der Liebtätigkeit
geübt, und daß sie dieselben
ansehen wie viele im Papsttum die Ablaßbriefe, um derentwillen sie von Sünden
gereinigt seien, und wie
Wiedergeborene mit dem Himmel beschenkt werden müssen, während sie dabei doch
nicht für Sünde
halten, sich Ehebrüchen, Handlungen des Hasses, der Rache, Betrügereien, und
im allgemeinen den Lüsten
des Fleisches hinzugeben, allein was anderes sind alsdann jene guten Werke, als
gemalte Engelbilder im
Umgang mit Teufeln, oder Büchsen von Lasurstein, in denen Wasserschlangen sind?
Ganz anders aber,
wenn jene Wohltaten von solchen geschehen, die das oben genannte Böse als der
Liebtätigkeit Verhaßtes
fliehen. Immerhin jedoch sind jene Wohltaten, besonders das Geben an die Armen
und Bettler, in mancherlei
Weise ersprießlich; denn durch dieselben werden die Knaben, die Mädchen, die
Diener und Mägde, und
überhaupt die Einfältigen, in die Liebtätigkeit eingeleitet; sie sind nämlich
deren Äußeres, durch das sie
die Leistungen der Liebtätigkeit sich aneignen, denn sie sind deren erste rohe
Anfänge, und wie die noch
unreifen Früchte. Hingegen bei denen, die nachher durch richtige Erkenntnisse
von der Liebtätigkeit und
dem Glauben vervollkommnet werden, werden sie wie reife Früchte, und dann sehen
sie jene früheren
Werke, die sie aus Einfalt des Herzens getan hatten, nicht anders denn als
Schuldigkeiten an.
427.
Daß man heutzutage jene Wohltaten für die eigentlichen
Handlungen der Liebtätigkeit hält,
die im Wort unter den guten Werken verstanden werden, hat seinen Grund darin, daß
die Liebtätigkeit
so oft im Wort beschrieben wird durch den Armen geben, den Notleidenden Hilfe
bringen, für die Witwen
und Waisen sorgen; allein bis jetzt hat man nicht gewußt, daß das Wort im
Buchstaben nur solche Dinge
nennt, die das Äußere, ja das Äußerste des Gottesdienstes sind, und daß die
geistigen Dinge, welche die
inneren sind, darunter verstanden werden, worüber man oben im Kapitel von der
Heiligen Schrift, Nr.
193-209 nachsehe. Daraus erhellt, daß unter den im Wort genannten Armen, Dürftigen,
Witwen, Waisen,
nicht diese verstanden werden, sondern die es dem Geiste nach sind. Daß unter
den Armen diejenigen
verstanden werden, die nicht in den Erkenntnissen des Wahren und Guten sind,
sehe man in der »Enthüllten
Offenbarung« Nr. 209, und unter den Witwen solche, die ohne Wahrheiten sind,
und doch eine Sehnsucht
nach den Wahrheiten haben, Nr. 764 und so weiter.
428.
Solche, die von Geburt her mitleidig sind, und ihr natürliches
Mitleiden nicht dadurch zu einigem
geistigen machen, daß sie es aus echter Liebtätigkeit üben, die glauben,
Liebtätigkeit sei, jeglichem Armen
geben, und jedem Notleidenden beistehen, ohne vorher zu untersuchen, ob dieser
Arme und Notleidende
gut oder böse ist; denn sie sagen, dies sei nicht notwendig, weil Gott bloß
auf die Hilfe und das Almosen
sehe. Allein diese werden nach dem Tode wohl unterschieden und ausgesondert von
denen, welche die
Wohltaten der Liebtätigkeit mit Klugheit getan hatten; denn die, welche
dieselben aus jener blinden Idee
von Liebtätigkeit getan hatten, tun dann ebensowohl den Bösen, als den Guten
wohl, und die Bösen tun
dadurch Böses, und beleidigen durch dieses die Guten; und deshalb haben
solcherlei Wohltäter auch Schuld
an der Verletzung der Guten; denn einem Bösewicht wohltun, ist soviel, als
einem Teufel Brot geben,
das derselbe in Gift verwandelt; denn alles Brot ist in der Hand des Teufels
Gift, und ist es dies nicht,
so verwandelt er es darein, und dies tut er, indem er durch Wohltaten zum Bösen
anlockt; auch ist es soviel,
als dem Feind das Schwert hinreichen, mit dem er dann einen tötet. Ferner ist
es soviel, als einem
Wolfsmenschen den Hirtenstab übergeben, die Schafe damit auf die Weide zu führen,
während er doch,
nachdem er diesen erhalten hat, die Schafe von der Weide in die Wüsten führt
und sie dort schlachtet.
Auch ist es
soviel, als die Statthalterschaft einem Räuber geben, der nur auf Beute sinnt
und lauert, und
nur nach deren Fettigkeit und Fülle Recht spricht und Gericht übt.