Über den eigentlichen Sinn der göttlichen Gnade.

April 1839

 

Weisheit: Schon lange forschte dein Geist, ohne daß es deinem natürlichen Menschen bewußt ist, über den wesentlichen Sinn der Gnade Gottes, von der so viel und auf so mannigfaltige Weise, nach den verschiedenen Begriffen der Erweckten, gesprochen und gehandelt wird, und von der sich fast ein jeder ein eigenes System macht.

Siehe, die Gnade Gottes ist nach ihrer Wesenheit und nach ihrer Ausdehnung ein göttliches Element. Sie ist das Grundelement, worauf die Buße und alle Tugenden des Menschen gegründet stehen, und aus welchem allein sie hervorgehen müssen. Die Gnade ist in der geistigen Welt das, was in der elementarischen Welt das Firmament, oder nach der Bibel (l.Mose 1,6) die Feste genannt wird. Diese Feste, oder das Firmament, trägt unsern ganzen Weltkörper, ja das ganze Universum der Schöpfung, die in unzähligen Welten besteht.

Unsere Erde samt allen Weltkörpern der ganzen Schöpfung hängt, wie man zu sagen pflegt, an nichts, das will sagen, an keinem betastbaren Ding.

Die Feste, oder das Unbetastbare, ist ein Stoff, der bei der Schöpfung von den Wassern und der Erde, die als ein Chaos untereinander lagen, geschieden wurde, und der, obgleich nicht betastbar, doch seiner grösseren Feinheit und Dichtigkeit wegen weit stärker ist als die groben, materiellen, schweren Körper, welche wir sehen und greifen können. Darum ist dieser Stoff imstande, das Materielle, woraus er gezogen ist, zu tragen, und zwar so, dass die schwersten Weltkörper nicht um eine Nadelspitze aus ihrem Standpunkt, in den das sprechende Wort sie gesetzt, weichen können.

Diese Feste, die bei der Schöpfung laut 1.Mose 1,9-10 noch mit den Wassern und der Erde vermischt war, und die daher nach ihrer Scheidung von denselben ebenfalls aus Wasser und Erde besteht, ist ein trockenes Wasser, vermischt mit der reinsten Kraft der Erde. Wegen ihrer wässerigen und klaren Substanz ist sie durchsichtig, und stellt sich in ihrer grundlosen Tiefe  dem menschlichen Auge in blauer Farbe dar.

Was nun die Feste, oder das elementarische Firmament, mit allen seinen Eigenschaften und Kräften, in der äusseren Natur ist, das ist im geistigen Sinne die göttliche Gnade für den Menschen. Sie ist das Erste, was der Mensch zur Errettung aus seinem verlorenen Zustande suchen muss; denn von ihr hängt seine Seligkeit, ja sein Alles ab. Sie ist es, die als der rechte Arm des ewigen Worts, aus welchem alle Dinge unmittelbar geflossen sind, alles trägt. In ihr besteht alles, und von ihrer grundlosen Tiefe hängt unsere Erlösung und Wiederbringung aus dem durch Adam verlorenen Zustand einzig ab.

Siehe, spricht die Weisheit, ich sage euch ein Geheimnis, das zwar nicht auf der Oberfläche der Heiligen Schrift, aber doch in ihrer Tiefe verborgen liegt: Die Gnade Gottes ist etwas Wesentliches; sie ist nach ihrer Ausdehnung ein geistiges Element und so wie Gott, als Geist, alle Himmel und das ganze Universum begreift, ebenso begreift und durchdringt Er durch und in seinem Gnadenelement alles, was in den Himmeln und im ganzen Schöpfungsall genannt werden mag. Wer es fassen mag, der fasse es: Das sichtbare Element mit seinen sieben Hauptkräften ist der Spiegel, worin sich die Lichter des Himmels verklären können; denn ohne dieses wässrige, durchsichtige Element der Luft könnte sich weder die Sonne, noch der Mond, noch die Sterne sichtbar noch wirksam machen. Also ist es auch mit der göttlichen Gnade beschaffen; sie wird allein in Christo offenbar und durch Ihn beleuchtet; in ihr spiegelt sich Christus, das Licht der Welt, in voller Klarheit als die himmlische Sonne der Geisterwelt.

Diese Gnade, eine Schwester der Barmherzigkeit, ist eine göttliche Eigenschaft und Tugend, aber nicht also eingeschränkt wie die Eigenschaften einer menschlichen Person; sondern sie ist, wie gesagt, ein Element, das alle Himmel und das ganze Universum umfasst. Sie ist die himmlische Feste, himmlisches Wasser und himmlische Erde. Denn in Gott sind, was man wohl beherzigen muss, alle Tugenden wesentliche Kräfte. Gerechtigkeit und Gericht ist seines Stuhles Festung; Gnade und Wahrheit sind vor seinem Angesicht (Ps.S9,lS). Aus dieser Gnade, die uns durch Christum wieder geworden, ist der Mensch ursprünglich durch den göttlichen Geist nach der lichtfeurigen Eigenschaft ausgeflossen; er muss daher in dieses göttliche Gnadenelement, als in die himmlische Feste, auch notwendigerweise wieder einbefestigt werden, so er anders aus dem durch Adams Fall angeerbten Verderben und der daraus entsprungenen Entfernung von Gott und seinen Eigenschaften wieder erlöst werden will.

Diese Gnade ist es, die der von dem Sündenschlafe erwachte Mensch zuerst suchen muss, ehe er in den Tugenden wachsen kann. Denn wenn die Tugenden eines erweckten Menschen nicht aus der Gnade entspringen, sondern aus anderen Beweggründen hervorgehen, und also nicht in der himmlischen Gnadenfeste gegründet sind, so kann er mit denselben nicht bestehen, wie hoch sie auch sonst in den Augen der Menschen glänzen mögen, weil ihre Wurzel nicht in der Gnade befestigt ist, und sie daher keinen sichern Haltpunkt, ja vor Gottes Augen keinen Wert haben.

Es wird von der Gnade viel gesprochen, und oft sagt man: "Alles, was wir sind und was wir besitzen, ist Gnade." Aber gewöhnlich spricht man diese Worte, in denen allerdings eine unumstössliche, göttliche Wahrheit liegt, sehr leicht und seicht aus, und stellt sich die Gnade so einseitig vor, als wäre sie etwas, das einem Gott bloß aus einem besonderen Wohlgefallen, wie z.B. ein Fürst einem seiner Untertanen eine Huld erzeigt, angedeihen lasse. Zwar liegt auch in diesem Begriff eine hohe, göttliche Wahrheit; allein er ist noch zu sehr eingeschränkt und enthält nicht den rechten ausgedehnten Verstand der Heiligen Schrift, die da spricht: "Deine Gnade, oh Gott, reicht so weit der Himmel ist, und deine .Wahrheit, soweit die Wolken gehen." (Ps.lOS,S). Ja, die Gnade Gottes umfasst alle Himmel und alle Kreatur, denn: "so hoch der Himmel über der Erde ist, lässt Er seine Gnade walten über die, so Ihn 'fürchten." (Ps.1O3,ll).

Darum, oh Mensch, entferne dich nicht durch Beharrung in deinen Sünden noch mehr von diesem Gnaden-Element, das über dich, wie über alle Kreatur waltet, damit dasselbe dich nicht bloß, wie jede Kreatur, von außen umgebe, sondern dich durchdringen und dein Herz bewirken könne und du durch dein Fortschreiten in der Buße gänzlich in die Gnade eingeboren werdest. Denn es ist nicht hinreichend zu deiner Seligkeit, daß die von oben oder von außen waltende Gnade dich bloß umgebe, unter welcher selbst die groben und unbußfertigen Sünder noch stehen, weil sie sonst nicht leben könnten, sondern von dem Grimm des Allmächtigen in seiner Gerechtigkeit bald verzehrt werden würden; du musst dich vielmehr durch die zuvorkommende Gnade zur Wiedergeburt bewirken und befördern lassen, damit die Gnade nicht vergeblich an dir arbeite, sondern ihren höchsten Zweck der Erneuerung und Vollendung durch den Heiligen Geist an dir bewirken und Früchte der Liebe und des Glaubens, als aus einer neuen Erde, aus dir hervorbringen könne.

Gewiss genügt es unserm Heilande nicht, daß du, oh Mensch, dich aufs Geratewohl der Gnade des Schächers vertröstest. Er will, dass du aus Gnaden das durch Adam verlorene Ebenbild Gottes wieder erlangest und aus demselben, als aus einer neuen Schöpfung, reine Früchte bringest. Denn so wenig Gott bei der Schöpfung die Erde, oder das Trockene, das Er laut 1.Mose 1 von den Wassern unter der Feste schied, unfruchtbar ließ, sondern mittelst der Einflüsse des Firmaments und der Lichter des Himmels Gras, Kraut und fruchttragende Bäume durch sein schaffendes Wort daraus hervorgehen hieß, ebenso wenig wird Er die durch Christum erneuerte Schöpfung in dir unfruchtbar lassen, sondern sein Tagewerk in dir vollenden.

Unter dem Firmamente der Gnade wird der himmlische Vater den Samen zu allen guten Pflanzen in die Erde deines durch die Gnade erneuerten Herzens säen, der aber noch nicht aufgehen kann, bis Jesus Christus, die Klarheit des Vaters, in und an dem Firmamente deines noch dunkeln Gemütes als die alles erleuchtende, erwärmende und belebende Lichtssonne erscheint. Also wirkt die Gnade neue Gnade zu größerer Fruchtbringung und geht mit dem sich ihr ergebenden Menschen stufenweise, von Grad zu Grade, durch Tagwerke hindurch. Zuerst wirkt die wesentliche Gnade, in Kraft des heiligen Blutes Jesu, eine Scheidung im Menschen. Denn vor der Umkehr des Menschen zu Gott ist seine Erde noch wüst und leer und es ist finster auf der Tiefe seiner Seele und das Element der Gnade ist noch nicht offenbar, viel weniger wirksam in ihm geworden. Der arbeitende Geist Gottes schwebt aber immer auf der öden Tiefe seines Gemüts. bis der Mensch ihm Gehör gibt, seinen Willen Gott zur Umkehr darbietet und dem alles scheidenden Vater sich ergibt. welches laut Hebr. 4.12 lebendig und kräftig und schärfer denn kein zweischneidig Schwert ist. und alles durchdringt, bis dass es scheide Seele und Geist. auch Mark und Bein, und ein Richter werden könne der Gedanken und Sinne des Herzens. Durch diese Scheidung kann dann ein neuer Mensch hervorgehen, der durch das tägliche Fortschreiten in der Gnade Gott endlich Früchte bringt in wahrhafter Gerechtigkeit und Heiligkeit, zu Lobe seiner herrlichen Gnade.

Dieses Gnadenelement ist auch die Feste für eine aus dieser Zeit abgeschiedene Seele; es ist ihr Boden, worauf sie ihre Reise nach den himmlischen Regionen des Friedens und der Ruhe und zu den paradiesischen Wohnungen der Seligen fortsetzen kann. Eine solche Seele erkennt dann, ohne dass es ihr von andern bezeugt werden müsste, ganz naturgemäss. dass sie nur aus bloßer Gnade selig geworden, weil sie keinen andern Boden hat noch sieht, und kein anderes Fundament weiß. worauf sie stehen könnte, als das Element oder das Prinzip der Gnade.

Daher ist es auch für solche Seelen, welche hienieden noch gar keinen, oder nur einen geringen Grad der Wiedergeburt erlangt haben, schon eine große Beihilfe zur künftigen Aufnahme in die Seligkeit, wenn sie in ihrem Lebensgange hienieden wenigstens nach Vermögen sich an die göttliche Gnade gehalten haben, wodurch sie bei ihrem Hinscheiden aus dieser Welt sozusagen an einem Faden hangen bleiben, der sie hält, damit sie von den finstern Mächten, die noch eine gewaltige Anziehung an solche unwiedergeborene Seelen haben, nicht gar in die Tiefe der Unterwelt hinuntergezogen werden, sondern endlich, nach vielen Läuterungen, nach und nach aufwärts steigen können, mittelst der Beihilfe der Seligen, der vollendeten Geister und Seelen und der heiligen Engel, welche von Gott zum Dienste der Seelen verordnet sind, bis sie zur gänzlichen Vereinigung mit Jesu, ihrem Haupte, gelangen.

Diese Hilfe widerfährt besonders solchen Seelen, welche während ihres Lebens hienieden sich von Gott die Gnade haben schenken lassen, Barmherzigkeit an den Armen, besonders an würdigen Gliedern Jesu zu üben.

Dieses ist es, was die göttliche Weisheit sagen will von der Gnade Gottes in Jesu, deren alles umfassende Kraft und fortdauernde Wirkung im Menschen den Weisen und Selbstklugen, sowie auch denen, welche um der Liebe zu ihrem alten sinnlichen Menschen willen sich nur mit der Gnade eines Schächers begnügen wollen, dessen hoher Glaube ihnen aber mangelt, verborgen bleibt, die Gott aber den Unmündigen offenbart, weil es also sein Wohlgefallen ist. Amen!