Zeugnisse und Eröffnungen des Geistes

2.Band

Vorwort

Zu den zwei Abteilungen der "Zeugnisse und Eröffnungen des Geistes", welche wir in einem ersten Bande bereits veröffentlich haben, lassen wir eine dritte Abteilung in dem hier vorliegenden zweiten Bande folgen.

Diese drei Abteilungen bilden ein unzertrennliches Ganzes. Sie stehen in einem genauen inneren Zusammenhang. Es durchweht sie ein Geist der Wahrheit, der Weisheit und der Liebe. Dessen ungeachtet zeigen sie eine deutliche Verschiedenheit, nicht dem Wesen, sondern dem Grade nach. Es spiegelt sich in ihnen der Fortschritt des Zeugen ab, der diese Zeugnisse ausgesprochen; sein Wachstum vom Kinde zum Jüngling und zum Manne (I.J oh. 2,12-14), oder (was das gleiche sagen will) vom Propheten, dem Knechte Gottes, zum Kinde und zum Erben Gottes (Gal.4, 1-7); oder von der ersten zur zweiten und zur dritten Haushaltung Gottes.

Gerade dieses Wachstum ist das Kennzeichen einer wahrhaft göttlichen Entwicklung. Im Reiche Gottes gibt es keinen Stillstand. Nur menschliche Beschränktheit kann diesem Reiche für alle Zeiten eine starre Form aufzwingen wollen. Christus verlangte für den Most der zweiten Haushaltung, für den Geist, den Er brachte, neue Schläuche (Matth.9,17); so erfordert auch der Geist der dritten Haushaltung neue Gefässe zu seiner Aufnahme. "Sie haben Mose und die Propheten" galt nur für diejenigen, die noch nicht fähig waren, ein Höheres zu fassen. Christus und seine Apostel gingen weiter als Mose und die Propheten. Die Mosis Jünger bleiben wollten, verwarfen Christum und seine Lehre (Joh.9,28-29). Ebensosehr irren diejenigen, die dem Geiste der dritten Haushaltung das Wort entgegensetzen: Wir haben die ganze heilige Schrift; wir haben das lautere Evangelium; was bedürfen wir weiterer Zeugnisse und Eröffnungen des Geistes?

So sehr aber auch der Geist des zweiten Bundes über den des ersten Bundes hinausging, war er diesem doch keineswegs entgegengesetzt. Nicht um das Gesetz und die Propheten aufzulösen, war Christus gekommen, sondern um sie zu erfüllen. Wenn aus einem Keime eine Pflanze hervorgeht, so ist die Pflanze etwas anderes als der Keim; aber sie ist nicht dem Keime entgegengesetzt, sondern nur eine höhere Entwicklung. Der alte Bund würde keinen Sinn gehabt haben, wenn nicht Christus dem Keime nach in ihm enthalten gewesen wäre. Darum konnte schon Moses die Schmach Christi für grösseren Reichtum halten, als die Schätze Ägyptens (Hebr.II,26). Darum heißt es von den Israeliten in der Wüste, dass sie von einem mitfolgenden geistlichen Fels getrunken haben, welcher Fels war Christus (I.Kor.lO,4); dass sie Christum versucht haben durch ihre Lüsternheit (V. 9).

Von der Verheissung im Paradiese an, durch alle Jahrhunderte des alten Bundes, war in allen wahrhaft Gläubigen dieser Same des Lebens, dieser göttliche Keim, im Verborgenen enthalten. In Maria kam er zur Entfaltung.

Soll ein Keim zur Entfaltung kommen, so gehört dazu das Zusammenwirken eines Oberen und Unteren. Kein Gras, kein Halm wird aus dem dunkeln Schosse der Erde hervorsprossen, es sei denn, dass der Himmel sich mit dem Samenkörnlein vermähle und das in ihm verschlossene Leben aufwecke. Als die Zeit erfüllt war, senkte sich das Wort aus Gott in den Schoß der heiligen Jungfrau Maria, und aus dieser Vereinigung Gottes mit dem Menschen ging der Gottmensch Jesus Christus. hervor. So entwickelte sich das Reich Gottes aus dem Keimzustande des alten Bundes zu der Ähre des neuen Bundes.

Sollte hiermit das Reich Gottes seinen Abschluss gefunden haben? Christus spricht, als Er dieses Reich einem sich entwickelnden Samen vergleicht: "Die Erde bringt von ihr selbst zum ersten das Gras, danach die Ähren, danach den vollen Weizen in den Ähren" (Mark.4,28). Er bezeichnet uns damit drei Hauptstufen in der Entwicklung seines Reichs, von denen die letzte die Stufe der Reife zur Zeit der Ernte ist. Die Ernte bezeichnet Er an einem andern Ort als das Ende dieser Weltzeit (Matth.13,39). Ist uns damit nicht deutlich die dritte Haushaltung Gottes angekündigt, in welcher der Geist Gottes vollenden werde, was in den zwei vorhergehenden begonnen und fortgesetzt wurde?

Wie aber zum Hervorspriessen der Ähre aus dem Keime ein Zusammenwirken des Oberen und des Unteren, des Himmels und der Erde, erforderlich war, so ist nicht weniger ein solches Zusammenwirken nötig, wenn die Frucht in der Ähre zur Reife gedeihen soll. Das Herabsteigen der Kräfte des Himmels zur Vollendung des Werkes Gottes auf Erden schildert uns die Offenbarung Johannis als ein Herabfahren der Stadt Gottes, des neuen Jerusalems, als eine Vereinigung der Braut mit ihrem Manne. Das heisst mir andern Worten: Die obere Gemeinde im Himmel sucht solche Seelen auf Erden, in die sie sich herabsenken könne, um das Werk Gottes in ihnen zur Reife zu fördern. Mit dieser Vollendung des Werkes Gottes, die sich im Stillen und Verborgenen vorbereitet, hängt die Aufhebung der bisherigen Weltordnung zusammen. Das Heranreifen des Volkes Gottes fällt zusammen mit der Stunde der Ernte der Erde. Die Trauben des Weinstocks der Erde sind ebenfalls reif geworden und sollen geschnitten werden.

Das sind die grossen Wahrheiten, von denen die Sammlung der Schriften des Gottesmannes Joh. Jakob Wirz ein mächtiges Zeugnis ablegt. Woher aber nimmt dieser Mann die Vollmacht, im Namen Gottes zu reden?

Wie Jesus auf eine ähnliche an Ihn gerichtete Frage mit einer Gegenfrage antwortete, so fragen auch wir zur Antwort: Wer hat den Propheten des alten Bundes, wer den Aposteln des neuen Bundes diese Vollmacht gegeben? Während die Propheten, meistens in unansehnlicher Gestalt, auf Erden wandelten und ihr strafendes Wort an das ungehorsame Geschlecht richteten, unter dem sie lebten, gab es stets nur einzelne wenige, die ihr Wort als Gottes Wort gläubig aufnahmen und sich ihm im Gehorsam unterwarfen. Der grosse Haufe betrachtete sie als Wahnsinnige und Rasende (2.Kön.9,11; Jer.29,26). Alle Propheten ohne Ausnahme haben über den Unglauben und den Ungehorsam, über das Widerstreben und die Halsstarrigkeit des Volks Klage fahren müssen, zu dem sie gesandt waren. Stephanus ruft in der Begeisterung seiner Todesstunde aus: Welchen Propheten haben eure Väter nicht verfolgt und sie getötet?

Kaum aber waren die Propheten verstummt, kaum waren sie vom Erdenschauplatz abgetreten, so bemächtigte sich ihrer Reden und ihrer Schriften die sogenannte Gottesgelehrtheit, die Theologie; an die Stelle der Offenbarung trat die Auslegung, die menschliche Bearbeitung des göttlichen Worts. Das Ärgernis der persönlichen Erscheinung dieser im Sinne der Welt ungebildeten und ungeschliffenen Boten Gottes hatte aufgehört; sie richteten nicht mehr derb und ungescheut ihr Wort an bestimmte Personen hohen oder niederen Standes mit der Freimütigkeit, die die göttliche Vollmacht ihnen einflösste. Das Gräberbauen, das Schmücken der Mäler der Gerechten begann. Die Kaste der Schriftgelehrten und Pharisäer fand in den Worten der Propheten ein bequemes Material, ihre Gelehrsamkeit zu entfalten und ihr Ansehen zu befestigen. Leute, welche sich in stolzem Sinne geschämt haben würden, eines lebenden Propheten Freund zu sein und seinem Worte sich zu unterwerfen, schämten sich nicht, die erhabenen Zeugnisse dieser Boten Gottes zu einem Zierat ihres Ehrgeizes herabzuwürdigen. Der gewaltige Hammer des Wortes Gottes, in der Hand des lebenden Propheten eine zerschmetternde Waffe, wurde zu einem ungefährlichen Spielzeug in der Hand der schönredenden, wortklaubenden Gelehrten, oder zu einem verletzenden Schwert in der Hand herrschsüchtiger Priester und Führer des Volks.

Jahrhunderte wurden mit diesem unfruchtbaren Treiben zugebracht, und die Entfremdung von Gott machte reissende Fortschritte. Man wähnte, Gott habe aufgehört zu reden; alles was Er zu sagen gehabt habe, sei durch die Propheten gesagt worden. Man wagte es geradezu auszusprechen: "Gott hat uns einmal das Gesetz gegeben und hat nichts mehr dareinzureden". - Da begann eine andere Zeit. "Nachdem vorzeiten Gott vielfältig und in vielerlei Weise geredet hatte zu den Vätern durch die Propheten, redete Er in den letzten Tagen jener Weltperiode durch den Sohn, welchen Er gesetzt hat zum Erben über alles" (Hebr.l,1-2). Welche Überraschung für diejenigen, die eigenmächtig die Erbschaft des Reiches Gottes auf Erden an sich gerissen hatten! Der Hammer des Wortes Gottes wurde ihrer Hand entwunden und gegen sie selbst geführt. Das Wehe! Wehe! des auferstandenen Wortes fiel auf die Häupter derer, die sich an Gottes Stelle gesetzt, sich zu Herren des Glaubens, zu Herrschern über die Gewissen aufgeworfen hatten. Gott redete wieder, den man zum Schweigen verurteilt hatte. Er übte Gewalt mit seinem Arm, und zerstreute die hoffärtig waren in ihres Herzens Sinn. Weggerissen wurde die Maske der Heuchelei von dem Antlitz der scheinheiligen Frömmler. Entlarvt, ohnmächtig standen sie da im Lichte der ewigen Wahrheit. "Kommt, lasset uns ihn töten und sein Erbgut an uns bringen" - das war die Antwort, die aus den offengelegten Gräbern auf die Strafreden des lebendigen Wortes erfolgte.

Der Prophet aller Propheten wurde getötet, weggerissen aus dem Lande der Lebendigen. Doch der Tod vermochte Ihn nicht zu halten. Belebend drang sein Geist in die Herzen seiner Getreuen, und eine Schar von Zeugen trat mutig auf den Kampfplatz, bereit, ihr Zeugnis mit ihrem Blute zu besiegeln. Das Wort Gottes zeigte, dass es nicht gebunden sei; auch nicht gebunden in den Kanon des alten Bundes. Gott redete wieder frei und offenbarte durch den Mund seiner treuen Zeugen die Wahrheiten seines neuen Bundes, "welche nicht kundgetan waren in vorigen Zeiten den Menschenkindern, nun aber geoffenbart wurden seinen heiligen Aposteln und Propheten durch den Geist" (Eph.3,5).

Aber was geschah? Kaum war das Zeitalter der Apostel und ihrer Schüler verflossen, kaum begann die Kirche von dem Drucke grausamer Verfolgungen aufzuatmen, so wiederholte sich in erschreckender Weise die widerwärtige Erscheinung des alten Bundes. Das Wort Christi, das Wort seiner Apostel und Evangelisten, wurde zu einem toten Material einer sich aufs neue breitmachenden Schriftgelehrsamkeit. Wieder traten jene beiden von Abel und Kain an durch die Jahrtausende des alten Bundes sich hinziehenden Linien einer inneren Geisteskirche und einer äusseren Formenkriche nebeneinander und gegeneinander auf; diese immer als die herrschende und doch tote, jene als die unterdrückte und doch lebende. Der inneren Kirche war das geschriebene Wort ein Wegweiser zu dem lebendigen Wort; der äusseren Kirche war es ein Ersatz für das lebendige Wort, ein Mittel, den Geist, wo er sich regte, zu bannen und in die Fesseln der Form zu schlagen. Mit der ganzen Anmassung, mit dem ganzen heuchlerischen Gepränge ihrer alttestamentlichen Väter traten die Pharisäer und Schriftgelehrten des neuen Bundes auf. Eine geistlose, fleischliche Schriftauslegung begann, die sich am besten durch die schon in den ersten Jahrhunderten der christlichen Kirche aufgekommene und später sogar zum Gesetz erhobene Auslegung der Stelle 1. Tim. 5,17 kennzeichnet, nach welcher man bei den kirchlichen Liebesmahlen den Geistlichen eine doppelte Portion vorsetzte. Herausbildung einer Hierarchie wurde die Haupttriebfeder aller Bewegungen auf kirchlichem Gebiete, und dieser Hierarchie sollte fortan allein das Recht zustehen, in Sachen des Glaubens zu urteilen und zu entscheiden. Dieser hierarchische Geist hat sich fortgepflanzt durch alle Jahrhunderte und durch alle Konfessionen bis auf unsere Tage. Er hat den Schlüssel der Erkenntnis an sich gerissen, um sich selbst und andern das Himmelreich zu verschliessen (Luk.ll,52).

Wieder glaubte man Gott zum Schweigen gebracht zu haben. Und je mehr Er schwieg, weil man Ihn nicht mehr hören konnte und wollte, je mehr redeten die Menschen aus ihrem Eigenen, mit dem Anspruch, das lautere Wort Gottes zu verkündigen. Die Bibel wurde ein Textbuch von ausserordentlichem Wert, weil es Material für tausend und abertausend Predigten enthielt, und weil es nicht den geringsten Widerspruch gegen seinen Missbrauch erhob. Wieder sah man einen der neuen Propheten dem andern das Wort Gottes stehlen und ihres Herzens Phantasien für Gottes Wort ausgeben. Zeigte sich da oder dort einer unter ihnen, der tiefer grub, in dem sich das innere Wort regte zur Belebung des äusseren Wortes, so wurde bald der Verdacht der Schwärmerei auf ihn geworfen. "Denn wer ist im Rate des Herrn gestanden, der sein Wort gesehen und gehört habe? Wer hat sein Wort vernommen und gehört?" (J er. 12, 18). Man sprach von den Zeiten, wo Gott noch zu den Menschen redete, wie die Fabel von den Zeiten spricht, wo die Tiere noch reden konnten. Das Wahre daran war nur, dass Gott zu diesen Krämern seines Worts nicht geredet, dass Er sie nicht gesandt hatte. Sie haben sein Wort in Verachtung gebracht trotz der Millionen von Bibeln, welche man als totes Kapitel unter die Massen schleuderte. In dieser Verfassung ist die Christenheit der entscheidenden Periode entgegengerückt, in der wir leben. Ein neuer Geist hat sich allenthalben der Gemüter der Menschen bemächtigt. Das Bewusstsein von der Unhaltbarkeit des Alten und das Verlangen nach einem besseren Neuen durchdringt mit unwiderstehlicher Gewalt die Kinder unseres Zeitalters. Dieser Zug ist gewaltig und so allgemein, dass ihm notwendig eine tiefere Wahrheit zugrunde liegen muss. Diese Wahrheit ist, dass Gott selbst das Alte nicht mehr will, dass Er selbst ein Neues zu schaffen beschlossen hat. Der grosse Haufe folgt einem unklaren Triebe, fühlt sich erfasst von einer unbezwingbaren Neigung, das alte Joch abzuschütteln, ohne noch das Bessere zu kennen, das an die Stelle des Alten treten soll. Sooft er versucht, etwas vermeintlich Besseres aufzurichten, erweist es sich bald als ebenso unhaltbar wie das Alte. Dadurch wird die Unzufriedenheit auf einen immer höheren Grad gesteigert. Ein Ingrimm gegen die unbekannte Macht, die das Aufkommen des ersehnten besseren Zustandes stets verhindert, durchzieht die Gemüter der Menschen. Sie sind sich des tieferen Grundes ihrer Unzufriedenheit ebenso unbewusst, als der wahren Mittel, sich eine glücklichere Lage zu schaffen. Dabei finden alle Künste der Verführung, alle Ränke der Bosheit, alle Lockungen trügerischer Vorspiegelungen ein weites, offenes Feld ihrer Wirksamkeit. Und in einer solchen Zeit, so voll neuer Gefahren und Versuchungen, in einer solchen entscheidungsreichen Übergangsperiode, sollte Gott seine Kinder ohne spezielle Anweisung, ohne Aufklärung aus seinem Heiligtum lassen? Er sollte schweigen, wo tausend neue Stimmen der Verführung laut werden? Jetzt, da Er offenbar so Grosses zu tun vorhat, sollte Er nicht sein Geheimnis den Propheten, seinen Knechten, offenbaren? (Amos 3,7).

Ja, Er hat geredet, Er redet und wird fortreden. Die hier vorliegenden Zeugnisse und Offenbarungen seines Geistes sind davon ein unwidersprechlicher Beweis. Wer Ohren hat zu hören, der höre!

Wir geben diese Zeugnisse wie sie sind, ohne sie verteidigen oder ihre Wahrheit beweisen zu wollen. Nur um einem Anstoss zu begegnen, den ungeübte, ängstliche Gemüter nehmen könnten, finden wir es nötig, noch einige Bemerkungen folgen zu lassen.

Die missverstandene Verehrung der Bibel, genährt und gepflegt von denen, die mit dem geschriebenen Wort dem selbständigen, immerredenden Worte Schweigen gebieten möchten, hat in vielen sonst aufrichtigen Gläubigen die Anschauung erweckt, die Wahrheit der Bibel stehe oder falle mit jedem ihrer Worte, mit jeder ihrer Silben. Die Bibel selbst rechtfertigt eine solche Anschauung ganz und gar nicht. Der Schluss der Offenbarung Johannis, den man hauptsächlich zu ihrer Rechtfertigung anführt, bezieht sich offenbar nur auf dieses Buch des Johannes, bei dessen Abfassung man noch nicht an eine solche Zusammenstellung der Bücher des Neuen Testaments dachte, wie sie uns jetzt vorliegt. Es ist bekannt, dass Männer, die vorzüglich dazu beigetragen haben, der Bibel eine Verehrung zu sichern, wie sie nur Gott selbst zukommt, dessen ungeachtet vermessen genug gewesen sind, einzelne Teile von ihr mit frecher Kritik anzugreifen und zu verdächtigen. So weiss man z.B. von Luther, dass er einzelne Schriften des Neuen Testaments mit grosser Geringschätzung behandelt, dass er den herrlichen Brief des Jakobus eine stroherne Epistel genannt hat. Über die Offenbarung Johannis, die ihm bei seiner Bekämpfung des Papsttums so treffliche Dienste leistete, sagt er: "Mir mangelt an diesem Buche nicht einerlei, dass ich es weder apostolisch noch prophetisch halte, so ist kein Prophet im Alten Testament, geschweige im Neuen, der so gar durch und durch mit Geschichten und Bildern handelt, dass ich es fast gleich bei mir achte dem 4. Buch Esras, und allerdings nicht spüren kann, dass es vom Heiligen Geist gestellt ist. Es halte davon jedermann, was ihm sein Geist gibt, mein Geist kann sich in das Buch nicht schicken, und ist mir die Ursache, dass ich es nicht hoch achte."

Von solcher frechen Willkür war der Gottesmann, der diese Zeugnisse und Eröffnungen des Geistes niedergeschrieben, weit entfernt. Er war von einer wahren Hochachtung vor den Schriften des alten und des neuen Bundes erfüllt; aber er hatte sich durch den Buchstaben derselben  töten lassen, und ihr Geist war in ihm zur Auferstehung gekommen. Der Geist, durch den die heiligen Männer Gottes geredet haben, ist der allein berechtigte Ausleger, auch (wo es nötig ist) der selbständige Berichtiger ihrer Worte. (Aber nicht der eigene Geist des Menschen, also nicht wie Luther sagt: Es halte davon jedermann, was ihm sein Geist gibt.) Wenn irgendwo ein Zweifel sein kann an der richtigen Auffassung oder an der getreuen Überlieferung der Aussprüche des Geistes Gottes, die den Propheten, den Aposteln und Evangelisten geschehen sind, so muss dieser Geist selbst darüber entscheiden. Die Möglichkeit leugnen, dass dieser Geist sich darüber aussprechen könne, heisst das Fundament der Schrift untergraben, zu deren Verteidiger man sich aufgeworfen hat.

Ob aber wahrhaftig der Geist Gottes auf dem Manne ruhte, der diese Zeugnisse schrieb, ob er wahrhaftig die Vollmacht besaß, im Namen Gottes, des Ewiglebenden, zu reden, darüber steht nur eben diesem Geiste und denen, die durch Ihn erleuchtet sind, ein Urteil zu. Seinem Walten befehlen wir diese Schrift. Er wolle sich in Gnaden zu ihr bekennen und sein Wort ausrichten lassen, wozu Er es gesandt hat.

Die Herausgeber.