DAS 1. KAPITEL. (Werbezeit)

1,1) Das Lied der Lieder von Salomo; so heißt das Buch eigentlich. Man kann das Lied der Lieder auf mehrere Arten lesen, wir aber wollen uns mit dieser befassen: Christus und die Seele. Es ist also die Rede von dem Einzelnen und Christus, vom Alleinsein der einzelnen Seele mit Ihm. Um überhaupt ein Verhältnis zu Christus zu haben, muss man von allem weltlichen Zusammenhang abgesondert und Auge zu Auge Ihm und den geistlichen und himmlischen Wirklichkeiten gegenübergestellt sein. Mitten in der Welt und mitten in allem, was einen solchen Menschen umgibt, kommt er in Kontakt mit einer neuen Welt. Er sieht nicht länger die Welt in der Welt, und nicht länger den Himmel im Himmel, er sieht nur Ihn in der Welt und im Himmel. Er selbst wird die neue Welt.

Der erste Teil vom Lied der Lieder könnte man als die Werbezeit bezeichnen, in der die Braut für den Bräutigam angenehm gemacht wird. Die Einheit ist da im Werden, anfangs schwach und wankend, obgleich sie seitens der Braut sich stark erzeigen kann. Das ganze Lied der Lieder ist eine Schilderung, wie die Einheit zwischen der Seele und Christus, der Braut und dem Bräutigam, heranwächst.

1,2) Hier spricht die Braut: Er küsse mich mit den Küssen seines Mundes. Es ist die erste Sehnsucht nach Ihm, welche sich in dieser Bitte ausdrückt. Sie hat einen Blick in seine Herrlichkeit getan und sich von der Luft einer andern Welt umweht gefühlt. Sie fühlt sich unwiderstehlich zu Ihm hingezogen; ihr Gefühl glüht auf, alles in ihr läuft Ihm entgegen, um sich Ihm hinzugeben. Sie verlangt nach den Küssen seines Mundes. Sein Mund bezeichnet hier das Wort. Das Wort ist sein Ausatmen, die Hingabe Seiner selbst an die Seele. Es ist also in dem Wort, dass sie seine Küsse und den ganz innigen Umgang mit Ihm findet, wonach sie verlangt. Küsse bezeichnen ja eine Vereinigung, eine Vereinigung, welche danach trachtet, sich für den andern zu opfern, ganz in den andern einzugehen. Die Liebe der Braut begehrt in dem Küssen ihr ganzes Sein für den Bräutigam zu opfern, das heißt, sich in Ihn einzugießen, in Ihm zunichte zu werden. Und die Liebe des Bräutigams begehrt gleicherweise, in dem Küssen sein ganzes Sein für sie zu opfern, sich in sie einzugießen, in ihr zunichte zu werden. Opfer begehrt Opfer. Sein Opfer begehrt sie als ein Opfer, das heißt: Seine Liebe, welche Opfer ist, ruht nicht, bevor sie die Geliebte ganz zur Liebe, ganz zum Opfer gemacht hat. Dies versteht sie noch nicht richtig, sie fühlt nur ihre Sehnsucht. Es ist ihr, als wäre es nur sie, welche nach Ihm verlangt, aber in Wirklichkeit kann sie nicht nach Ihm verlangen, bevor Er nach ihr verlangt hat. Es ist seine Liebe, welche im Ernst die ihrige öffnet, welche den ganzen Weg die ihrige hervorlockt. Alle Liebe ist die Seinige. Es gibt keine Liebe, welche nicht aus der Seinigen fließt. Obwohl sie dies noch nicht klar sieht, ahnt sie doch etwas davon und sagt: Denn deine Liebe ist lieblicher als Wein.

1,3) Lieblich an Geruch sind deine Salben, ein ausgegossenes Salböl ist dein Name; darum lieben dich die Jungfrauen. Das was der Braut begegnet, wenn sie mit dem Bräutigam umgeht, ist wie ein Duft von einem fernen Land. Der Duft kommt mitunter aus der Ferne und mitunter aus ihrer nächsten Nähe, aber, ob nahe oder ferne, hat er ein wunderbares Vermögen, auf sie einzudringen und sie mit einer Lieblichkeit zu durchdringen, welche bewirkt, dass sich alles in ihr für Ihn weit öffnet. Allein der Klang seines Namens ist wie ein ausgegossenes Salböl, dessen starker Wohlgeruch sich um sie verbreitet, in sie eindringt und sie dazu antreibt, immer wieder an Ihn zu denken und von Ihm zu träumen. Deswegen, denkt sie, müssen alle Ihn lieb haben. Aus ihrem - Alleinsein mit Ihm heraus steigt dieser Gedanke auf. Alle haben teil an ihrem Verhältnis zu ihm. Durch sie haben sie Eingang in ihre  Gemeinschaft mit Ihm. Sie ist allein mit Ihm und sieht keinen andern als Ihn; aber in Ihm sieht sie, dass alle, die auf ihren Weg kommen, gleichsam sich hinter ihr scharen und eins mit ihr in der Liebe zu Ihm werden. Sie sieht dies in seinem Angesicht sich widerspiegeln und freut sich.

1,4) Deswegen sagt sie: Ziehe mich, wir werden dir nachlaufen. Sein Ziehen, welches ihr schon in mehreren Arten begegnet ist, wird etwas unerhört Bedeutsames für sie und für alle, welchen sie begegnet ist und noch begegnet. Wenn Er sie zieht, laufen sie alle. Sie braucht dabei nicht eigentlich an die andern zu denken, sondern bloß an sein Ziehen. In dem Ziehen liegt nämlich dies: An andere zu denken und sie zu tragen, was nötig ist. Sein Ziehen wird der Lebensnerv selbst in ihrem geistlichen Leben, und auf diesem Ziehen wird alles beruhen, sowohl für sie als durch sie für andere. Deswegen betet sie dies so viel umfassende Gebet:

"Ziehe mich." Alles in mir, sowohl mein Gutes als mein Böses, soll zu dir laufen, um da in Schutz genommen zu werden. - Dieses "ziehe mich" wird ihr Gebet den ganzen Weg hindurch, sowohl im  Weh als im Wohl, bis dass sie vollendet, das endgültige Ziel erreicht hat. In dem Stadium, in dem sie sich jetzt befindet, sagt sie ja zu dem Ziehen: Der König hat mich in seine Gemächer  geführt. Der König ihrer Seele und der Bräutigam ihres Herzens hat seine Gemächer in ihr eingerichtet, und dahinein hat Er sie gezogen, dass sie seine Gegenwart daselbst genießen möge.

Seine Gemächer bezeichnen seinen intimsten Raum, wo Er sich zurückzieht, um mit seiner Geliebten ungestört zu sein. Wir wollen frohlocken und deiner uns freuen, wir wollen deine Liebe preisen mehr als Wein, sagt sie, obgleich sie vorher gesagt hat, dass es nur sie ist, weiche Er in seine Gemächer geführt hat. Dies bedeutet, dass alle, mit denen sie in Verbindung steht, mit ihr eingeladen sind (vergleiche: ziehe mich, wir werden dir nachlaufen), und sich über Ihn freuen und seine Liebe mehr als Wein preisen, d.h. mehr als alles andere, worüber man sich freut, im Himmel und auf Erden.

1,5-6) Die Braut wendet sich an ihre Umgebung, um ihr Verhältnis allein mit dem König, ihrem Bräutigam, zu verteidigen:

Ich bin schwarz, jedoch anmutig, sagt sie. Seitdem sie in seine Herrlichkeit hineingeschaut hat, hat sie sich im Vergleich zu Ihm schwarz befunden, und dadurch hat sie sich sogar im Vergleich mit allen andern schwarz befunden. Seine Herrlichkeit hat sie schwarz gemacht. Sie ist die Allerschwärzeste von allen, die Elendeste. Wie kann Er sie dann vor andern lieben? Sie hat freudevoll das Geheimnis entdeckt: Eben deswegen ist sie so schwarz, so elend geworden, weil Er sie so liebt. Die Schwärze kommt davon, dass sie der Sonne so sehr ausgesetzt worden ist, sagt sie. Und die Sonne ist Er. Es ist eben die Glut seiner Liebe, die sie so schwarz gemacht hat. Die Sonne seiner Liebe hat angefangen ihre eigene Schönheit zu verbrennen und ihr eine zu verleihen, die ihr unbewusst ist, eine himmlische. Die himmlische Schönheit steht im Gegensatz zu der irdischen, deswegen erscheint sie schwarz für den irdischen Anblick. Und eben durch diese Schwärze wird die Braut aus ihrer irdischen Schönheit und Güte herausgenommen und abgesondert, geheiligt für den Himmel und dessen Schönheit und Güte. Die Heiligen sind die Elenden und Schwarzen, welche nichts bei sich selbst finden können, worin sie ruhen können, und die deswegen getrieben werden, alles bei einem andern zu suchen.

Sie haben kein Dach, worunter sie Zuflucht suchen können, und müssen daher die Barmherzigkeit der Sonne suchen. Und die Sonne erbarmt sich ihrer, indem sie ihnen die Schwärze gibt, weiche bewirkt, dass sie mit Ihm Umgang haben können, und welche sie vor der Welt schützt. Denn die Welt will nichts von solchen wissen, die der Himmel schwarz gemacht hat, solche, welche unter dem Einfluss der andern Welt sind. Aber innerhalb ihrer Schwärze  fängt seine Herrlichkeit an aufzuleuchten, denn da wohnt Er mit all seiner Herrlichkeit. Seine ganze Liebe wendet sich dieser schwarzen Braut zu, seine Liebe, welche der Überfluss, das Überströmen seines Herzens ist, das sich selbst zersprengen will, um in die Schwarze, die Elende, die welche ganz Sünde ist, hineinzufließen. Sie wird unendlich klein vor seiner unendlichen Größe. Sie kann nicht zu klein, nicht zu sündig vor der Herrlichkeit werden, die ihr aus seinem Angesicht entgegenstrahlt. Aber gerade diese Kleinheit ist groß vor Ihm; in diese kann Er einziehen und zu Hause sein.

Meiner Mutter Söhne zürnten mir, bestellten mich zur Hüterin der Weinberge. Ihre Mutter bezeichnet die Welt; sie ist geboren und auferzogen als Kind der Welt, hat aber dem Ruf des Königs gehorcht, aus ihr hinauszugehen. Aber ihre Brüder, die Söhne der Welt, zürnen ihr, weil sie diesem Ruf gefolgt ist und mit Ihm Umgang sucht, der nicht von dieser Welt ist. Sie wollen sie aus diesem Umgang herausreißen und sie daran hindern, im Himmlischen zu leben. Mit der Autorität, die sie über sie haben, setzen sie sie deswegen zur Hüterin der Weinberge, d.h. irgendetwas zu sein, was in der Welt von Bedeutung ist, z.B. weltliche Sitten und weltlichen Glanz zu hüten und zu pflegen. Solche versuchende Aufträge legt die Welt immer dem in den Weg, der von dem Geistlichen ergriffen worden ist. Aber hier gelingt es nicht. Sie lässt sich zur Hüterin der Weinberge setzen, aber sie wird doch nicht von der anderen Welt los: Meinen eigenen Weinberg habe ich nicht gehütet; d.h. sie kann nicht von Ihm wegkommen, der ihr Herz (ihren Weinberg) ergriffen hat. Während sie den Weinberg der Welt hütet, ist ihr eigener von diesem Herzensräuber weggeraubt und wird von Ihm gehütet.

1,7-8) Sie macht Sklavenarbeit unter der Welt, aber ihr Herz ist anderswo. Die Welt kann nicht ihr Inneres binden. Alles in ihr läuft dem Bräutigam entgegen. Sie verlangt nach Ihm und sucht Ihn. Wenn der Druck der Welt ihr eine freie Stunde lässt, sucht sie Ihn auch durch äußere Mittel, indem sie die Einsamkeit aufsucht, um Ihm dort zu begegnen. Und unterdessen spricht sie zu Ihm: Sage mir an, du, den meine Seele liebt, wo weidest du, wo lässest du lagern am Mittag? Wenn sie Ihn dennoch nicht findet, irrt sie umher mit einem Herzen von Angst erfüllt, vor Liebe, und trifft seine Freunde, wo sie ihre Herden hüten, und sagt: Warum sollte ich wie eine Umherirrende sein bei den Herden deiner Genossen?

Diese Freunde bezeichnen die Hirten für die Herden der Kirche, d.h. solche Hirten, die sich selbst, eigene Macht und Erfolg und Ehre neben Ihm suchen. Jeder von ihnen will sie in seine Herde und seinen Schafstall haben. Für eine gewisse Zeit können sie sie wohl aufhalten, aber das Herz lässt ihr keine Ruhe, sie muss zu Ihm selbst kommen: Wenn du es nicht weißt, du Schönste unter den Weibern, so gehe hinaus, den Spuren der Herde nach, und weide deine Zicklein bei den Wohnungen der Hirten. Auf diese Weise hin begibt sie sich dann auf den Weg, nachdem sie die Zicklein (ihre äußere, notwendige Arbeit) bei den Wohnungen der Hirten geweidet hat (im Schutz von den bestehenden religiösen und bürgerlichen Anordnungen), d.h. sie setzt ihre äußere Arbeit fort, ohne sich davon in ihrem inneren Wandel stören zu lassen! Sie folgt den Spuren der Herde nach in der Welt. Die Herde besteht aus allen denen, welche durch die Zeiten in Wahrheit seine Nachfolger gewesen sind. Es ist also seine Spur in der Welt, welcher sie folgt, die Spur des Erniedrigungslebens. Die für die Halbgeistlichkeit angepasste Geistlichkeit der Welt will jetzt nichts von ihr wissen. Sie ist zu gering für die feine, äußerliche Frömmigkeit der Welt. Sie hat aber keine Zeit für äußerliche Frömmigkeit und geistliche Manieren, weil sie durch die Gebiete in den Spuren des Erniedrigungslebens eilt, und dadurch an dem Äußeren ihrer Seele von Staub und Schlamm beschmutzt und von Gestrüpp und Dornen zerrissen wird. Sie passt nicht in die respektable, geistliche Gesellschaft. Sie wird einsam im Äußeren, so wie sie im Inneren einsam ist, allein mit dem Bräutigam, wenn sie Ihn endlich findet.

1,9) Schnell laufend kommt sie zu Ihm, und deswegen sagt Er: Einem Rosse an des Pharao Prachtwagen vergleiche ich dich, meine Freundin. Sein Herz fließt über vor Liebe, wenn Er sie so beschmutzt und zerrissen von dem Wege sieht. Die Spuren des mühsamen Weges haben sie für Ihn nur um so schöner gemacht. Jede einzelne Linie und jede einzelne Bewegung der Gestalt ihrer Seele sind schön.

1,10) Er sieht die innere Schönheit ihrer Liebe durch ihr übel zugerichtetes Äußere hervorstrahlen. Der innere Schmuck sind die Kettchen und die Perlenschnüre, die Er hoch schätzt, und es sind gerade die Mühen des Weges, welche ihr diese verschafft haben.

1,11) Aber Er will ihr noch schönere Schmucksachen geben: Goldene Kettchen mit Punkten von Silber. Gold bezeichnet göttliche Güte und Liebe; Silber göttliche Wahrheit und Weisheit.  Dieser Schmuck ist nicht der ihrige, sondern der Seinige, und er bleibt der Seinige, auch wenn sie Besitzerin desselben wird. Sie bekommt ihn als inneren, für die Menschen unsichtbaren Schmuck, aber er strahlt dennoch seinen verborgenen Glanz in ihre Umgebung hinaus und wirkt auf die Menschen. Er und die ganze himmlische Welt schauen ihn und freuen sich darüber.

1,12) Wenn der König sie so geschmückt hat, und sie gewaschen und gekleidet worden ist, führt Er sie zu dem Fest hinein, das Er für sie bereitet hat. Sie sagt: Während der König an seiner Tafel ist, gibt meine Narde ihren Duft. Narde bezeichnet Hingabe. Die Hingabe ist der Inbegriff von allem, was von der Tiefe der Seele heraus dem Bräutigam entgegenduftet. Es ist der Inbegriff von allem, was sein Wesen in ihr erweckt hat, und was Er ihr also gegeben hat. Es gehen Wellen von Duft zwischen Ihm und ihr, und diese Wellen erhöhen die Feuer der Herzen. Der Duft ist das Feinste von allem, das Verborgenste und Ergreifenste, das Schwächste und das Stärkste, das Ungreifbarste und Allerlieblichste zwischen zwei Liebenden.

1,13) Sie sagt: Mein Geliebter ist mir ein Bündel Myrrhe, das zwischen meinen Brüsten ruht. Es ist hier ein wortloses Gespräch zwischen ihnen. Der Duft ist die Mitteilung. Ihr Nardenduft geht zu Ihm und sagt das Seinige, und sein Myrrhenduft geht zu ihr und sagt das Seinige. Er wohnt in ihr und redet dort zu ihr mit seinem Duft. Die Myrrhe ist bitterlieblich. Sie bezeichnet die  Kraft zur Liebe, die Kraft, die aus Leiden und Kreuz besteht. Die Liebe ist ein Leiden, ein bitterliebliches Leiden und Sterben für einander. - Sie ist noch nicht seine Braut, sie ist bloß dabei, zubereitet zu werden. Deswegen hat sie Ihn in sich als ein Bündel Myrrhe, sie darf Ihn noch nicht in anderer Weise besitzen.

1,14) Sie fährt fort: Eine Zypertraube ist mir mein Geliebter, in den Weinbergen von Engedi. Es ist immer noch der Duft, wovon die Rede ist, der Duft, der zugleich entfernt und intim ist. Er kommt von dem Geliebten, der zwar entfernt, aber dennoch in ihrem Inneren nahe ist. (Sie ist ja nur in ihrem Inneren zu Ihm gekommen und feiert mit Ihm das Fest). Sie ist noch weit von der eigentlichen Vereinigung entfernt, aber der Duft von Ihm dringt zu ihr hin und bringt in ihrem Inneren eine knospende Vereinigung des Ziehens, welche macht, dass alles in ihr zu Ihm gezogen und gesogen wird; in einer zarten, scheuen und schüchternen Weise.

1,15) jetzt antwortet Er in ihrem Inneren: Wie bist du schön, meine Geliebte! Wie bist du schön! Die Hingabe strahlt aus ihrem ganzen Wesen hervor und bringt eine herzergreifende und bezaubernde Schönheit an ihr zustande. Alles wird strahlend, ihr Wesen sowie ihre Worte. Alles an ihr erzeugt Schönheit, eine Schönheit, deren Ursprung Er ist. Er opfert ihr seine Schönheit. Er  entblößt sich selbst all seiner Schöne, gibt sie ihr und sieht sie diese ausstrahlen. Und Er, der Erhabene und Reine und Heilige, steigt zu ihr in ihre Tiefe hinab, und - betet sie an: Wie bist du schön! Deine Augen sind Tauben. Die einfältige, aber mächtige Schönheit der Unschuld strahlt Ihm aus ihren Augen entgegen (eine Unschuld, die von der Unschuld herkommt, die Er ihr erwarb, als Er sie vom Verlorengehen mit seinem heiligen und unschuldigen Blut freikaufte).

1,16-17) Sie antwortet: Wie bist du schön, mein Geliebter! Ja, holdselig bist du! Nun opfert sie Ihm ihre empfangene Schönheit. Anbetend steigt sie aus ihrer Tiefe zu seiner Höhe hinauf und opfert Ihm wieder all das, was Er ihr gegeben hat. Sie kann nichts für sich selbst behalten, alles muss Sein sein. Er hat sie mächtig gemacht, Ihm Schönheit und Lieblichkeit zu geben, sie, welche in sich selbst eitel Hässlichkeit und Widerlichkeit ist. So opfern sie einander Schönheit und Lieblichkeit. Der Ball der Schönheit und Lieblichkeit wird in diesem Ballspiel zwischen ihnen hin- und hergeworfen. Ja, unser Lager ist frisches Grün, sagt sie. Es ist ein Bild von den grünen Auen der Ruhe, welches ihr vor Augen steht. Das Ruhelager ist frisch und grün duftend; eine lebendige Ruhe, wo die Ruhe Wirken, und das Wirken Ruhe wird, wo die Lieblichkeit wächst und wächst. - Die Balken unserer Behausung sind Zedern, wo der Bräutigam in ihrem Innersten verborgen ist, und wo sie Umgang pflegen und lieben. Zedern- und Zypressenholz sind duftende Hölzer. Es ist wiederum der Duft, wovon die Rede ist. Dies zeigt, welch große Bedeutung er hat, und auf welchen feinen, geheimnisvollen Wegen er, von allen Seiten die beiden umströmend, auf sie eindringt und ihnen Ruhe und Frieden gibt. Aber diese Hölzer sind auch stark und schön. Die Schönheit und die Geborgenheit haben eine gleich große Bedeutung wie der Duft. Sie, die von Natur wie eine scheue Taube ist, fühlt sich jetzt in innerer Weise von Geborgenheit umgeben, und ihr Schönheitshunger, sowohl der ihrer Augen als ihrer übrigen Sinne, ist gesättigt.